(Gegenwind 181, Oktober 2003
Die Hansestadt Lübeck als alleiniger Eigentümer der Flughafen Lübeck GmbH und somit auch Besitzer der Flughafens Lübeck-Blankensee hat sich finanziell in eine sehr prekäre Lage manövriert. Fast alle städtischen Gesellschaften, nicht nur der Flughafen, sind zahlungsunfähig. Nur weil die Hansestadt als öffentliche Hand dahinter steht, die dann mal eben einige Millionen locker macht (für den Flughafen wurde im Jahre 2000 2,2 Mio., 2001 ebenfalls 2,2 Mio. und 2002 wiederum 2,5 Mio. Euro als Zuschuss benötigt), ist es möglich, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Nun hat der Senat beschlossen, dieses Finanzloch zu schließen, der Flughafen soll verkauft werden. Dafür muss "die Braut aber erst einmal schön gemacht" werden.
Im Jahre 1996 wurde unter dem Vorwand "Sicherheit" ein Rollweg R auf 300 m Länge auf Rollbahnbreite ausgebaut. Im Frühjahr 1997 begannen die Charterflüge. Die Fluggesellschaften (nicht etwa die Flughafen GmbH) holten sich eine Erlaubnis nach § 25 Luftverkehrsgesetz (LuftVG), die es ihnen ermöglichte, den ausgebauten Rollweg nun als "Startbahn" mit zu benutzten. Diese Erlaubnis wurde alljährlich erneuert. Bis heute leugnet die Flughafen GmbH die Absicht, hier eine Verlängerung der Rollbahn gebaut zu haben.
Allerdings ist seit 2000 auch der Charterverkehr gänzlich zusammengebrochen. Seit dem Sommer 2000 macht sich jetzt der Billig-Carrier Ryanair breit. Der Flughafen Lübeck behauptet, es handele sich um Linienverkehr. Tatsächlich ist es ein "Nischenverkehr", der selbst für die als Alibi herhaltende Wirtschaft ohne Bedeutung ist, weil die Zielflughäfen bestenfalls touristischen Charakter ausweisen und keinen Anschluss an das internationale Flugnetz bieten. Ryanair fliegt fast ausschließlich die Boeing 737-800 mit ca. 180 Sitzplätzen, die laut Berichten der Lübecker Nachrichten (18. Juni und 21. August 2003) in zwei Monaten bereits 500.000 Passagiere nach Pisa geflogen haben will. Mit dieser durch Niedrigpreise künstlich produzierten Nachfrage wird die Notwendigkeit zum Ausbau begründet. Nicht die Lübecker Wirtschaft, sondern ausschließlich Ryanair profitiert hier.
Laut der Ausschreibung zum Planfeststellungsverfahren geht es lediglich um die "Verlängerung der Start- und Landebahn und der Rollbahn C mit der Integration des Rollweges R in die Startbahn". Tatsächlich sollen aber alle widerrechtlich installierten oder gebauten Anlagen legalisiert werden oder als Alibi für weitere "Sicherheitsmaßnahmen" herhalten, bei denen dann Steuermittel einen Großteil der Finanzierungslücken füllen. So soll auch der oben erwähnte Rollweg R im Westen nur schlicht zur Rollbahn gemacht werden. So würden dann Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und Planfeststellungsverfahren für die Rollbahnverlängerung umgangen. Aber dem Vorhabenträger reicht diese Verlängerung im Westen noch nicht aus. Es sollen noch weitere 224 m im Osten her. Diese Verlängerung reicht dann bis auf knappe 260 m an die erste Wohnbebauung und die Sportanlagen heran und ist nur noch 700 m von der Waldschule in Groß Grönau entfernt.
Außerdem wird noch die Rollbahn C, auf der für eine kurze Bauphase im Jahre 1971 auch das Landen und Starten für Flugzeuge bis 5,7 t maximales Startgewicht erlaubt war - und der seit dieser Zeit widerrechtlich zum Starten und Landen dieser Flugzeugklasse genutzt wird - bis an den Kopf dieser verlängerten Start- und Landebahn im Osten weiter gebaut werden und dann in Rollbahn N umbenannt. Dabei ist es für den Vorhabenträger absolut unwichtig, dass dabei ein hochsensibles Biotop vernichtet würde. Auch das Abholzen eines über Jahrzehnte gewachsenen Baumbestandes wird nicht nur in Kauf genommen, es wurde bereits im Vorgriff und unter Hinweis auf die in der Betriebsgenehmigung aus 1975 geforderter Hindernisfreiheit erledigt. Damit wurde der letzte natürliche Lärmschutz für die Gemeinde Groß Grönau beseitigt.
