(Gegenwind 161, Februar 2002)
Fast als seien sie Top-TerroristInnen im Dienste von Bin Laden oder noch schlimmer, wurden über vierzig Linke nach einem Stadtspaziergang in Flensburg von der Polizei behandelt. Viele wurden über 24 Stunden in Polizeigewahrsam festgehalten, die Bedingungen waren "nicht sehr menschenwürdig" - sagt auch der Polizeisprecher. Der Hamburger Radiosender FSK hat in seiner Sendung Recycling am 8. Januar darüber berichtet. Wir bringen eine Collage von Aussagen, die wir dem Mitschnitt dieser Sendung entnommen haben.
Ich habe Ihre Berichterstattung vor zwei Tagen gelesen. Mich interessiert, wie Sie darauf kommen, es sei dort um eine Demonstration gegen die Euro-Einführung gegangen.
Da gab's ja Sprüche gegen den Euro. (...) Das ist wohl zum Anlass genommen worden. Es ging gegen Kapitalismus, Globalisierung. Die haben alles Mögliche aufs Korn genommen. Es ging auch halt um diese Euro-Geschichte.
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Ich arbeite hier in Hamburg für das Freie Radio. Und ich habe Fragen zu dem Polizeieinsatz in der Silvesternacht. In der Zeitung war zu lesen, dass die Demonstration sich gegen die Euro-Einführung gerichtet hätte. Wie kam man darauf?
Ich kenne Sie gar nicht und auch Ihre Sendung oder Ihr Blatt kenne ich auch nicht.
Das ist das Freie Radio in Hamburg, FSK; Freies Sender Kollektiv, auf 93,0 Antenne und 101,4 im Kabel. Aber davon ist das ja nicht abhängig, welche Auskunft Sie mir geben.
Davon ist das schon abhängig, ob Sie ein Pressemann sind. Darf ich Ihren Namen nochmal hören? (...) Und die Telefonnummer? (...)
Also gegen die Euro-Einführung, das war mit Sicherheit nicht die Hauptrichtung der Aktion. Das war mehr oder weniger allgemein gegen Globalisierung, und dann sicher auch in Zusammenhang mit diesem Zusammenschluss und der Euro-Einführung. Das ging los so um 20 Uhr herum hier in der Innenstadt durch die Fußgängerzone...
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Wir haben uns spontan getroffen, um einen kleinen Stadtbummel durch Flensburg zu machen. Sprich, wir wollten eine kleine Demo machen zum Jahresende gegen diese ganze Entwicklung mit den Verschärfungen bei der "inneren Sicherheit", gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr usw. Gegen sieben, halb acht haben wir angefangen, uns durch die Stadt zu bewegen im dichten Schneetreiben. Wir haben Parolen gerufen. Und es sind wohl auch zwei, drei Parolen an Hauswände gesprüht worden.
Was mich gewundert hat bei Ihrer Berichterstattung: Ich hatte den Eindruck, da ist gar nicht recherchiert worden.
Wie gesagt, wir hatten einen freien Mitarbeiter vor Ort. So sind auch die Fotos entstanden. Und natürlich ist recherchiert worden. Man hat mit der Polizei gesprochen... Der freie Mitarbeiter selbst hat es vom Eindruck her verfolgt.
Die Reaktion der Polizei war, milde gesagt, unverhältnismäßig. Und man hatte den Eindruck, dass die Polizei auch vollkommen irritiert war.
Irritiert? Die Polizei?
Weil ja ein unverhältnismäßiger Einsatz stattgefunden hat.
Da kann ich jetzt so nichts zu sagen. Da würde ich jetzt kein Urteil zu abgeben wollen. Das kann ich nicht bestätigen. Die sind hier durchgezogen und haben rumgeschmiert. Da ist die Polizei dann eingeschritten und da gab es wohl ziemlich heftige Gegenwehr gleich, dass mit Leuchtmunition auf die Beamten geschossen wurde, mit Flaschen auf die Autos geworfen. Das jetzt wieder so umzudrehen... Ich habe das Gefühl, dass das immer so umgedreht wird in Richtung Polizei, da liegen Sie absolut falsch, auch in diesem Fall.
