(Gegenwind 164, Mai 2002)
Schon oftmals herrschte im Vorfeld der Tarifverhandlungen des Bauhauptgewerbes kräftiges Säbelrasseln. Doch was die Arbeitgeberverbände der Bauindustrie und des Baugewerbes am 26. Februar auf den Tisch legten, sprengte jedes Maß. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) bereitet sich auf einen massiven Arbeits- und Existenzkampf vor.
Nicht dass es der IG BAU leicht fallen würde, ihre Mitglieder zu Streikmaßnahmen aufzurufen: Man hat das Kämpfen schon beinahe verlernt. In dieser Tarifrunde aber wird ihr kaum etwas anderes übrig bleiben, denn die zwei schwächelnden Arbeitgeberverbände der Zimmerer, Stahlbetonbauer, Maurer und Arbeitsleute haben es sich anscheinend zum Ziel gesetzt, der ebenfalls bedrängten Baugewerkschaft einen empfindlichen Schlag zu versetzen.
Nach den Vorstellungen der entsprechenden Verbände sollen gewerbliche wie angestellte Arbeitskräfte im Baugewerbe künftig weitestgehend auf ihr Fahrgeld, auf bezahlte Freistellungen, Teile ihrer Überstundenzuschläge, Auslösungen bei vom Wohnort weit entfernten Baustellen und weite Teile ihres Kündigungsschutzes verzichten. Vor allem aber schwebt den Firmenbossen vor, dass die Arbeitszeiten im Bauhauptgewerbe grundlegend flexibilisiert werden: Bis zu 200 Stunden sollen künftig "flexibel" vor- oder nachgearbeitet werden - ohne jeden Überstundenzuschlag, versteht sich. Zudem ist in Planung, die bisherigen Regelungen der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeiten auf den Gesetzestext zurückzuschrauben, und der macht bekanntlich 60 Stunden pro Woche inklusive regelmäßiger Samstagsarbeit möglich.
Das - und das Angebot einer Nullrunde bei Löhnen und Gehältern - sind die Forderungen, mit denen Bauindustrie- und Baugewerbeverband in die diesjährigen Tarifverhandlungen gehen. Mittlerweile haben die Arbeitgeber folgerichtig die Bundesrahmentarife für Angestellte und gewerbliche ArbeitnehmerInnen gekündigt und gedroht, man könne ja notfalls auch mit dem Christlichen Gewerkschafts-Bund verhandeln - eine bisher am Bau unbekannte Dimension der Provokation.
Nach den ersten Verhandlungsrunden vom 26. Februar, 25. März und 16./17. April steht das Bauhauptgewerbe jetzt - erstmals seit Jahrzehnten - vor einem Flächenstreik, dessen Ausmaße sich nur schwer absehen lassen. Im gesamten Bundesgebiet bereiten sich die rund 60 Bezirksverbände der IG BAU auf Kampfmaßnahmen vor, bildeten bereits entsprechende Strukturen aus und mobilisieren ihre Mitglieder. Offensichtlich mit Erfolg: Schon jetzt haben sich Belegschaften zahlloser Betriebe auch in der Region kampfbereit gemeldet, bundesweit verließen beiúspielsweise am 12. und 25. März jeweils mehrere tausend Bauleute ihre Arbeitsplätze auf bis zu 200 Baustellen, um spontan gegen die Arbeitgeberforderungen zu protestieren. In zahlreichen Unternehmen wurden zudem Betriebsversammlungen anberaumt, um die Beschäftigten auf die drohende Eskalation vorzubereiten.
Auch der für die Stadt Norderstedt zuständige Ortsverband Hamburg-Nord hat jetzt in einer Presseerklärung verlautbart: "Wir sind bereit, uns dem Angriff der Arbeitgeber entgegenzustellen. Die KollegInnen sind von den Forderungen der Arbeitgeber empört, es scheint Zeit zu sein, ihre Verbände in die Schranken zu verweisen."
Dabei hatte alles gewohnt harmlos angefangen. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt stellte Ende Februar eine - etwa im Vergleich mit der IG Metall - "moderate" Forderung von 4,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt auf und machte deutlich, dass es ihr eigentliches Hauptziel sei, Ost- und West-Löhne gemeinsam zu verhandeln, um gegen das verbreitete innerdeutsche Lohndumping vorzugehen. Mit Rücksicht auf die teils desaströse Lage am Bau und die durch Dumpingunternehmen wankenden Flächentarife hatte man sehr bewusst keine höheren Forderungen gestellt, während Vorschläge zur gemeinsamen Bekämpfung von Billiglohn am Bau gemacht wurden.
