(Gegenwind 160, Januar 2002)

Norderstedt

Antirassistisches Engagement vor Gericht

Ein Gewerkschafter, freier Journalist und Gegenwind-Mitarbeiter wurde vom Amtsgericht Norderstedt wegen seiner kritischen Berichterstattung über die medizinische Versorgung von Abschiebehäftlingen verurteilt.

Abschiebegefängnis Glasmoor

Schon seit Jahren schreibt Olaf H. über die unhaltbaren Zustände und Vorgänge im Abschiebegefängnis Glasmoor in Norderstedt. Im Sommer 2000 erschienen einige Artikel und ein Flugblatt zu der unzureichenden medizinischen Versorgung der eingesperrten Flüchtlinge sowie der Verantwortlichkeit von ÄrztInnen und PsychiaterInnen an der brutalen Abschiebepraxis. Im Glasmoorgefängnis in Norderstedt ist es der niedergelassene Internist Dr. Köhler, der für die Behandlung der Insassen zuständig ist.

Diese berichten schon seit Bestehen des Containerknastes darüber, dass ihnen selbst bei schweren Erkrankungen nur Aspirin oder Paracetamol verordnet wird. Auch machten Abschiebehäftlinge und ihre UnterstützerInnen immer wieder die Erfahrung, dass der von der Ausländerbehörde angeheuerte Psychiater Dr. Pinski keine Skrupel hat, Flüchtlingen selbst nach vorangegangenen Selbstmordversuchen "Reisefähigkeit" zu unterstellen. Sowohl der Oberarzt der forensischen Psychiatrie im Klinikum Nord Dr. Wolfgang Pinski, als auch der Anstaltsarzt Dr. Hans Köhler fühlten sich wohl durch die kritische Berichterstattung des Norderstedters auf den weißen Kittel getreten

Köhler erstattete wegen des Flugblatts und einer Kundgebung vor seiner Arztpraxis in Norderstedt Anzeige gegen den Gewerkschafter. Die Ermittlungsbehörden haben daraufhin keine Kosten und Mühen gescheut. Rechtlich autorisiert durch den berüchtigten Richter Leendertz nutzten sie die Anzeige prompt, um den seit Jahren durch seine journalistische Arbeit unbequemen Abschiebegegner polizeilichen Maßnahmen auszusetzen, die dem Vorwurf der Verleumdung in keiner Weise angemessen sind.

Hausdurchsuchung am Nikolaustag

Im Morgengrauen des 6. Dezember 2000 klingelte es an der Tür des Norderstedter IG-BAU-Gewerkschafters Olaf H. Vor der Tür stand jedoch nicht der Nikolaus, sondern vier Beamte der Norderstedter Kripo, die in einer zweistündigen Hausdurchsuchung die privaten Räume des Antirassisten durchschnüffelten und abfilmten. Dem freien Journalisten wurde nicht nur die gesamte Computeranlage für zwei Monate beschlagnahmt, sondern wegen seiner antirassistischen Berichterstattung sah er sich darüber hinaus am 19. November 2001 vor dem Amtsgericht Norderstedt mit einer Verleumdungsklage konfrontiert. Weitere Punkte der Anklage waren "Verstoß gegen das Pressegesetz" und, aufgrund der Kundgebung vor Köhlers Praxis, ein "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz". Kriminalhauptkommissar Willert und die Beamten vom LKA, die sich mit völlig überzogenen Ermittlungsmethoden mächtig ins Zeug gelegt hatten, mussten hinnehmen, dass das Flugblatt mit dem vermeintlich verunglimpfenden Inhalt letztlich gar nicht auf dem beschlagnahmten Rechner fertiggestellt worden war, wie das Sachverständigengutachten aufzeigte.

Diese Tatsache und auch der Aspekt, dass Olaf H. zwar an der Kundgebung teilgenommen, nicht aber als verantwortlich betrachtet werden konnte, ließen die Anklage im Verhandlungsverlauf nach und nach in sich zusammenfallen. Von der anfänglichen Anklage der "Verleumdung" und dem Vorwurf des "Verstoßes gegen Presse- sowie Versammlungsrechts" blieb sehr bald nur noch der Vorwurf der "Beihilfe zur Verleumdung" übrig.

Eine "Sonderbehandlung", die nicht so genannt werden darf

Der Staatsanwalt war folglich gezwungen, sich an Einzelpunkte aus dem Inhalt des Flugblattentwurfes zu krallen, um die Anklage aufrecht erhalten zu können. Dabei bediente er sich einer uralten noch gültigen Gesetzesfassung, die aus der Zeit des Reichsgerichtshofs stammt. Dieser Paragraph, behauptet der Staatsanwalt allen Ernstes, sieht vor, dass bei mehreren verleumderisch anmutenden Passagen innerhalb eines Textes eben jede einzelne Passage als eigene Straftat zu behandeln und abzuurteilen ist. Gesagt getan, fand die Staatsanwaltschaft drei Textstellen in der journalistischen Arbeit des Gewerkschafters beleidigend und bezichtigte ihn der "Beihilfe zur Verleumdung" in drei Fällen.

