(Gegenwind 176, Mai 2003)

Eine Familie in Rendsburg-Eckernförde

Schlimmer als in Algerien?

Im Kreis Rendsburg-Eckernförde wohnt eine Familie aus Algerien, Eltern und sechs Kinder. Sie wollen nicht, dass wir ihren Namen nennen, also sagen wir Familie A. 1995 flohen die Eltern mit damals drei Kindern von Algerien nach Deutschland. Der Asylantrag wurde 1997 abgelehnt, seitdem bekommen sie eine Duldung. Eigentlich müssten sie ausreisen, und schon lange will die Ausländerbehörde sie abschieben. Das geht aber nicht, denn die Familie weigert sich, die drei hier geborenen Kinder bei der algerischen Botschaft anzumelden. Deshalb weigert sich auch die algerische Botschaft, die notwendigen Papiere für die Abschiebung auszustellen.

Die drei jüngsten Kinder der Familie A.

Familie A. wohnt seit 1997 in dreieinhalb Zimmern einer Flüchtlingsunterkunft in Rendsburg-Eckernförde. Dreieinhalb Zimmer für inzwischen acht Personen. Die Teppiche und Möbel sahen schon damals, als sie einzogen, eher aus wie Sperrmüll, zwar sauber, aber alt und abgewetzt. Seitdem haben sie mehrfach Anträge gestellt, zumindest für das Wohnzimmer einen neuen Teppich zu bekommen. Die Antwort vom Sozialamt: Abgelehnt. Sie sollen, so teilt ihnen die Ausländerbehörde mit, ohnehin ausreisen.

Familie A. floh 1995 aus Algerien, nachdem eine große Zahl von Morden in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, in ihrer Straße verübt worden war. Die Morde geschahen nachts, angeblich durch islamistische Terroristen der Organisation GIA. Als Kritiker der Militärdiktatur konnten sie sich nicht an die Polizei wenden, um Schutz zu finden. 1997 entschied das "Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" über 2418 Asylanträge algerischer Flüchtlinge. 30 wurden anerkannt. Gründe für die Ablehnung waren zumeist, wie bei der Familie A., dass nur staatliche politische Verfolgung als Asylgrund in Deutschland anerkannt würde. "Innere Unruhen" oder Gefahr durch nicht-staatliche Gruppen seien keine Asylgründe.

Die Mitglieder der Familie A. soll seit 1997 ausreisen. Seit 1997 erhalten sie keine Sozialhilfe mehr. Sie bekommen jeden Monat Einkaufsgutscheine im Wert von 940,82 Euro. Damit können sie in einigen Supermärkten einkaufen, erhalten allerdings kein Wechselgeld. Eine Arbeitserlaubnis wird ihnen genauso verweigert wie das eigentlich gesetzlich vorgesehene Taschengeld in Höhe von rund 40 Euro für Erwachsene und 20 Euro für Kinder, das als Bargeld ausgezahlt werden soll. Eigentlich - denn das Gesetz sieht genauso vor, dass Flüchtlinge eine "Mitwirkungspflicht" haben. Sie müssen für den Asylantrag alle Informationen zusammentragen, aber auch an ihrer eigenen Abschiebung mitarbeiten. Und wenn sie dies nicht tun, können die Sozialleistungen auf ein Mindestmaß gekürzt werden. Wie viel acht Menschen mindestens zu Leben brauchen, entscheidet das zuständige Sozialamt. In Rendsburg-Eckernförde müssen acht Menschen mit Gutscheinen von 940,82 Euro im Monat auskommen.

In Algerien kann die Familie A. aus Rendsburg-Eckernförde leben, so entschieden Bundesamt, Verwaltungsgericht und die Ausländerbehörde Rendsburg. Und wenn sie nicht freiwillig dorthin fahren, will man ihnen das Leben im Kreis Rendsburg-Eckernförde so unbequem wie möglich machen. Eigentlich müsste die Ausländerbehörde und die Kreisverwaltung in Rendsburg eine Situation herstellen, die schlimmer ist als in Algerien. Dann würde die Familie vielleicht aus Deutschland fliehen.

Reinhard Pohl

Anmerkungen:

Schweizerische Flüchtlingshilfe: Algerien-Update. Januar 2001 bis Dezember 2002. /www.osar.ch

Hier geblieben! Recht auf Bleiberecht. Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, Der Schlepper Nr. 20, Seite 7, Beilage zum Gegenwind 172, Januar 2003.


Wer die Familie A. finanziell unterstützen will, wende sich an die Gegenwind-Redaktion.

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