(Gegenwind 169, Oktober 2002)

Abschiebeknast

Abschiebeknast fast fertig:

Unschuldig im Gefängnis

Seit Jahren sind die Gefängnisse Schleswig-Holsteins in Kiel, Lübeck, Neumünster, Itzehoe und Flensburg meistens bis auf den letzten Platz gefüllt. Insassinnen und Insassen sind Untersuchungsgefangene und Strafgefangene. Da bleibt kein Platz, AusländerInnen einzusperren, die "nichts getan" haben. Speziell für Abschiebungsgefangene soll Anfang 2003 ein Gefängnis in Rendsburg in Betrieb gehen.

142.000 Ausländerinnen und Ausländer (das sind alle Menschen ohne deutschen Pass) leben in Schleswig-Holstein. Rund 1000 von ihnen sollen zur Zeit pro Jahr abgeschoben werden. Die letzten schriftlichen Zahlen legte die Landesregierung für das Jahr 2000 vor, danach wurden 280 AusländerInnen vor der Abschiebung inhaftiert. Für 150 fand sich Platz in schleswig-holsteinischen Gefängnissen, davon waren genau 100 (80 Männer, 20 Frauen) in Lübeck eingesperrt. 85 Abschiebehäftlinge wurden im Hamburger Abschiebegefängnis in Norderstedt-Glasmoor eingesperrt, 45 AusländerInnen weit entfernt in Eisenhüttenstadt (Brandenburg). Durchschnittlich bleiben die Abschiebehäftlinge 60 Tage im Gefängnis, bevor es zur Abschiebung kam.

Für 2001 gibt die Landesregierung die Zahl der gelungenen Abschiebungen mit 477, die Zahl der gescheiterten Abschiebungen mit 542 an. 126 Abschiebungen erfolgten aus der Abschiebehaft heraus, wobei in 106 Abschiebehaft-Fällen schleswig-holsteinische Ausländerbehörden zuständig waren.

Was ist Abschiebehaft?

Die Abschiebungshaft heißt im Ausländergesetz (und auch im neuen Zuwanderungsgesetz) "Sicherungshaft", denn sie soll die beschlossene Abschiebung sicherstellen. Eingesperrt wird, wer im Verdacht steht, vor der Abschiebung untertauchen zu wollen oder wer schon untergetaucht ist, aber irgendwo bei einer Kontrolle erwischt wird. Im zweiten Fall ist die Sache juristisch relativ klar - im ersten Fall muss die Ausländerbehörde, die den Haftantrag stellt, ihren Verdacht begründen. So werden zum Beispiel Flüchtlinge, deren Asylantrag abgelehnt wurde, bei einem Termin auf der Ausländerbehörde gefragt, ob sie denn nun zurückkehren wollen. Viele antworten auf diese Frage natürlich mit "Nein", schließlich sind sie ja nach Deutschland geflohen und haben ihre Gründe dafür. Damit kann für die Ausländerbehörde schon der "Verdacht" bestehen, "dass er sich der Abschiebung entziehen will", wie es im Gesetz heißt. Dann kann die Ausländerbehörde beim Amtsgericht einen Haftbefehl beantragen, und ein Haftrichter entscheidet (nachts und am Wochenende häufig ein Richter in der Probezeit, denn die müssen meistens die ungeliebten Bereitschaftsdienste übernehmen).

Die Abschiebungshaft wird für höchstens 6 Monate angeordnet, kann aber bis zu 12 Monate verlängert werden. Ist die Abschiebung nach 18 Monaten nicht gelungen, endet die Abschiebungshaft.

Wer kommt in Abschiebehaft?

In Abschiebehaft können grundsätzlich alle AusländerInnen kommen, die keine Aufenthaltserlaubnis haben oder diese abgelaufen oder widerrufen ist. Das sind zum Beispiel

Im Durchschnitt befinden sich in Abschiebungshaft zur Hälfte Menschen, die einen Asylantrag gestellt haben, der abgelehnt wurde. Die andere Hälfte besteht aus Menschen, die hier wegen unerlaubter Arbeit oder gescheiterter Ehe ihr Aufenthaltsrecht verloren haben.

In aller Regel versucht die Ausländerbehörde zunächst, eine freiwillige Ausreise zu organisieren. Meistens muss die zuständige Botschaft gebeten werden, einen neuen Pass oder einen Passersatz auszustellen. Die Ausländerin oder der Ausländer muss zustimmen, wobei fraglich ist, was das Wort "freiwillig" bei der Androhung von Haft noch bedeutet.

