(Gegenwind 125, Februar 1999)
In seiner Rede zur Kieler Eröffnung der Ausstellung Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 am 7. Januar im Landeshaus hat sich Professor Dr. Jan Philipp Reemtsma, Gründer und Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, in beeindruckender Weise mit der Kritik an der Ausstellung auseinandergesetzt. Wir dokumentieren auf den folgenden Seiten die Rede im Wortlaut und ungekürzt.
"Ein Mann kommt nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Er hat tausend Tage in der Kälte gewartet. Und als Eintrittsgeld musste er mit seiner Kniescheibe bezahlen. Und nachdem er nun tausend Nächte draußen in der Kälte gewartet hat, kommt er endlich doch noch nach Deutschland. Einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür." So beginnt, Sie alle kennen die Worte, Wolfgang Borcherts "Draußen vor der Tür" - von den Texten, die einen Veteranen und sein Erleben zum Sujet haben, Deutschlands bekanntester und populärster. Dieser Veteran heißt Beckmann, bloß Beckmann, und hat Albträume vom Krieg, und er versucht im Nachkriegsleben wieder Tritt zu fassen, aber es gelingt ihm nicht. Man will seine Geschichten nicht hören, man will mit ihm nichts zu tun haben. Sie alle stoßen ihn weg, der ehemalige Oberst, der Kabarett-Besitzer, die Nachbarin, die Eltern sind tot, sie haben Selbstmord begangen - und nun könnte man noch eine Szene anfügen: Am Schluss betritt Beckmann zufällig eine Ausstellung, die heißt "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", und diese Ausstellung behauptet, er sei ein Mörder gewesen - wie könnte das im Borchert-Ton heißen? So etwa: "Und zu Hause, hat er gedacht, wird jemand sein, der sagt: Beckmann, sagt der Jemand, komm her, setz dich zu uns, aber das sagt der nicht, der Jemand, Beckmann sagt der, Beckmann du Mörder. Und Beckmanns Zuhause bleibt draußen vor der Tür." Nun, so etwa sehen das diejenigen, die sagen, die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung verunglimpfe eine ganze Generation von Kriegsteilnehmern.
Vor einiger Zeit habe ich mit einer Verwandten aus dieser Generation über die Ausstellung gesprochen: "Natürlich", sagte sie, "hat es Verbrechen gegeben. Aber die sind befehlswidrig ei folgt." Meine Antwort: "Nein, in der Ausstellung kann man die verbrecherischen Befehle nachlesen." Ihre Reaktion: "Dann sind sie nicht befolgt worden." Sie hat sich eines Topos bedient, der so oder ähnlich seit den Nürnberger Prozessen in der politischen Rhetorik der Nachkriegszeit zu finden ist. Das Nürnberger Urteil gibt ihn in dieser Variante wieder: "Viele dieser Männer (des Oberkommandos der Wehrmacht und des Generalstabs) haben mit dem Soldateneid des Gehorsams gegenüber militärischen Befehlen ihren Spott getrieben. Wenn es ihrer Verteidigung zweckdienlich ist, so sagen sie, sie hätten gehorchen müssen; hält man ihnen Hitlers brutale Verbrechen vor, deren allgemeine Kenntnis ihnen nachweisbar wurde, so sagen sie, sie hätten den Gehorsam verweigert. Die Wahrheit ist, dass sie an all diesen Verbrechen teilgenommen haben oder in schweigender Zustimmung verharrten, wenn vor ihren Augen größer angelegte und empörendere Verbrechen begangen wurden, als die Welt je zu sehen das Unglück hatte."
