(Gegenwind 124, Januar 1999)

Dokumentation:

Die Soldaten der Wehrmacht im Urteil der Geschichte

Zur Diskussion um die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" dokumentieren wir im folgenden ungekürzt einen Beitrag des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten und Historikers Gerhard Stoltenberg, den der CDU-Landesverband Anfang Dezember veröffentlicht hat.

Die CDU Schleswig-Holsteins hat früh die Entscheidung des sozialdemokratischen Landtagspräsidenten Heinz-Werner Arens kritisiert, die umstrittene Reemtsma-Heer-Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" in die Räume des Landesparlaments im Landeshaus einzuladen und mit erheblichen öffentlichen Mitteln zu fördern. Da die Eröffnung am 07. Januar 1999 erfolgt, ist es an der Zeit, die Gründe für die ablehnende Haltung der Union ausführlicher im Zusammenhang darzustellen. Dies ist auch erforderlich, weil die Verantwortlichen für das Projekt jetzt ebenfalls in Schleswig-Holstein dazu übergehen, ihre Kritiker in überheblicher Weise abzuqualifizieren und durch unsachliche Polemik in einen Zusammenhang mit den Rechtsradikalen zu bringen. Ich verweise als Beispiel nur auf das Interview Reemtsmas mit dem »Flensburger Tageblatt« vom 21. November 1998.

Mit unserer negativen Beurteilung der Ausstellung befinden wir uns in voller Übereinstimmung mit vielen namhaften Persönlichkeiten der großen demokrati- schen Parteien und zahlreichen international angesehenen Historikern. Sie haben übereinstimmend das Reemtsma-Heer-Projekt als tendenziös, unausgewogen und unfair gegenüber den deutschen Soldaten und ihren Angehörigen hart kritisiert. So hat der frühere sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt, als ehemaliger Offizier der Wehrmacht selbst ein Zeitzeuge, am 21. Dezember1997 festgestellt: "Wir haben in den vergangenen Jahren anhand einer Wanderausstellung erlebt, wie Einige die Millionen deutscher Soldaten des 2. Weltkrieges mit den Verbrechern in braunen, schwarzen und feldgrauen Uniformen in einen Topf geworfen haben. Dergleichen linksextreme Meinungen sind nicht verboten, sie sind gleichwohl gefährlich." Schmidt erklärte in einem anderen Zusammenhang: "Ich möchte, dass die Fakten bekannt und moralisch bewertet werden. Aber man schneidet sich selbst den Erfolg völlig ab, wenn man zunächst einmal pauschal 19 Millionen beleidigt oder aber die Kinder von 19 Millionen glauben lässt, ihre Eltern seien die Schuldigen - und man selber sei nun aufgeklärt, moralisch in Ordnung und wäre, hätte man damals gelebt, Widerstandskämpfer geworden."

Die angesehene Mitherausgeberin der »Zeit«, Marion Gräfin Dönhoff, urteilte: "Die geschilderte Wahrheit ist eine Teilwahrheit, die durch Generalisierung zur Lüge wird. Es sind diese Pauschalurteile, die den Prozess des Erkennens und der Reue verhindern." Der Deutsche Bundestag hat es am 24. April 1997 mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP abgelehnt, die Entscheidung seines Präsidiums gegen eine Präsentation der Ausstellung im Bundeshaus aufzuheben. In der Begründung dieses Beschlusses heißt es: "Der Deutsche Bundestag verwahrt sich mit Entschiedenheit gegen jede einseitige oder pauschale Beurteilung der Angehörigen der Wehrmacht."

