(Gegenwind 125, Februar 1999)
Die Ausstellung Vernichtungskrieg. Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 ist wie erwartet auf ein überwältigendes Echo gestoßen. Seit sie am 7. Januar im Kieler Landeshaus eröffnet wurde, zieht sie nicht nur Scharen von BesucherInnen an. Auch ihre Gegner, die seit der Kommunalwahl im Frühjahr 1998 gegen die Ausstellung hetzen, verstärken ihre Angriffe noch einmal.
Dass die Ausstellungsgegner nicht nur argumentieren, sondern vermehrt diffamieren und beleidigen, soll hier nicht beklagt werden - ich will mit diesem Artikel versuchen, die verschiedenen politischen Richtungen, die diese Angriffe führen, ein wenig zu sortieren.
Frühzeitig hatte die CDU sich zu Wort gemeldet. Während des Kommunalwahlkampfes verschickte ihre Ortsgruppe in Henstedt-Ulzburg einen Brief an alle Seniorlnnen im Ort, in dem die Autoren der Ausstellung persönlich diffamiert wurden. Zwar gelang es schnell, den Christdemokraten die Wiederholung dieser Beleidigungen gerichtlich untersagen zu lassen - interessanter war jedoch ihre Quelle. Ein bekennender Nationalsozialist aus Hamburg, Hennecke Kardel, war Lieferant der "Informationen", Reemtsmas Vater wäre SS-General gewesen und ähnlicher Unsinn mehr. Jan Philipp Reemtsma beließ es nicht dabei, die Wiederholung der Beleidigungen gerichtlich verbieten zu lassen, sondern fragte auch beim CDU-Landesvorsitzenden an, ob diese nachgewiesene Zusammenarbeit von Christdemokraten und Nationalsozialisten 1998 in Schleswig-Holstein denn Konsequenzen gehabt hätte. Die unverschämte Antwort von Würzbach, Reemtsma habe sich die Angriffe auf sein Institut, seine Familie und seine eigene Person selbst zuzuschreiben, da er ja für die Ausstellung verantwortlich sei, veröffentlichte der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung dann während seiner Eröffnungsansprache im Kieler Landeshaus (vgl. die Dokumentation der Rede in diesem Heft). Das Flensburger Tageblatt kommentierte das so: "Ein Schreiben, das noch nicht einmal vom CDU-Ortsverband, sondern von wenigen Parteimitgliedern und Parteilosen unterzeichnet ist, wird so zur geballten Ladung gegen den Landeschef der Union. Ausgerechnet während der Ausstellungseröffnung ließ Reemtsma sie hochgehen, indem er seinen Briefwechsel mit Würzbach in dieser Sache Wort für Wort vorlas. Eine Demontage des CDU-Vorsitzenden, der als großer Abwesender nicht mehr reagieren konnte. Beklagen darf er sich nicht darüber, dass ihm diese Ladung um die Ohren geflogen ist. Er selbst hat sie erst scharf gemacht." (Flensburger Tageblatt, 9. Januar 1998).
Ende November hatte die Junge Union in Leezen (ebenfalls Kreis Segeberg) wenig Berührungsängste nach ganz rechts gezeigt: Während Dr. Michael von Abercron vom Wirtschaftsrat der CDU aus Kiel die Ausstellung als "wissenschaftlich totalen Misserfolg" bezeichnete und das Hamburger Institut beschuldigte, gefälschtes Material aus sowjetischen Archiven verwendet zu haben, zog der zweite Referent, Ex-General Reinhard Uhle-Wettler von der "Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft" richtig vom Leder. Bei der Ausstellung handele es sich um eine "Offensive gegen die Identität unseres Volkes", eine "Schandausstellung", die von der "Machtübernahme der 68er-Revoluzzer" in Deutschland ablenken solle. Und diesen hier herrschenden 68er-Revoluzzern ginge es um "Charakterwäsche bis zum Genozid", der "Macht über Seelen und Gehirne". Anschließend stellte er einen Haufen brauner Literatur vor und empfahl die Lektüre des "Ostpreußenblattes" und der "Jungen Freiheit". Von den 20 Anwesenden, im wesentlichen aus der Jungen Union, widersprach niemand (vgl. Segeberger Zeitung, 30. November 1998).
