(Gegenwind 176, Mai 2003)
Am 20. Februar 2003 beschloss der Landtag in Schleswig-Holstein ein Gesetz zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen. Schon im Mai 2001 hatte der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) in enger Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft ver.di Westküste ein Vergabegesetzentwurf in den Landtag eingebracht, der noch vorsah, alle öffentlichen Aufträge der Tariftreuepflicht zu unterziehen.
Diese sehr umfassende und fortschrittliche Regelung war jedoch politisch nicht durchsetzbar. In der Folge konnte sich der SSW jedoch mit der SPD und den Grünen über einen gemeinsamen Entwurf des Gesetzes zur Tariftreue einigen, der auf dem Vergabegesetzentwurf basiert. Das heutige Tariftreuegesetz ist die Quintessenz der fast zweijährigen Arbeit am Entwurf mit den Anhörungen und Stellungnahmen, die in die weiteren Überlegungen zum heutigen Tariftreuegesetz einflossen.
In den Anhörungen zu dem Gesetzesentwurf sprachen sich Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsorganisationen ganz überwiegend positiv aus. In der Vielzahl von Stellungnahmen kann man nachlesen, dass die Tariftreue begrüßt wurde und zwar von allen Beteiligten. Es verwundert bis heute, dass sowohl CDU als auch FDP nach wie vor ihre kategorische Ablehnung des Gesetzes zu Markte tragen, obwohl sich im Verlauf der Diskussion abzeichnete, dass eine Ablehnung des Gesetzes gleichzeitig eine mittelstandsfeindliche Komponente beinhaltet und beide Parteien das Risiko in Kauf nehmen, dass ganze Wirtschaftszweige wegbrechen. Die Haltung der CDU und FDP unterstützt in dieser Frage nicht gerade die Interessen des Landes Schleswig-Holstein. Weiter zeigte die Debatte, dass die drei Antragsteller (SSW, SPD und die Grüne Partei) es verstanden haben, nach der Ablehnung eines Vergabegesetzes auf Bundesebene die Chance für Schleswig-Holstein zu ergreifen, um es hier einfach besser zu machen. Es soll hier vor allen Dingen die Offenheit der beiden Regierungsparteien betont werden, die eine Initiative aus dem Nichtregierungslager aufgenommen und sodann gemeinsam umgesetzt haben.
Mit dem verabschiedeten Gesetz soll nunmehr Wettbewerbsverzerrungen, die durch den Einsatz von sogenannten Niedriglohnkräften entstehen, entgegengewirkt werden. Was sich zunächst harmlos anhört, beschreibt ein Problem, das sich überall in den letzten Jahren immer mehr ausgeweitet hat. Seit Jahren tobt vor allem im Baubereich ein ruinöser Preiskampf. Aufgrund der Tatsache, dass man bisher ungehindert Beschäftigte zu Dumpinglöhnen einstellen konnte, erfolgte der sogenannte "Wettbewerb" fast ausschließlich auf dem Rücken der Arbeitnehmer der tarifgebundenen Unternehmen. Seriöse und solide Bauunternehmen haben in diesem europaweiten Preiskampf keine Chance, wenn sie nicht ebenfalls die Lohnschraube nach unten drehen würden.
Dass mit dieser Entwicklung die zuständigen Gewerkschaften naturgemäß nicht begeistert sein können, ist klar. Aber auch diverse Unternehmen haben große Probleme mit dieser bisherigen Entwicklung. Je niedriger der Lohn, desto weniger Neigung ist bei den Menschen festzustellen, einen Beruf zu diesem Bedingungen in einer solchen Branche zu ergreifen. Die Folge: gravierender Fachkräftemangel. Dieser Mangel wird noch dadurch verstärkt, dass Unternehmen aufgrund dieses sogenannten Wettbewerbs, der nur als ruinös zu bezeichnen ist, kaum noch ausbilden. Die Einsparungszwänge bei Lohnkosten lassen dies in vielen Fällen nicht mehr zu. Ohne Tariftreuegesetz werden also Auszubildende, sofern eine Ausbildung noch stattfindet, regelmäßig schlechter ausgebildet und die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt. Wie es dann über die Konkurrenzfähigkeit unserer regionalen Unternehmen bestellt ist, braucht hier wohl nicht näher erläutert zu werden. Viele Unternehmen haben längst erkannt, dass Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr ist, wenn der ungehemmte Liberalismus zugelassen bzw. weiter in dieser Form geduldet wird.