Wie sehr dieses Bedürfnis, die Wehrmacht pauschal freizusprechen von aller Teilhabe an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, noch die Gemüter prägt, hat erst der nunmehr Jahre andauernde Streit um die Ausstellung, die heute nun in Kiel eröffnet wird, gezeigt. Nur scheinbar paradoxerweise erscheint es in dem Vorwurf, die Ausstellung fälle ihrerseits ein Pauschalurteil. Ein Pauschalurteil gegen einen jeden Beckmann, gegen jeden "aus der grauen Zahl", wie Borchert sagt - aber die graue Zahl verliert ihr Grau in den Reaktionen der Einzelnen, die nun tatsächlich als alte Männer die Ausstellung besuchen - oder nur von ihr das hören, was die Zeitung, die sie lesen, ihnen darüber erzählt. Da gibt es die, die anonyme oder pseudonyme Briefe schreiben, aber manchmal auch ganz stolz mit Namen und Rang zeichnen und oft stellvertretend schreiben: "im Namen gefallener Kameraden", "im Namen meiner gefallenen Brüder", "im Namen Deutschlands" - Briefe, in denen noch einmal die Zivilisation zusammenbricht, Briefe, in denen sie sich in Mordphantasien ergehen. Arme Teufel. - Da gibt es die, die die Wichtigkeit der Ausstellung betonen, allerdings mit der mitunter ein wenig ärgerlichen Nebenbemerkung "Warum erst jetzt?", als hätte es das Hamburger Institut für Sozialforschung schon vor 50 Jahren gegeben, und gleich die nächste Ausstellung anmahnen und ein Spezialthema vorschlagen (etwa: Strafaktionen der Wehrmacht gegen kapitulationswillige deutsche Dörfer und Städte). Da gibt es die vielen, die ihre eigene Erfahrung dem, was die Ausstellung zeigt, gegenüberstellen - meist als Korrektur im Detail (es möge zwar das alles, was hier zu sehen sei, stimmen, aber ihre eigene Erfahrung zeichne folgendes Bild - und es folgt eine Geschichte, die zu erzählen sie gekommen sind). Da gibt es den, der irgendeine phantasierte politische Tendenz der Ausstellung anprangert, um dann sogleich klarzustellen: die modische Trennung zwischen SS und Wehrmacht mache er nicht mit - und der nächste beschwört im Gegenteil, dass die Wehrmacht für kein, die SS für alle Verbrechen verantwortlich zu machen sei - und der dritte fügt hinzu, in der Zivilbevölkerung hätten alle von den KZs gewusst, aber die Wehrmachtssoldaten wären nie in Berührung mit irgendwelchen Verbrechen gekommen. Da ist der, der die Ausstellung lobt, aber ihren Titel tadelt, weil er sich durch ihn unter die Verbrecher gezählt fühlt, und er erzählt seine Geschichte und es ist eine sehr traurige Geschichte. Da ist der, der sagt, er habe den Russlandfeldzug vom ersten Tage an mitgemacht, vor Stalingrad sein Bein verloren und sei als einer der letzten aus dem Kessel ausgeflogen worden, er habe die Ausstellung gesehen und müsse sagen, da stimme alles bis aufs i-Tüpfelchen: "Das haben wir gesehen, das haben wir gemacht." Da sind die Angehörigen Gefallener, die, noch einmal, ein halbes Jahrhundert später, die Todesanzeigen in den Druck geben, Hinweis auf die Ausstellung inclusive - wie hat der Anzeigentext 1941, 42, 43, 44, 45 geheißen? "In stolzer Trauer für Führer und Vaterland"? - und heute muss jeder von diesen Gefallenen also nochmal seinen Namen hinhalten. Da ist der Wehrmachtsveteran, der eine Anzeige aufgeben möchte im Angedenken an die Deserteure des Vernichtungskrieges, aber er kann sie nicht bezahlen...- sie alle also wären unterschiedslos Beckmann? Sie alle würden durch die Ausstellung beleidigt? Man sieht, dass die Vielfältigkeit der Haltungen nicht aufgeht im Phantasma der grauen Zahl, das jene gerne beschwören, die im Namen anderer sprechen und Anzeigen aufgeben.
Viele Mitglieder der Kriegsgeneration haben die Ausstellung besucht - mehr, als wir erwartet hatten. Was so lange in den Familien als hundertmal gehörte oder noch öfter verschwiegene Geschichten präsent gewesen war, ist noch lange nicht Geschichte geworden. Die Interviews, die an unterschiedlichen Ausstellungsorten gemacht worden sind, zeigen das ebenso, wie Ruth Beckermanns Film "Jenseits des Krieges" es zeigt. Aber dasselbe gilt auch für die Ausstellungsbesucher der nächsten beiden Generationen. Hatten wir eine Ausstellung gemacht, die über eine Dimension des Krieges im zwanzigsten Jahrhundert hatte informieren wollen, so diente die Ausstellung den Besuchern dazu, das, was der Vater oder Großvater über "den Krieg" erzählt hatte, mit dem zu konfrontieren, was die Bilder dieses Krieges über den Vater und Großvater erzählten. Ziel der Ausstellung war es gewesen, eine Nicht-Fachöffentlichkeit über ein Stück Wirklichkeit des zwanzigsten Jahrhunderts zu informieren - Wirkung der Ausstellung war, dass viele kamen, um sich über den engsten Familienkreis zu informieren: Die Katastrophengeschichte dieses Jahrhunderts ist in einigen Teilen der Welt eben auch Familiengeschichte. Für diejenigen, die etwas über ihre Großväter und Väter erfahren wollten, war die Ausstellung ein Medium, diese aus der grauen Zahl heraustreten zu lassen, ihnen ein Gesicht zu geben - und wenn es ein Gesicht war, das man nicht so gerne ansieht. Da ist der Veteran, der die Namen der Kameraden nennt, die dem Juden den Bart abschneiden und dabei fröhlich in die Kamera sehen. Da ist die Tochter, die ihren verschollenen Vater wiedererkennt - bei einer Hinrichtung, und er lacht. Sie verstehe jetzt, was ihre Mutter meinte, als sie sagte, während des Krieges habe sich der Vater so verändert. Jetzt, vor diesem Foto, wird die lückenhafte Familiengeschichte wirklich eine Geschichte und zur Geschichte. Die Erkenntnis ist schmerzhaft; die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, mag allerdings etwas sein, für das der Erkenntnisschmerz kein zu hoher Preis ist.