Die Präsentation des "Fachartikels" des Historikers Gerhard Stoltenberg (Ministerpräsident a.D., Verteidigungsminister a.D.) Anfang Dezember in Kiel, den der Gegenwind vollständig dokumentierte (Nr. 124, Seite 36), hatte ebenfalls ein gerichtliches Nachspiel: Hannes Heer vom Hamburger Institut wehrte sich dagegen, als "Lügner und Fälscher" bezeichnet zu werden. Bei dieser Behauptung hatte Stoltenberg sich auf die Berichterstattung des Münchener Magazins Focus berufen, das Anfang 1998 schrieb, ein Foto der Ausstellung sei mit einer frei erfundenen Bildunterschrift präsentiert worden; das Original bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg "ist dort ohne jeden Hinweis archiviert. (...) Heer ... lügt und fälscht..." (Focus 11/98, 9. März 1998). In der Zentralstelle findet sich zum Foto der Text: "Nach Aushebung eines Massengrabes durch die Juden müssen diese sich nackt ausziehen und werden in die Grube getrieben. Darunter befinden sich Kinder, erstes Bild rechts. Angehörige der einheimischen Selbstschutzverbände (vermutlich Letten) sind an den Erschießungen beteiligt. Tatort und -zeit: Vermutlich Lettland, Sommer 1941." Daraus wurde in der Ausstellung: "Juden werden exekutiert". Gegen Focus konnte das Institut in mehreren Gerichtsinstanzen eine Gegendarstellung und ein Verbot der Wiederholung der unberechtigten Vorwürfe durchsetzen, deshalb war das Verfahren gegen Stoltenberg auch relativ einfach mit Urteil am 21. Dezember 1998 zu gewinnen. In der zur Ausstellung erschienenen CDU-Broschüre mit dem Stoltenberg-Papier fehlt der Absatz jetzt.
Von der "Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft" (SWG) war schon die Rede. Ihr Vorsitzender, Ex-General Uhle-Wettler aus Timmendorfer Strand, wurde am 7. Januar zur Landespressekonferenz (LPK) eingeladen. Diese Einladung, vom Redakteur der Kieler Nachrichten Peter Höver ausgesprochen, führte innerhalb des Vorstandes der LPK zu scharfen Auseinandersetzungen: Peter Höver hatte nur eine Urlaubsvertretung für das Vorstandsmitglied Kersten Kampe über Silvester übernommen, und es ist mehr als ungewöhnlich, eine solche Urlaubsvertretung zu einer solchen Kompetenzanmaßung zu missbrauchen.
Auch auf dieser Pressekonferenz nahm der SWG-Vorsitzende kein Blatt vor den Mund, stellte die Broschüre seines Vereins zur "Reemtsma-Ausstellung" vor. In dieser Broschüre wird ebenfalls die Methode angewandt, der Ausstellung erst den (erfundenen) Vorwurf zu machen, sie stempele pauschal alle deutschen Soldaten zu Verbrechern, um dann diesen "Vorwurf" zu entkräften. Ansonsten werden sowjetische Partisanen beschuldigt, in deutschen Uniformen Verbrechen begangen zu haben, Bilder aus der Ausstellung werden als "Fälschungen entlarvt" etc. Die Schlussfolgerung lautet letztlich, alle Kriege seien grausam, und das - aber nur das - solle auch nicht abgestritten werden. Der Regionalbeauftragte der SWG für Schleswig-Holstein, Hans-Joachim von Leesen (früher Funktionär des "Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes"), schließt daraus in seinem Vorwort, der deutsche Krieg gegen die Sowjetunion sei eben ein Krieg wie jeder Krieg gewesen und nennt als Parallele die Kriege in Vietnam, Algerien, rund um Israel, Nigeria, Jugoslawien oder am Golf.
Die SWG selbst wurde 1962 gegründet und ist erst seit eineinhalb Jahren in Schleswig-Holstein aktiv. Sie widmet sich der "konservativen Bildungsarbeit" und bildet eine Sammlungsbewegung, die weite Teile des rechten bis rechtsextremen Spektrums erfasst, darunter auch rechte CDU- und CSU-Politiker; unter den SWG-Mitgliedern fanden sich von Anfang an viele, die in der Nazi-Zeit eine aktive Rolle in NSDAP und SS gespielt hatten; oder auch Schleswig-Holsteiner wie Emil Schlee ("Bund der Mitteldeutschen", von der CDU zur den "Republikanern" gewechselt, dort Ende der achtziger Jahre Landesvorsitzender und stellvertretender Bundesvorsitzender).