Einen Blick über den großen Teich auf die USA, auch dieser sollte in der heutigen Zeit möglich sein, zeigt, dass auf nationaler Ebene sowie in rund zwei Drittel der Staaten der USA Vergabegesetze gelten. Diese hat man dort schon in den 30er Jahren eingeführt. Natürlich gab es und gibt es auch dort Bestrebungen, solche Gesetze wieder abzuschaffen. Dort wo man es tat, stellte man fest, dass die Baukosten nicht wie erwartet sanken, obwohl ja die Lohnnebenkosten gehörig fielen. Aber die Anzahl der Ausbildungsplätze sank dramatisch. Viele ausgebildete Fachkräfte wichen in andere Branchen aus und die Qualität der Leistungen ging zurück. Das Ergebnis der Entwicklungen in den einzelnen Staaten der USA war, dass die Innovationsfähigkeit und damit auch die Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen sich verschlechterte und die sozialen Standards sanken. Man führte sehr schnell Tariftreuegesetze wieder ein.
Eine ähnliche Entwicklung steht auch uns bevor. National wie auch regional droht die Wettbewerbsfähigkeit flöten zu gehen. Die Grundlage dafür liegt in dem Versuch, im reinen Preiswettbewerb mit Niedriglohnregionen und Niedriglohnländern zu bestehen. Wir brauchen Rahmenbedingungen, die garantieren, dass nicht auf der Basis von Dumpinglöhnen konkurriert wird. Der Wettbewerb muss sich aus Qualität, Innovation und einer guten Logistik zusammensetzen.
Eine Teilhabe der Beschäftigten, insbesondere von denen, die unter Tarif arbeiten müssen, muss wieder hergestellt werden, um sie an den wirtschaftlichen Entwicklungen teilhaben zu lassen. Teilhabe fördert Kaufkraft und gerade, was Deutschland betrifft, auch die innere Einheit (konkret: Abwanderungsbewegungen aus Ostdeutschland).
Ein wichtiges Ziel muss es sein, den Wettbewerb (wieder) möglich zu machen. D.h., soll das bessere Unternehmen eine Ausschreibung gewinnen, müssen wir die Ausgangslage für alle Unternehmen angleichen. Dann möge der Bessere gewinnen und nicht der, der seinen Mitarbeitern die miesesten Tarife zahlt. Durch das Tariftreuegesetz wird ein "ehrlicher Wettbewerb" gefördert, der so fast gar nicht mehr stattfindet.
Es wird natürlich argumentiert, dass die Kosten durch das Gesetz bei öffentlichen Maßnahmen steigen werden. Das ist jedoch nur vordergründig richtig. Erfahrungen zeigen, dass geringfügige Preiserhöhungen entstehen, gleichzeitig aber die ortsansässigen, mittelständischen Unternehmen erstmalig wieder die Chance erhalten, mit anderen Unternehmen zu konkurrieren. D.h., dass die öffentlichen Auftraggeber so die Chance erhalten, dass Steuereinnahmen in die jeweilige eigene Region fließen und gleichzeitig regionale Unternehmen bessere Chancen am sogenannten Markt vorfinden. Gleichzeitig, und das ist für die Arbeitnehmer eines der wichtigsten Argumente, werden die jeweiligen Lohn- und Gehaltsstrukturen im wesentlichen erhalten, was dazu führt, dass genau diese Löhne und Gehälter ebenfalls in der jeweiligen Region wieder verausgabt werden. Somit stellt sich dann die Frage, was dem Land und dem Kreis und den Kommunen denn wichtiger ist:
Die kurzfristigen Einsparungen aufgrund des ominösen Dumpinglohn-Wettbewerbs oder der Erhalt der steuerzahlenden, mittelständischen Unternehmen, der Erhalt von vernünftig bezahlten steuer- und sozialabgabepflichtigen Arbeitsplätzen und der Erhalt von zukunftsträchtigen Ausbildungsplätzen in der eigenen Region. Es sollte selbstverständlich sein, dass sich der Kreis und die Kommunen hier bei uns für den Erhalt der Unternehmen, Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze zu entscheiden haben. Insoweit war es auch unendlich wichtig, dass das Gesetz die Möglichkeit enthält, dass auch die Kreise und Kommunen die Tariftreueregelung bei ihren Ausschreibungen zugrunde legen können. Die kommunale Familie muss überzeugt werden, dieses Gesetz anzuwenden. Die Vorteile sind, wie eben ausgeführt, ganz offensichtlich.
