(Gegenwind 180, September 2003

 

Neumünsteraner Provinzposse

Nicht Müllverbrennungsanlage, sondern TEV = Thermische Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage nennen die Stadtwerke Neumünster SWN ihre neueste "Gelddruckmaschine".

Willkommen in Müllmünster (e.on-city)

Die Firma SWN Stadtwerke Neumünster GmbH, die zu 49,9% der Schleswag und damit der E.ON gehören, hat mit Datum vom 29.07.2002 beim Staatlichen Umweltamt Kiel einen Vorbescheid nach §9 BImSchG für das Vorhaben beantragt, um für die Thermische Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage (TEV) am Standort Bismarckstraße 51 im Stadtzentrum Neumünsters über den geplanten Standort der Anlage und für folgende Genehmigungsvoraussetzungen eine verbindliche behördliche Entscheidung über die baurechtliche, naturschutzrechtliche und immissionsschutzrechtliche Zulässigkeit zu erhalten. Dieser Antrag wurde durch das Staatliche Umweltamt Kiel am 23./24. September 2002 öffentlich bekannt gemacht. Antrag und Antragsunterlagen lagen in der Zeit vom 30. September bis 29. Oktober 2002 aus. Durch die Verharmlosung, nicht von Müll- oder Abfallverbrennung zu sprechen, und der gleichzeitigen Aussage, es handele sich nur um einen neuen Kessel, wurde die Öffentlichkeit in Neumünster aber nicht aufgerüttelt. Nur zwei Anwohner aus dem benachbarten Stadtteil Tungendorf, Herr Engelmann und Herr Petereit erhoben formgerecht Einwendungen. Diese Einsprüche wurden am 9. Dezember 2002 öffentlich erörtert.

Die Parteien des letzten Stadtparlaments (SPD, Grüne, CDU und Statt-Partei) erklärten daraufhin am 10. Dezember 2002 nach zweiminütiger Debatte einstimmig ihr gemeindliches Einvernehmen mit diesem Bauvorhaben. Ein Vorgang, der eigentlich gar nicht mehr nötig war, da die Frist von zwei Monaten seit Antragsstellung schon verstrichen war. In der Begründung des Antrages zur Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens beschreibt die Verwaltung u.a., dass mit einer Erhöhung des Verkehrslärms um 0,3 dB(A) zu rechnen sei - was aber von den Anwohnern der Hauptzufahrtstraßen kaum wahrgenommen werden würde, da der zulässige Lärmpegel sowieso schon überschritten wäre.

Bis zu diesem Zeitpunkt und auch später wurde das Bauvorhaben von der Ratsversammlung in keiner öffentlichen Sitzung beraten und genehmigt. Da die Stadt zu diesem Zeitpunkt noch mit 75,1% (mitt­lerweile 50,1%) Mehrheitsanteilseigner der Stadtwerke war, waren der Hauptausschuss der Ratsversammlung, der gleichzeitig Teil der Gesellschafterversammlung der SWN ist, und die Fraktionsspitzen der Rathausparteien als Teil des Aufsichtsrats, der damals unter dem Vorsitz von Oberbürgermeister Unterlehberg stand, jedoch maßgeblich an der Entscheidung für die TEV beteiligt.

Plötzlich aber schrecken die Politiker auf, als sich um die Weihnachtszeit die Bürgerinitiative gegen Müllverbrennung in der Innenstadt (BgM) formt, zu deren Spitze neben Herrn Petereit, der Anwohner Herr Winkler und der ehemalige Betriebsleiter der SWN, Herr Gloe-Carstensen zählt. Bei einer Informationsveranstaltung Anfang Januar, bei der auch Klaus Koch vom Bundesverband Das bessere Müllkonzept Kritik an dem Projekt äußerte, zählte man über 800 aufgewachte Bürger. Man beschloss ein Bürgerbegehren zu initiieren. Das Bürgerbegehren vom 07.04.2003 lautete:

