(Gegenwind 165, Juni 2002)
In diesem Jahr soll zum ersten Mal in Lübeck ein Christopher-Street-Day (CSD) stattfinden. Am Samstag, dem 29. Juni 2002 wollen Lesben und Schwule öffentlich demonstrieren - unter der Schirmherrschaft des Lübecker Bürgermeisters Bernd Saxe.
Weltweit jährt sich der Christopher-Street-Day zum 33. Mal. Am 26. Juni 1969 fand in der New Yorker Stonewall Bar eine groß angelegte Polizeirazzia statt. Dieses Mal wehrten sich Lesben und Schwule gegen die Diskriminierung durch die prüde amerikanische Gesellschaft der sechziger Jahre und die Unterdrückung der Polizei, mit der sie sich eine dreitägige Straßenschlacht lieferten. Diese fand in der Christopher Street statt, einer sonst eher netten, ruhigen Straße mit kleinen Häusern, vielen Schwulenbars mitten in Greenwich Village, einem von Schwulen und Lesben bewohnten Stadtteil Manhattans, nicht weit vom Bankenviertel und vom ehemaligen World Trade Center entfernt. In den Vereinigten Staaten entstand aus diesem Protest die Gay Pride Week bzw. der Gay Pride Day. Jeweils am letzten Sonntag im Juni marschieren Lesben und Schwule durch die New Yorker Innenstadt, vom Central Park durch die 5th Avenue bis zum Hudson River.
In der Bundesrepublik Deutschland gehen Schwule und Lesben seit 1980 auf die Straße, um öffentlich ihre Rechte in Staat und Gesellschaft einzufordern. Lesbischsein und Schwulsein soll nicht mehr im Verborgenen bleiben. Zunächst fanden Veranstaltungen nur in den großen Städten wie Frankfurt, Berlin oder Hamburg statt. Dabei ging es von Seiten der Schwulen vor allem um die Abschaffung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, der sexuellen Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, und die Anerkennung der Verfolgung aufgrund der Homosexualität in der Nazizeit. Lesben organisierten sich zunächst eher in der autonomen FrauenLesbenbewegung. Dieses änderte sich mit der Diskussion um die Gleichstellung lesbischer und schwuler Partnerschaften oder um ein Antidiskriminierungsgesetz.
In mittleren und kleineren Städten oder ländlichen Regionen ist es für Lesben und Schwule auch heute noch schwer, sich zu organisieren. Gerade Ältere leben häufig zurückgezogen und nicht so offen, wie in der Großstadt. Immer noch werden sie offen oder verdeckt diskriminiert, von Familienangehörigen oder im Arbeitsumfeld ausgegrenzt. Eine versteckte Lebensweise führt zu Isolation, Vereinsamung und Flucht in die Anonymität der Großstädte.
Der CSD Lübeck will vor allem auf die Ausgrenzung von Lesben und Schwulen aufmerksam machen, die im privaten Bereich genau so stattfindet wie in der Öffentlichkeit.
Konkretere Forderungen stellen die BerlinerInnen (www.csd-berlin.de). Unter dem Motto Wir machen Berlin anders - Weltoffen. Tolerant. Queer organisiert der Berliner CSD-Verein die am 22. Juni 2002 (also eine Woche vor dem CSD in Lübeck) stattfindende Demonstration. Im Mittelpunkt werden die Themen "Antidiskriminierung" und die Gleichstellung lesbischer und schwuler Lebensformen stehen. Denn trotz des inzwischen in Kraft getretenen Lesbenspartnerschaftsgesetzes für lesbische und schwule Lebensgemeinschaften ist diese Gleichstellung noch lange nicht erreicht. Es müssen neben den nun gesetzlich festgelegten Pflichten (z.B. Unterhaltspflicht) auch Rechte folgen. Noch immer gibt es keine Gleichbehandlung im Arbeits- und Tarifrecht, kein Adoptionsrecht für Paare, kein bzw. kein ausreichendes Asylrecht bei Verfolgung aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung.
Der Berliner CSD-Verein fordert beispielsweise ein Antidiskriminierungsgesetz, das Benachteiligungen u.a. von Lesben, Schwulen und Transgender verbietet. Dazu bedarf es der Umsetzung einer europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie aus dem Jahr 2000 in deutsches Recht. Außerdem soll das Grundgesetz um ein Benachteiligungsverbot aufgrund der sexuellen Identität ergänzt werden.