Festgebissen haben sich Staatsanwalt und auch Richter Leendertz aber vor allem an dem von in Olaf H.s Text verwendeten Begriff der "Sonderbehandlung" von Abschiebehäftlingen. Dem Antirassisten wird vorgeworfen, mit diesem Wort die Arbeit Köhlers willentlich in die Nähe des nationalsozialistischen Massenmords zu stellen. Der Staatsanwalt, der offensichtlich ein Faible für ältere Texte hatte, zitierte, um den Gebrauch des Wortes Sonderbehandlung darzustellen, gar aus einem Brief Himmlers von 1943.

Das schien Richter Leendertz zu gefallen, und es half gar nichts, dass die Verteidigung mit der Aufwartung zeitgenössischerer Texte, etwa aktueller Artikel aus der Tagespresse, z.B. der Frankfurter Rundschau, stichhaltig nachweisen konnte, dass auch in anderen journalistischen Arbeiten im Diskurs zur Flüchtlingspolitik der Begriff "Sonderbehandlung" geläufig ist und in keiner Weise nationalsozialistischen Massenmord assoziiert. Ebenso half es nichts, dass selbst der deutsche Duden mehrfache Deutungen des Begriffes vorsieht. Und es nützte dem Abschiebegegner auch nichts, gleich in seiner eingangs vom Verteidiger verlesenen Erklärung nachdrücklich zu versichern, dass es ihm völlig fern lag, "...direkte oder auch nur indirekte Vergleiche zwischen der Arbeit Dr. Köhlers und nationalsozialistischer Verbrechen zu ziehen". Er lehne solche Vergleiche aus Überzeugung strikt ab, "weil sie die damaligen Verhältnisse zu verharmlosen in der Lage sind". Auch daher ist für ihn der Vorwurf, einen solchen Vergleich gezogen zu haben überraschend, fast absurd.

"Das Asylbewerberleistungsgesetz lässt sich", heißt es weiterführend in der persönlichen Erklärung des Antirassisten, "auch nicht treffender beschreiben, als mit dem Wort Sonderbehandlung für Flüchtlinge. Denn de facto sind dort die Bestimmungen über soziale Hilfen und medizinische Versorgung entlang der Definition des »Asylbewerbers« gegenüber allen anderen EinwohnerInnen Deutschlands deutlich eingeschränkt. Was widerfährt den unter der Begrifflichkeit »Asylbewerber« gefassten Menschen also anderes, als eine »Sonderbehandlung«?"

Den Gesetzen treu ergeben...

Dr. Köhler gab in seiner Zeugenaussage die Antwort, er würde alle seine Patienten, sowohl die in seiner Praxis als auch die im Gefängnis, gleich behandeln. Zudem gab er an, er würde sich stets an die Gesetze halten. Wenn diese Gesetzestreue aber stimmt, und es gibt keinen Grund, das anzuzweifeln, dann ist er durch das Asylbewerberleistungsgesetz dazu verpflichtet, Flüchtlinge einer anderen, einer eingeschränkten, einer "Sonderbehandlung" zu unterziehen.

Es ist ausgesprochen interessant, wie die Ermittlungs- und Justizbehörden einerseits keinen Aufwand scheuen, die von ihnen angeheuerten Mediziner, wie in diesem Fall Dr. Köhler, vor kritischer Öffentlichkeit zu schützen. Andererseits haben sie keine Schwierigkeiten damit, die berufliche Integrität von unabhängigen Ärzten nachhaltig zu verletzen, in dem sie bei eben jenen während der Sprechzeiten Praxisdurchsuchungen veranlassten, aufgrund des Verdachts, diese würden, um Flüchtlinge vor der Abschiebung zu schützen, sogenannte "Gefälligkeitsgutachten" schreiben.

Im Mai letzten Jahres wurde ein Arzt freigesprochen, dem von der Staatsanwaltschaft tatsächlich ein Vorwurf daraus gemacht worden war, dass er seiner Patientin attestiert hatte, dass isie aus Gesundheitsgründen nicht abgeschoben werden kann. Er hatte die Armenierin, die in Abschiebehaft saß, nicht im Knast besuchen dürfen, schrieb sie aber auf Grund seiner vorangegangen Untersuchungen reiseunfähig, da sie an Asthma, sowie an chronischen Herz- und Schilddrüsenerkrankungen litt und eine schwere Depression hatte.