So entsteht Geschichte - im Zusammenspiel zwischen den Geschichten der Einzelnen und den großen Geschichten, die alle erzählen. Im Falle der deutschen Wehrmacht haben sich die einzelnen Geschichten der großen, allgemein erzählten Geschichte unterordnen müssen. Müssen und wollen. Die Vorstellung von der grauen Zahl fördert die Erkenntnis nicht. Wie trübes Glas schiebt sie sich zwischen Auge und Realität. Darum war sie lange so erfolgreich. Besser gesagt: Darum wurde sie so erfolgreich. - Gehen wir zurück in die Jahre unmittelbar nach dem Krieg. Manches war da der Erkenntnis und dem Geständnis näher als heute. Hans-Jochen Vogel hat in Marburg bei der dortigen Ausstellungseröffnung aus Adenauers Brief vom 23.2.1946 an einen katholischen Geistlichen bereits zitiert: "Das deutsche Volk (...) hat sich fast widerstandslos, ja zum Teil mit Begeisterung gleichschalten lassen. Darin liegt seine Schuld. Im Übrigen hat man aber auch gewusst (...) dass die Gestapo, unsere SS und zum Teil auch unsere Truppen in Polen und Russland mit beispiellosen Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung vorgingen. (...) Man kann also wirklich nicht behaupten, dass die Öffentlichkeit nicht gewusst habe, dass die nationalsozialistische Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz gegen das Naturrecht, gegen die Haager Konvention und gegen die einfachsten Gebote der Menschlichkeit verstießen."
Wie kam es denn zu der Legende von der "sauberen Wehrmacht", dieser so langlebigen Legende, die es 1995 ja immer noch gab, wie man den Schlagzeilen der Presse entnehmen konnte, als die Ausstellung in Hamburg eröffnet worden war, ohne dass das Institut selber dabei diese Behauptung aufgestellt hatte? Es kommen da einige Faktoren zusammen. Einmal wurde im Laufe der Jahre und Jahrzehnte der Umstand, dass das Oberkommando der Wehrmacht und der Generalstab aus formalen Gründen in Nürnberg nicht en bloc angeklagt worden war (das Gericht rügt in dem zitierten Statement Versäumnisse hei der Konstruktion des Verfahrens), in der öffentlichen Legende als Freispruch gehandelt. Das ist zwar absurd, aber diese Darstellung geistert immer noch durch manche Presseberichte und viele Briefe. Zweitens kann man erkennen, dass es eine Art Scheu gab, im Nürnberger Hauptverfahren den Holocaust zu thematisieren. Weder die Anklage noch die Richter erfassen das Ausmaß dieses Verbrechens wirklich. Dies ändert sich im Laufe der Jahre, der entscheidende Impuls ist dabei der Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Mit der Figur Eichmanns - und durch die anschließenden Auschwitz-Prozesse in der Bundesrepublik - geriet die Realität der Vernichtungslager in den Blick und vor ihrer Monstrosität schien alles andere zu verschwinden. Tatsächlich aber sieht, wer nur die Lager sieht, und nicht die gewissermaßen konventionellere Form des Massenmords durch Erschießen, Verbrennen und Hängen durch SS, Polizei und Wehrmacht, nur einen Teil des Verbrechens. Das Extrem der Vernichtungslager machte unsichtbar, was man dann allgemein unter "Krieg schlechthin" und den Grausamkeiten, die jeder Krieg eben mit sich bringe, abtat, wenn doch einmal jemand auf diesen Teil des Verbrechens hinwies. Das Ergebnis war bequem. Die Lager waren weit draußen, die Wachmannschaften wenige - hier konnte man von Schuld sprechen und doch von etwas Abstraktem, mit dem man nichts zu tun hatte. Man selbst hatte nur mit "dem Krieg" zu tun gehabt, und da konnte man sich über alle politischen Lager hinweg schnell einigen: Der Krieg macht alle irgendwie gleichermaßen zu Opfern. Es gibt, gewiss, die Kriegsschuld - aber die liegt bei den Politikern, und wenn er dann erstmal losgelassen ist, der Krieg, dann gibt es nur noch die graue Zahl.
Das Phantasma von der grauen Zahl der Eingezogenen, der unterschiedslos Missbrauchten und allenfalls Verführten, der Beckmanns, derer, die, wie es anderswo bei Borchert heißt, das eigene Schießen nicht mehr hören, nur das Schießen der anderen, der unterschiedslos Schuldlosen, war nicht nur ein nützliches Stück politischer Rhetorik, die eine ungefragte Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr stiften wollte - es war ein langer Weg zum gegenwärtigen Traditionserlass und seiner Fassung oder Interpretation vom Ende des Jahres 1995 durch den damaligen Bundesminister der Verteidigung Volker Rühe (ein halbes Jahr nach der Eröffnung der Ausstellung "Vernichtungskrieg" im Frühjahr), derzufolge allein der militärische Widerstand als traditionsbildend gelten dürfe -, es war dieses Phantasma auch das Credo des deutsch-deutschen Pazifismus: "Soldat, Soldat in grauer Norm, Soldat, Soldat in Uniform, Soldat, Soldat, ich finde nicht, Soldat, Soldat, dein Angesicht." So transportierte sich im pazifistischen Affekt, der doch eine Reaktion auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs war, eine Denk- und Wahrnehmungsfigur, die an die Stelle der kurz nach 1945 durchaus vorhandenen Tatsacheneinsichten getreten war. Erst jetzt, so muss man wohl die Wirkung und die Aufregung um die Ausstellung verstehen, bekommen die Soldaten ein Angesicht und heißen nicht mehr alle nur Beckmann.
