(Gegenwind 182, November 2003)

Müllverbrennung in Neumünsters Innenstadt

"... dass wir überhaupt gefragt werden"

Die Stadtwerke Neumünster planen, in der Mechanisch-Biologischen Abfallbehandlungsanlage (MBA) den Müll aus fünf Kreisen Schleswig-Holsteins zu sortieren. Die brennbaren Anteile sollen dann im Kraftwerk in der Bismarckstr. 51 verbrannt werden. Dabei wird Kohle durch "Ersatzbrennstoff" ersetzt, der damit "thermisch verwendet" wird - daher der Name "TEV" = Thermische Ersatzbrennstoff-Verwertung. Dagegen fordert eine Bürgerinitiative einen Bürgerentscheid, sie haben ein Bürgerbegehren dazu eingeleitet. Wir sprachen mit drei Mitgliedern.

Sabine Senczek, Rolf Senczek und Christine Ziehm

Sabine Senczek, Rolf Senczek und Christine Ziehm

Gegenwind

Sie haben jetzt ein Bürgerbegehren gestartet. Worum geht es?

Sabine Senczek

Wir fordern, dass die Bürgerinnen und Bürger selbst entscheiden dürfen, ob sie eine TEV haben wollen oder nicht. Allerdings sagen wir, wenn wir Unterschriften sammeln: "Wir sind gegen die Müllverbrennung in der Innenstadt."

Gegenwind

Wann haben Sie angefangen? Wie viele Unterschriften brauchen Sie?

Rolf Senczek

Mit der Unterschriftensammlung haben wir am 10. Oktober angefangen. Am ersten Wochenende haben wir ungefähr 10 Prozent der benötigten Unterschriften gesammelt. Wir gehen von 64.000 Wahlberechtigten in Neumünster aus, wir brauchen also 6.400 Unterschriften. Am ersten Wochenende haben wir 700 Unterschriften gesammelt. In der Woche drauf haben wir vermutlich noch mal die gleiche Zahl erreicht, wir haben es noch nicht gezählt. Parallel dazu liegen Unterschriftenlisten in 150 Geschäften und Praxen oder Apotheken aus, da wissen wir natürlich nicht, wie viele dort schon unterschrieben haben. Mitglieder unserer Initiative haben auch Unterschriftenlisten mitgenommen und gehen von Haus zu Haus.

Gegenwind

Wer steckt denn dahinter? Wer ist "wir"?

Christine Ziehm

Das ist die Bürgerinitiative gegen Müllverbrennung. Sie besteht seit Januar, als der Vortrag in der Holstenhalle stattgefunden hat. Damals haben 850 Bürger gegen die Müllverbrennung unterschrieben. Wir werden unterstützt vom Verein "Umweltfreundliches Neumünster", der sich im Juni gebildet hat. Dann unterstützen uns der Landesverband Schleswig-Holstein von "Das bessere Müllkonzept", der FDP-Kreisverband und die Bürgerinitiative Wittorf-Wittorferfeld.

Gegenwind

Die TEV wird ja schon länger geplant. War die Gründung der Bürgerinitiative im Januar nicht ein bisschen spät?

Sabine Senczek

Wir haben diese Planungen nicht so richtig mitbekommen. Am Anfang wussten wir nicht einmal, was "TEV" eigentlich heißt. Es wurde uns erst langsam klar, ich habe es zum Beispiel durch unseren Nachbarn mitbekommen, der dagegen geklagt hat. Da habe ich mich mit dem Thema auseinander gesetzt und gesagt, da muss ich was machen. Aber es ist nicht einfach, sich über die Hintergründe zu informieren und dann herauszufinden, wo man ansetzen kann.

Gegenwind

Steckt Absicht dahinter, wenn die Betreiber einer Müllverbrennungsanlage diese "TEV" nennen?