Schwierig ist häufig die Beschaffung von Passersatz-Papieren. Viele Länder wollen ihre BürgerInnen gar nicht zurück haben, insbesondere dann, wenn diese selbst nicht zurückkehren wollen. Russland lehnt die Rückkehr von TschetschenInnen fast generell ab. Der Iran verlangt die Vorlage von "islamischen" Passbildern. Israel verweigert allen PalästinenserInnen die Rückkehr, auch in die autonomen Gebiete. Der Libanon lehnt die Rückkehr von Minderheiten (KurdInnen, PalästinenserInnen) ab. Viele Staaten fordern einfach "Gebühren" von den deutschen Behörden, weil das auch eine Möglichkeit ist, den Unterhalt ihrer Botschaften und Konsulaten zu finanzieren.

Es gibt aber auch Staaten, die fast jede und jeden nehmen. So sind die Türkei dafür ebenso bekannt wie Mazedonien oder Rumänien. Deshalb versuchen viele Ausländerbehörden zur Zeit, libanesische KurdInnen in die Türkei abzuschieben. Dabei spielt es für sie keine Rolle, dass die KurdInnen seit den 1920er Jahren im Libanon leben und ursprünglich aus Syrien stammen, ebenso wenig, dass sie nur Arabisch sprechen.

Warum ein "neues" Gefängnis?

Jahrelang gab es aus Sicht von Ausländerbehörden, soweit sie ihre Effizienz an der Zahl gelungener Abschiebungen messen, Klagen über zu wenig Plätze in der Abschiebehaft. Im Sommer 1998 beschloss das Justizministerium deshalb, eine neue Jugendarrestanstalt in Moltsfelde bei Neumünster zu bauen. Die alte Anstalt, ein über 100 Jahre altes Gefängnisgebäude in Rendsburg, sollte zur Abschiebehaftanstalt umgebaut werden.

Heute ist die Jugendarrestanstalt fast fertig, das Abschiebegefängnis soll Ende 2002 fertig sein. Ab Januar oder spätestens wohl März 2003 würde dann der Betrieb dort laufen.

Abschiebehaft in Rendsburg

Die rot-grüne Landesregierung verspricht eine "humane" Abschiebehaft. Das ist - neben dem "Platzbedarf" für Abschiebungsgefangene - die wichtigste Begründung für eine eigenständige Anstalt. Denn hier soll die Haftordnung wesentlich liberaler sein als in der Strafhaft.

Auf drei Stockwerken befinden sich Zellen für 56 (männliche) Gefangene, davon eine Dreier-Zelle, fünf Zweier-Zellen, der Rest Einzelzellen. 6 Zellen im Erdgeschoss sollen zur Unterbringung von Strafgefangenen aus Kiel dienen, die im Abschiebungsgefängnis arbeiten (sauber machen, Essen austeilen...) oder auch frei bleiben, um für unerwartete Einlieferungen von Gefangenen nachts und am Wochenende gerüstet zu sein. Die Zellen für 27 Gefangene im ersten Stock und für 23 Gefangene im zweiten Stock sollen tagsüber, also von 8 bis 20 Uhr, offen stehen, so dass die Gefangenen zumindest auf ihren Stockwerk Bewegungsfreiheit haben. Wenn das Wetter gut ist, sollen auch die Türen zu den Innenhöfen offen stehen. Auf jedem Stockwerk gibt es ein Telefon, von dem aus die Gefangene nicht nur telefonieren, sondern auch angerufen werden können. Es soll großzügige Besuchszeiten, allerdings nur einen relativ kleinen Besuchsraum mit Platz für 15 bis 18 Personen geben. Solange es keine Wartezeiten gibt, soll jeder Gefangene soviel Besuch bekommen können, wie er will.

Es ist eine stundenweise Sozialberatung vorgesehen, die von einem unabhängigen Verband (z.B. Diakonieverein Migration) getragen wird. Diese Sozialberatung wird von der Landesregierung bezahlt, voraussichtlich im Umfang einer halben Stelle. Die für viele Gefangene viel wichtigere Verfahrensberatung ist allerdings nur ehrenamtlich möglich, dafür will die Landesregierung nicht aufkommen. Möglichen BeraterInnen, zum Beispiel von amnesty international oder dem Flüchtlingsrat, soll allerdings freier Zugang zum Gefängnis auch außerhalb der Besuchszeiten eingeräumt werden. Daneben wird es eine Besuchergruppe der örtlichen Kirchengemeinde geben, deren Mitglieder den Gefangenen helfen wollen - entweder, soweit dies möglich ist, direkt oder durch die Herstellung gewünschter Kontakte.