So war es denn auch gar nicht verblüffend, dass die erste Kritik an der Ausstellung gar nicht von konservativer oder "rechter" Seite kam, sondern von "links" (wenn man die in diesem Zusammenhang besonders hilflosen Kennzeichnungen verwenden will): Die Ausstellung verharmlose den Krieg an sich, da sie vergessen mache, dass nicht nur der Krieg an den Schauplätzen, die sie dokumentiert, sondern der Krieg generell ein "Vernichtungskrieg" sei. Dieser Affekt gegen die Differenzierung passt perfekt zu dem Vorwurf, die Ausstellung verunglimpfe eine ganze Generation: Kriege seien nun einmal so, und jeder Krieg bringe Schreckliches mit sich. Oft vermischen sich in solchen Texten die Argumente: Sie werfen der Ausstellung gleichermaßen Pauschalisierung wie zu starke Differenzierung vor. Das geht dann etwa so: 1. Niemand wird bestreiten, dass in diesem Kriege auch Verbrechen von deutscher Seite begangen worden sind. 2. Nicht alle deutschen Soldaten haben Verbrechen begangen. 3. Und bei denen, die Verbrechen begangen haben, muss daran erinnert werden, dass es in jedem Kriege Verbrechen gibt. Aus diesen ebenso richtigen wie banalen Prämissen wird ein krauser Schluss gezogen: Also sei es unsinnig, hier groß differenzieren zu wollen, denn wer das tun wolle, zeige doch nur, dass er nicht wisse, was Krieg sei. Wer aber dennoch über die deutschen Verbrechen reden wolle, der wolle alle deutschen Soldaten zu Verbrechern stempeln. Also fälle die Ausstellung ein Pauschalurteil über eine ganze Generation von Kriegsteilnehmern. - So wird aus dem Vorwurf, wir differenzierten zu sehr, der Vorwurf, wir fällten ein Pauschalurteil über jeden aus der grauen Zahl.
Es musste wohl so kommen. Worum es uns bei der Konzeption der Ausstellung unter anderem gegangen war, war zu zeigen, dass es "den Krieg" nicht gibt. Es gibt Kriege, unterschiedliche, zu unterschiedlichen Zwecken, mit unterschiedlichen Mitteln geführte. Wer das sagt, macht nicht vergessen, welche Schrecken ein jeder Krieg bedeutet. Wer aber, aus was für Gründen auch immer, sich in die Abstraktion "der Krieg" flüchtet, der macht vergessen, dass es nicht nur die politische Verantwortung für den Beginn des Krieges gibt, sondern dass Menschen auch im Krieg Verantwortung tragen - von den Politikern, von der Generalität bis zum einfachen Soldaten: dafür, dass er weitergeführt wird und nicht beendet, dafür, wie er weitergeführt wird, dafür, welche Schlachten in ihm geschlagen werden, dafür, wie Kriegsgefangene behandelt werden, dafür wie Zivilisten behandelt werden, dafür, ob geplündert, vergewaltigt, niedergebrannt wird (oder nicht). Es ist in Kriegen wie in jedem anderen Bereich menschlichen Lebens auch: Es gibt kaum Bereiche, in denen Menschen keine Entscheidungen fällen, in denen sie keine Verantwortung tragen. In unterschiedlichem Grade, gewiss, der Bereich der Freiheit eines Menschen kann extrem eingeschränkt sein, aber er ist kaum je gleich Null, und darum ist auch der Bereich der individuellen Verantwortung nie gleich Null. Wer einem Befehl folgt, handelt nicht wie eine Maschine. Wer einem Befehl folgt, hat sich entschieden, einem Befehl zu folgen, auch wenn ihm das im Moment nicht bewusst ist und er sich fühlt wie eine Maschine. Sicherlich werden wir einen Menschen, der einem verbrecherischen Befehl Folge leistet, anders beurteilen als denjenigen, der das Verbrechen aus eigenem Anstoß begeht, aber wir können nicht sagen, dass der erstere keine Verantwortung für sein Handeln trage, weil er einem Befehl gehorcht habe. Die Vorstellung vom Krieg als gleichsam einzig handelndem Subjekt und die von der grauen Zahl, in der keine Einzelnen mehr zu erkennen sind, macht uns dieses vergessen. Und das heißt, dass beide uns vergessen machen, was Moral ist. Wenn ich über moralische Fragen rede, rede ich nämlich auch nicht über Abstrakta, sondern über das freie und verantwortliche Handeln konkreter Individuen. Darüber, was Menschen getan haben oder darüber, was Menschen in bestimmen Situationen, die wir uns vorstellen, tun sollten.
