(Gegenwind 159, Dezember 2001)
Seit einigen Monaten gibt es Unruhe bei der KVAG, der Kieler Verkehrs-Aktiengesellschaft. Sie soll ganz oder teilweise verkauft werden. Hintergrund ist die Trennung von den Stadtwerken und ihrer Quersubventionierung - ohne diese Unterstützung und angesichts des kommenden Wettbewerbs strebt die Stadt Lohnsenkungen für die BusfahrerInnen an. Darüber sprachen wir mit Sabine Flechtner, Fachbereichssekretärin für Verkehr bei der Gewerkschaft ver.di (Bezirk Kiel/Plön).
Gegenwind:
Welche Probleme hat der öffentliche Personennahverkehr, und welche speziellen Probleme hat die KVAG?
Sabine Flechtner:
Der Öffentliche Personennahverkehr befindet sich schon seit geraumer Zeit in einer Phase zunehmenden Wettbewerbs, ausgelöst durch "drohende" Regelungen auf europäischer Ebene, die eine europaweite Ausschreibung von Verkehrsdienstleistungen vorschreiben sollen. Damit ist die ganze Branche beschäftigt. In diesem Zusammenhang gilt die KVAG als teures Unternehmen, im Vergleich mit anderen Unternehmen hat sie einen hohen Kilometerpreis. Als Konsequenz wird weitere massive Kostensenkung propagiert. Hierbei sind insbesondere die Einkommen der Beschäftigten im Visier. "Herabschleusung" der Tarife lautet das im Gutachterjargon.
Gegenwind:
Heißt das, dass über den Wettbewerb versucht wird, Erfolge der Gewerkschaft der letzten Jahrzehnte wieder einzukassieren?
Flechtner:
So ist das. Wir machen uns nicht nur in Kiel, sondern bundesweit große Sorgen, wie sich der öffentliche Personennahverkehr und unsere tariflichen und sonstigen Arbeitsbedingungen in den Betrieben halten lassen. Von den Unternehmen und der Politik wird immer der Wettbewerb in den Vordergrund gestellt. Dazu muss man sagen, dass europaweite Regelungen und europaweite Ausschreibungen über eine Marktöffnungsverordnung derzeit nicht geltendes Recht darstellen. Die politische Diskussion ging bis vor wenigen Tagen in diese Richtung. Nun hat aber das EU-Parlament am 14. November, also brandneu, vorerst dem immer wieder aufgebauten Wettbewerbsargument die Grundlage entzogen. Nach Willen des EU-Parlaments sollen zuständige Behörden weiterhin ihren Nahverkehr auch ohne Ausschreibungen anbieten können.
Gegenwind:
Politik heißt in diesem Fall eine SPD-regierte Kommune. Hat das positive Auswirkungen auf die Verhandlungen?
Flechtner:
Wir sind vor dem Kreisparteitag der Kieler SPD Ende September davon ausgegangen, dass die SPD dieser Stadt mit ihrer Mehrheitsfraktion im Rat, auch weiterhin für die Beschäftigten, aber auch die Leistungen des Unternehmens die Verantwortung behalten will. Die Ratsfraktion war ja mehrheitlich gegen einen Mehrheitsverkauf. Leider mussten wir feststellen, dass die Mehrheit des Kreisparteitags auch für einen möglichen Mehrheitsverkauf stimmte. Damit verzichtet die Stadt auf Einfluss auf Arbeitsbedingungen und Leistungen für Bürgerinnen und Bürger. Das ist eine herbe Enttäuschung für uns gewesen, das war ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten.
Gegenwind:
Was wollen denn die jetzigen Besitzer der KVAG? Soll jeder Busfahrer 500 Mark weniger im Monat verdienen?
Flechtner:
Die KVAG soll wettbeïwerbsfähiger werden. Das wird auch von allen Beteiligten zugestanden, dass da ein Handlungsbedarf besteht. Wir meinen aber, dass es KVAG-intern, also mit eigenen Mitteln möglich ist, zu verbesserten Kostenstrukturen zu kommen. Restrukturierungsmassnahmen, Suche nach strategischen Partnerschaften, Kooperationen sind angesagt, um Leistungsangebot und Kostenstruktur zu verbessern. Das nahezu alleinige "Schielen" auf vermeintlich zu hohe Löhne mag zwar an mancher Stelle gern gesehen werden, verkennt aber nachhaltige Lösungsansätze für eine leistungsfähige KVAG. Durch den Ratsbeschluss vom 7. November ist nun allerdings auch der Weg eröffnet worden, dass sich andere durch einen Mehrheitskauf um die Zukunft der KVAG "kümmern" könnten. Doch derartige Interessenten seien gewarnt. Spitzenleistung zu Dumpinglöhnen sind mit uns ver.di nicht zu machen.
Gegenwind:
Wie steht ver.di überhaupt dazu, den Öffentlichen Personennahverkehr dem Wettbewerb auszusetzen? Wir kennen doch das Beispiel der Eisenbahn in Großbritannien, wo Unfälle zunehmen, an Wartung gespart wird. Es gibt doch eine Pflicht zur Daseinsvorsorge durch die öffentliche Hand.
Flechtner:
Zur Daseinsvorsorge gehört auch das Anbieten eines qualitativ hochstehenden öffentlichen Personennahverkehrs. Und das hat seinen Preis, das kriegt man nicht zum Nulltarif. Ob in Kiel oder anderswo wird städtischer ÖPNV weiterhin Zuschussbedarf haben. Alles andere würde eklatante Einbußen bei Qualität, Service und Sicherheit bedeuten. Mit Arbeitnehmern zu Dumpinglöhnen und ungesicherten Arbeitsbedingungen in Arbeitszeitfragen beschwört man Gefahren herauf, die uns leider seit Jahren bei Fernfahrern im Güterkraftverkehr beschäftigen. Das werden wir hier verhindern.
Gegenwind:
Wie will ver.di das absichern? Was sind die konkreten Forderungen?
Flechtner:
Zunächst ist mit der genannten Positionierung des EU-Parlaments Druck aus der Wettbewerbsdiskussion genommen. Das muss auch die Stadt Kiel akzeptieren. Für die Beschäftigten konnten der Betriebsrat und ver.di durchsetzen, dass es bis mindestens 2009 keine Kündigungen und Lohneinbußen gibt. Das wurde durch Ratsbeschluss gesichert. Zur Zeit befinden wir uns am Beginn von Verhandlungen für einen "KVAG-spezifischen" Tarifvertrag. Dabei werden wir vielleicht auch manche Kröte im weiten Bereich der tariflichen Arbeitsbedingungen schlucken müssen. Allerdings ist unser Ziel, einen Tarifvertrag auszuhandeln, der über die KVAG hinaus im positiven Sinne "Vorbildcharakter" auch für andere Nahverkehrsunternehmen hat.
Interview: Reinhard Pohl
Außerdem im Gegenwind 159, Dezember 2001: "Wohin fährt der Bus?" - Hintergründe zur "Liberalisierung" im Öffentlichen Personennahverkehr.