Ständiges Thema von Veranstaltungen und Publikationen ist "Deutschland als Opfer" - im Zweiten Weltkrieg wurde Deutschland Opfer von "alliiertem Bombenterror", vom "größten Kunstraub der Geschichte", Hauptthema sind natürlich die "Vertriebenen" und der deutsche Osten. Die SWG steht dem "Ostpreußenblatt" nahe, in dem eine Woche vor Beginn der Ausstellung in Kiel auch kräftig gegen das Begleitprogramm gewettert wurde. "Kieler Landtagspräsident paktiert mit Linksextremisten", heißt es da, und weiter: "In der Zeitschrift »Der Landtag« wird auch Werbung gemacht für einen Fotowettbewerb, den eine »Redaktion Gegenwind« ausschreibt. Es sollen Bilder von Gedenksteinen und Ehrenmalen gesucht werden, die an Soldaten des Zweiten Weltkrieges erinnern. Vermutlich sollen die Sympathisanten angeregt werden, so mit ihnen zu verfahren, wie Linke es gern mit deutschen Soldatendenkmälern tun. »Gegenwind« ist seit längerem ein Informations- und Organisationsmittel der äußersten Linken. Seit einiger Zeit ist seine Redaktion mit der einer weiteren linksextremen Zeitschrift namens »Enough is enough!« identisch. Diese Zeitschrift ist nach dem Verfassungsschutzbericht »ein Beispiel für die ... Vernetzungsbemühungen im Printbereich« der linksextremen Autonomen. Nun gehört »Gegenwind« sogar zu den Bündnispartnern des Landtagspräsidenten", schreibt ein Jochen Arp ("Ostpreußenblatt" 53/98, Neujahr 1999).
Kaum war das "Ostpreußenblatt" erschienen, da interessierte sich der CDU-Fraktionschef im Landtag, Martin Kayenburg, plötzlich auch für "personelle Identität" zwischen den Redaktionen von Gegenwind und Enough is enough - welche Zeitungen neben dem "Ostpreußenblatt" liest man bei der CDU sonst noch, wenn man Informationen und gut recherchierte Artikel sucht?
Zurück zu den Aktivitäten der SWG: In einer Zeitungsanzeige mit einem Aufruf gegen die Ausstellung, die unter anderem am 7. Januar in den Kieler Nachrichten erschien, reicht das Spektrum der Unterzeichnerlnnen von Ernst Michael von Abercron (CDU-Wirtschaftsrat), Klaus-Peter Kramer (CDU) und Martin Schwarz (ebenfalls CDU) bis zu (ehemaligen) Mitgliedern rechtsextremistischer Organisationen wie Jens Steffen, Oswald Becker (beide Republikaner) und Fritjof Berg ("Kieler Liste Ausländerbegrenzung"); auch Rüdiger Dorff (Funktionär des rechtsextremen "Freibund" und Kieler RCDS-Aktivist) ist dabei.
Mit einer - allerdings internen, geschlossenen - Veranstaltung protestierte die SWG dann am 12. Januar im "Kieler Yachtclub" noch einmal gegen die Ausstellung. Da auf dem Podium ausschließlich eigene Leute, allesamt gleichermaßen Gegner der Ausstellung, saßen, kam die angekündigte "Diskussion" gar nicht erst auf, eine Protestresolution wurde mit einer Gegenstimme verabschiedet. Die in der SWG angegebene Zahl der Besucherlnnen wurde mit 350 angegeben, nach meinem Augenschein waren es halb so viele. Auch hier zeigte die CDU keine Berühungsangst: Der bekannte Kieler CDU-Politiker Uwe Greve übernahm die Diskussionsleitung. Neben den üblichen Vorwürfen gegen die Ausstellung und ihre Macher sowie der Behauptung, die deutschen Soldaten hätten im Zweiten Weltkrieg "ehrenhaft gekämpft", wurde vom Podium herab auch die "These" aufgestellt, die deutsche Luftwaffe habe in keinem einzigen Fall während des Zweiten Weltkrieges zivile Ziele angegriffen. Diese Behauptung blieb unwidersprochen und zeigt, wie die Bevölkerung von Coventry, Rotterdam, Warschau oder Belgrad von den Mitgliedern und Gästen der SWG gesehen wird.
Übrigens ließ sich der SGW-Vorsitzende Uhle-Wettler im DVU-Organ "Deutsche Wochen-Zeitung" unlängst wie folgt vernehmen: "DWZ: Welche deutsche Leistung halten Sie für die größte der Geschichte? Uhle-Wettler: Die Verteidigung Europas gegen den Bolschewismus. DWZ: Wen halten Sie für die größte soldatische Persönlichkeit der deutschen Geschichte? Uhle-Wettler: Den Frontsoldaten des Zweiten Weltkrieges." ("DWZ", 18. Dezember 1998).
