(Gegenwind 162, März 2002)
Das Buch Taliban von Ahmed Rashid ist ein Glücksfall. Der Autor ist ein fundierter Kenner Afghanistan und der Taliban, er kennt die handelnden Personen aus Wirtschaft, Militär und Politik in den Staaten Zentralasiens zumeist persönlich, und er wollte solch ein Buch nach eigenen Angaben schon jahrelang schreiben. Als es mit seinen 400 Seiten im Jahre 2000 zunächst auf Englisch erschien, fand es allerdings kein großes Interesse: Wer interessierte sich schon für Afghanistan und die Taliban? Ein Jahr später, überarbeitet, aktualisiert und ins Deutsche übersetzt ist es genau das Richtige für alle, die mit den Nachrichten über die "Terrorismus-Bekämpfung" nicht zufriedenzustellen sind.
Der Autor beschreibt zunächst in fünf Kapiteln die Geschichte Afghanistans und der Taliban von 1994 bis 1999. Man muss sehr konzentriert lesen (und lernen), um hier die Übersicht über die verschiedenen Gruppierungen in dem zerfallenen Staat zu bekommen und zu behalten. Denn die diversen "Warlords" stehen keineswegs auf einer bestimmten Seite, in einem bestimmten Bündnis, vielmehr gibt es wechselnde Allianzen, Spaltungen und Zusammenschlüsse sowie diverse Interventionen von Iran, Turkmenistan, Tadschikisten, Russland, Usbekistan, Indien, Pakistan und anderen interessierten Staaten.
Im zweiten Teil geht es in weiteren fünf Kapiteln um den "Islam" der Taliban, ihren Fundamentalismus, die innere Organisation, die Stellung der Frauen (Das verschwundene Geschlecht), die auf Heroin basierende Wirtschaft und die Haltung zum weltweiten Krieg, also auch um die arabischen und anderen "internationalen Brigaden" in diesem Krieg.
Im dritten und längsten Teil geht es um das Neue große Spiel. Damit knüpft der Autor an das "Große Spiel", the "Big Game" aus dem vorigen Jahrhundert an. Damals stritten sich Großbritannien mit der Kronkolonie Indien und das russische Zarenreich, dass sich immer weiter nach Osten und Süden ausdehnte und auch einen Zugang zum Indischen Ozean suchte, um Macht und Einfluss in Zentralasien. Damals wurde Afghanistan zum Schauplatz der Auseinandersetzung der damaligen Weltmächte, der (persisch-sprachige) Norden gehörte zur russischen, der (paschtunisch-sprachige) Süden zur englischen Einflusszone.
Inzwischen geht es um Erdöl und Erdgas, das rund ums Kaspische Meer gefördert bzw. vermutet wird. Die Vorräte hier, die im Wesentlichen von Aserbeidschan, Turkmenistan und Kasachstan ausgebeutet werden, werden traditionell in nördliche Richtung abtransportiert, das war in der Sowjetunion so organisiert. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion eröffneten sich gerade westlichen Firmen und Konsortien neue Möglichkeiten, eine wichtige Transportroute wurde durch den von den USA geförderten Krieg in Tschetschenien unterbrochen.
Für die Ölförderung bei Baku gibt es heute Pipelines durch die Russische Föderation und alternativ dazu durch Georgien und (per Tanker) durch das Schwarze Meer. Die USA planen ferner eine Pipeline nach Südwesten, durch die Türkei ans Mittelmeer. Hier kann wegen des andauernden Krieges in Kurdistan noch nicht mit dem Bau begonnen werden, der zudem wegen der extrem langen Strecke auch sehr teuer ist.
Für die Förderung Turkmenistans bieten sich mehrere Routen an. Das Erdgas kann nach Norden in die Russische Förderation, nach Nordosten über Usbikistan und Kirgisien nach China, nach Süden durch den Iran oder nach Südosten durch Afghanistan und Pakistan, vielleicht auch nach Indien transportiert und verkauft werden. Die USA wollen um jeden Preis eine Pipeline durch den Iran verhindern, sind auch gegen die Beteiligung Russlands - doch die Alternative Afghanistan - Pakistan scheiterte bisher daran, dass in Afghanistan Krieg herrschte.