Die Bekämpfung von Gewalt gegen Lesben und Schwule muss sich - so die BerlinerInnen - in Anti-Gewalt-Offensiven und Programmen ausdrücken, Strafverfolgungsbehörden müssen verschärft gegen hassmotivierte Gewalttaten vorgehen. Der Verweis auf den aussichtlosen Privatklageweg bei Strafanzeigen aufgrund von Gewalttaten gegen Lesben und Schwule diskriminiert diese erneut, da ihnen suggeriert wird, es bestehe kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung (Beispiel: Staatsanwaltschaft Lübeck, Aktenzeichen 710 Js 3714/99).
Die Gesundheitsprävention soll ausgebaut werden, insbesondere bei sexuell übertragbaren Krankheiten wie AIDS, Hepatitis, Syphilis etc, einschließlich kostenloser Prophylaxemaßnahmen sowie der Krebsvorsorge bei Frauen (inkl. Brustkrebsprophylaxe). Kürzungen bei finanziellen Zuschüssen an Gruppen, Vereine, Initiativen, Selbsthilfeorganisationen etc. darf es nicht geben.
Der Christopher-Street-Day in Lübeck will auf die Benachteiligung von Lesben und Schwulen aufmerksam machen und selbstbewusst dieses Anliegen auch an die Bürgerinnen und Bürger von Lübeck herantragen. Er will Lesben, Schwulen und Transgender Mut machen, offen zu leben. Auch Menschen aus den ländlichen Umlandregionen sollen erfahren, das Lesben und Schwule überall leben und dass sie bereit sind, Flagge zu zeigen.
Nicht nur ernsthafte Politik, sondern auch ausgelassenes Feiern gehört zum lübschen CSD. Das Straßenfest in der Hartengrube wird in diesem Jahr bereits zum vierten Mal stattfinden. Es gehört mittlerweile zu einem "Highlight" nicht nur in der lesbischen und schwulen Szene. Im Jahr 2000 feierten ca. 3.500 Frauen und Männer ein fröhliches Fest bis Mitternacht, trotz anfänglichen Regens. Es wurde geklönt, musiziert, getanzt, gegessen und getrunken.
Auch hier geht es darum, Öffentlichkeit zu erreichen. Unter dem Motto, ein "nicht nur schwul-lesbisches Straßenfest" zu veranstalten, sollen Menschen - unabhängig von ihrer sexuellen Identität und Orientierung - sich zwanglos begegnen und kennenlernen können. Die AnwohnerInnen werden bewusst und gezielt eingeladen und besuchten das Straßenfest in den letzten Jahren zahlreich. Gleichzeitig können sich die in der Altstadt gelegenen und beteiligten Gaststätten (Chapeau-Claque, V.I.P. Club, New Byron und die Flamingo Bar) als MitorganisatorInnen und FörderInnen der Veranstaltung präsentieren.
Veranstalterin des CSD ist die Lübecker AIDS-Hilfe, die mit ihrem PräventionsPansatz besonders Schwulen Mut machen will, ihre Homosexualität offen zu leben. Sie will mit Aktionen an diesem Tag auf sich aufmerksam machen.
Die Veranstaltung beginnt mit einem Straßenzug gegen 11.30 Uhr in der Willy-Brandt-Allee, der sich durch die Altstadt bis zur Parade bewegen wird. Das Straßenfest in der Hartengrube soll von 13 bis 24 Uhr stattfinden. Hauptbestandteile sind Bühne und Gastronomie. Neben Bier und alkoholfreien Getränken wird es auch Sekt, Wein und Cocktails geben. Zusätzlich wird das Angebot durch Kaffee und Kuchen, Grillwurst und Fleisch u.v.m. bereichert.
Diverse Organisationen sind durch Stände vertreten. Der Erlös aus dem Straßenfest soll zu zwei Dritteln dem Lübecker AIDS-Hilfe e.V. und zu einem Drittel der Förderung lesbischer und schwuler Lebensweisen zur Verfügung gestellt werden.
Angela Pape
(Mitfrau der Vorbereitungsgruppe)
Nähere Auskunft erteilt die AIDS-Hilfe, Tel. 0451/72 551 in Lübeck, e-Mail: AIDS-Hilfe-Luebeck@t-online.de oder csd@Luebecker-aids-hilfe.de. Homepage: www.luebecker-aids-hilfe.de.