(Gegenwind 163, April 2002)
Die Flughafen Lübeck GmbH hat im Jahre 2001 eine Analyse über die Entwicklungsmöglichkeiten des Flughafens anfertigen lassen. Sie hält diese aber - bis auf eine Kurzfassung im Internet - unter Verschluss. Die Schutzgemeinschaft gegen Fluglärm in Lübeck und Umgebung konnte allerdings inzwischen eine Kopie ergattern und veröffentlicht die wichtigsten Punkte in ihrem Infoblatt LQ (Lebensqualität, Ausgabe 2, Februar 2002).
Liest man die Kurzfassung der Potentialanalyse, die von "Uniconsult" Hamburg und "MKmetrie" Karlsruhe erstellt und im Mai 2001 vorgelegt wurde, klingt alles ganz positiv. Zur Zeit (2000) nutzen 184.000 Passagiere den Flughafen, er beschäftigt 38 Menschen, es gibt eine Linienverbindung nach London. In zehn Jahren können das 1 Million Menschen sein, dann beschäftigt der Flughafen ein paar hundert Menschen, zusammen gibt es 914 flughafenbedingte Arbeitsplätze in der Region. Dann soll es Linienverbindungen nach Frankfurt, Amsterdam, München, Helsinki, Wien, Kopenhagen und Stuttgart geben, darüber hinaus sollen Charterflugzeuge Spanien und Ägypten ansteuern. Und da als Charterflugzeug eigentlich nur die Boeing 737 (B737-800) in Frage kommt, reicht auch die Start- und Landebahn mit 2326 Meter nicht aus, sie soll verlängert werden. Aber da die Landesregierung nur den Ausbau des Flughafens Kiel finanziert, in Lübeck dagegen nur Fördermittel bereitstellt, wenn es um die Sicherheit geht, empfehlen die Gutachter eine Untersuchung, an welchem Standort die Investitionen lohnender sind.
Wie sie im einzelnen darauf kommt, dass sich die Zahl der Passagiere in zehn Jahren verfünffacht, wird aus der Kurzfassung nicht klar. Denn generell soll sich die Zahl der Flugpassagiere in Europa in den nächsten fünfzehn Jahren verdoppeln. An diesem Wachstum wäre, so die Gutachter, Lübeck überproportional beteiligt.
Der Flughafen steht auch nicht alleine: "Die Entwicklung des Flughafens Lübeck erfährt neben der Unterstützung von Seiten der Wirtschaftsverbände und Einrichtungen auch Kritik von der Bevölkerung im Nahbereich des Flughafens", heißt es in der Potentialanalyse.
Doch wenn's eigentlich so positiv steht, warum nur die Kurzfassung im Internet?
Diese Frage beantwortete sich für die Mitglieder der Schutzgemeinschaft gegen Fluglärm schlagartig, als sie in den Volltext blicken konnten. Die "Bevölkerung im Nahbereich des Flughafens", die Kritik übt, wird dort mit 20.000 Menschen quantifiziert. Und dann rechnen die Gutachter noch vor, dass bei dem Sprung auf fünfmal so viele Passagiere trotzdem ein jährliches Defizit von bis zu 1 Million Euro entsteht. Daran sind der Ausbau der Infrastruktur, also Straßen und Bahngleise, die diese fünfmal so viele Passagiere dann brauchen, noch nicht einmal enthalten.
Wenn die Flugzeuge, die diese 1 Million Menschen jährlich befördern, Tag und Nacht fliegen, handelt es sich um 47 Starts und Landungen pro 24 Stunden. Da liegt es nahe, dass von den betroffenen 20.000 Menschen mehr als nur "Kritik" kommt.
Und wenn diese Zahl - trotz Ausbaus - nicht erreicht wird? Immerhin geben die Gutachter das augenblickliche "Potential" mit 650.000 Passagieren pro Jahr an, ohne dass sie erklären können, warum zwei Drittel dieser Menschen nicht auf den Flughafen erscheinen. Wenn im Jahre 2010 die potentiell 1 Million Menschen weder freiwillig kommen noch von der Polizei zum Flughafen gebracht werden, wie hoch wird das Defizit dann?
Bisher ist der Flughafen in Lübeck nicht offiziell erweitert worden, sondern die Startbahn wurde aus "Sicherheitsgründen" um 300 Meter verlängert, diese 300 Meter sollen es Flugzeugen ermöglichen, im Notfall einen Start abzubrechen und dort wieder zu bremsen. Seitdem diese Notstrecke da ist, wird sie aber von größeren Flugzeugen für Starts und Landungen genutzt. Wieweit das rechtlich zulässig ist, muss noch geklärt werden - die Schutzgemeinschaft fragt inzwischen öffentlich, ob diese Verwendung der Gelder nicht Subventionsbetrug ist.
Wenn der Flughafen jetzt offiziell ausgebaut werden soll, und das fordern Kommunalpolitiker wie Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) und Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU), natürlich auch Flughafen-Chef Peter Steppe, dann kommt Wirtschaftsminister Bernd Rohwer tatsächlich in Argumentationsnot, warum weiterhin ein Raumordnungsverfahren abgelehnt wird. Damit müsste nämlich - unter Einbeziehung des Flughafens Hamburg, der ja auch als Flughafen für Schleswig-Holstein geplant und finanziert wurde - festgestellt werden, wie viele Menschen tatsächlich von wo aus fliegen wollen und ob nicht eine bessere Verkehrsanbindung des Hamburger Flughafens viel billiger ist als der Ausbau des Kieler oder Lübecker Flughafens.
Reinhard Pohl