Unter den führenden Historikern gibt es bis heute eine anhaltende Diskussion über die Rolle der Wehrmacht, ihrer Generäle und Soldaten mit unterschiedlichen Akzenten. Dabei hat die Kritik an der Einseitigkeit, den negativen Pauschalurteilen und methodischen Unsauberkeiten der Ausstellung sowie begleitender Veröffentlichungen in den letzten beiden Jahren beträchtlich zugenommen. Ich verweise auf die Stellungnahme des Stuttgarter Professors Eberhard Jäckel vom März 1997, der an unserer Kieler Universität promoviert und habilitiert wurde und heute als einer der international angesehensten Historiker für die Zeit der NS-Diktatur gilt. Jäckel schrieb: "Die einzigen ernstzunehmenden Versuche, Hitler zu stürzen, gingen von der Wehrmacht aus, schon 1938 und vor allem am 20. Juli 1944... Diese Ausstellung beruht auf der einst in gewissen Kreisen absichtsvoll kultivierten Legende vom Militarismus. Der Nationalsozialismus ging nicht aus dem Militär hervor, sondern aus der deutschen Gesellschaft. Wir können nicht auf der einen Seite die Offiziere vom 20. Juli als Helden feiern und die Soldaten auf der anderen Seite zu Mitgliedern einer verbrecherischen Organisation erklären. Was wir nach wie vor brauchen, ist ein differenziertes Bild der Vergangenheit. Dem dient diese Ausstellung nicht. Deswegen wären für sie in Bonn weder das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch das Bundeshaus angemessene Orte der Präsentation."

Der langjährige Präsident des Verbandes Deutscher Historiker, Prof. Christian Meier, sprach von einer "haarsträubenden, demagogischen Ausstellung". Der namhafte Bonner Historiker Hans-Adolf Jacobsen stellte im September 1998 in seiner differenzierten Analyse fest: "Weithin deutlich wurde der kaum zu leugnende Vorwurf, dass die verantwortlichen Organisatoren mit ihren Pauschalurteilen über das Verhalten der Wehrmacht während des Kampfes im Osten den Realitäten des Soldaten in der Epoche des Totalitarismus und totalen Krieges ebensowenig gerecht geworden seien wie der überwältigenden Mehrheit derjenigen, die im guten Glauben ihre verdammte Pflicht erfüllt hätten, ganz zu schweigen von den Männern und Frauen, die nicht zuletzt aus dem Wissen um die NS-Verbrechen Widerstand geleistet hätten." Diesen mehrfach erhobenen Vorwurf der negativen pauschalen Verallgemeinerung verband der Freiburger Professor Günter Gillesen mit harter Kritik an methodischen Unsauberkeiten in seinem Aufsatz in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« "Die Ausstellung zerstört nicht eine Legende - sie baut eine neue auf". Gillesen schrieb: "Die Wehrmacht - eine verbrecherische Organisation? Das behaupten die Veranstalter, und die Bilder der Ausstellung scheinen es zu belegen. Den meisten Fotos fehlen jedoch Angaben von Datum, Jahr und Ort. Man kann sie nicht bestimmen. Auf Fragen nach Wer, Wem, Was, Wann, Wie und Warum gibt es meist nur bruchstückhafte Auskünfte. Viele Fotos zeigen nur undeutlich oder auch gar nicht die maßgeblichen Uniformkennzeichen. Einige erscheinen so stark retuschiert, dass nachträglich Manipulationen anzunehmen sind.... Die methodischen Mängel der Ausstellung und die Voreingenommenheit ihrer Veranstalter sind evident. Es ist eine neue Form der Kollektivierung von Schuld, nicht mehr wie nach dem Krieg, als Vorwurf an eine gesamte Generation, sondern nun als ein Band deutscher Schuld von einer Generation zur nächsten, in der vergeblichen Erwartung, sie so bewältigen zu können."

Noch härter war das Urteil von Journalisten der Wochenzeitung »Focus«. Sie haben mehrfach und sehr präzise dargestellt, dass Bilder retuschiert und Unterschriften verfälscht wurden. Am 2. Februar 1998 bezeichnete »Focus« den verantwortlichen Leiter der Ausstellung, Hannes Heer, als "Lügner und Fälscher". Dieses Urteil wurde in der Folgezeit von den Journalisten vertieft und bekräftigt.