Inzwischen hat die Ausländerbehörde eigene MedizinerInnen eingestellt. Und es bleibt zu befürchten, dass es den Behörden mit dieser Maßnahme gelungen ist, sich von dem in ihren Augen lästigen Abschiebehindernis eines unabhängigen Gutachtens zu befreien, welches Flüchtlingen, die krank sind, auch Krankheit, und somit Reiseunfähigkeit attestiert. Längst ist bekannt, dass die "hauseigenen" ÄrztInnen der Ausländerbehörde so ziemlich alle Abschiebehäftlinge für abschiebefähig erklären, die sich gerade noch auf den Beinen halten können.

Eine "Form von Nachlässigkeit"

Es stellt sich bei Pinski, Köhler und Co. nicht vorrangig die Frage, wie fähig die einzelnen Mediziner ihre Arbeit verrichten. Unklar ist vielmehr, wie unter der herrschenden rassistischen Gesetzgebung und den damit einhergehenden Arbeitsbedingungen das "ärztliche Gewissen" gewahrt werden soll. Wie sieht eine ausreichende medizinische Versorgung von Flüchtlingen im Knast aus, wenn der Arzt nicht die Sprache seines Patienten versteht und ohne DolmetscherInnen gearbeitet wird? "Man versucht", so schildert der damalige Knastleiter Szymanski die Lage, "soweit es geht mit Englisch weiterzukommen." Selbst der Staatsanwalt kann sich diesen Umstand nicht so ganz vorstellen und nennt es im Prozessverlauf vorsichtig: "Eine Form der Nachlässigkeit..." Dass bei einer Diagnose, die Ärzte ohne sprachliche Verständigung stellen, Missverständnisse vorprogrammiert sind, liegt auf der Hand. Wie mit verzweifelten, traumatisierten oder suizidgefährdeten Menschen umgegangen wird, ohne sich mit ihnen unterhalten zu können, ist hinlänglich bekannt: Es werden Psychopharmaka verabreicht. Dazu braucht es keine Verständigung, und ein ruhig gestellter Abschiebehäftling lässt sich prima in den Flieger setzen.

Trotzdem, befand der Richter am 19. November, darf von "Sonderbehandlung" nicht die Rede sein. Bei diesem Wort vertraut Leendertz lieber dem Verständnis Himmlers als der gängigen Definition des aktuellen deutschen Dudens. Auch bei seinem Urteil bezog sich dieser auf den bereits erwähnten und von der Staatsanwaltschaft zitierten Gesetzestext aus der Zeit des Reichsgerichtshof, welchen er nicht nur sehr frei, sondern offenkundig falsch auslegte. Diese Verdrehung des Paragraphen ermöglichte es dem Richter, das Strafmaß in die Höhe zu treiben. Letztendlich verurteilte der Richter sogar härter, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Er übertraf sich selbst und überbot mit der Verurteilung zu 4500 DM Geldstrafe seinen eigenen im Sommer diesen Jahres ausgestellten Strafbefehl.

Schon vor einigen Jahren zog Richter Leendertz den Spott der Presse und sogar des Fernsehens auf sich, als er einen jungen Norderstedter zu einer Geldstrafe wegen Sachbeschädigung verdonnerte, weil dieser die Abbildung eines Hakenkreuzes auf dem Polster eines U-Bahnsitzes mit einem Stift unkenntlich gemacht hatte. In dem damaligen skandalösen Urteil stellte Leendertz klar, wie er mit antifaschistischer Zivilcourage umzuspringen weiß. Was er zudem von antirassistischem Engagement hält, hat er mit seinem aktuellen Urteil ausreichend bewiesen.

Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass den Aussagen der Flüchtlinge keine Bedeutung beigemessen wird und kritische Berichterstattung nicht erwünscht ist. Dies bestätigt sich im Fall Glasmoor stets aufs neue. Es gehört schon eine ungeheure Portion Naivität dazu, an Zufall zu glauben, wenn, wie vor einigen Jahren geschehen, ein Flüchtling, der von einer Mißhandlung durch Glasmoor-Schließer berichtet, haargenau an dem Tag abgeschoben wird, an dem er seine Anzeige zu Protokoll geben will.

Als in diesem Jahr das erste Mal ein Übergriff von Schließern nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte und nach der schweren Misshandlung eines Abschiebegefangenen gar die halbe Wachmannschaft ausgewechselt und der Leiter des Knastes gehen mußte, wurde der prügelnde Justizvollzugsangestellte trotz belastender Zeugenaussagen freigesprochen. Kaum zwei Monate später wird im gleichen Gerichtssaal Olaf H. der Prozess gemacht. Die Tatsache, dass er die Vorwürfe der Menschen in Abschiebehaft ernst nimmt, soll er teuer bezahlen.

Einige Frauen aus der FAntifa
Norderstedt

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