Hier kann man nun in Diskussionen über die Fragen, die so eine Ausstellung wie die, die wir heute eröffnen, aufwirft, sehen, in welcher Weise die Fähigkeit zum Raisonnieren über moralische Probleme bis heute ramponiert ist. Zunächst bekommt man oft zu hören, man werfe sich zum Richter auf - mit welchem Recht? Diese Vorhaltung verwechselt die Bereitstellung von Tatsachenmaterial, das es auch erlaubt, moralische Urteile zu fällen, mit dem Wunsch, andere moralisch zu verurteilen und sich über sie zu erheben. Nähme man sie ernst, hätte das erstens zur Konsequenz, Geschichtsschreibung immer dort abzubrechen, wo das Handeln von Individuen in den Blick kommt, und zweitens Reden über moralische Fragen generell mit einem Tabu zu belegen. Die scheinmoralische Attitüde desjenigen, der sagt, er wolle nicht urteilen, weil er sich nicht über andere erheben wolle, bedeutet nur, dass für ihn die Fragen nach richtig und falsch und Recht und Unrecht überhaupt keine Rolle mehr spielen.
Der zweite Anwurf lautet: Wenn der eine das nicht getan hätte, hätte es ein anderer getan. Nur: in moralischen Fragen geht es zunächst darum, was ich tue oder unterlasse. In meinem Handeln bestimme ich, wer ich den Rest meines Lebens sein werde: im Extremfall ein Mörder. Und das hat überhaupt nichts damit zu tun, was irgendein anderer mit seinem Leben tut. Gewiss rettet nicht der schon ein Leben, der für sich entscheidet, nicht töten zu wollen. Aber aus diesem Grund den Entschluss, kein Mörder sein zu wollen, abzuwerten, ist ungeheuerlich. Wer unterhalb der Schwelle selbstmörderischen Widerstandes nichts mehr wahrnehmen kann, leidet an einer Wahrnehmungsstörung und ist kognitiv wie moralisch nicht mehr zurechnungsfähig. Es ist die bequemste Ausrede: da man von keinem Menschen verlangen könne, ein Held zu sein, sei unterhalb des Heldentums alles erlaubt. Man bedenke, was Hannah Arendt in ihrer Laudatio auf Karl Jaspers zu sagen hatte, der kein Widerstandskämpfer war, kein Held im Sinne eines, der sein Leben aufs Spiel setzt, um die Verhältnisse zu ändern, und doch: "Seine Unantastbarkeit, das heißt nicht die selbstverständliche Tatsache, dass er inmitten der Katastrophe fest blieb, sondern - was viel weniger selbstverständlich war - dass all dies für ihn niemals auch nur zu einer Versuchung werden konnte, besagt für diejenigen, die von ihm wussten, viel mehr noch als Widerstand und Heldentum: Es besagte ein Vertrauen, das keinerlei Bestätigung bedurfte, ein Zutrauen, dass in einer Zeit, in der alles möglich war, eines eben doch unmöglich blieb." Wie bedeutsam diese Worte sind, mag man aus dem Umstand ermessen, dass in der Dichotomie zwischen Mitmachen und Heldentum des Widerstands kein Ort für diese dritte Kategorie ist, und dass immer noch wütend reagiert wird, wenn man in der ersten und zweiten Gruppe Differenzierungen vornimmt: in der ersten Unterschiede erkennen möchte zwischen begeistertem und apathischem Konsens, in der zweiten zwischen denen, die das Regime bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gestützt haben und in seine Verbrechen involviert waren - und anderen. Die Feststellung, dass Stauffenberg bis zu einem gewissen Zeitpunkt ein begeisterter Anhänger des NS-Regimes war, beschädigt sein Heldentum nicht, aber dass Nebe zu den Hingerichteten des 20. Juli gehörte, ändert auch nichts daran, dass er ein Massenmörder war. Was Arendts Bemerkung über Jaspers so bedeutsam macht, ist, dass es sowohl unter denen aus der grauen Zahl als auch unter den Helden des Widerstands einige wohl, aber doch zu wenige gegeben hat, für die "all dies niemals auch nur zu einer Versuchung werden konnte".