Rolf Senczek

Natürlich. Viele Bürger sagen uns jetzt bei den Unterschriftensammlungen ja auch, der Müll wird doch erst sortiert, bevor er verbrannt wird. Das Konzept der Müllsortierung in der MBA wird von vielen auch befürwortet. Dass das, was dabei übrig bleibt, dann in einer "TEV" verbrannt wird, das sehen einige auch als logischen Schluss. Irgendwo muss dieser Rest ja hin. Und von Anfang an haben die Stadtwerke gesagt, das ist keine Müllverbrennungsanlage, das ist eine Thermische Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage. Und deshalb sagen wir jetzt: Wenn es keine Müllverbrennung ist, warum sind die Werte, der giftige Anteil, nicht günstiger als bei einer reinen Müllverbrennungsanlage? Wir sehen keinen nennenswerten Unterschied zwischen einer Müllverbrennungsanlage und dieser TEV.

Christine Ziehm

Aber es war Konzept der Gegenseite, es weiterhin TEV zu nennen. Heute habe ich beim Unterschriftensammeln wieder mit einem Unterzeichner gesprochen, der mir sagte, wir haben es nicht mitgekriegt, denn was ist eine TEV? Bis man dahinter gestiegen ist, dass dort der Inhalt der grauen Tonne verbrannt werden soll, dauert es lange.

Gegenwind

Sie haben ja schon mal Unterschriften gesammelt, 7800 sind im Frühling zusammengekommen. Woran ist der Bürgerentscheid gescheitert?

Christine Ziehm

Das ist daran gescheitert, dass in der Formulierung des Bürgerbegehrens ein Fehler war. Den haben wir nicht rechtzeitig erkannt, da hat uns aber auch niemand darauf hingewiesen. Das hätte eigentlich in der Beratungspflicht des Innenministers oder der Stadt liegen können. Man hat abgewartet, bis wir 7800 Unterschriften gesammelt haben, man hat abgewartet, bis sie eingereicht wurden, dann hat man sie auch noch gezählt, und erst dann wurde uns mitgeteilt, dass ein Formulierungsfehler vorläge.

Gegenwind

Haben Sie zur neuen Fragestellung beim Innenministerium gefragt, ob das nun korrekt ist?

Christine Ziehm

Wir haben genauso gefragt wie beim ersten Mal. Uns ist es genauso ergangen wie beim ersten Mal. Wir warten seit vier Wochen auf eine Antwort, es kommt vom Innenministerium keine Antwort und es wird wohl auch keine konkrete Antwort kommen.

Gegenwind

Wie reagieren die Menschen auf der Straße darauf, die vor ein paar Monaten bereits unterschrieben haben, und jetzt erneut eine Unterschrift leisten sollen?

Sabine Senczek

Positiv! Das Thema ist jetzt viel länger im Gespräch, jetzt haben alle mitbekommen, worum es sich dreht. Wir sagen dann, es war ein Fehler in der Formulierung, wir müssen noch mal sammeln, Da haben alle Verständnis und unterschreiben wieder. Und da das Problem mit der Müllverbrennung jetzt bekannt ist, ist es viel einfacher, Unterschriften zu bekommen.

Christine Ziehm

Und es steht inzwischen auch viel in der Zeitung. Hier im Courier wird normalerweise inzwischen abgedruckt, was wir mitteilen, wir sind in der "Holsteiner Zeitung" (das sind die "Kieler Nachrichten" hier), im Rundfunk, wir sind im Fernsehen...

Rolf Senczek

Und die Ablehnung des ersten Entscheids durch das Innenministerium hat Emotionen geweckt. Viele sagen, das Innenministerium will keinen Bürgerentscheid, wir werden entmündigt. Wir wollen mit dem Bürgerbegehren erreichen, dass wir gefragt werden. Wir unterschreiben dafür, dass es überhaupt einen Bürgerentscheid gibt. Wir sagen auch vielen, unterschreiben Sie für den Bürgerentscheid, informieren Sie sich genauer über die TEV, Sie können dann ja immer noch mit JA oder mit NEIN abstimmen. Aber unterschreiben Sie dafür, dass wir gefragt werden. Was die meisten nicht mitbekommen haben, war der Antrag der FDP in der Ratsversammlung, von dort aus einen Bürgerentscheid zu organisieren. Der ist mit 3 zu 34 Stimmen abgelehnt worden.