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Mir liegen Schilderungen von Beteiligten vor, die davon ausgingen, dass es sich nicht um eine großartig mobilisierte politische Demonstration handelte, sondern mehr um eine Spaßdemo zu Silvester.
Spaßdemo insofern: Der Spaß war sicherlich einseitig auf Seiten der Demonstranten. Es wurden Parolen gesprüht am Rathaus, danach sollten Personalien festgestellt werden. Woraufhin diese Gruppe von 50 Personen plus minus zehn sehr aggressiv reagiert hat, sie sind auf die Polizei losgegangen, haben mit Leuchtmunition auf die Polizeibeamten, auf die Fahrzeuge geschossen. Also Spaßdemo, das kann ich nicht bestätigen.
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Irgendwann holte uns eine Polizeistreife ein. Wir sind durch die Fußgängerzone gelaufen. Nach und nach kamen immer mehr Polizeiwagen, die sich uns in den Weg gestellt haben. Bis dahin ist noch nicht viel passiert. Dann sind einige Polizeibeamte ausgestiegen und auf Leute von uns losgegangen.
Wir sind dann weiter gerannt und sind dann ein bisschen ungeschickt in so eine Einfahrt reingerannt, in einen Hinterhof-Komplex...
Was sich als Sackgasse erwies...
Ja, das war eher so wie eine Mäusefalle. Nachdem wir alle schön reingerannt sind, haben sie alles dicht gemacht. Sie haben auch relativ zügig uns mit Tränengas und Pfefferspray besprüht. Es war relativ schwer zu erkennen, wer da eigentlich was machte, es war ein ganz dichtes Schneetreiben und dann so ein dunkler Hinterhof.
Dann haben sie uns ein eine Ecke gedrängt. Dabei sind dann auch schon zwei Demonstranten ziemlich heftig verprügelt worden. Ein Mann ist zu Boden gehauen worden und dessen Kopf wurde mehrfach auf den Boden geknallt, bis die Augenbraue aufplatzte. Und ein weiterer Polizist hat ihm dann noch schön Pfefferspray ins Gesicht gesprüht aus allernächster Nähe auf diese Wunde. Eine Frau hatte eine Platzwunde am Kopf, die war auch blutüberströmt.
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Dann wurde diese Gruppe in eine Hofeinfahrt getrieben und dort sofort mit Pfefferspray und Tränengas eingenebelt.
Das ist vielleicht nicht ganz falsch. Die sind in einen Hofeingang, der von beiden Seiten dicht gemacht werden konnte. Und ein Ausbruchsversuch aus dem Hof ist unterbunden worden, auch durch den Einsatz von Pfefferspray.
Dann wurden Festnahmen durchgeführt wohl der gesamten Gruppe.
Stimmt.
Die sind dann mehr als 24 Stunden festgehalten worden.
Das stimmt auch, zum Teil zumindest.
Unter Bedingungen, die...
...nicht sehr menschenwürdig waren.
Das sagen Sie selbst auch so?
Das war natürlich sehr eng im Polizeigewahrsam mit 44 Leuten. Die Zellen waren zum Teil mit vier, fünf, sechs Leuten belegt.
Es mussten Schuhe und Kleidungsstücke abgegeben werden...
Das ist so üblich im Polizeigewahrsam, zum Selbstschutz. Das wird mit jedem gemacht. Es werden Ketten, Gürtel, Schuhe abgenommen, so dass er sich nicht selbst strangulieren kann, zum Beispiel.
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Wir sind dann an der Straße komplett durchsucht worden. Dann sind wir zum 1. Polizeirevier gebracht worden. Bis zu dem Zeitpunkt haben wir gedacht, na gut, es wird jetzt noch eine Personalienfeststellung geben und das wär's dann erstmal. Weil es ist ja nichts groß gewesen vorher. Das war aber ein Trugschluss.