Die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen in einem Umfang von 10 Leitzordnern im Sommer 2002 führte zu mehr als 1000 Einwände. Deshalb ließ die Anhörung auch bis zum April 2003 auf sich warten. Die Anhörung der Träger öffentlicher Belange (TöB) führte zu einige Nachbesserungen, die der Antragsteller in fünf weiteren Ordnern niederlegte. Im Mai wurde die Anhörung der Träger öffentlicher Belange und der Verbände fortgesetzt. Bereits dort wurde bemängelt, dass es für die betroffene Bevölkerung keine Möglichkeit gab, die geänderten Passagen der Planfeststellungsunterlagen ausgiebig zu studieren, und es wurde bemängelt, dass es keinerlei Zugang zu den Anhörungsprotokollen gibt, obwohl die Verhandlungsleitung sich auf bereits erörterte Fakten beruft. Die Anhörungsbehörde, das Landesamt für Straßenbau und Verkehr Schleswig Holstein erschien selbst nicht, bevollmächtigte aber den Verhandlungsleiter zur Ablehnung jeglicher Befangenheitsanträge und Anträge zur Vervollständigung von Planungsunterlagen.
Am 13. August kam es dann erstmals zur Anhörung betroffener Bürger. An den ersten Tagen trafen sich in der Grönau-Halle etwa 250 Bewohner und Betroffene, am zweiten Tag schmolz die Zahl bereits auf etwa 180. Die Stimmung war aufgeheizt und gereizt. Die Presse nannte den Verlauf chaotisch und verglich die Optik mit Parteitagen der Grünen/Bündnis 90 in den siebziger Jahren. Diese Feststellung beruhte auf der Tatsache, dass Mütter mit ihren Kindern und Kleinkindern, die in der Halle spielten, in die Verhandlung gekommen waren. Der Verhandlungsleiter lehnte den Antrag ab, auch den Berufstätigen in den späten Nachmittagsstunden oder Abendstunden einen Termin zur Anhörung einzuräumen.
Ab dem dritten Tag wurde die Anhörung in den großen Sitzungssaal der Gemeinde Groß Grönau verlegt. Schon wegen der Überfüllung des Raumes hätte die Verhandlung ausgesetzt werden müssen. Die räumliche Enge im großen Sitzungssaal der Gemeinde Groß Grönau ließ einige Betroffene wieder gehen, weil der Platz nicht ausreichte. Nach der Mittagspause wurde der Ton rauer. Wie schon am Vortage vermied es der Vorhabenträger, in die Frage des widerrechtlich ausgebauten Rollweges R, der doch schlicht durch eine entsprechende Widmung nun auch zur "Rollbahn" erhoben werden soll, eine klare Aussage über die frühere Baugenehmigung zu geben. Mit verharmlosenden Bezeichnungen (Stopway, Startabbruchstrecke, Rollweg R, Startvorlaufstrecke) sollte Unsicherheit geschaffen werden.
Weiter ging das Verwirrspiel mit den Gutachten. Mit einer "Nullvariante" und der Ausbauvariante sollte der Zustand vor und nach dem Ausbau beschrieben werden. Dabei wurden weitere Fehler offenkundig. Bei der Nullvariante wurde die Rollbahnlänge (1802 m) einschließlich der "Startabbruchstrecke" (Rollweg R mit 300 m) also die volle Länge von 2102 m zugrunde gelegt. Tatsächlich hätte aber nur der technisch machbare Betrieb auf 1802 m ohne Rollweg R betrachtet werden dürfen. Außerdem wurden durch mathematisch unrichtige Rundungen Lärm und Luftschadstoffe in der Nullvariante sehr hoch bewertet. Bei der Ausbauvariante wurde dann zwar die volle geplante Rollbahnlänge von 2102 + 224m = 2326 m veranschlagt. Seltsamerweise waren dann aber die Lärm- und Schadstoffwerte trotz einer prognostizierten Verdoppelung der Flugfrequenz nur unwesentlich höher.
Auch bei der nächtlichen Ruhestörung wurde in der Nullvariante lediglich eine Störung und in der Ausbauvariante weniger als eine nächtliche Bewegung behauptet, während in der Lärmberechnung bereits 6 Störungen pro Nacht erkennbar sind. Tatsächlich gibt es heute bereits regelmäßig 4 nächtliche Störungen, ohne dass offiziell Nachtflugbetrieb eingeführt worden wäre. Die Flughafenbenutzungsordnung weist eine Betriebsruhe von 22 bis 6 Uhr aus, daran fühlt sich der Vorhabenträger nicht gebunden, weil Ryanair diese Abflüge offensichtlich vertraglich zugesichert wurden. Auch wird die Einführung eines Nachtflugverbotes prinzipiell abgelehnt.