Drittens wird einem vorgehalten, das sei im Zweifelsfall alles Ansichtssache. Ob jemand historische Tatsachen dokumentiert, oder ob einer seine Phantasien und intellektuellen Ausfälle zu Papier bringt (etwa: die Verbrechen der deutschen Wehrmacht waren erst möglich geworden, nachdem der erbitterte Widerstand ihrer Generäle gebrochen worden sei und nach etlichen Demissionen und Selbstmorden), ist gleichgültig. Aus der Tatsache, dass jeder im Rahmen gewisser gesetzlicher Regeln alles drucken lassen kann, was er mag, schließen manche, dass es also auch völlig egal sei, was einer schreibt. Und nicht nur das: Weil es Meinungsfreiheit gibt, ist die Frage, ob denn stimme, was einer als Behauptung in die Welt setzt, nicht mehr erlaubt. Wo aber Tatsachenbehauptungen beliebig werden, kann auch nicht mehr moralisch geurteilt werden, weil gar nicht mehr möglich ist, sich überhaupt darüber zu einigem, was passiert ist. Dies sind die drei Grundsätze des moralischen Analphabetismus: Erstens: wir wollen nicht verurteilen und darum müssen wir uns die Möglichkeit, überhaupt zu urteilen, verstellen; zweitens: auf mein eigenes Handeln kommt es nicht an; und wo ich nicht alles zum Besten wenden kann, darf ich mich an allem beteiligen; und drittens die Verwechslung von Tatsachen und Meinungen. Der moralische Analphabetismus ist weiter verbreitet, als man fürchten sollte, und es gibt erstaunlich viele, die sich ihm geradezu lustvoll überlassen. Es ist eine masochistische Lust, denn es handelt sich um eine intellektuelle wie emotionelle Selbstverstümmelung im Dienste der Wirklichkeitsvermeidung.
Die Kehrseite der pathologischen Angst vor Differenzierung ist das Unrecht, das den Deserteuren der Wehrmacht bis vor Kurzem widerfahren ist und das noch immer nicht bereinigt ist. Der immer wieder erhobene Einwand ist, man wisse ja nicht, aus welchen Gründen ein Deserteur jeweils desertiert sei. Wer so spricht, dokumentiert seinen Analphabetismus. Wer eine verbrecherische Organisation - nota bene: eine Organisation, die befehlsgemäß und systematisch Verbrechen begeht, nicht eine, die aus Verbrechern besteht! - verlässt, ist immer moralisch gerechtfertigt. Damit ist nun wieder nicht gesagt, nur der sei kein Verbrecher gewesen oder nur der habe ehrenvoll gehandelt, der desertiert sei. So ein Urteil stünde niemandem zu. Hartmut von Hentig hat in einem TV-Interview gesagt, der Gedanke an Desertion sei ihm nie gekommen, für ihn sei es immer selbstverständlich gewesen, das Schicksal seiner Kameraden zu teilen. Was ihn aber nachträglich irritiere, sei, dass es sich hier um keinen bewussten Entschluss gehandelt habe. Er sei gar nicht auf die Idee gekommen, dass er auch anders hätte handeln können. Das beunruhige ihn. Fragen dieser Art sind es, die sich zu untersuchen und zu diskutieren lohnt, aber um das möglich werden zu lassen, muss man Tatsachen zur Kenntnis nehmen und das Spektrum tatsächlichen und möglichen menschlichen Handelns angesichts solcher Tatsachen. Aus diesem Grunde finden Sie in dieser Ausstellung die Geschichte der Kinder von Bejala Zerkow. Sie zeigt, was man hätte tun können, und was nicht getan worden ist. Beides müssen Sie zur Kenntnis nehmen. Sie verstehen das eine nicht ohne das andere. Und das andere nicht ohne das eine.
Sicher konnten nicht alle Soldaten erkennen, dass dieser Krieg sich von anderen Kriegen unterschied, dass er ein von vornherein verbrecherischer Krieg war, der nicht einmal mehr etwas mit den klassischen (und traditionell fragwürdigen) Kriegszielen zu tun hatte, mit denen Soldaten normalerweise motiviert werden, zu töten und sich dem Risiko auszusetzen, getötet zu werden. Einige konnten das, weil sie mit bestimmten Entscheidungen ihrer Befehlshaber konfrontiert wurden und ihr moralisches Urteilsvermögen intakt geblieben war. Einige konnten das nicht, weil sie nicht überblicken konnten, was dem zuzurechnen war, was sie für konventionelle militärische Notwendigkeit hielten und was dem Kriegsziel der Vernichtung diente. Für einige schließlich spielte diese Frage keine Rolle, weil sie die Ziele des Regimes und der Militärführung erkannten und billigten. Von denen aber, die zurückgekehrt waren aus dem Vernichtungskrieg, konnten es alle. Viele wollten es nicht. Sie verkrochen sich in der Dumpfheit der Stammtischerinnerung oder der öffentlichen Rhetorik, dem Borchert-Phantasma von der grauen Zahl.