Helmut Schmidt, Marion Gräfin Dönhoff, Eberhard Jäckel, Christian Meier, Hans-Adolf Jacobsen, Günter Gillesen - sie und unzählige andere namhafte und unbekannte Besucher der Ausstellung haben den Vorwurf der pauschalen Verurteilung und der verletzenden Herabsetzung der Soldaten der Wehrmacht, es waren 19 Millionen, mit guten Gründen erhoben. Da nützt es gar nichts, wenn Arens jetzt in die Reihe der zahlreichen Beschwichtiger und Verharmloser tritt und das Gegenteil versichert. Es gibt mittlerweile erschütternde Berichte über die Wirkungen der suggestiven, zumeist schrecklichen Bilder und der Texte auf minderjährige Schüler. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Aufsatz des Flensburger Erziehungswissenschaftlers Professor Wolfgang F. Schmidt vom 21. November 1998. Wenn jetzt auch in Schleswig-Holstein Kinder und Jugendliche, die mit öffentlichen Mitteln klassenweise in diese Ausstellung geführt werden, mit denselben Eindrücken nach Hause kommen und ihre Eltern fragen, ob die Großväter, die in der Wehrmacht als Soldaten gedient haben, Verbrecher gewesen seien, werden wohl auch die Verantwortlichen in der SPD unseres Landes noch einmal über die Fehlentscheidung des Landtagspräsidenten nachdenken.

In der alliierten Kriegspropaganda wurde von einigen Autoren eine deutsche "Kollektivschuld" unterstellt. Nach 1945 haben vor allem namhafte Persönlichkeiten der deutschen jüdischen Emigration mit den Historikern diese These entschieden zurückgewiesen. Sie verschwand bald aus der ernsthaften Diskussion, bis Goldhagen sie in seinem umstrittenen Buch 1994 wieder verkündete. Dieses Buch wurde in Deutschland zunächst stark propagiert, dann aber von den Historikern der USA, Israels und Deutschlands außerordentlich kritisch beurteilt.

Jetzt wird diese These von Heer und Reemtsma in abgewandelter Form wieder aufgenommen, gegen die Wehrmacht und ihre Soldaten im Russlandfeldzug gerichtet, in Missachtung der vorherrschenden sehr differenzierten Meinung der Fachhistoriker. Es ist völlig abwegig, wenn Arens behauptet, die Wehrmacht sei geradezu "chirurgisch herausgetrennt" worden aus den Verbrechen der NS-Zeit. Seit vielen Jahrzehnten gibt es, vor allem durch das 1950 begründete Münchener Institut für Zeitgeschichte gefördert, eine sehr große Zahl von Untersuchungen zu diesem Thema.

Für die deutsche und die internationale Diskussion war das 1957 veröffentlichte Werk des Professors für Internationale Beziehungen an der New Yorker Columbia- Universität, Alexander Dallin, "Deutsche Herrschaft in Rußland 1941 bis 1945" lange Zeit maßgeblich. Er schilderte ausführlich die sich rasch verschärfende Eskalation der Kriegsführung beider Seiten. Schon 1941 begannen SS und SD hinter der Front mit der massenhaften Liquidierung von Juden und Funktionsträgern des Sowjetsystems.

Stalin antwortete auf die Invasion mit einem rücksichtslosen, grausamen Partisanenkrieg. Dallin schrieb hierzu: "Zwischen dem sowjetischen Hammer und dem nationalsozialistischen Amboss eingeklemmt, war das Volk in den besetzten Gebieten gezwungen zu wählen.... Die Bevölkerung des Ostens empfand dabei deutlich den Unterschied zwischen dem Verhalten des Heeres - dem praktische, auf den siegreichen Ausgang des Krieges bedachte Erwägungen zugrunde lagen - und dem der meisten anderen deutschen Autoritäten." Er wies zugleich auf konkrete Fälle eines brutalen Vorgehens einzelner Verbände der Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung hin und zitierte die berüchtigte Weisung des Befehlshabers der 6. Armee, General von Reichenau, vom Oktober 1941. Reichenau verwarf "missverständliche Menschlichkeit" gegenüber "Landeseinwohnern und Kriegsgefangenen". "Der Schrecken von den deutschen Gegenmaßnahmen muss stärker sein als die Drohung der umherirrenden bolschewistischen Restteile." Dallins Ergebnis einer detaillierten Analyse von unterschiedlichen Vorgaben der deutschen Kommandeure lautete: "Beim Heer war jedoch diese Haltung, obwohl offiziell befohlen, eher eine Ausnahme als die Regel."