Damit aber noch nicht genug. Die ursprünglich auch widerrechtlich eingebaute ILS-Anlage Cat. I (Entscheidungshöhe = 60 m, ILS = Instrumentenlandesystem) soll durch eine ILS-Anlage Cat II (Entscheidungshöhe = 30 m) erneuert werden. Diese Baumaßnahme erfordert auch entsprechende Lichtleisten in der Rollbahn, die zu diesem Zwecke dann aufgeschlitzt werden müsste. Was folgern wir daraus? Mit dieser Installation ist gleichzeitig eine vollständige Rollbahnsanierung zu Lasten des Steuerzahlers verbunden. Denn angeblich dienst dies der "Sicherheit", die damit verbundene Kapazitätserweiterung wegen der besseren Ausnutzung der Anlage auch bei Schlechtwetterlagen wird schlicht geleugnet.
Jetzt fehlt noch die Verlängerung der Rollbahn C, der zur Rollbahn N werden soll. Abgesehen davon, dass die Biotope in der geplanten Verlängerung bereits teilweise vernichtet wurden, wurde auch keine UVP vorgelegt oder ein Planfeststellungsverfahren durchgeführt. Es wird einzig ein Gutachten der DFS vorgelegt, in welchem die Verlängerung der Taxiway C bis an den Kopf der Rollbahn als wünschenswert festgestellt wird. Aber es wird eine "Rollbahn C" verlängert, und Rollbahnverlängerungen dienen eindeutig der Kapazitätsausweitung.
Es ist erstaunlich, wie sehr sich die Politik bis hin zum Verkehrsministerium ganz ungeniert in dieses laufende Verfahren einmischt und regelmäßig nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die Eilbedürftigkeit dieser Ausbaumaßnahme anmahnt. Bei Gericht müsste das Verfahren wegen der Einmischung neu beginnen, nicht bei einem Planfeststellungsverfahren. Es sei die Frage erlaubt, ob der Landesrechnungshof sowie die EU als Geldgeber diese Planungen gut heißen. Eine korrekte Aufstellung der Eigenmittel und der finanziellen Mittel für diese Gesamtvorhaben, ein Raumordnungsverfahren oder eine Wirtschaftlichkeitsprognose mit realen Werten liegen nicht vor - außer Prognosen gibt es keine Belege.
Aber wenn dann alle Scheinargumente nicht mehr ziehen, dann beginnt die Lüge mit der Schaffung von Arbeitsplätzen. Seit etwa 1995 bis heute hat sich die Zahl der direkten Arbeitsplätze kaum verändert. Lediglich die Nische des Service und der Abfertigung wird saisonal durch einige Teilzeitkräfte zusätzlich verstärkt.
Seit dem 13. August "tobte" die Masse der Einwender, wenn es mal wieder hieß: "Der Verhandlungsleiter lehnt ab!" Auch die Aussage des Vorhabenträger: "Darüber kann ich keine Auskunft geben", war eine der stereotypen Aussagen dann, wenn während der Anhörung die Sprache auf ein heikles Thema kam. Der Antragsteller zog sich bei einen Genehmigungsstand vom 1. März 1975 mit diversen späteren Baumaßnahmen (ILS-Anlage, Ausbau eines nicht vorhandenen Rollweges auf Rollbahnbreite, Nutzung dieses "Stopway" als Rollbahn mit einer Erlaubnis nach § 25 LuftVG, Einführung des Nachtflugbetriebes), die selbstverständlich "nur der Sicherheit dienen" würden, auf den Gesetzesstand des § 71 Abs. 2 LuftVG zurück. Alle diese (ohne die vorgeschriebenen Beteiligungen Betroffener durchgeführten) Maßnahmen und Einrichtungen sind Bestand und deshalb nicht mehr Gegenstand des Verfahrens. Alle Gutachten waren auf der Potentialanalyse mit unrealistischem Inhalt und utopischen Prognosen aufgebaut, und gaben durch eine Hochstapelei der Nullvariante und einer Verniedlichung der Ausbauvariante für den Laien ein absolut verzerrtes Bild wider.
Die Anhörung sollte ja die Einwände der Betroffenen hören, sie wurden jedoch spätestens dann für den Antragsteller und damit auch für den Verhandlungsführer unangenehm, wenn durch entsprechendem Sachverstand der Kern der Sache berührt und hinterfragt wurde. Fehlende und falsche bzw. unvollständige Unterlagen erschwerten die Stellungnahme erheblich. Schon durch die Raumwahl und damit verbunden die Überfüllung des Verhandlungsraumes wurde viele Bürger abgeschreckt. Die Rednerliste war meist lang, nicht selten musste bis zu sechs Stunden auf den Auftritt gewartet werden, meist war dann bereits ein anderes Thema im Gespräch. Die menschenverachtende Art der Abweisung durch den Antragsteller und die spätere Protokollierung des Verhandlungsführers lassen grundsätzlich den Verdacht aufkommen, als sei bereits im Vorwege der Planfeststellungsbeschluss beschlossene Sache.
Wilhelm Schoßmeier
Ausbau des Flughafens Lübeck - Interview mit vier EinwenderInnen: "Das Verfahren möglichst schnell durchziehen" im Gegenwind 181, Oktober 2003.