(Gegenwind 170, November 2002)

Sommerakademie an der FH

Die eigene Stadt mit fremden Augen

25 Studierende aus zehn Ländern kamen im Juli in der Fachhochschule Kiel zusammen. Ein Intensivkurs Deutsch wurde angeboten, und in den vier Wochen sollten die jungen Menschen auch Kiel und die Möglichkeiten, hier zu studieren, kennen lernen. Nur: Wie kann man in vier Wochen Deutschland oder auch nur Kiel kennen lernen?

Almudena Ramos
Almudena Ramos

Almudena Ramos ist 19 Jahre alt und kommt aus Madrid. Sie war bereits 1999 einmal in Berlin und im letzten Jahr in München. In Madrid studiert sie Sprachen: Deutsch, Englisch und Japanisch. Sie will Dolmetscherin werden, vielleicht auch in Deutschland, und nimmt in den Semesterferien am Kurs teil, um in ihren Deutsch-Kenntnissen einen Sprung nach vorn zu machen. Deutschland kannte sie vorher schon ein wenig. Auch deutsche Touristen in Spanien hat sie schon bemerkt - und versichert mir, sie hielte das Verhalten dieser Touristen nicht für typisch für alle Deutschen. Ihr Deutschland-Bild war schon vorher positiv, auch im Geschichts-Unterricht kam Negatives und Positives über Deutschland vor.

Wendy Yu
Wendy Yu

Wendy Yu ist 21 Jahre alt und kommt aus Hongkong. Sie studiert Wirtschaft und Sprachen. Von Haus aus spricht sie eher Englisch als Chinesisch oder Kantonesisch. Sie ist bereits eine Woche vor Beginn des Kurses in Deutschland eingetroffen, ist zum ersten Mal in ihrem Leben hier. Sie kam in München an und ist mit dem Zug über Koblenz und Düsseldorf nach Kiel gefahren. Sie hat sich jeweils einen Tag in den Städten aufgehalten und in Jugendherbergen übernachtet. Sie wusste vorher eigentlich nur, dass es typisch für Deutsche ist, dass sie täglich Wurst essen, morgens, mittags, abends. Ihr erster eigener Eindruck vom Land war Ende Juni, dass Deutschland kalt und nass war, in Düsseldorf kam noch dazu, dass die deutschen Herbergseltern in der Jugendherberge extrem unhöflich waren, davon ist sie immer noch beeindruckt. Auf jeden Fall versichert sie mir, dass die Menschen in Kiel netter sind als die in München. An Informationen über Deutschland aus der Schule, dem Erdkunde- oder Geschichtsunterricht, kann sie sich nicht erinnern.

Jessica Ling
Jessica Ling

Chen-Chia Ling ist 19 und kommt aus Taiwan, sie geht Problemen mit ihrem Namen aus dem Weg, indem sie sich als Jessica vorstellt. Jessica wusste vorher auch kaum etwas über Deutschland. Sie war hier überrascht, dass Deutsche nur mittags ihr Essen warm machen - sie kennt es von zu Hause anders, dort wird fast nur warm gegessen. Beeindruckt ist sie von der Organisation der Verkehrsmittel. Wenn sie zu Hause wegfahren will, geht sie zur Bushaltestelle oder zum Bahnhof und wartet dort auf das nächste Verkehrsmittel. Hier in Deutschland, das hat sie schnell gelernt, gibt es Pläne, nach denen man sich richten, auf die man sich verlassen kann.

Die Zugangsbedingungen zum Sprachkurs, "Sommerakademie" genannt, sind einfach: Man muss im Herkunftsland davon erfahren, der gesamte Monat inklusive der Unterbringung in Kiel kostet 650 Euro, dazu müssen sich die TeilnehmerInnen selbst mit Essen versorgen. Sprachliche Voraussetzungen gibt es nicht - so gibt es TeilnehmerInnen, die fast kein Wort Deutsch können, bis hin zu solchen, die relativ fließend sprechen und hier Sprachkenntnisse auffrischen wollen. Die Dozentin Victoria Rebensburg unterteilt die Gruppe in zwei Klassen, "Anfänger" und "Fortgeschrittene". Vormittags wird Deutsch gelernt, an einigen Nachmittagen und Wochenenden werden Exkursionen angeboten. So stehen ein Besuch in Laboe oder auch der Flensburger Brauerei auf dem Programm, dann gibt es aber auch TeilnehmerInnen, die am Besuch der Landesmuseen in Schleswig nicht teilnehmen wollen, weil am gleichen Wochenende die "Love Parade" in Berlin stattfindet - ein Ereignis, dass auch in Ungarn oder Japan ein Begriff ist.