Dazu der Hamburger Bezirksgeschäftsführer Andreas Suß: "Wir haben die Arbeitgeber gewarnt, das Fass der Rahmentarifverträge nicht aufzumachen. Sie haben sich anders entschieden. Wenn die unverschämten Forderungen nicht zurückgenommen werden, können die Verbände in den kommenden Wochen erleben, zu was Bau-Gewerkschafter in der Lage sind. Die Baubetriebe müssen sich jetzt sehr warm anziehen."
Die GewerkschafterInnen sind sich dabei vollkommen darüber im Klaren, wie prekär die Lage im Bauhauptgewerbe derzeit ist. Mehr als ein Drittel aller tarifgebundenen Arbeitsplätze ist in den vergangenen Jahren durch sinkende Auftragslage und vor allem durch Billiglohnkonkurrenz verloren gegangen. Alleine in Hamburg verloren seit 1997 etwa 5.000 Bauarbeiter ihren Job. Betrachtet man den Zeitraum seit 1991, sind es sogar 10.000 Arbeitsplätze, die wegfielen. Auch in der Region Hamburg werden mehr und mehr Bauleistungen an untertariflich - und nicht selten auch unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns - beschäftigende Unternehmen vergeben. Unter anderem im Rahmen des Arbeitnehmerentsendegesetzes und seiner Kontingentverträge arbeiten Bauleute aus der gesamten Europäischen Union und vor allem Osteuropa auf Hamburger Baustellen und werden - oft unter unsäglichen Bedingungen - gegen ortsansässige Bauarbeiter ausgespielt. Und nicht selten verdrängen auch Mindestlohnfirmen aus den neuen Bundesländern die mehrheitlich noch tariftreuen Betriebe des Hamburger Baugewerbes.
Die Entwicklung, über die Vergabe von Aufträgen an Dumpingunternehmen die Löhne zu drücken, wird seit Jahren vor allem von der Bauindustrie vorangetrieben. Gerade auch Konzerne wie die jüngst zugrunde gegangene Holzmann-Gruppe zerschlugen auf diese Weise in den neunziger Jahren die Flächentarife am Bau. Heute verfügen die größten Baukonzerne bundesweit nur noch über einige hundert gewerbliche Beschäftigte und haben die Berufsausbildung meist völlig eingestellt. Der größte deutsche Baukonzern - die Hochtief AG - beschäftigt in Norddeutschland gerade noch 50 Bauarbeiter im Hochbau. Der Rest der millionenschweren Aufträge wird von Consulting- und Planungsbüros mit Subunternehmen abgewickelt, die in den wenigsten Fällen tariftreu arbeiten.
Entsprechend durch sinkende Preise bedrängt, steht das überwiegend mittelBständische Baugewerbe mit dem Rücken zur Wand, Insolvenzen und Konkurse häufen sich. Dabei genügt schon der Abstand zwischen dem tariflichen Ecklohn von zur Zeit etwa 14 Euro pro Stunde und dem West-Mindestlohn in Höhe von knapp 10 Euro, um sich mit Tarifbruch einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Nicht selten zahlen die teils "mafiös" strukturierten Billiglohnunternehmen aber auch weit weniger. Als sich Ende letzten Jahres sechs bulgarische Trockenbauer bei der Polizei meldeten, gaben sie an, trotz korrekter Verträge nur zwischen rund einem und zwei Euro pro Stunde bekommen zu haben.
Obwohl staatliche Behörden und auch die IG BAU solche Praktiken inzwischen häufig aufdecken, scheint genau diese Situation durchaus politisch gewollt zu sein. Selbst die Arbeitsämter vermitteln regelmäßig Jobs unterhalb des gesetzlichen Mindestlohns, die Schließung von durch illegales Lohndumping aufgefallenen Betrieben wird in der Regel von den entsprechenden Behörden verhindert.
So erhält - laut Hans-Ulrich Viehweg, Leiter des Kontaktbüros der IG BAU in Warschau - etwa der Budimex-Konzern in schöner Regelmäßigkeit weitere Genehmigungen für Kontingent-Verträge, obwohl seit 1999 wegen mehr als 600 Verstößen gegen das Arbeitnehmerentsendegesetz und die Mindestlohn-Verordnungen gegen das Unternehmen ermittelt wird. Budimex lässt in Deutschland regelmäßig mehr als 1000 polnische Bauleute zu einschlägigen Bedingungen arbeiten.
Auch verhängte Geldbußen müssen nur selten gezahlt werden: Im konkreten Fall eines aufgedeckten Verstoßes durch den Generalunternehmer Hochtief wandert ein entsprechender Strafbefehl über 250.000 DM seit mehreren Monaten zwischen verschiedenen Behörden hin- und her und wird schlicht nicht zugestellt.