Es sind wohl insgesamt 42 Leute festgenommen worden. Es gab dann auf der Polizeistation nochmal eine komplette Leibesvisitation. Und man musste alles abgeben: Schmuck, Ohrringe, alles, Schuhe mussten wir abgeben. Dann wurden wir auf Zellen verbracht. Die haben ein Hinterhofgebäude mit Einzelzellen. Da wurden wir in den meisten Fällen zu sechst reingestopft. Das war relativ ungemütlich. Zum einen durften wir Jacken und dicke Pullover und Schuhe nicht anbehalten. Also, es war schweinekalt.
Dann passierte erstmal relativ lange nichts. Es durfte auch kein Mensch auf Toilette gehen. Es war wohl unterschiedlich, bei uns in der Zelle war es nach fünf Stunden, dass wir einmal aufs Klo durften. Was dazu geführt hat, dass einige Leute sich schlichtweg in die Hose machen mussten, weil ihnen nichts anderes übrig blieb.
Drei Verletzte waren es, die sie ins Krankenhaus gebracht haben. Die haben sie da genäht und dann auch abgeholt und in die Zellen geschmissen.
Das zog sich dann hin. Nachts um eins gab es die ersten erkennungsdienstlichen Behandlungen, wie es so schön heißt. Da ist uns, zumindest einigen, dann der Anklagevorwurf mitgeteilt worden. Das war dann doch überraschend. Sie sprachen von "schwerstem Landfriedensbruch", "schwerer Körperverletzung", "schwerer Sachbeschädigung", "Gefangenenbefreiung".
Das Klima war insgesamt relativ ätzend. Es waren viele Polizisten da. Der Umgangston war durchweg... Kasernenhofton ist noch harmlos dagegen. Beschimpfungen wie "ihr Scheißfotzen" und "Zeckenpack". Die ED-Behandlung hat sich über die ganze Nacht hingezogen. Wir haben dann, nachdem wir die ganze Nacht rumprotestiert haben, weil wir uns wirklich sonstwas abgefroren haben..., zumindest einige von uns haben ihre Jacken wiederbekommen.
Habt ihr denn irgendwann Kontakt nach außen bekommen?
Nee, das haben sie uns verweigert. Wir haben alle unser Recht auf ein Telefonat eingefordert. Aber das haben sie kategorisch abgelehnt.
Es wurde Gewalt ausgeübt gegen Menschen, die ohnehin wehrlos waren?
Dazu kann ich nichts sagen. Also, wenn das der Fall ist, müssten diese Betroffenen Anzeige erstatten.
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Ich bin Konatktlinsenträgerin und hatte die dummerweise an dem Abend an. Bei dem Pfefferspray-Einsatz habe ich auch eine ganze Ladung ins Gesicht bekommen, natürlich auch auf die Augen. Die Augen waren ziemlich verquollen und ich wollte die Kontaktlinsen rausnehmen. Ich habe dann, als ich auf Toilette durfte, gefragt, ob sie mir ein Gefäß geben könnten, wo ich die rein tun könnte, und ein bisschen Kochsalzlösung. Da gab's dann einen blöden Spruch: Darauf hätte ich mich wohl vorbereiten können.
Ich bin dann auf Toilette gegangen und habe festgestellt, dass ich just meine Regel bekommen habe. Ich habe dann gefragt, ob ich Tampons und Binden bekommen kann. Das hat wohl die bewachende Polizistin als Bedrohung aufgefasst. Sie hat die Tür zugetreten, in der ich gerade stand. Dann kam gleich ein zweiter Beamter hinzu. Sie haben mich zu Boden geworfen. Der Herr hat dann meinen Kopf mehrfach auf den Boden geknallt. Sie haben dann meine Hände auf den Rücken gedreht und mir Handschellen angelegt. Und mich an den Handschellen hochgezogen, damit haben die sich richtig festgezurrt.
Dann haben sie mich in ihr Büro gesetzt. Da kamen die blöden Sprüche: "Na, du blöde Fotze", "Was machst'n du hier für Scheiß?" Unterstes Proll-Niveau eigentlich. Dann sagte der eine Beamte: "Dafür kann man ihr eigentlich noch ein Verfahren reindrücken. Sie hat doch gerade hier zwei Beamte von uns angegriffen." Noch mal eine Anzeige wegen zweifachen Widerstandes, zweifacher Körperverletzung. Dann hat er noch eine Weile überlegt, die Füße auf dem Tisch: "Eigentlich war das doch auch ein Ausbruchsversuch. Nimm das doch auch nochmal mit auf."
