(Gegenwind 185, Februar 2004)

Wohnungsgenossenschaft der Sinti in Kiel gegründet

Maro Temm - Unser Land

Architekt Joachim Reinig präsentiert ein Modell des Wohnprojekts
Architekt Joachim Reinig präsentiert ein Modell des Wohnprojekts

Mit einer öffentlichen Benefizveranstaltung startete am 10. Dezember das Wohnprojekt Maro Temm. Träger ist der Landesverband deutscher Sinti und Roma. Geplant ist der Bau von Häusern für 12 Sinti-Familien aus Kiel, in zwei Jahren sollen ca. 50 Personen am Ende der Diedrichstraße in Kiel-Gaarden wohnen. Geplant werden sechs Doppelhäuser, die in einem Oval um einen zentralen Platz gruppiert sind. Der Architekt Joachim Reinig konnte auf der Benefizveranstaltung schon ein Modell präsentieren.

Sinti leben seit 700 Jahren in Schleswig-Holstein. Sie sind hier als Minderheit anerkannt, ihre Selbstorganisation und die Erhaltung ihrer Kultur und Sprache werden aus Landesmitteln gefördert. Allerdings werden sie in der Landesverfassung nicht als Minderheit aufgeführt, dort finden sich allein Dänen und Friesen. Eine von der SPD vorgeschlagene Verfassungsänderung scheiterte 1998 an der Ablehnung von CDU und FDP, die Sinti nicht als "landes­typisch" anerkennen wollten.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Sinti und die seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eingewanderten verwandte Roma fast völlig vernichtet. Wenige Überlebende kehrten nach 1945 nach Schleswig-Holstein zurück, wo inzwischen mehrere tausend Angehörige dieser Minderheit leben, die meisten von ihnen sind Deutsche. Ihre Verfolgung durch den Nationalsozialismus wurde allerdings erst dreißig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges anerkannt, bis dahin galt die KZ-Haft und der Massenmord als "Kriminalprävention". Erst spät organisierten sich Sinti und Roma, in Schleswig-Holstein im Landesverband der deutschen Sinti und Roma mit Sitz in Kiel.

Unzufriedenheit mit der Wohnsituation

Direkt nach dem Krieg wurden rückkehrende Sinti in Kiel in Ruinen, später in Eisenbahnwaggons untergebracht, und zwar bis 1974. Erst dann bekamen sie Wohnungen, allerdings meistens Etagenwohnungen, die über die ganze Stadt verstreut waren.

Das bringt Probleme mit sich. Sinti-Familien leben traditionell in größeren Familienverbänden, was zumindest häufige gegenseitige Besuche bedeutet. Nachbarn empfinden das oft als "Störung", es gibt Beschwerden und Reibereien.

1974 baute die Stadt Kiel Wohnungen in Kroog und Wellsee, die allerdings schon bei der Errichtung nach einem Gutachten des Architekten Professor Jordan menschenunwürdig waren - zu eng, zu feucht. Erst später wurden neue Häuser in Gaarden und Russee gebaut, erstmals wurden damals Sinti-Familien in die Planungen mit einbezogen, ihnen nicht nur etwas "vorgesetzt".

Unser Land

Jetzt soll alles genau umgekehrt sein: Zwölf Familien planen zusammen mit einem erfahrenen Architekten und der Stattbau Hamburg eine kleine Siedlung, das Land soll dafür einen Zuschuss und verbilligte Kredite gewähren. Träger des Projektes ist eine eigene Genossenschaft. Diese soll von den erwarteten Kosten von 1,5 Millionen Euro mindestens 70.000 Euro als Eigenkapital erbringen. Außerdem sollen jugendliche Sinti, die im Idealfall aus den Familien kommen, die später die Häuser bewohnen werden, im Rahmen einer Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahme einer kommunalen Beschäftigungsfirma an dem Bau mitarbeiten. Viele andere Arbeiten sollen von den übrigen Mitgliedern der Familien als Eigenleistung eingebracht werden. Beides, Stiftung und Eigenleistung, sollen einen Eigenanteil von zusammen 300.000 Euro (25 Prozent) erbringen.

Erfolgreicher Auftakt

Die ersten Euro kamen schon am 10. Dezember zusammen. Die Stiftung zugunsten des Romavolks von Ute und Günter Grass gab einen Tag zuvor die Zusage, die Gründung der Genossenschaft mit einer Spende von 5000 Euro anzuschieben. Der gleiche Betrag kam durch Eintritt, Essens- und Getränkeverkauf sowie ein paar Dutzend Genossenschaftsanteile zusammen. Denn Innenminister Klaus Buß, Landtagspräsident Hans-Werner Arens, Stadtrat Adolf-Martin Möller und einige Landtagsabgeordnete von SPD, SSW und Grünen konnten an diesem Benefizabend natürlich nicht für die Genossenschaft werben, ohne gleichzeitig mit gutem Beispiel voranzugehen und ihre persönlichen Anteile zu zeichnen. Übrigens suchte man Landtagsabgeordnete von FDP und CDU an diesem Abend vergebens.

Jetzt muss bis zum Sommer möglichst viel von der angestrebten Summe von 70.000 bis 80.000 Euro zusammen kommen, damit die Bauarbeiten beginnen können. Wir werden jedenfalls weiter berichten.

Modell für andere?

Im Idealfall soll die Genossenschaft Maro Temm ein Dachverband für weitere Siedlungsprojekte der Sinti und Roma in Schleswig-Holstein sein. Neben der Versammlung der Genossinnen und Genossen, die regelmäßig einberufen werden soll, gibt es schon eine besondere Versammlung der Familien, die später in der Diedrichstraße einziehen wollen. Und solche "Gruppen" können weiter gebildet werden, wenn sich das Modell bewährt und später weitere Siedlungen geplant, finanziert und gebaut werden. In Kiel gibt es jetzt schon mehrere Sinti-Familien, die das Entstehen dieses Projektes gespannt beobachten und ihr Interesse für weitere Siedlungen angemeldet haben. Aber auch Anfragen aus Lübeck, Neumünster oder Heide zeigen dem Landesverband, dass viele diese Baustelle nur als einen Anfang sehen.

Reinhard Pohl

Wer Interesse an einer Mitgliedschaft in der Genossenschaft hat, kann ein Faltblatt bei der Redaktion anfordern.

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