(Gegenwind 168, September 2002)
Die Jugendratsversammlung in Flensburg ist eine typische Form der Jugendbeteiligung - mit all ihren Problemen und hoffnungsvollen Ansätzen.
In ihrer ersten Bestandsphase von 1997 bis 2000 nahmen an jeder Sitzung zwischen 36 und 19 Schülerinnen und Schüler teil. Den Großteil der Delegierten machten SchülerInnen der Gymnasien aus - eine Interessenvertretung der Bildungselite?
Initiiert von den Erwachsenen der Ratsversammlung sollten die Jugendlichen Politik lernen: lange Sitzungen, nervenaufreibende Diskussionen, Anträge schreiben und alles was dazu gehört. Das ganze nannte sich dann in den Papieren der Ratsversammlung "Beteiligung von Jugendlichen".
Was Beteiligung bedeutet schienen die Damen und Herren im Rat nicht verstanden zu haben. So verfassten die Jugendlichen in einem Schuljahr durchschnittlich über sechzig Anträge zu kommunalpolitischen Themen. Dabei waren u.a. Anträge zur Duty-Free-Schifffahrt und Resolutionen zur Gründung eines Denkmals für die Opfer der NS-Herrschaft. Hauptsächlich beschäftigten sich die Jugendlichen mit den aktuellen kommunalen Sachthemen. Bei allen realistischen Initiativen hat die Jugendratsversammlung nur einmal etwas umsetzen können: Im Rahmen der Verschönerung der Flensburger Innenstadt wurden Blumenkästen versetzt…
Damit war die Beteiligung von Jugendlichen seitens Politik und Verwaltung zwar gegeben, aber die Jugendlichen waren damit nicht zufrieden. Sie zerstritten sich zum Teil untereinander und mit der Politik. Der Rücktritt des Präsidenten der Jugendratsversammlung und die schwache Struktur ließen dieses Jugendbeteiligungsgremium einschlafen.
Ende 2001 kam in der Ratsversammlung der Gedanke auf die Jugendratsversammlung wieder zu beleben. Anstatt direkt mit den Jugendlichen zu sprechen, lud der Stadtpräsident die Direktoren der Flensburger Schulen ein, um sie zu fragen, ob eine Wiederbelebung sinnvoll wäre. Erneut wurde ohne die Jugendlichen geplant und diese bei der Neukonstituierung im Februar 2002 vor vollendete Tatsachen gestellt: die Größe des Präsidiums, die Anzahl und Themen der Ausschüsse. Doch diesmal ließen sich die Jugendlichen nicht alles vorsetzen und diskutierten über die Ausschüsse. Die mit der Tagesordnung festgelegten Themen wurden verworfen und die Jugendlichen setzten sich ihre Schwerpunkte selber: Bürger- und Jugendbeteiligung, Schule und Soziales, Freizeit &Kultur, Bau und Verkehr, Umwelt.
Der Ausschuss "Bürger- und Jugendbeteiligung" fällt dabei besonders aus der Rolle. Nicht nur, dass das Thema in Flensburg sehr pikant ist, seit Oberbürgermeister Stell die Südermarktpassage plant, sondern mit diesem Ausschuss legte die Jugendratsversammlung den Grundstein zur eigenen Selbständigkeit. Die neun Ausschussmitglieder entwarfen die grundlegenden Dokumente die bis dahin gefehlt hatten: Satzung, Wahlordnung und Teile eines Grundsatzprogramms. Die Zeiten sind vorbei, in denen es keine festgeschriebene Satzung gab und die Jugendlichen vom Stadtpräsidenten abhängig waren.
Als ersten Schritt einer Strukturdiskussion legten die Delegierten fest, dass zukünftig auch Delegierte in den Jugendzentren gewählt werden sollen. War es vorher nur möglich, als Schüler in die Jugendratsversammlung zu gelangen, so soll jetzt jeder Jugendliche die Chance dazu haben. Auch von den behandelten Themen unterscheidet sich die aktuelle Jugendratsversammlung von ihrer Vorgängerversion. Die Forderung von Tempo 30-Zonen in der Nähe von Schulen und Kindergärten, der Appell, mehr kulturelle Angebote für Jugendliche zu schaffen und eine Resolution gegen die Aufhebung des Walfangverbots gehören zum Beispiel zu den Errungenschaften der Jugendratsversammlung. Auch die Wege zur Umsetzung haben sich verändert. Die Jugendlichen verlassen sich nicht mehr allein auf die Politik - keiner der bislang 24 Anträge wurde in der Ratsversammlung und ihren Ausschüssen behandelt. Manche Themen bringen die Jugendlichen durch Veranstaltungen in die Öffentlichkeit. Über das Walfangverbot haben sie zusammen mit Greenpeace informiert und im Protest gegen die Kürzung der Zuschüsse arbeiten sie eng mit den betroffenen Institutionen zusammen.
Alles in allem entwickelt sich die Jugendratsversammlung in Flensburg zu einer Institution, die von Jugendlichen für Jugendliche bestimmt und gestaltet wird. Nur so kann Jugendbeteiligung funktionieren. In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob die Ratsversammlung mit den selbstbestimmten Jugendlichen klar kommt und sie ernst nimmt. Hoffnungsvoll stimmt, dass die Jugendlichen sich nicht mehr alles gefallen lassen und sich Gehör verschaffen.
Jörg Reschke
Jugendstadtpräsident Flensburg
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