(Gegenwind 163, April 2002)

Störfall im AKW Brunsbüttel

Dichtgehalten!

Am 14. Dezember 2001 stand plötzlich Wasser im Sicherheitsbehälter, mehr als 200 Liter in vier Minuten. Sensoren hatten eine Erschütterung in der Nähe des Druckbehälters aufgezeichnet. Die Techniker des AKW Brunsbüttel reagierten zügig, schlossen zwei Ventile vor und hinter der mutmaßlichen Leckage, und dann hielt dreierlei dicht: Der Reaktordruckbehälter, die Kraftwerksleitung und der Betreiber HEW. Der erstgenannte mit viel Glück zwei Monate, die anderen nur drei Tage. Dann nämlich meldeten sie einen Vorfall, den sie "normale Leckage" nannten, an die Aufsichtsbehörde, also das Energieministerium in Kiel. Nach der Ursache wollte man während der turnusmäßigen Revision im Mai 2002 schauen, weitere Probleme schien es nach den Messwerten nicht zu geben.

Störfall im AKW Brunsbüttel

Damit war das Ministerium für Finanzen und Energie in Kiel zwar nicht einverstanden, brauchte aber reichliche zwei Monate und auch noch eine Rückversicherung vom Bundesumweltministerium, um eine verbindliche Anweisung zum Herunterfahren des Reaktors herauszugeben. Erst am 18. Februar wurde damit begonnen. Als man endlich in den Sicherheitsbehälter hineinschauen konnte, zeigte sich, dass "eine Rohrleitung von zehn Zentimetern Durchmesser über eine Länge von zwei bis drei Metern völlig zerborsten" war. Diese Zuleitung gehörte zu einer Kühlleitung für die Reaktordeckel-Dusche, die optional beim Herunterfahren der Reaktorleistung benutzt werden sollte (siehe Abbildung). Ca. 25 Trümmer wurden gefunden. Seitdem ruht die Kettenreaktion.

Zwar ist diese Kühleinrichtung nicht unmittelbar für die Sicherheit des Reaktorbetriebs relevant. Brisant jedoch ist, dass die vermutliche Ursache, eine Wasserstoffexplosion, nur mit Glück ein Ventil verschont hatte, das direkt in den Druckbehälter hinein führt, und zwar von oben. Wäre dieses beschädigt worden, so wären radioaktive Gase und Dampf aus dem Druckbehälter entwichen, und die Notkühlung hätte einsetzen müssen, um zu verhindern, dass der Kern trocken fällt. Diese Situation hat es bisher noch in keinem deutschen AKW gegeben, wie Energiestaatssekretär Voigt betonte. (Und sie ist auch noch nicht praktisch getestet worden, weil die Notkühlung den Sicherheitsbehälter unbrauchbar machen würde).

Der süddeutsche Stromkonzern EnBW hat erst vor wenigen Monaten demonstriert, dass auch diese Notkühlung nicht in jedem AKW zuverlässig sein muss. Die Kraftwerke Philippsburg und Neckarwestheim waren 17 Jahre lang mit einer zu niedrigen Borsäurekonzentration im Kühlwasser betrieben worden. Dies hätte den Neutroneneinfang möglicherweise entscheidend geschwächt, wäre es zum Einsatz gekommen.

Der Verlauf des Störfalls in Brunsbüttel wie auch in Baden-Württemberg zeigt, dass die Entscheidungsgeschwindigkeit in einer Behörde, selbst wenn die Reaktion letztlich richtig (wie in Schleswig-Holstein) ist und nicht völlig ausbleibt (wie in Baden-Württemberg), für eine ungünstigen Entwicklung einer atomaren Kettenreaktion völlig ungeeignet ist. In diesem Fall hätte das Ministerium einen GAU nicht verhindern können, weil er schon längst eingetreten wäre. Da er aber nun nicht eingetreten war, hätte der Reaktor - solange es nicht noch zusätzliche Probleme gegeben hätte - ebenso gut bis zur Routineinspektion weiterlaufen können.

Umweltverbände wie Greenpeace, BUND und BBU verlangten deshalb eine sofortige Stilllegung aller Siedewasserreaktoren. Daran aber denkt Energieminister Claus Möller in Kiel nicht. Statt dessen fordert er "rückhaltlose Aufklärung" und zieht mit Unterstützung seines Staatssekretärs Willy Voigt und der FDP-Fraktion im Landtag die Zuverlässigkeit des Betreibers HEW in Zweifel. Die ist nämlich laut Atomgesetz eine der Mindestbedingungen für den Betrieb von Atomkraftwerken, immer nach dem Motto: Wenn überhaupt mal Schäden aus Kernkraft entstehen, dann nur, weil die Betreiber unzuverlässig sind. Trotzdem glaubt selbst Voigt nicht daran, dass den HEW wirklich die Betriebsgenehmigungen entzogen werden können; vielmehr werden vielleicht ein paar Personen ausgetauscht. Welche dies sein könnten, legt er nahe: "Das Sicherheitsmanagement des Betreibers halten wir für sehr bedenklich."

Nach wie vor ist ungeklärt, wie es zu der Explosion überhaupt kommen konnte, und deshalb ist eine Wiederholung (nicht nur in Brunsbüttel, sondern auch in Gundremmingen, Philippsburg 1, Krümmel oder Isar 1) auch nicht ausgeschlossen. Wenn es sich um Radiolysegas aus dem Druckbehälter gehandelt hat, hätte es sich konstruktionsbedingt überhaupt nicht dort befinden dürfen. Möglicherweise liegt also ein Konstruktionsmangel vor, der den Widerruf der Betriebserlaubnis nach sich ziehen müsste.

Mittlerweile berichtete Der Spiegel, dass die Kraftwerksleitung in Brunsbüttel im Dezember für ein sofortiges Herunterfahren des Reaktors plädiert hätte, während die Konzernleitung aus Kostengründen den bedenkenlosen Weiterbetrieb angeordnet habe, da der Einkaufspreis für Ersatzstrom zu diesem Zeitpunkt "enorm hoch" (Claus Möller) gewesen sei. HEW-Sprecher Johannes Altmeppen bezeichnete den Bericht als "Quatsch". Wirtschaftliche Gründe hätten keine Rolle gespielt.

Offenbar kann man mit einem laxen Sicherheitskonzept aber recht ordentlich Geld verdienen. Die schon erwähnte "Energie Baden-Württemberg", Muttergesellschaft von Yello Strom, Neckarwerken und Salamander AG, Hauptbetreiberin der AKWs Neckarwestheim, Philippsburg und Obrigheim, die im letzten Jahr wegen mehrerer Unregelmäßigkeiten zwei Vorstandsmitglieder austauschen musste, legte am 5. März ihren Jahresbericht ausgerechnet in Karsruhe vor, jener Stadt, in der Mitarbeiter aus der stillgelegten Versuchs-WAA radioaktives Material hatten mitgehen lassen. Der Gewinn im vergangenen Jahr konnte um 43,5 Prozent gesteigert werden, auf satte 165 Millionen Euro. Der Umsatz wuchs um 34,9 Prozent, unter anderem durch eine Rekord-Energieproduktion. Die Aktionäre können sich über 66 Cent Dividende je Aktie freuen, im Jammertal der allgemeinen Rezession sicherlich ein trostreicher Lichtblick.

BG

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