"Soll die Ratsversammlung der Stadt Neumünster beschließen, dass die Interessenvertreter der Stadt in den beiden Gesellschaften "Stadtwerke Neumünster GmbH" und "Stadtwerke Neumünster Beteiligungen GmbH" verpflichtet werden, darauf hinzuwirken, dass der Antrag der SWN beim Staatlichen Umweltamt Kiel auf Erteilung eines Vorbescheides für die mitten im Stadtgebiet in der Bismarckstraße 51 geplante Thermische-Ersatzbrennstoff-Verwertungsanlage (TEV) zurückgenommen wird?"

Anfang April sind die für ein Bürgerbegehren notwendige Stimmenzahl zusammengesammelt. Die Politik versucht zwar, das Thema aus dem Kommunalwahlkampf im März herauszuhalten, doch die unbeteiligte FDP greift es auf, so dass auch die CDU wankelmütig wird und beide zusammen die Wahl gewinnen.

Zwar gelingt es dem neuen Stadtparlament, den Stadtwerken eine Nachbesserung abzuringen, doch als eine Abstimmung über die TEV oder zumindest über den Aufschub der Auftragsvergabe bis nach dem Volksbegehren ansteht, sorgt eine von der SPD per Handy abgerufene Androhung des wirtschaftlichen Ruins der Stadtwerke dafür, dass einige Abgeordnete der CDU während der Sitzung umfallen.

Da diese Baumaßnahme so "unerheblich" ist, dass auch kein Bebauungsplan erstellt werden muss, fällt es zwischenzeitlich Umweltamt und Überwachungsbehörden leicht, mit einer Umweltverträglichkeitsgenehmigung vollendete Tatsachen zu schaffen. Vielleicht zur Absicherung des Landesentsorgungskonzeptes, das auf Neumünster als Müllzentrale von Schleswig-Holstein setzt, blockiert das Innenministerium gleichzeitig das Volksbegehren unter fadenscheinigen Gründen. Innenminister Buß (SPD) spricht u.a. von Nichteinhaltung der Einspruchfrist und von der durch ein Volksbegehren eingeschränkten Meinungsfreiheit der Abgeordneten. Damit jedoch ignoriert er die Meinung von mehr als 7000 Menschen.

Plötzlich zeigen die Grünen, die dieses Entsorgungskonzept trotz angeblicher Zweifel mittragen, Demokratieverständnis, während die CDU auf Anraten ihres neu inthronisierten Vorstandvorsitzenden der SWN allen weiteren Widerstand als zwecklos aufgeben. Danke für diese Volksvertreter!

Populismus warfen die Kritiker der BgM vor, als sie in einer Anzeige fragte, ob Neumünsteraner Menschen 3. Klasse sind, weil die versprochenen Grenzwerte der neuen TEV schlechter sind als die der existierenden Müllverbrennungsanlagen in Kiel und Hamburg. Dabei kann niemand diese Behauptung widerlegen. Versprechungen, die Grenzwerte für Schwermetalle, Furane und Dioxine einzuhalten, dürften sich als sehr schwierig darstellen, da diese nicht kontinuierlich messbar sind und sich somit nicht online zum Umweltlandesamt übertragen lassen. Wie soll da im Störfall eine rechtzeitige Brennstoffumstellung oder gar Abschaltung erfolgen? Prävention durch aufwendigere Nasswäscher wäre sicherlich eine zuverlässigere aber auch teuere Methode.

Die kommunale Aufgabe, ein für alle tragbares Konzept zu erzwingen, will die BgM gern nachträglich übernehmen, soll sie aber laut SH-Innenministerium nicht. Um so mehr ist es der BgM oder dem neu-gegründeten Verein "Umweltfreundliches Neumünster" zu gönnen, genügend Rückendeckung und Unterstützung in der Bevölkerung zu gewinnen. Die Politik jedenfalls hat sie in Neumünster endgültig verloren.

Rolf Senczek (BgM)

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