Hier bringt der Autor die Planungen der Erdölkonzerne (sieben verschiedene Routen werden von sieben Konsortien geplant) mit der Unterstützung verschiedener Kriegsparteien in Zusammenhang, und es wird nachvollziehbar, warum die US-Regierung 1995/96 die Taliban bei ihrem Vorstoß aus Pakistan Richtung Herat und turkmenischer Grenze unterstützten. In Washington hoffte man damals, die Taliban könnten eine stabile Regierung stellen und damit verlässlicher Vertragspartner der eigenen Ölkonzerne werden. Dann sollte mit einer Pipeline durch Afghanistan sowohl der Iran als auch Russland aus dem "Neuen großen Spiel" verdrängt werden.
Der Autor schildert aus eigener Anschauung, aus eigenen Interviews und Gesprächen mit den Beteiligten den Kampf der verschiedenen Konsortien sowie der Regierungen der Anliegerstaaten um den größtmöglichen Einfluss und die Kontrolle der Gebiete, durch die verschiedene Pipelines geplant wurden. Klar ist, dass Demokratie oder Frauenrechte jahrelang in den Überlegungen der beteiligten Regierungen keine Rolle spielten. So war es vor zwei Jahren noch der Iran, der die Unterdrückung der Frauen durch die Taliban kritisierte, aber einzelne Gruppen der Nordallianz massiv mit Waffen belieferte, ohne die dort stattfindenden Massenvergewaltigungen zu erwähnen. Dagegen erklärte die US-Regierung die Gesetzgebung, die Frauen den Schulbesuch und die Berufstätigkeit verbot, zur inneren Angelegenheit der Taliban-Regierung - ungefähr so argumentierten auch die deutschen Behörden und Gerichte, wenn sie Asylanträge afghanischer Frauen ablehnten.
Erst als im Zuge des zweiten Golfkrieges der CIA-Zögling Osama bin Laden in Konflikt mit seinem Dienstherren geriet und später für die Anschläge auf US-Botschaften in Ostafrika verantwortlich gemacht wurde, ging die US-Regierung auf Distanz. Außerdem protestierten einflussreiche Frauenverbände in den USA, unterstützt von Hilary Clinton, gegen die engen geschäftlichen Kontakte der einheimischen Ölfirmen und Regierungsbehörden mit der Taliban-Regierung. So wurden die Pipeline-Pläne auf Eis gelegt, die Taliban-Unterstützung allerdings nicht ganz eingestellt, sondern den US-Verbündeten Pakistan und Saudi-Arabien anvertraut. Erst vor wenigen Monaten, zum Erscheinen des Buches, schwenkte die NATO auf die bis dahin iranisch und russisch unterstützte Nordallianz um.
Das Schlusskapitel, den Ausblick für die Zukunft Afghanistans, kann man getrost vergessen, der Autor schrieb dieses Kapitel vor den Anschlägen von New York und Washington. Er geht noch davon aus, dass der Krieg in Afghanistan von den Nachbarländern, die jeweils einzelne Gruppierungen unterstützen, verlängert wird und der Westen Afghanistan zugunsten Jugoslawiens ignoriert. Nach Meinung des Autors muss diese Einmischung von außen, die den Krieg verlängert, aufhören zugunsten einer Übereinkunft, dass ein Frieden allen Ländern Zentralasiens nützt. Das ist sicherlich eine Einschätzung, die richtig bleibt - gerade angesichts der Meldungen, die hierzulande nur wenig Verbreitung finden, dass die lokalen Kriege zwischen verschiedenen Organisationen der Nordallianz im Januar und Februar überall in Afghanistan wieder aufflammten.
Überflüssig ist übrigens auch das Vorwort, um das der deutsche Verlag den Kairo-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Heiko Flottau, gebeten hat. Der Mann war zu beschäftigt, das Manuskript zu lesen, und über Afghanistan weiß er auch nicht allzu viel - aber die deutsche Ausgabe wurde im Oktober 2001 gedruckt, und das Buch selbst war vor dem Anschlag in New York abgeschlossen worden. Da meinte man, uns LeserInnen noch etwas Gutes tun zu müssen.