Alle diese liberalen Regelungen stehen aber unter dem Vorbehalt, dass in der Anstalt Ruhe herrscht - sie können jederzeit widerrufen werden.

Kritik bleibt

Alle Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen, lehnen Abschiebehaft ab. Zuletzt veröffentlichte die Nordelbische Evangelische Kirche im Sommer eine entsprechende Erklärung.

Dennoch geht man unterschiedlich mit den verschiedenen Möglichkeiten der Einflussnahme um. Die Landesregierung hat frühzeitig zu Gesprächen über die "Richtlinien" zur Durchführung der Haft ins Justizministerium eingeladen, und Flüchtlingsrat, amnesty international, Diakonisches Werk und der Flüchtlingsbeauftragte des Landtages nutzten die Möglichkeit, auf eine Liberalisierung dieser Richtlinien zu drängen. Das nutzte die Landesregierung, gegenüber dem Finanzausschuss des Landtages die gestiegenen Umbaukosten mit den Forderungen dieser Organisationen zu begründen, was Quatsch ist, und in der Presse die "Humanität" der schleswig-holsteinischen Abschiebungshaft mit der Zusammenarbeit mit den genannten Organisationen zu begründen.

Das Abschiebungsgefängnis hat wie jedes Gefängnis einen Gefängnisbeirat, der aus "Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens" besteht und an den sich Gefangene mit Beschwerden wenden können. Für diesen Beirat werden Beirat werden Flüchtlingsrat und amnesty international, obwohl sie darum gebeten wurden, keine Mitglieder vorschlagen, weil er eben nicht nur Beschwerdeinstanz, sondern auch "Organ" des Justizapparates ist. Dagegen wollen Diakonisches Werk bzw. die Landeskirche auch auf diese Möglichkeit, den Abschiebungshäftlingen vertrauenswürdige Ansprechpartner anzubieten, nicht verzichten.

Die eingeräumte Möglichkeit, innerhalb des Gefängnisses Beratung anzubieten, wollen allerdings sowohl Flüchtlingsrat als auch amnesty international nutzen. Denn es passiert erfahrungsgemäß oft, dass Ausländerbehörden einen Haftbefehl ohne zwingende Begründung beantragen und die Haftrichter in den Amtsgerichten diese nicht weiter prüfen, wenn der Abschiebegefangene nicht anwaltlich vertreten ist. Hier kann man zum nächsten Haftprüfungstermin häufig gute Gründe gegen die Abschiebungshaft zusammentragen und möglicherweise eine Entlassung bewirken.

In der Christuskirchengemeinde, auf deren Gebiet das Gefängnis liegt, hat sich außerdem eine "BesucherInnen-Gruppe" gebildet. Sie wollen als "ehrenamtliche Helfer" Gefangene besuchen und auch versuchen, Probleme zu lösen. Dazu machen jetzt alle, die sich dieser Gruppe angeschlossen haben, eine zweimonatige Fortbildung, in der Grundbegriffe des Asyl- und Ausländerrechtes mit Hilfe sachkundiger ReferentInnen besprochen werden. Auch hier ist eigentlich klar, dass es sich um HelferInnen der Gefangenen und nicht um HelferInnen der Justiz handelt, dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass von Seiten der Gefängnisbetreiber die Existenz dieser Gruppe als Beleg für die Humanität der schleswig-holsteinischen Abschiebungshaft herangezogen wird (ohne die Mitglieder der BesucherInnen-Gruppe vorher zu fragen).

Aktionstag

Ein Bündnis aus mehr als 20 linken und autonomen Gruppen aus ganz Schleswig-Holstein bereitet zur Zeit einen Aktionstag vor. Am 2. November, an dem bundesweit Aktionen gegen Abschiebungshaft stattfinden, soll ab 12 Uhr in Rendsburg eine Demonstration vom Theatervorplatz bis zum Abschiebeknast gehen. Danach wird es ein landesweites Treffen geben, auf dem über die weitere Arbeit diskutiert werden soll.

Reinhard Pohl

Wer Kontakt sucht, um Aktionen gegen Abschiebungshaft mit vorzubereiten, oder Geld für DolmetscherInnen und RechtsanwältInnen spenden will, wende sich an die Gegenwind-Redaktion.

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