Es gab eine Zelle, da hatten sie nachts einen Mann, der mit uns nichts zu tun hatte, eingeliefert, der schwerstalkoholisiert war. Der hatte da ziemlich randaliert, hatte in die Zelle geschissen, die ganze Zelle mit Scheiße beschmiert und sich dann auch noch übergeben da drin. Da sollte ich dann rein, natürlich auf Socken. Ich hab gesagt: "Da geh ich nicht rein." Dann gab's einen kurzen Tritt in den Rücken, und dann war ich in der Zelle, mit den Händen auf dem Rücken gefesselt. Bei dem Gerangel hatte mir der Polizist mit einem Polizeigriff ins Auge gegriffen. Die eine Kontaktlinse ist dabei stiften gegangen. Die andere hing halb im Auge. Das ist dann auch relativ schmerzhaft.
Nach einer halben Stunde sind sie reingekommen, haben mir die Handschellen abgenommen, haben dann auch Binden gebracht, dann durfte ich nochmal aufs Klo. Sie haben mich dann in die alte Zelle zurückgebracht.
Ihr seid dann am frühen Morgen des Neujahrstags alle rausgekommen?
Nein. Abends sind wir Auswärtigen zumindest mit Gefangenentransportern in unsere Städte gebracht worden, die dänischen Genossen sind an die Grenze gebracht worden. Wir sind nach Kiel zurückgefahren worden.
Dann haben sie uns in Kiel auf die Polizeiwache gebracht. Und da mussten wir noch bis 22 Uhr bleiben. Hintergrund war, dass der letzte Zug nach Flensburg um kurz vor 22 Uhr fuhr.
Die letzten, die wohl am längsten dringeblieben sind, waren FlensburgerInnen, die sind erst spät nachts rausgekommen.
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Der Grund für das lange Festhalten...?
Das war aus polizeirechtlicher Sicht erforderlich. Es gibt ein Landesverwaltungsgesetz in Schleswig-Holstein, und danach ist das Festhalten von Personen möglich, bis eine Gefahr nicht mehr vorliegt.
Welche Gefahr?
Was wollen Sie mit dieser ganzen Geschichte? Ich höre aus Ihren Fragen, dass Sie ganz engen Kontakt haben zu den Betroffenen... Also, es hat die Gefahr bestanden, dass die, wenn sie gleich nach den ersten Ermittlungen wieder entlassen werden, sich wieder sammeln und so weiter machen wie vorher.
Dieser Gefahr wollten Sie begegnen dadurch, dass Sie zum Teil über 24 Stunden die Menschen festgehalten haben?
Was reiten Sie auf diesen 24 Stunden herum?
Ich finde das ausgesprochen merkwürdig, dass Menschen so lange festgenommen werden.
Sie sind ja nun nicht Verteidiger. Sie sind von einer unabhängigen Presse und wollen berichten. So können Sie mir abnehmen, dass sie nicht länger festgehalten wurden, als es aus polizeilicher Sicht nötig war.
Ich frage deshalb nach, weil ich gewisse Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes habe.
Die Verhältnismäßigkeit lässt sich natürlich auch gerichtlicherseits prüfen, wenn man das will. Dafür haben die Betroffenen so ziemlich alle einen Anwalt eingeschaltet. Die Maßnahme ist ja nun beendet und kann nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Quelle: FSK Hamburg, Recycling, 8. Januar 2002
Zusammenstellung: H.H.
Nachtrag: Hausdurchsuchungen
Am 15. Januar gab es in Flensburg Hausdurchsuchungen. Betroffen waren nach ersten Informationen die Schlachterei, ein Bauwagenplatz und der Hafermarkt sowie verschiedene WGs.
Als Hintergrund für die Polizeiaktion ist die Silversterdemo anzunehmen. Weitere Durchsuchungen, beispielsweise bei Festgenommenen, werden für möglich gehalten.