Besorgte Kritiker stellen die Frage der Koalitionsfreiheit der Tarifsvertragsparteien. Bleibt diese erhalten, wenn Tariftreue gefordert wird? Diese Frage kann mit "Ja" beantwortet werden, da ja nicht nur ein Tarif gelten wird, sondern sich die Tariftreue auch auf vergleichbare Tarife erstreckt. Die Tariftreue bezieht sich auch nur auf den jeweiligen öffentlichen Auftrag. Welcher Tarif sonst darüber hinaus in einem Unternehmen gezahlt wird, steht nicht zur Debatte. Die Koalitionsfreiheit ist also in jedem Fall gesichert.
Eine weitere Fragestellung der Kritiker lautet: Findet ein Wettbewerb statt oder hat ein Marktteilnehmer, hier vor allem der Gesetzgeber, eine unangemessene Marktmacht? Diese Frage stellt sich insbesondere, so sagt man, in den Bereichen, wo eine hohe Anbieterkonzentration sich bspw. im Baubereich herausgebildet hat. Man darf dazu sagen, dass das Tariftreuegesetz ja nicht in die eigentliche Vergabe eingreift, sondern nur die Rahmenbedingungen setzt, zu denen alle konkurrieren können. Somit wird es hier keine Einschränkungen des Wettbewerbes geben.
In jedem Fall ist dies in Schleswig-Holstein nicht der Fall, da hier neben dem Land auch die Kommunen und die Kreise Nachfrager sind. Somit können wir feststellen, dass diese Einwände auch nicht stichhaltig sind und somit auch keine Haftungsrisiken bestehen, wie manch einer suggerieren will. Die Einwände sind sogar so wenig stichhaltig, dass das bayerische Vergabegesetz, das es seit 1997 gibt, überhaupt noch nicht beklagt worden ist, sondern in der Zwischenzeit in Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und im Saarland Tariftreuegesetze beschlossen wurden und in anderen Ländern ebenfalls Gesetzgebungsverfahren angelaufen sind.
Im folgenden soll nur noch auf einige Bestimmungen im Gesetz eingegangen werden, die wichtig sind zu betrachten. Da ist zum einen der Geltungsbereich. Natürlich gilt das Gesetz für den Baubereich. Den fatalen Rückgang in der Baukonjunktur und dessen Folgen brauchen wir hier nicht näher zu beschreiben. Interessant ist aber vielleicht eine Zahl, die direkt mit den Tariftreuegesetz zusammenhängt. In den letzten fünf Jahren sind allein im Hochbau durch das Land Bauleistungen i.H.v. rund einer halben Milliarde Euro ausgeschrieben worden. Bedenkt man dann noch, dass ja auch die Kreise und Kommunen ausschreiben, kann man ermessen, wie wichtig es ist für unsere regionalen Bauunternehmen ist, wieder eine Chance im Wettbewerb zu bekommen. Diese Chance, die unsere Unternehmen sicherlich ergreifen werden, wird den Unternehmen nur durch das Tariftreuegesetz gegeben.
Das Gesetz wird weiterhin für die Abfallentsorgungswirtschaft gelten. In der Anhörung zum Gesetz wurde sehr deutlich, wie die Lage in diesem Bereich ist. Durch Ausschreibungen kommt es zu einem knallharten Wettbewerb, der vornehmlich auf Kosten der tarifgebundenen Unternehmen geht. Nicht nur die öffentliche Hand selber führt die Abfallentsorgung durch, sondern auch private Abfallentsorgungs- oder Logistikunternehmen sind hier beteiligt. Auch das Duale System Deutschland ist nicht nur Beteiligter, sondern unterliegt inzwischen selbst einer massiven Konkurrenz von Unternehmen der Logistik-Branche. Inzwischen sind sogar einige Fälle bekannt geworden, in denen Unternehmen Ausschreibungen der öffentlichen Hand gewannen, obwohl sie nicht den entsprechenden Tarif der Abfallentsorgungswirtschaft gezahlt haben. Hier muss daher sehr schnell gehandelt werden und das ist ja auch passiert.