Seitdem hat sich unser Kenntnisstand durch zahlreiche Untersuchungen vertieft. Aber die Grundstruktur der Wertungen Dallins ist im wesentlichen bestätigt worden. Wer heute, wie Reemtsma und Heer, die alte These der Kollektivschuld, gegen die Soldaten der Wehrmacht gerichtet, wieder beleben will, verbreitet Unwahrheiten, verunglimpft viele untadelige Persönlichkeiten und schürt Konflikte. Dies geschieht in einer Zeit, in der die von der neuen russischen Regierung eingerichteten Überprüfungsausschüsse Tausende früherer deutscher Soldaten, die um 1945 als Kriegsverbrecher verurteilt wurden, wieder voll rehabilitiert haben.

Es gibt mehrere Gründe, weiter für eine anspruchsvolle Erörterung der Geschichte der Wehrmacht einzutreten. Dafür sind wissenschaftliche Veröffentlichungen, die in der Kontinuität der Geschichtsschreibung seit der Nachkriegszeit stehen und zugleich neue Quellen und fundierte Thesen aufnehmen, der wirksamste Beitrag. Suggestive Anklagen in Bild und Wort und allgemeine Schuldsprüche führen demgegenüber in die Irre.

Besonders heftige Kritik hat die skandalöse Verunglimpfung hervorragender Persönlichkeiten des militärischen Widerstandes gegen Hitler in dem von Heer herausgegebenen Begleitbuch zur Ausstellung ausgelöst. Ein junger Autor, Christoph Gerlach, rückte Offiziere des 20. Juli, insbesondere General Henning von Tresckow, in die Nähe der Kriegsverbrecher. Tresckow ist in allen Darstellungen über den Widerstand gegen Hitler als eine der eindrucksvollsten und konsequentesten, von moralischen Überzeugungen bestimmten Gegner Hitlers und seiner verbrecherischen Politik gewürdigt worden. Er hatte ungewöhnlichen Mut und Standfestigkeit bewiesen. Als Chef des Stabes der Heeresgruppe Mitte in Russland hatte er dienstliche Berichte über den grausamen Partisanenkrieg und die Massenmorde von SS-Einsatz-Gruppen zur Kenntnis zu nehmen und abzuzeichnen. Aus mehreren Zeugnissen geht hervor, dass dies seine Entschlossenheit, den Diktator zu Fall zu bringen, weiter verstärkte.

Richard von Weizsäcker und Marion Gräfin Dönhoff haben sich schon im März 1996 öffentlich entschieden gegen diese Verfälschung der Biographie und die Verunglimpfung eines der großartigsten Persönlichkeiten des Widerstandes gewandt. Dies blieb bei dem Herausgeber Heer ohne jede erkennbare Wirkung. So protestierte Klaus von Dohnanyi im Januar 1998 erneut in einer Rede gegen die "gemeine und perfide Diffamierung" Tresckows und seiner Kameraden, von denen nur wenige den 20. Juli 1944 überlebten.

Heer vertritt hier als früheres aktives Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei und dann der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands offensichtlich weiterhin die linksextremen Parolen gegen die bürgerlichen und soldatischen Widerstandskämpfer. Einer solchen dubiosen Gestalt die Türen des Landeshauses weit zu öffnen und ihr umstrittenes Projekt mit beträchtlichen Landesmitteln zu fördern, ist ein schwerer Fehler des SPD-Landtagspräsidenten und seiner Partei.

Dr. Gerhard Stoltenberg
Ministerpräsident a.D.



Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).

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