Aber auch die IG BAU tut sich schwer, der Ausbeutung ausländischer wie deutscher Bauleute wirksam entgegenzutreten. So verlässt man sich nicht nur in Hamburg bislang auf staatliche Verfolgungsbehörden. In der Hansestadt wurde vor Jahren eine "Koordinierungsstelle" aus Gewerkschaft, Arbeitsamt und Hauptzollamt ins Leben gerufen, um "Jagd auf illegale Arbeitsverhältnisse" zu machen. An diese Koordinierungsstelle sollen sich organisierte Bauarbeiter wenden, wenn sie den Verdacht auf eben solche Arbeitsverhältnisse haben. Wie auch das beteiligte Hauptzollamt allerdings zugeben muss, werden bei den folgenden Baustellenrazzien zwar regelmäßig "Illegale" aufgegriffen und binnen 14-15 Stunden "abgearbeitet", an die Arbeitgeber kommt man indes "leider nicht heran".
Nicht wenige IG BAU-Funktionäre kritisieren deshalb diese umstrittene Marschlinie lautstark. So rief Matthias Maurer - Betriebsrat bei Hochtief - den Delegierten des Hamburger Bezirksverbandstages jüngst entgegen: "Legal, illegal, scheißegal! Uns als Gewerkschafter interessiert doch nicht der Aufenthaltsstatus der ausländischen Kollegen, uns interessiert, was sie verdienen!" Und Rita Umweni-Häckel, Ortsvorstandsmitglied in Hamburg-Nord setzte nach: "Auf dem Bau muss wieder Solidarität einkehren. Unser Motto muss lauten: Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!"
Derweil ist auch der praktische Nutzen der repressiven Linie mehr als umstritten. Während etwa Jörg Kronberg - politischer Sekretär der IG BAU im Bezirksverband Holstein - beispielsweise in Magdeburg die Erfahrung gemacht hat, dass viele "ausbeuterische Unternehmen vom Markt genommen werden konnten", hat sich nach oberflächlicher Betrachtung an der Situation der Bauleute seit Jahren nichts geändert, obwohl die Zahl der Razzien stetig anstieg.
Auch vor diesem Hintergrund wird es für die Baugewerkschaft keine einfache Aufgabe, in einen Arbeitskampf zu treten. Dass auch die Arbeitgeberverbände von Verbandsflucht betroffen sind und daher schwer angeschlagen in die Auseinandersetzung gehen, macht die Sache dabei nicht unbedingt einfacher: In Mecklenburg-Vorpommern etwa ist im letzten Jahr gleich der gesamte Baugewerbeverband aus dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes ausgetreten.
Nichtsdestotrotz ist man nicht nur im Ortsverband Hamburg-Nord optimistisch: "Die Arbeitgeber täten gut daran, wieder zur Rechtschaffenheit zurückzukehren. Tun sie es nicht, werden wir sie dahin geleiten - und das kann schmerzhaft werden", ließen die örtlichen BaugewerkschafterInnen wissen. Und der Hamburger Geschäftsführer Andreas Suß ergänzt: "Wir gehen am Bau in die härteste Tarifrunde der Nachkriegsgeschichte. Ich kann gerade den tariftreuen Betrieben nur raten, ihre Verbände zurückzupfeifen - noch ist es dafür nicht zu spät."
Erste Kampfmaßnahmen wurden derweil schon weit vor Ende der Friedenspflicht losgetreten - auch in der Region: Am 26. März fuhr die IG BAU vor dem Henstedt-Ulzburger Unternehmen Manu-Bau vor und informierte die Angestellten des Baugeschäftes zeitintensiv über die drohende Eskalation. Schon einen Tag zuvor hatten Bauarbeiter auf sieben Hamburger Baustellen vorübergehend die Arbeit niedergelegt, um gegen die Forderungen der Arbeitgeber´verbände zu protestieren. Am 15. April schließlich führte die IG BAU Aktionen auf hunderten Baustellen durch, auf denen überwiegend Kollegen aus osteuropäischen Nachbarländern arbeiten: Schwerpunkte waren hierbei unter anderem Hamburg, Lübeck und Bad Oldesloe.
Und während die IG BAU angesichts dieser Eskalation zusehends an Stärke und nicht zuletzt auch Mitgliedern gewinnt, bleibt abzuwarten, ob die Arbeitgeber die bedrohlichen Signale verstehen. Bis Anfang April jedenfalls gab es laut Jörg Kronberg "bei den Arbeitgebern (...) nirgendwo Bewegung. Da passiert gar nichts."
Olaf Harning
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