Als weiterer Part wurde der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) mit in den Geltungsbereich des Gesetzes aufgenommen. Schon seit einigen Jahren werden durch das Land mit Erfolg regionale Strecken im schleswig-holsteinischen Netz ausgeschrieben. Der Landtag hat im vergangenen Jahr beschlossen, dass bei Ausschreibungen im SPNV die Tariftreue berücksichtigt sollte - im übrigen geht dies auf einen Änderungsantrag des Südschleswigschen Wählerverbandes zurück. Dem Inhalt dieses Antrages kamen der Gesetzgeber inzwischen nach, in dem die Tariftreue für den SPNV in das Gesetz mit aufgenommen wurde. Es bestand ferner der Wunsch, den gesamten ÖPNV, also auch die Busverkehre, mit aufzunehmen. Der Wunsch entstand vor dem Hintergrund, dass die EU Ausschreibungen im ÖPVN verbindlich vorschreiben wollte. Die entsprechende Vorlage ist derzeit erst einmal auf Eis gelegt worden, so dass ein Ausschreibungszwang nicht besteht und die zuständige Kommunalpolitik somit auf Ausschreibungen verzichten kann.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass, wie schon oben beschrieben, es den Kreisen und Kommunen nunmehr ermöglicht ist, das Gesetz ebenfalls anzuwenden. Die Kreise und Kommunen können nunmehr ebenfalls tariftreu ausschreiben und sich aktiv daran beteiligen, die Rahmenbedingungen für die heimische Wirtschaft zu verbessern. Dieses setzt natürlich entsprechende Beschlüsse in Gremien voraus. Es ist zu hoffen, dass die notwendige breite Diskussion im Lande ausgelöst wird und die Kommunalpolitik die Möglichkeit beim Schopfe packt, in Zukunft mehr Einfluss auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in ihren Regionen zu erzielen. Diese fordert sie ja auch mit Recht ein. Der Kreis Nordfriesland hatte schon im Vorwege einen Entschluss gefasst, in der Weise, dass das neue Tariftreuegesetz Grundlage einer Ausschreibung im Abfallentsorgungsbereich sein sollte. Beiläufig bemerkt, wurde dieser Beschluss einstimmig, also auch mit den Stimmen der CDU, gefasst. Es bleibt zu hoffen, dass die anderen Kreise und Kommunen diesem Beispiel folgen.
Die Regelungen hinsichtlich der Nachunternehmen sind im Rahmen der neuen Gesetzgebung verschärft worden. So können nun die beteiligten Nachunternehmer direkt zur Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Tariftreuegesetz angehalten werden und sie müssen bei Nichtbefolgung, Sanktionen befürchten.
Es ist eine Pflicht zur Überprüfung von ungewöhnlich niedrigen Angeboten in das Gesetz mit aufgenommen worden. Ist eine Angebot um mehr als 10 Prozent preiswerter als die anderen oder ergeben sich sonstige Punkte, dass die Bestimmungen des Gesetztes nicht eingehalten werden, muss das Angebot auf Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Leider ist das Gesetz zeitlich begrenzt verabschiedet worden. Ein Parlament beschließt seine Gesetze selbst und sollte daher auch beschließen, wann die Gesetze nicht mehr gelten sollten. Es darf gehofft werden, dass das Gesetz so erfolgreich sein wird, dass die zeitliche Begrenzung zu gegebener Zeit aufgehoben wird.
Alles in allem sollte man meinen, dass das schleswig-holsteinische Tariftreuegesetz mit das umfassendste und modernste geltende Gesetz ist. Die Vorarbeiten, die für dieses Gesetz, insbesondere durch den SSW sowie durch die mitbeteiligte Gewerkschaft ver.di Westküste geleistet worden ist, haben sich bewährt. Es bleibt abzuwarten, ob die zeitliche Begrenzung durch die erklärten Gegner des Gesetzes genutzt wird, um es wieder zu kippen.
Ebenfalls abzuwarten bleibt, ob die Gegner die wesentlichen Komponenten der Regionalität und die Stärkung eben der regionalen Wirtschaft durch dieses Landesgesetz erkennen und damit einer dezentralen Wirkung von Wirtschaft wieder den Vorrang einräumen. Die massive Konzentration von wirtschaftlicher Stärke durch "Zentralisierung" in den ohnehin starken wirtschaftlichen Ballungszentren dient jedenfalls dem Land, und insbesondere dem nördlichen Landesteil, überhaupt nicht.
Ulrich Stellfeld-Petersen