Von denen, die nicht wollten und denen, die, wiewohl ohne eigenes biographisches Motiv, ihnen gefolgt sind, haben sich einige zu Wort gemeldet. Einige ano- oder pseudonym, einige lautstark und so unbekümmert, wie es nur die Dummheit erlaubt. Es lässt sich empfinden, dass hier nicht nur Wut über die am Ende so wenig erfolgreich unterdrückte Wahrheit zum Ausdruck kommt, sondern vor allem Verstörung über die Zumutung, differenzieren zu müssen, die sich in bösartigem Agieren Ausdruck zu verschaffen sucht. Diese Verstörung führt ihrerseits zum Zusammenbruch des restlichen Differenzierungsvermögens. Es findet eine erstaunliche innerliche Gleichschaltung der auf diese Weise Agierenden statt. Die Briefe lesen sich, als wären sie voneinander kopiert, gleichgültig welchen sozialen oder Bildungshintergrund der Schreibende hat. Ob da einer auf seine Offizierstitel stolz ist, die er alle nochmal über die Unterschrift setzt, um dem Nichtgedienten Bescheid zu geben, wer hier der Fachmann ist, oder ob er nur als "D. Rächer" zeichnet - der Rest ist, was Stil, Grammatik, Stereotypie der Argumentation, Metaphernlage angeht, austauschbar. Die Angst vor den Zumutungen der Differenzierung, die Verstörung durch das Fehlen jenes, wie Arendt sagt, "politischsten unter den geistigen Vermögen", der Urteilskraft, sprich: der "Fähigkeit, Besonderheiten zu beurteilen", macht alle, die von ihr über ein bestimmtes Maß hinaus mitgenommen sind, in einer großen wechselseitigen Identifizierungsleistung zum gleichförmigen Mob.
Mit den Konvulsionen des Mobs hat man zu rechnen, wo immer man in Fragen der Politik und der Moral zu sehr differenziert. Sich darüber aufzuregen, wäre weltfremd. Etwas anderes aber ist, wenn der Mob Protektion durch die offizielle Politik erhält. Wenn etwa die Agitation eines Münchner Politikers einen der größten rechtsradikalen Aufmärsche der letzten Jahre zur - gewollten oder nicht gewollten - Folge hat; wenn eine Frankfurter Politikerin, die noch frische Erinnerung an ein an meiner Familie und mir begangenes Verbrechen nutzend, in den Jargon einer Schutzgelderpresserin verfällt; wenn Folgendes sich ereignet: Im April vergangen Jahres habe ich an Herrn Peter Kurt Würzbach, den Landesvorsitzenden der CDU Schleswig-Holsteins, diesen Brief geschrieben:
"Sehr geehrter Herr Würzbach, erlauben Sie mir, Ihre Aufmerksamkeit auf einen Vorgang zu lenken, der Ihnen als Vorsitzendem der Christlich Demokratischen Union Schleswig-Holsteins nicht gleichgültig sein kann, wie ich meine. In der Anlage finden Sie einen Brief, der von Mitgliedern Ihrer Partei unterzeichnet worden ist und, wie der Presse zu entnehmen ist (ich sage das mit diesem Vorbehalt), von der CDU in Henstedt-Ulzburg als Briefdrucksache versandt worden ist. Gleichgültig ob die Verteilung dieses Briefes sich der logistischen Unterstützung der lokalen CDU bedienen konnte oder ob die Unterzeichner Adressensammlung und -verschriftung, Frankieren und Einwerfen der Briefe in Heimarbeit durchgeführt haben - der Brief ist als Brief nicht einer beliebigen Ansammlung von Bürgern von zufällig ähnlichen Ansichten, sondern von Mitgliedern der CDU, die sich mit diesem Brief politisch artikulieren wollen, versandt worden. Sie werden nicht annehmen, dass ich es für ein Problem halte, wenn irgend jemand, welcher politischen Richtung auch immer, deutlich macht, dass er ein vom Hamburger Institut für Sozialforschung der Öffentlichkeit übergebenes Forschungsergebnis oder irgendeine sonstige Stellungnahme des Instituts zu historischen, sozialen oder politischen Realitäten nicht mag. Sie werden ebensowenig annehmen, dass ich voraussetze, dass man meine persönlichen Ansichten teilt oder schätzt. In dem Brief, den Ihre Parteifreunde verteilt haben, handelt es sich aber nicht um Kritik, mit der sich auseinanderzusetzen möglich wäre, sondern um eine verleumderische, beleidigende Hetzschrift, die nicht nur absurde Behauptungen über das von mir geleitete Hamburger Institut für Sozialforschung und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter enthält, sondern auch noch Lügen über meinen Vater verbreitet - ein besonders pikanter Umstand bei einer Gruppe von Leuten, die von sich behaupten, sie würden sich gegen eine Ausstellung zur Wehr setzen, die »verlogene und verfälschte Darstellungen« enthalte. Die Unterzeichner diffamieren mit ihrem Brief nicht nur das Hamburger Institut für Sozialforschung, mich und meine Familie, sie diffamieren auch alle diejenigen, die sich seit 1995 für die Ausstellung eingesetzt haben und als Eröffnungsredner und -rednerinnen aufgetreten sind - Politiker der CDU (Michel Friedman), der SPD (Hans-Jochen Vogel) wie der FDP (Ignatz Bubis), die Verfassungsrichterin Jutta Limbach, den Brigadegeneral a.D. Winfried Vogel, den Adjutanten des österreichischen Bundespräsidenten Hubertus Trautenberg, den Präsidenten des Bundesarchivs Friedrich P. Kahlenberg, den Bischof der evangelischen Kirchenprovinz Sachsen Christoph Demke, den ehemaligen polnischen Außenminister Wladislaw Bartoszewski, den Präsidenten des österreichischen Nationalrates Heinz Fischer und etliche mehr. Aber nicht nur der Umstand, dass Mitglieder Ihrer Partei zu Wahlkampfzwecken sich solcher Mittel bedienen, bestürzt, sondern dass der Text von Brief und beigelegtem Text in Duktus, Wortwahl sowie der Art der mit ihnen verbreiteten Lügen und Desinformationen neonazistischem Propagandamaterial folgt, das die Mitglieder ihrer Partei augenscheinlich als einziges Informationsmaterial zu Rate gezogen haben und das für sie verlässliche Quelle und wesentliche Bezugsgröße für ihr politisches Weltbild zu sein scheint.
