(Gegenwind 174, März 2003)
Der Bundestagswahlkampf liegt schon ein paar Monate hinter uns, aber es gibt ein paar Themen, die sich noch nicht erledigt haben. Eines ist die Methode, mit der der ehemalige Vizekanzler Jürgen W. Möllemann sein "Projekt 18" vorantrieb. Der ehemalige grüne und spätere liberale Landtagsabgeordnete Jamal Karsli hatte der israelischen Armee "Nazi-Methoden" vorgeworfen und war dafür unter anderem von Zentralrat der Juden in Deutschland und dessen Vizepräsident Michel Friedman kritisiert worden. Das bewegte Jürgen Möllemann zum Kommentar, Friedman sei durch seine "intolerante, gehässige Art" mitverantwortlich für den Antisemitismus. Das wiederum wurde unter anderem durch Henryk M. Broder im Spiegel und durch die Jüdische Allgemeine kritisiert. Und was das auslöste, ist im Moment im Jüdischen Museum in Rendsburg zu besichtigen.
"Ich bin kein Antisemit..." lautet der Titel einer Ausstellung, die noch bis zum 9. März zu sehen ist. Ausgestellt werden etwa 50 von insgesamt 350 Leserbriefen, die damals innerhalb weniger Tage eintrafen. Die meisten Briefeschreiberinnen und Briefeschreiber unterstützen Möllemann.
"Bin ich ein Antisemit, wenn ich mit der Politik Israels nicht einverstanden bin und meine Meinung öffentlich mache? Bin ich kein Demokrat, wenn mich die arrogante Art eines Herrn Friedman abstößt und ich den Fernseher ausschalte, sobald er seine Show abzieht? Hätte er überhaupt eine Showmöglichkeit, wenn er nicht im Zentralrat der Juden in Deutschland sitzen würde?" (aus einer e-Mail vom 5. Juni 2002 an den Spiegel).
Es gibt kaum Briefe, die als "klassische" Drohbriefe oder Beschimpfungen verfasst sind. Alle waren ursprünglich auch namentlich unterzeichnet, mit Absender bzw. e-Mail-Adresse. Erst nachdem das Jüdische Museum Berlin die Leserbriefe für diese Ausstellung ausgewählt hat, gab es massive Beschwerden der Absenderinnen und Absender, deshalb wurden inzwischen die Namen geschwärzt. Viele BriefeschreiberInnen glauben vielleicht selbst, dass sie keine Antisemiten sind, zumindest entlasten sich viele zunächst, bevor sie dann loslegen.
"Ich bin kein Antisemit, ganz im Gegenteil: Auf Grund meiner Affinität zur jüdischen Geschichte und Kultur sowie zahlreicher persönlicher Kontakte würde ich mich selbst sogar eher als »semitophil« bezeichnen (was, wie ich weiß, allerdings auch höchst problematisch ist). Aber gerade deswegen plädiere ich vehement dafür, den rassistischen »Artenschutz« für prominente jüdische Mitbürger in Deutschland endlich aufzuheben! Zur Normalität gehört eben auch, dass legitime Kritik an Juden bzw. israelischer Politik nicht mehr à priori tabuisiert werden darf, denn genau diese moralischen Privilegien schüren den Unmut und Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung." (e-Mail vom 21. Mai 2002 an Broder).
Natürlich gibt es auch Leute, die gleich deutlich werden. Allerdings: Sie sind ebenfalls keine Antisemiten. Sie wehren sich bloß.
"Wenn der Zentralrat der Juden hüstelt, machen sich die Deutschen in die Hosen. Warum eigentlich? Nur weil vor 60 Jahren ein Psychopath total verrückt spielte? »Mölli« hat schon Recht: Der pomadige Michel Friedman spielt sich überall als König auf und mischt sich in alles und jedes ein, lässt aber an sich selbst keine Kritik zu. Reich-Ranicki zerfleischt hemmungslos Schriftsteller, die ihm nicht in den Kram passen, und Sharon - im eigenen Land Israel sehr umstritten - ist als Bulldozer, Kriegslüstling und Tempelberg-Provokateur schuld am Nahost-»Krieg« und den grauenhaften palästinensischen Selbstmord-Attentaten! Die Juden erweisen sich selber einen Bärendienst, wenn sie berechtigte Kritik an Einzelnen immer gleich voll als Antisemitismus beklagen." (Leserbrief vom 11. Juni 2002 mit 23 Unterschriften).
Auch hier haben natürlich Friedman, Reich-Ranicki und Sharon, "die Juden" eben, angefangen, insofern ist der Leserbrief nur eine Reaktion darauf. Und weil man weiß, dass Sharon auch in Israel sehr umstritten ist, wird man wohl noch sagen dürfen... Aber auch sonst kehrt häufig wieder, dass man jetzt die deutsche Vergangenheit hinter sich lassen darf, weil ja die Juden selbst Faschisten sind.
Ich bin "bestimmt kein Antisemit, aber auch keiner, der sich glauben machen lässt, aufgrund der deutschen Vergangenheit so krumm wie ein Häkchen und kritiklos durch die Welt gehen zu müssen, (ohne Kritik) an dem israelischen Expansionstrieb bzw. Faschismus der jüdischen Hochfinanz." (e-Mail an die Jüdische Allgemeine vom 21. Mai 2002).
Im Grunde genommen am nettesten sind die deutlichen FDP- und Möllemann-Anhänger, die ihre Unterstützung bekunden - aber es ist natürlich in gewisser Weise gemein vom Jüdischen Museum, diese Prognosen nach den Bundestagswahlen öffentlich auszustellen.
"Ich glaube, der Herr Möllemann hat Recht. Was der Herr Spiegel macht, hilft der Jüdischen Gemeinde gewiss nicht. Die FDP wird jetzt gewiss mehr als 18 % erhalten. Denn es geht nicht, dass Schröder regiert und Paul Spiegel diktiert. So machen sich die jüdischen Mitbürger statt Freunde immer mehr Feinde. Warum versucht das jüdische Volk mit aller Macht die Welt zu beherrschen? (Moses:) Gehen hin in alle Welt, vermehret Euch und macht Euch die Erde untertan." (Leserbrief vom 26. Mai 2002 an die Jüdische Allgemeine).
Viele dieser Briefe antworten auf den Artikel Ein moderner Antisemit, den Henryk Broder im Spiegel Nr. 22 über Möllemann schrieb. Und was schrieb er? "Ein Antisemit hat nichts gegen die Juden, sie haben etwas gegen ihn, und deswegen muss er sich gegen sie zur Wehr setzen." Vielleicht hätten die LeserbriefschreiberInnen den Artikel erst lesen sollen, bevor sie antworteten.
Das Jüdische Museum Rendsburg hat übrigens, da viele der Briefe "schmutzige Wäsche waschen", die vergrößerten Kopien auf einer langen Leine aufgehängt. Und Besucherinnen und Besucher der Ausstellung sind aufgefordert, eigene Kommentare zu den Briefen zu schreiben und an die Wänden der Ausstellungsräume zu kleben.
Reinhard Pohl
Jüdisches Museum Rendsburg
bis 9. März 2003, Di.-So. 12-17 Uhr,
Eintritt 3 Euro, Schüler 1 Euro
Prinzessinstr. 7-8 (zwischen Paradeplatz und Kreishaus)