(Gegenwind 170, November 2002)

KünstlerInnen-Stammtisch für Einwanderer

Erstes Konzert ein voller Erfolg

In der Diskussion um Einwanderung und Integration geht es häufig um Defizite: Wer einwandert, bekommt oft keine Arbeit, weil er oder sie zu wenig deutsch spricht, es gibt zu wenig Sprachkurse, Ausbildungen sind nicht vorhanden oder werden nicht anerkannt... Der Flüchtlingsbeauftragte des Landtages verfolgt jetzt einen neuen Ansatz: Wer einwandert, kann was. Unter den Menschen, die nach Schleswig-Holstein kommen, sind Künstlerinnen und Künstler.

Jan Rosentsvayg am Cello
Jan Rosentsvayg am Cello

KÜSTE

Ungefähr alle sechs Wochen trifft sich seit dem Frühjahr 2002 der Künstlerstammtisch, organisiert vom Referat Migration der AWO (zuständig: Aleksandra Niwinksa) und dem Flüchtlingsbeauftragten des Landtags (zuständig: Torsten Döhring). Eingeladen sind alle Künstlerinnen und Künstler mit Migrationshintergrund, seien es MusikerInnen, Literaten, ArtistInnen, bildende KünstlerInnen, ComiczeichnerInnen oder andere. Auch der Begriff "Migrationshintergrund" ist nicht allzu eng zu verstehen.

So finden sich hier Flüchtlinge, AussiedlerInnen, jüdische EmigrantInnen und andere zusammen. Die meisten sprechen, das hat sich erst mal so ergeben, von Haus aus russisch und kommen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Das ist hauptsächlich dadurch bedingt, dass dieser Stammtisch durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekannt gemacht worden ist.

Erstes Konzert

Ein weiterer Schwerpunkt innerhalb der Gruppe sind MigrantInnen, die Musik machen. So war es logisch, dass der Zusammenschluss mit einem Konzert zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat. Migranten machen Musik - Musik machen Migranten hieß die Veranstaltung am 27. September im Neuen Rathaus in Kiel im Rahmen der Interkulturellen Woche. Mögen einzelne KünstlerInnen in ihrer Heimat auch berühmt gewesen sein, in Kiel waren und sind alle unbekannt. So waren hauptsächlich die Organisatoren positiv überrascht, um nicht zu sagen erleichtert, dass der große Konzertsaal der Stadtgalerie zu mehr als einem Drittel gefüllt war. Das waren weit mehr als die obligatorischen Verwandten und Bekannten, die zum ersten öffentlichen Auftritt notfalls als ZuhörerInnen verpflichtet werden können.

Helmut Frenz, Flüchtlingsbeauftragter des Landtages, im Gespräch mit "Kalinka"
Helmut Frenz,
Flüchtlingsbeauftragter des Landtages,
im Gespräch mit "Kalinka"

Und niemand von den Anwesenden bereute gekommen zu sein, obwohl das Konzert doch länger dauerte als geplant. Zwar hatten die Organisatoren alle KünstlerInnen verpflichtet, keine Zugaben zu geben, damit auch die Letzten noch vor Mitternacht dran kommen - aber dann gab es doch die eine oder andere Zugabe, nicht jeder Umbau der Bühne war in 30 Sekunden fertig, und als am Schluss alle KünstlerInnen gemeinsam auf die Bühne kamen, gab es ohne Probe, ganz spontan noch einige russische Volkslieder zu hören.

Mehr davon!

"Kunst" kommt von "können", davon konnten sich alle ZuhörerInnen überzeugen. Und wer glaubte oder fürchtete, die gemeinsame Muttersprache Russisch bedeute auch eine einheitlichen Stil der Vorführungen, hatte sich geirrt. So bot das russisch-ukrainische Trio Kalinka, begleitet von Leonid Klimaschewski aus Kasachstan, russische und ukrainische Volkslieder, Ludmilla und Boris Dimitritschenko aus Belorussland spielten Kompositionen von Mozart und Monti, Benjamin Klavanski aus Lettland spielte Stücke von Liszt und Brahms, Jannes Tashiro aus Japan spielte Eigenkompositionen, Jan Rosentsvayg und Ludmila Yelagina aus der Ukraine spielten unter anderem Tschaikowski, und Jurij und Waldemar Kandelja aus Moldavien, die sich mit Karin Tschamper aus Hamburg zusammengetan haben, boten ein Potpourri bekannter Melodien.

Und das war nur die Hälfte des Abends.

Die Ballettgruppe "K-System"
Die Ballettgruppe "K-System"

Die andere Hälfte bestritt Elena Kraft, die eigentlich (bis auf ihre Begrüßung eher am Schluss) gar nicht auf die Bühne kam. Sie hat in den zwei Jahren, in denen sie nun nicht mehr in Kasachstan, sondern hier ist, eine Ballett-Gruppe aufgebaut. nach ihrem Nachnamen heißt die Gruppe K-System. Sie traten fünfmal auf, immer im Abstand von fünfzehn bis dreißig Minuten, in fünf verschiedenen Kostümen. Obwohl alles aus einer Hand kam, die Choreographie hat Elena Kraft selbst geschrieben, die Kostüme (auch aus Geldmangel) persönlich geschneidert, waren die Gruppenmitglieder, die einmal als Schwäne, dann ZigeunerInnen, schließlich als AraberInnen auf der Bühne standen, doch von Auftritt zu Auftritt kaum als immer die gleiche Gruppe wiederzuerkennen.

Glück für den Flüchtlingsbeauftragten, dass alle KünstlerInnen noch nicht von kommerziellen Agenturen "entdeckt" wurden. Wenn sie öfter die Gelegenheit zum Auftritt erhalten, müssen sie bei den nächsten "Interkulturellen Wochen" vielleicht mühsam überredet werden, noch einmal ihre Kunst ohne Gage zu präsentieren.

Denn der Eintritt dieses Abends dient als Startkapital für einen "Künstler-Katalog". Dieser soll in Form eines Ringbuches produziert werden, damit interessierte OrganisatorInnen diese eingewanderten Künstlerinnen und Künstler landesweit engagieren können.

Reinhard Pohl

Kontakt:
KÜSTE
c/o Flüchtlingsbeauftragter
Karolinenweg 1
24105 Kiel
Tel. 0431 / 988-1292
oder über die Gegenwind-Redaktion.

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