(Gegenwind 168, September 2002)
Am 20. Juli 2002 flogen in Rostock-Lichtenhagen Brandsätze in ein Büro der Arbeiterwohlfahrt und in zwei Asia-Kioske. Das AWO-Büro befindet sich im so genannten "Sonnenblumenhaus" - jenem Haus in der Mecklenburger Allee 19, von dem vor zehn Jahren Bilder um die Welt gingen.
Damals wurde es von ausländerfeindlichen Randalierern angezündet, mehr als 100 Vietnamesen entkamen der Feuerfalle in dem brennenden Haus nur knapp, Polizei und Nachbarn sahen dem Geschehen über lange Zeit tatenlos zu. Danach hatte Rostock seinen Ruf als ausländerfeindliche Stadt sicher, obwohl sich die verschiedensten Gruppen und Institutionen in den vergangenen zehn Jahren mühten, dieses Bild wieder gerade zu rücken.
Nur mit diesem "Trauma Lichtenhagen" ist zu erklären, was nach den neuerlichen Brandanschlägen auf das Sonnenblumen-Haus und die Asia-Märkte in Rostock und in den überregionalen Medien ablief. Die Polizei richtete eine Sonderkommission ein, in der 25 (!) Ermittler die Täter vom 20. Juli 2002 dingfest zu machen suchten. Zum Vorwurf der schweren Brandstiftung kam wenige Tage später der Vorwurf des versuchten Mordes hinzu. Für Hinweise, die zur Festnahme der Täter führen, wurde eine Belohnung von 2000 Euro ausgesetzt. Einen Tag nach dem Brandanschlag gab es eine Demonstration mit etwa 100 Teilnehmern am Ort des Geschehens. Der Oberbürgermeister, der Geschäftsführer des Vereins Dien Hong - gemeinsam unter einem Dach, der sich nach 1992 den Ausschreitungen gegründet hatte und die Vorsitzende des Bürger-Bündnisses Bunt statt Braun besuchten die Vietnamesen, die die Asia-Märkte betreiben. Ihnen wurde sofort eine Entschädigung zugesagt. "Nebenbei" gab allein die deutsche Presseagentur in den drei Tagen nach dem Anschlag etwa 50 unterschiedlich lange Meldungen über das Geschehen und den Stand der Ermittlungen heraus, die sich inhaltlich kaum voneinander unterschieden - und auch nicht unterscheiden konnten, weil in so kurzer Zeit gar nicht so viel Neues passierte.
All das zeigt, wie hellwach die Öffentlichkeit für dieses Delikt in diesem Kontext ist. Es hilft den in Rostock lebenden Ausländern allerdings nicht, sich sicherer zu fühlen - denn die Maschinerie kam erst nach dem Geschehen in Gang. All das hat aber auch den Tätern eine Bedeutung zugestanden, die ihnen möglicherweise gar nicht zukommt. Inzwischen sind sie gefasst - drei junge Männer, zwei 15, einer 21 Jahre alt, nach Polizei-Aussagen eindeutig der rechten Szene zuzuordnen. Selbst auf dem Präsidium skandierten sie noch rechte Parolen. Sie wussten, welch ein Symbol sie für ihre Zwecke benutzt haben und sie haben die Aufmerksamkeit erregt, die sie wollten. Ob sie auch das Datum - fast genau 10 Jahre nach dem schweren Anschlag - bewusst gewählt haben, ist bis heute nicht zu sagen.
Der Tathergang ist inzwischen weitestgehend rekonstruiert. Die drei Festgenommenen zogen am Freitagabend in einer Clique von 10 Jugendlichen - die Jüngsten 13 Jahre alt - gröhlend und trinkend durch Lichtenhagen. Sie stahlen Benzin aus einem abgestellten Moped, um sich Molotow-Cocktails zu bauen. Die drei mutmaßlichen Täter setzten sich irgendwann von der Gruppe ab und warfen die Brandsätze. Die Feuerwehr war Minuten später zur Stelle, und löschte die Brände, der entstandene Sachschaden war gering.
Das gleiche Delikt, begangen an einem x-beliebigen Haus in Rostock, hätte wahrscheinlich nicht einmal den Sprung in die Meldungsspalten der Lokalzeitungen geschafft. Der Medienrummel dürfte den drei Verhafteten - trotz der vergleichsweise miesen Situation, in der sie sich jetzt befinden - eine Genugtuung gewesen sein. In ihrer Szene hat er sie mit großer Wahrscheinlichkeit zu Helden gemacht. Rostocker Journalisten standen der Welle von Aufmerksamkeit, die das Ereignis auslöste, zwiespältig gegenüber.
Es ist keine Frage, dass ein Brandanschlag in diesem Kontext nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf. Zu begrüßen ist, dass die Polizei in diesem Falle rasch und erfolgreich arbeitete. Auch, dass die Betroffenen direkte Unterstützung erhielten, war mit Sicherheit wichtig. Fraglich ist, ob die Aufmerksamkeit in den Medien nicht zur Nachahmung geradezu einlädt. Die Leiterin der Ermittlungsgruppe bei der Rostocker Polizei, Anja Hamann, vermutet, dass es "das Unerhörte an solchen Taten, sich in Rostock gegen Ausländer zu wenden" ist, dass für die jungen Täter den "Kick" dabei ausmacht.
Es ist Spekulation, aber es wäre möglich, dass dieser "Kick" ausbleibt, wenn die Öffentlichkeit nicht ganz so hysterisch reagiert. Dies soll kein Plädoyer dafür sein, solche Taten zu verschweigen oder zu vertuschen. Es ist nur die Forderung nach einer der Schwere der Tat angemessenen Reaktion. In anderen Fällen schwerer Brandstiftung und versuchten Mordes werden keine 25 Ermittler zur Verfügung stehen, um die Täter nach einer Woche dingfest zu machen. Und es werden keine seitenlangen dpa-Meldungen in die ganze Welt getickt, um über das Geschehen minutiös zu berichten. Sicher ist es schwierig, zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf angemessene Information und der Gefahr, Täter durch Überreaktion zu belohnen, einen Weg zu finden. Gesucht werden sollte er allerdings. Zudem wurden auch in diesem jüngsten Fall die Kräfte gegen Ausländerfeindlichkeit wieder als Re-Agierende wahrgenommen, während ihr Agieren nach wie vor eher im Stillen stattfindet.
Am 24. August gab es in Rostock - vor dem Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen - ein großes Friedensfest. Das wird schon seit Jahren von der Bürgervereinigung Bunt statt Braun initiiert und von Vereinen, Musikgruppen, dem Rostocker Theater und anderen Einrichtungen und Initiativen unterstützt. Hier setzt eine rege Beteiligung mit Sicherheit ein Zeichen. Und hier ist vielleicht auch der Platz für Diskussionen darüber, welche Wege in Rostock und anderswo gegangen werden können und müssen, damit MigrantInnen und Gäste sich wohl fühlen.
Dagmar Amm