Gegenwind

Wie verhalten sich die Ratsparteien jetzt gegenüber der Unterschriftensammlung?

Rolf Senczek

Sie halten sich bedeckt, sie wollen uns wohl totschweigen.

Gegenwind

Wie ist Ihr weiterer Fahrplan?

Sabine Senczek

Wir wollen die Unterschriften so schnell wie möglich zusammen bekommen. Deshalb sind wir ja fast jeden Tag draußen und sammeln. Wir wissen ja auch nicht, wie die Stadt sich verhält, ob sie bei den Stadtwerken schon Entscheidungen durchsetzt, bevor wir fertig sind.

Gegenwind

Wie geht es denn weiter, wenn Sie Erfolg haben? Wenn die absolute Mehrheit beim Bürgerentscheid zustimmt und das mindestens 20 Prozent sind, bleiben ja noch vier andere Kreise auf ihrem Müll sitzen.

Rolf Senczek

Zumindest die CDU hat uns schriftlich bestätigt, dass ein Bürgerentscheid auch umgesetzt werden muss. Die Auswirkungen wissen wir noch nicht in letzter Konsequenz. Die MBA bleibt ja, der Müll wird sortiert, zum Beispiel können die organischen Anteile verwendet werden. Planung und Bau der TEV wird dann eingestellt. Der "Ersatzbrennstoff" ist ja nur 30 bis 50 Prozent vom Gesamtmüll. Aber die kann man zwischenlagern, man kann sie recyclen oder aufarbeiten, man kann sie auch woanders verbrennen. Wir können als Bürgerinitiative kein Konzept für den Abfall von fünf Kreisen Schleswig-Holstein vorlegen, aber wir können uns gerne an der Diskussion über ein neues Konzept beteiligen.

Gegenwind

Fragen die Leute auf der Straße, wenn Sie Unterschriften sammeln, was Sie denn statt der Müllverbrennung wollen?

Sabine Senczek

Natürlich fragen die Leute, was denn sonst mit dem Müll passieren soll. Und dann sagen wir, es gibt das Recycling, die Müllverbrennung in Kiel ist nicht ausgelastet. Aber wir sagen auch, das ist ja nicht unser Müll. Der Müll Neumünsters macht ja nur 17 Prozent von dem aus, was in der TEV verbrannt werden soll. In der Anlage sollen 115.000 Tonnen im Jahr verbrannt worden. Es geht ja darum, dass der Müll von anderen hierher gebracht werden soll und wir dann die Schadstoffe der Verbrennung abbekommen. Geplant ist ja eine Verbrennung in der Innenstadt! Was ist im Stör- und Brandfall? Was ist mit den Wohnblocks auf der anderen Straßenseite?

Rolf Senczek

Wir sagen nicht, dass der sogenannte "hochkalorische" Anteil des Mülls verbrannt werden soll. Wir sagen, Verbrennung ist keine Verwertung. Es gibt gute Ansätze, aus diesem sogenannten Ersatzbrennstoff andere Stoffe zurückzugewinnen. Überwiegend ist es Plastikmüll aus Erdöl. Es gibt Möglichkeiten, hieraus Rohstoffe zurückzugewinnen.

Christine Ziehm

Als Bürgerinitiative haben wir kein abschließendes Konzept, aber viele Denkansätze und Anstöße, die wir gerne weiter diskutieren möchten.

Gegenwind

Was erwarten Sie vom Innenministerium, wenn Sie als Bürgerinitiative ein Bürgerbegehren starten wollen?

Christine Ziehm

Das Innenministerium müsste uns auf Anhieb sagen können, ob es sich um eine wichtige Selbstverwaltungsaufgabe handelt oder nicht. Und wenn eine Frist von sechs Wochen läuft, darf die Antwort nicht länger als sechs Wochen auf sich warten lassen nach dem Motto: Ja, das Bürgerbegehren ist zulässig, aber jetzt leider zu spät. Und als drittes muss man dann sagen können, ob unsere Formulierung korrekt ist.

Interview: Reinhard Pohl

Infos: www.muellmuenster.de

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