Die Führung einer politischen Partei ist nicht für alles verantwortlich, was ihre Mitglieder tun, aber eine Partei muss deutlich machen, welches Verhalten ihrer Mitglieder sie insgesamt mitzutragen oder gutzuheißen willens ist - oder wo sie die Grenze ziehen will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Ihnen gleichgültig ist, wenn Mitglieder Ihrer Partei Wahlkampfmethoden verwenden, die die CDU in die Nähe neonazistischer Organisationen rücken, ebensowenig wie es Ihnen gleichgültig sein wird, wenn Mitglieder ihrer Partei ein angesehenes wissenschaftliches Institut und einen Bürger eines benachbarten Bundeslandes in dieser Weise angreifen."
Die Antwort: "Sehr geehrter Herr Professor Reemtsma! Die von Ihrem Institut präsentierte sogenannte »Wehrmachtsausstellung« hat bei vielen ehemaligen Soldaten und deren Familien, aber nicht nur bei diesen, tiefe Entrüstung hervorgerufen. Sie wird als undifferenziert und in Teilen als unwahrhaftig angesehen. Ich bedaure, wenn im Zuge dieser Empfindungen Emotionen hervorgerufen werden, die nun auch von Ihnen als verletzend empfunden werden. Umso wichtiger ist es, die Diskussion um die Ausstellung und die Rolle der Wehrmacht im 2. Weltkrieg in geeigneter Weise und am richtigen Ort zu führen. Das Landeshaus kann dafür nicht in Betracht kommen. Unter dem Dach unserer Volksvertretung können undifferenzierte, wenn nicht gar einseitige Betrachtungsweisen nur Streit und Verletzungen hervorrufen. Sehr wünschte ich mir, dass Sie Ihren persönlichen Einfluss geltend machen und dem Herrn Landtagspräsidenten einen entsprechenden Vorschlag machen. Ich bin sicher, dass auch scharfe Kritiker der Ausstellung das honorieren. Versöhnen statt spalten - dies Bestreben muss für alle gelten. Dafür ist das Thema und seine wahrhaftige Behandlung zu wichtig. (...)"
Meine Antwort: "Sehr geehrter Herr Würzbach, ich bestätige den Eingang Ihres Schreibens vom 30. April. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie, als ich Sie auf die Tatsache hingewiesen habe, dass Mitglieder Ihrer Partei und Ihres Landesverbandes zu Wahlkampfzwecken eine verleumderische und beleidigende Hetzschrift verfasst haben, die nicht nur absurde Behauptungen über das von mir geleitete Hamburger Institut für Sozialforschung und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie über meine eigene Biographie enthält, sondern auch noch Lügen über meinen Vater verbreitet - eine Hetzschrift schließlich, die in Duktus, Wortwahl sowie in den in ihr verbreiteten Lügen und Desinformationen neonazistischem Propagandamaterial folgt" (die Quelle ist inzwischen gesichert: die Henstedt-Ulzburger CDU-Mitglieder folg- ten der Vorlage eines bekennenden Nationalsozialisten) "folgendes zu antworten gewusst haben: »Die von Ihrem Institut präsentierte sogenannte 'Wehrmachtsausstellung' hat bei vielen ehemaligen Soldaten und ihren Familien, aber nicht nur bei diesen, tiefe Entrüstung hervorgerufen. Sie wird als undifferenziert und in Teilen als unwahrhaftig angesehen. Ich bedauere, wenn im Zuge dieser Empfindungen Emotionen hervorgerufen werden, die nun auch von Ihnen als verletzend empfunden werden.«
Ich nehme diese Äußerung, mit der Sie, wiewohl Sie selber weder zur Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung etwas zu sagen haben noch zu wissen scheinen, wie sie überhaupt heißt, wohl andeuten wollen, auf einen groben Klotz passe ein grober Keil, und damit volles Verständnis für neonazistische Umtriebe in Ihrem Landesverband zeigen, sowie mir nahelegen, gegenüber dem Präsidenten des Landtages von Schleswig-Holstein vertragsuntreu zu werden, um mir künftig Angriffe wie den in Frage stehenden zu ersparen, zur Kenntnis und als interessantes Dokument der jüngeren Geschichte der Christlich Demokratischen Union Deutschlands zu den Akten."
Jan Philipp Reemtsma
Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).