Der Autor, Ahmed Rashid, ist pakistanischer Journalist und seit Jahren, ja Jahrzehnten in ganz Zentralasien als Korrespondent mehrerer Zeitungen, unter anderem der Far Eastern Economic Review und des Daily Telegraph. Nach eigenen Angaben hat er 21 Jahre an dem Buch geschrieben. Und wer es liest, merkt das auch.
Ahmed Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad.
(Originaltitel: Islam, Oil an the New Great Game in Central Asia). Droemer 2001, 432 Seiten, 19,90 Euro.
Es sah wie ein "Schnellschuss" aus, als Anfang des Jahres das Taschenbuch Nach den Taliban in den Kaufhäusern auftauchte. Aber Michael Pohly und Khalid Durán liefern eine gründliche Einführung in die Probleme des Landes und eine Beschreibung aller Beteiligten.
Es beginnt mit einer aktuellen Übersicht zu den Terroranschlägen vom 11. September und den Folgen für Afghanistan. Dann folgt eine Übersicht der afghanischen Geschichte der letzten 200 Jahre, beginnend mit dem britischen Kolonialismus und der damaligen Grenzziehung, die die Teilung Paschtunistans zwischen Pakistan (Britisch-Indien) und Afghanistan bis heute festschrieb.
Zwei Schwerpunkte haben die Autoren sich dann gesetzt: Einerseits werden die beiden großen Bürgerkriegsparteien, die Nordallianz auf der einen und die Taliban auf der anderen Seite, beschrieben. Dabei ist klar, dass die Autoren für beide keine Sympathien empfinden. Zur Beschreibung des Aufstiegs der Taliban aus den Flüchtlingslagern und Religionsschulen in Pakistan bis zur Quasi-Regierung über 90 Prozent des afghanischen Territoriums muss auch schon das ausländische Interesse beschrieben werden, hier geht es also nicht nur um die Taliban, sondern auch um die Politik verschiedener pakistanischer Interessen und die internationaler Öl-Konsortiens. Den beiden Blöcken folgt ein dritte Themenblock über die Frauen Afghanistans, und hier wird klar, dass die beiden wichtigsten Parteien des Bürgerkriegs die Hälfte der Bevölkerung überhaupt nicht vertreten.
Gerade dieser Punkt, die Interessen ausländischer Mächte, bilden dann den nächsten Schwerpunkt. Beschrieben wird die Rolle der Nachbarstaaten und weiterer Mächte, die hier ihre Stellvertreter bewaffnen und finanzieren. Es geht dabei um Pakistan, Indien, China, Saudi-Arabien, den Iran sowie Russland und die zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken.
Das Schlusskapitel, die Einschätzung der Zukunft Afghanistans, ist wohl tatsächlich in Eile entstanden, hier waren die Autoren, die den November und Dezember 2001 dazu nutzen, die nächsten Jahre zu prophezeien, auch nicht zu beneiden. Anschließend wird Das Manifest der demokratischen Opposition Afghanistans vorgestellt, einer Gruppierung, die von den Autoren erkennbar unterstützt werden soll, die aber leider überhaupt nicht vorgestellt und von ihren Chancen her eingeordnet wird - auch dem Manifest selbst lässt sich keine Information über die Relevanz dieses Papiers entnehmen. Hier hätten sich die Autoren zwischen einer seriösen Vorstellung oder dem Weglassen entscheiden müssen, so sind das zwanzig Seiten politisches Programm, dessen Lektüre nicht weiterhilft.
Das ändert aber nichts daran, dass dieses Taschenbuch für alle unverzichtbar ist, die in wenigen Stunden möglichst viele fundierte Informationen über Afghanistan lesen wollen.
Michael Pohly / Khalid Durán: Nach den Taliban. Afghanistan zwischen internationalen Machtinteressen und demokratischer Erneuerung.
Ullstein, München 2002, 160 Seiten, 6,95 Euro.