(Gegenwind 124, Januar 1999)
Es ist sicherlich ungewöhnlich, dass der Gegenwind sich einerseits im Begleitprogramm zur Ausstellung Verbrechen der Wehrmacht erheblich engagiert und dann andererseits den Artikel eines prominenten Gegners, des ehemaligen Ministerpräsidenten und CDU-Ehrenvorsitzenden Gerhard Stoltenberg, in voller Länge abdruckt. Wir haben uns dazu entschlossen, weil hier in Schleswig-Holstein die CDU an der Spitze der Ausstellungsgegner steht und dieser Artikel deren Argumente sehr umfassend darstellt.
Auffällig ist, dass Stoltenberg im Grunde genommen gar nicht die Ausstellung selbst kritisiert. Sondern er baut einen Popanz auf, die Ausstellung würde alle Wehrmachtsangehörigen pauschal zu Verbrechern stempeln, und auf diesen Popanz schlägt er anschließend ein. In dem erwähnten Interview im »Flensburger Tageblatt« äußert sich der Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, gerade zu diesem Vorwurf: "Die Ausstellung ist keine Ausstellung über die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Sie ist eine Ausstellung über einen bestimmten Krieg, der durch ein Maß an Destruktivität gekennzeichnet war, das seitdem Dreißigjährigen Krieg in Europa unbekannt war. Ziel dieses Krieges war nicht, eine gegnerische Armee zu besiegen, sondern eine Bevölkerung zum Teil auszurotten - die Juden -, zum Teil zu versklaven. Das ist nicht Ergebnis einer Eskalation gewesen, sondern, wie nachzuweisen, Teil der Kriegsplanungen. Im Untertitel wird diese besondere Art Kriegsführung gemäß internationalem Recht qualifiziert: als Verbrechen. Diese Verbrechen werden am Beispiel dreier Kriegsschauplätze demonstriert. Darum geht es in der Ausstellung."
Wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Ausstellung eben "nur" diesen Vernichtungskrieg 1941 bis 1944 in Serbien und der UdSSR zum Thema hat, nicht aber die Wehrmacht an sich, dann sind auch die meisten Argumente von Stoltenberg und den Ausstellungsgegnern belanglos, weil sie sich mit der Ausstellung gar nicht beschäftigen. Dazu passt dann aber, dass Stoltenberg umstandslos vom Vorwurf, die gesamte Wehrmacht würde zu Verbrechern erklärt, wieder die "Kollektivschuldthese" aus dem Hut zaubert: In Wahrheit geht es der Ausstellung wohl darum, das ganze deutsche Volk zu beleidigen?
Auffällig ist, worüber Stoltenberg nicht spricht: Von den Besucherzahlen, der öffentlichen Diskussion und der langen Liste der Reservierungen weit in die nächsten Jahre hinein handelt es sich um eine der erfolgreichsten Ausstellungen in der deutschen Geschichte. Angesichts dessen wird nicht klar, wieso er meint, die Geschichte der Wehrmacht wäre längst hinreichend aufgearbeitet, alles (wem?) bekannt.
Zweitens vermeidet Stoltenberg es ängstlich, das Ausmaß des Massenmordes zu würdigen. Er gibt "konkrete Fälle eines brutalen Vorgehens einzelner Verbände der Wehrmachtgegen die Zivilbevölkerung" zu - aber um wie viele "einzelne Verbände" handelte es sich, die immerhin ungefähr 20 Millionen Zivilistinnen und Zivilisten umbrachten?
Stoltenberg stellte seinen Text am 7. Dezember im Rahmen einer Pressekonferenz in Kiel vor. Auffällig war, dass trotz der von der CDU behaupteten breiten Kritik an der Ausstellung ausschließlich kritische Fragen an die CDU gestellt wurden, die darauf zielten, den Kurs der CDU in Schleswig-Holstein zu erläutern, insbesondere im Hinblick darauf, dass sich z.B. die CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen einer gemeinsamen Resolution der anderen Landtagsfraktionen angeschlossen hatte: "Der Landtag betrachtet die Ausstellung (...) als einen wichtigen Beitrag der Aufklärung darüber, dass die Wehrmacht ein Instrument der nationalsozialistischen Eroberungs- und Vernichtungspolitik war und in ihrer Spitze sowie mit Truppenteilen in Verbrechen des Nationalsozialismus verstrickt war. In diesem Zusammenhang begrüßt der Landtag, dass diese Ausstellung im Rathaus der Landeshauptstadt Hannover gezeigt wird."
Dazu hatte Stoltenberg als einziges zu sagen, er habe mit denen telefoniert, und man verträte grundsätzlich gleiche Positionen...
Auch die Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Neonazis wollte oder konnte Stoltenberg nicht richtig widerlegen. Dass die CDU in Henstedt-Ulzburg Informationen für ein Flugblatt gegen die Ausstellung von einem bekennenden Nationalsozialisten bezogen hatte, bezeichnet Stoltenberg als "unsachliche Polemik", ohne die Tatsache selbst zu bestreiten. Dass die Junge Union im Kreis Segeberg ein Seminar zum Thema mit REP-nahen Referenten bestritt, kommentierte er direkt gar nicht, sondern verwies wiederum auf eine "breite Kritik" von "vielen namhaften Persönlichkeiten", was diese Zusammenarbeit in Schleswig-Holstein eher noch unverständlicher macht. Schließlich blieb ihm nur die Ausflucht, den Autoren der Ausstellung selbst "linksextreme Meinungen" und "linksextreme Parolen" vorzuwerfen - selbst unterstellt, dass das stimmt, zwingt es ja die CDU keineswegs zur Zusammenarbeit mit Nazis.
Reinhard Pohl
Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).