(Gegenwind 174, März 2003)

Vier Interviews: Irakische Schleswig-HolsteinerInnen über den angekündigten Krieg

"Ein Krieg kann Millionen von Leben kosten"

Ismail Mouala

Gegenwind:

Herr Mouala, Sie sind 1954 geboren. Wie lange haben Sie im Irak gelebt?

Ismail Mouala:

Ich war bis 1977 im Irak. Ich habe damals in Bagdad studiert.

Gegenwind:

Warum haben Sie den Irak verlassen?

Ismail Mouala:

Ich habe damals mein Studium in Jugoslawien fortgesetzt.

Gegenwind:

Lebt Ihre Familie noch im Irak?

Ismail Mouala:

Ja, sie lebt dort noch, aber ich habe keinen Kontakt mit meiner Familie. Ich verfolge aber die aktuellen Ereignisse natürlich sehr intensiv.

Gegenwind:

Was erwarten Sie denn, was im März oder April passiert?

Ismail Mouala:

Es wird zum Krieg kommen. Die USA wollen Saddam Hussein stürzen, und die USA werden dazu den Krieg anfangen. Für uns Iraker ist Saddam Hussein ein Diktator und ein Verbrecher, er muss weg. Aber das ist die Verantwortung des eigenen Volkes, wir Iraker müssen Saddam Hussein stürzen. Wenn Amerika den Diktator beseitigen will, sind wir Iraker dafür dankbar, aber Amerika sollte der Opposition die Unterstützung geben, die sie braucht, um selbst die Aufgabe zu erledigen.

Gegenwind:

Und warum wollen die USA den Krieg lieber selber führen?

Ismail Mouala:

Die USA wissen, dass die Opposition im Irak schwach ist. Außerdem haben sie ein wichtiges Interesse, und das ist Öl.

Gegenwind:

Können Sie die Opposition beschreiben?

Ismail Mouala:

Ja. Es gibt den Nationalkongress, die Anführer sitzen in London im Exil. Dann gibt es eine islamische, eine schiitische Opposition, die sitzt in Teheran. Und dann gibt es zwei kurdische Gruppen, die KDP und die PUK. Es gibt noch ein paar Gruppen mehr, aber die sind noch kleiner und schwächer.

Gegenwind:

Sind diese oppositionellen Gruppen denn in der Lage, sich nach einem Sturz von Saddam Hussein zu einigen und eine neue Regierung zu bilden?

Ismail Mouala:

Das kann sein. Es kann sein, dass sie sich einigen. Aber für mich ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Interessen zu verschieden sind. Die islamischen Gruppen haben ihr Vorbild im Iran, sie wollen einen islamischen Staat nach diesem Muster. Das wollen wir nicht. Die Kurden haben vielleicht eher ein Interesse an einem eigenen Staat. Und der Nationalkongress? Die Führer sitzen im Exil, und ich glaube, die meisten wollen dort bleiben, wo sie jetzt wohnen. Kaum jemand von ihnen will zurück in den Irak. Vielleicht werden die USA nach einem Sieg über Saddam Hussein einzelne Anführer des Nationalkongresses zurückholen und in einer Regierung einsetzen. Die USA haben einzelne Führer aus dem Nationalkongress ausgebildet, es kann sein, dass sie jemand von diesen Leuten einsetzen.

Gegenwind:

Wird die irakische Bevölkerung denn eine Regierung akzeptieren, die von den USA eingesetzt wird?

Ismail Mouala:

Nein, auf keinen Fall. Wir brauchen im Irak eine Regierung, die aus dem Land selbst kommt. Das wichtigste ist, dass wir eine Demokratie bekommen, einen Rechtsstaat, Gesetze, auf die man sich verlassen kann. Die Regierung muss ein Interesse an einem Aufbau des eigenen Landes haben. Sie muss ein Interesse daran haben, die Schulen, Krankenhäuser, Straßen, die Infrastruktur im Irak aufzubauen. Deshalb darf sie auch nicht von den USA eingesetzt werden.

Gegenwind:

An der Koalition der USA ist auch die Türkei beteiligt. Welche Interessen hat dieser Nachbarstaat?

Ismail Mouala:

Die haben zwei eigene Interessen: Die Türkei will Kirkuk, weil das angeblich vor dem Ersten Weltkrieg, zur Zeit des Osmanischen Reiches, zur Türkei gehörte, dort gibt es Öl. Sie benutzt den Schutz der turkmenischen Minderheit als Vorwand. Außerdem wollen sie verhindern, dass ein eigener kurdischer Staat entsteht. Denn sie fürchten, bei 15 Millionen Kurden im eigenen Land, dass die Kurden in der Türkei dann auch einen eigenen Staat haben wollen.

Gegenwind:

Sind Sie organisiert? Wenden Sie sich in Flensburg an die Öffentlichkeit?

Ismail Mouala:

Ich war organisiert. Jetzt gibt es nur noch regelmäßige Treffen von Irakern hier in Flensburg. Wir können uns nicht an die Öffentlichkeit wenden, dazu fehlen uns die Mittel. Und Veranstaltungen, zu denen wir gehen könnten, gibt es in Flensburg nicht.

Gegenwind:

Wie beurteilen Sie die Politik der Bundesregierung?

Ismail Mouala:

Die Bundesregierung ist gegen den Krieg. Sie will der UNO und den Inspektoren eine bessere Chance geben, den Irak zu entwaffnen. Das ist eine gute und richtige Haltung. Denn ein Krieg kann Millionen Leben kosten!

Gegenwind:

Können Sie denn die Iraker verstehen, die auch einen Krieg der USA in Kauf nehmen wollen, wenn dadurch Saddam Hussein gestürzt wird?

Ismail Mouala:

Klar, sicherlich ist Saddam Hussein schlimm, aber ein Krieg ist mindestens genauso schlimm. Und sehen Sie doch mal, wie sich die USA 1991 verhalten haben. Da gab es nach dem Ende des Golfkrieges, als es um die Besetzung von Kuwait ging, den Widerstand der Schiiten und der Kurden. Die USA haben diese Gruppen erst unterstützt, dann im Stich gelassen, und Saddam Hussein konnte sie vernichten.

Interview: Reinhard Pohl

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