Von dort zu den Veranstaltern der angekündigten Demonstration am 30. Januar ist es nur ein kleiner Schritt. Unter dem Motto "Keine Ruhe für die Schandausstellung!" wird im Internet zum Protest aufgerufen, unter dem Titel "Der Soldaten Ehre ist auch unsere Ehre! Verteidigen wir sie!" hat die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) eine Demonstration angemeldet. In dem Aufruf wird von der "Anti-Wehrmachtshetze der Salonbolschewisten Reemtsma, Heer und Konsorten" gesprochen. Darauf angesprochen, ob er sich von dem Aufruf distanziere, sagte mir Uhle-Wettler, es handele sich um parteipolitische Aktivitäten von JN bzw. NPD, dazu nehme die SWG als überparteiliche Gruppierung nicht Stellung...
Zu Druckbeginn ist noch nicht klar, wie die Demonstration gegen die Ausstellung verlaufen wird. Nach der Anmeldung (12 Uhr, Kiel, Exerzierplatz) ist sie zunächst vom Kieler Ordnungsamt untersagt worden. Dagegen laufen Widerspruchsverfahren, danach ist eine Klage zu erwarten. Da NPD/JN in den letzten Monaten an jedem Veranstaltungsort gegen die Ausstellung demonstrierten (Bonn: 1000 Nazis, Kassel: 500 Nazis, Dresden: 2500 Nazis, München: 5000 Nazis), wird die Demonstration in Kiel voraussichtlich spätestens vom Oberverwaltungsgericht auch zugelassen, möglicherweise aber erst kurzfristig. Diese Demonstrationen dienen häufig auch dazu, unterschiedliche Gruppierungen wie die parteimäßig organisierten NPD- und JN-Mitglieder mit frei operierenden sogenannten "Kameradschaften" unter maßgeblicher Beteiligung von Kadern verbotener Nazi-Gruppen in einer Aktionseinheit zusammenzuführen. Der Termin ist gewählt worden, um in den eigenen Kreisen besser mobilisieren zu können: Am Samstag, dem 30. Januar, jährt sich zum 66. Mal die Machtergreifung Hitlers.
Für den gleichen Tag haben Bündnis 90/Die Grünen allerdings bereits eine Demonstration angemeldet, und zwar früher als die JN. Die Demonstrationen wurden beide für die Kieler Innenstadt angemeldet. Inzwischen haben sich eine Reihe von Organisationen und Initiativen, darunter auch der Gegenwind, darauf verständigt, gemeinsam mit den Grünen zu einer antifaschistischen Demonstration am 30. Januar in Kiel aufzurufen. Sie soll um 10 Uhr auf dem Europaplatz (vom Bahnhof nordwestlich Richtung Innenstadt/Einkaufsstraße, erster Platz links) beginnen und letztlich zum Landeshaus, dem Ort der Ausstellung führen. (Aktuelle Informationen sind bei der Gegenwind-Redaktion oder unter der Internetadresse https://www.biosys.net/no_nazis zu bekommen.)
Die Aussteller, ob es das Hamburger Institut oder den Landtagspräsidenten als lokalen Veranstalter betrifft, müssen sich diese Angriffe gegen die Ausstellung nicht sonderlich zu Herzen nehmen. Inhaltlich sind sie peinlich flach, und der überwältigende Andrang von Besucherlnnen, der teilweise schon 30 Minuten nach Öffnung morgens zu ersten Vollsperrungen des Eingangs zum Landeshaus führt, gibt Landtagspräsident Arens recht in seiner Entscheidung, dass das Landeshaus der richtige Ort für die Ausstellung ist.
Die CDU im Landtag hat außer der pauschalen Kritik an der Ausstellung auch moniert, das gesamte Begleitprogramm sei ein "Tummelplatz für Linksextremisten". Als Beispiel wurden Veranstaltungen angeführt, an denen die autonome Gruppe KAGON aus Kiel beteiligt ist, woraufhin Arens die Veranstaltungshinweise aus Landtagsveröffentlichungen entfernen ließ. Davon angefeuert, wendeten sich CDU und RCDS gegen die Ankündigungen von Veranstaltungen, an denen die VVN beteiligt ist, und fragten kritisch nach Gegenwind-Ankündigungen. Hier zog Arens dann eine klare Linie und verteidigte seine gute Zusammenarbeit mit der VVN.
Die drei großen Regionalzeitungen in Schleswig-Holstein, deren Hauptausgaben in Lübeck, Kiel und Flensburg erscheinen, gaben im Dezember noch den Gegnern der Ausstellung ein überproportional großes Gewicht. Inzwischen sind sie weitgehend dazu übergegangen, über die positiven und betroffenen Reaktionen der vielen tausend Besucherlnnen zu berichten. Allerdings: Noch ist es zu früh, ein Fazit zu ziehen. Das folgt aber mit Sicherheit in den nächsten Ausgaben.
Reinhard Pohl
Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).