Gruppenbild

"Was war für dich die größte Überraschung, als du in Kiel ankamst?" frage ich Wendy aus Hong Kong. "Ich wusste nicht, dass die Deutschen ihr Land so lieben, dass sie die Fahne als Kleidung benutzen", antwortet sie. Gerade mal fünf Tage hier, ist sie am letzten Tag der Kieler Woche am Bahnhof angekommen. Sie ist einfach mal, weil noch Zeit bis zum ersten vereinbarten Kurstreffen war, am Hafen Richtung Norden gegangen. So geriet sie bei leichtem Nieselregen in den Strom der Menschen, der von der Übertragung des Fußball-WM-Endspiels Richtung Kiellinie und die Würstchenbuden der Kieler Woche ging. Fußball-Länderspiel und Kieler Nieselregen - klar, viele hatten die mitgebrachte Deutschland-Fahne kurzerhand als Umhang zweckentfremdet. Zum Glück bleibt der erste Eindruck nicht der einzige.

Zsuzsa Kozma und Almudena Ramos im Freilichtmuseum
Zsuzsa Kozma und Almudena Ramos
im Freilichtmuseum

Nieselregen und Regen und wieder Nieselregen - wer sich an den Juli, der teilweise auch "Starkregen" mit Überschwemmungen brachte, erinnert, weiß jetzt, was mir alle TeilnehmerInnen auch am Schluss der Sommerakademie als negativen Eindruck von Kiel sagten. Das Wetter, der Regen, die Kälte, da hatten sie mit dem Juli 2002 einen ganz schlechten Monat erwischt. Um so eindruckvoller war dann die Abschlussveranstaltung, ein stundenlanger Ausflug in Freilichtmuseum. Denn wer dort die Häuser sieht, bemerkt sofort, dass die Schleswig-Holsteiner eine Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende alte Tradition haben, Häuser auf Wind und Regen hin einzurichten und nicht auf Sonne und Hitze, wie im Mittelmeerraum. Unerklärt blieb, warum die Fachhochschule diese Veranstaltung "Sommerakademie" genannt hat. Vermutlich ahnten die OrganisatorInnen nicht, dass es im Juli 2002 mehr regnen würde als sonst in zehn Jahren. Dafür war es dann ja in der zweiten August-Hälfte schön - als alle wieder abgereist waren.

Zeugnisausgabe durch Victoria Rebensburg im Freilichtmuseum
Zeugnisausgabe durch Victoria Rebensburg
im Freilichtmuseum

Zurück zum Interview. Was sonst noch auffiel? Man sieht hier mehr große und neue (und teure) Autos als zu Hause. Es gibt hier viel mehr Radfahrer, nicht nur auf den Radwegen, sondern auch auf Bürgersteigen und auf der Straße. Die Leute sind nett, aber manchmal muss man drei PassantInnen nacheinander nach dem Weg fragen, ehe der erste antwortet. Nein, sagen andere - Tomoko und Asavi aus Japan und Zsuzsa aus Ungarn sind inzwischen dazugekommen -, schon der erstbeste Passant ist bereit, auch auf Englisch zu erklären, wie man den richtigen Bus findet. Aber es gibt viel weniger Kielerinnen oder Kieler, die überhaupt eine andere Sprache als Deutsch können, als man geglaubt hat - zu Hause, in Spanien, in Polen, in Taiwan können viel mehr Leute Fremdsprachen. (Übrigens: Dieser Eindruck wird von Statistiken bestätigt.)

Ob sie jetzt auch in Kiel später mal studieren wollen, die meisten gehen ja noch in die Schule oder haben zu Hause ein Studium angefangen? Alle reagieren etwas verlegen. Man will ja nicht unhöflich sein, aber das Wetter in Kiel... Es ist gut, mal eine Fachhochschule in Kiel vier Wochen lang kennen gelernt zu haben. Jetzt kann man sich bewusster darum kümmern, im Internet gezielter suchen, aber ob man hier wirklich studieren will? Wieder herkommen, sicherlich mal.

Reinhard Pohl

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