(Gegenwind 122, November 1998)

Vergewaltigungen und Zwangsprostitution im Krieg

...und sie wissen, was sie tun

Am Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, dem 25. November, veranstaltete der Notruf für vergewaltigte Frauen, Kiel, im Jahre 1995 im Schleswig-Holsteinischen Landeshaus die Fachtagung "Frauen und Krieg: Vergewaltigt - Verleugnet - Verschwiegen".

50 Jahre nach Kriegsende, unter dem Eindruck der Vergewaltigungslager im ehemaligen Jugoslawien, war es erstmals in Deutschland gelungen, für eine (deutsche) Frau, die als 15-jährige auf der Flucht nach Schleswig-Holstein durch russische Soldaten vergewaltigt und misshandelt worden war, eine Kriegsopferentschädigungsrente wegen posttraumatischer Belastungsstörungen durchzusetzen. Sie war die erste von geschätzten zwei Millionen in Kriegszusammenhängen vergewaltigten Frauen, die aufgrund der lebenslangen Folgen eine "Entschädigung" vom Staat erhielt, während es für Soldaten ein Routinefall war, schon bald nach 1945 Renten zu erhalten.

So ging es auf der Tagung, bei der auch viele ältere Frauen der Kriegsgeneration anwesend waren, um die Anerkennung der Opfer, um Solidarität mit den Frauen etwa aus dem ehemaligen Jugoslawien und aus Ruanda, und alle hörten ergriffen und interessiert zu. Als nun aber am Nachmittag die Sprache auf die Täter kam, regten sich spürbar Abwehr und Unmut, nämlich genau an dem Punkt, als deutlich gesagt und belegt wurde, dass es bei weitem nicht nur "der Russe", "der Amerikaner" oder "der Franzose" war (und in seltenen Fällen auch "der Engländer"), der die Befreiung des Landes vom Faschismus, den Sieg mit der "Besetzung" und zwangsweisen "Eroberung" deutscher Frauen und Mädchen vollzog, sondern es gerade auch und in erheblichem Umfang "ganz normale" deutsche Wehrmachtssoldaten, Angehörige der SA und der SS sowie der Polizeibataillone gewesen waren, die gleichermaßen grausam und patriarchalisch in allen besetzten Ländern Europas gewütet hatten. Täter waren eben auch die "eigenen" Männer, Brüder, Söhne und Freunde, die aber offensichtlich nie über ihre Verbrechen gesprochen hatten. Auskünfte geben in diesem Zusammenhang nur die vielfältigen psychosomatischen Erkrankungen dieser erstarrten und oft gefühlskalten Kriegsgeneration sowie Berichte von Militärseelsorgern und Beichtvätern, die häufig erst auf dem Sterbebett der Täter diese Facetten der soldatischen Kriegsverbrechen zu hören bekommen.

Internationalen Konventionen und nationalen Militärgesetzen ist unmissverständlich zugrunde gelegt, dass feindliche Soldaten als auch eigene Truppen im Kontext von Kriegsaktivitäten und in Besatzungszeiten in großem Umfang sexualisierte Gewalt begehen. Die Haager Konvention verbot bereits 1907 die "Verletzung der Familienehre", insbesondere die Vergewaltigung. Allerdings ging das offizielle Eingeständnis und das Verbot sexualisierter Gewalt durch Soldaten nicht einher mit einer konsequenten Verfolgung dieser Taten.

Eine strafrechtliche oder militärgerichtliche Verfolgung war im Vergleich zu anderen Kriegsverbrechen eher selten und wurde kaum offen sichtbar. Die Bremer Historikerin Barbara Johr beschrieb im Rahmen der Recherche für den Film "Befreier und Befreite" die Situation im Zweiten Weltkrieg wie folgt: "Vergewaltigungen durch SS-Männer kamen so oft vor, dass sich die Wehrmachtsführung darüber im Führerhauptquartier beklagte. Auch Wehrmachtssoldaten vergewaltigten, wie Gerichtsakten belegen. Um die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten bei den Soldaten unter Kontrolle zu halten, wurden darüber hinaus Wehrmachtsbordelle (etwa 55 im Laufe des Krieges) und SS-Offiziersbordelle geschaffen, in denen Hunderte vor allem polnischer und russischer Mädchen und Frauen zur Prostitution gezwungen wurden (Jüdinnen waren offziell ab März 1942 für Wehrmachtsbordelle nicht mehr zugelassen). Partisaninnen, die man gefangennahm, wurde die Inschrift »Hure für Hitlers Truppe« eintätowiert, und sie wurden entsprechend behandelt. Zwangsprostitution und Vergewaltigung gehörten außerdem zum Alltag im KZ, Opfer von Nötigung und Vergewaltigung waren überwiegend weibliche Häftlinge. Sie wurden vor allem auch zur Prostitution in Häftlingsbordellen gezwungen. Dass von deutschen Eroberern systematisch vergewaltigt wurde, belegen unter anderem Dokumente, die 1946 bei den Nürnberger Prozessen vorgelegt wurden." (zit. nach: Notruf, S. 24).

Die breite Ermöglichung von Bordellbesuchen wurde als wichtige kriegsstrategische Maßnahme betrachtet, mit der die "Moral der Truppe", also die Bereitschaft zu kämpfen und zu töten, aufrechterhalten bzw. gesteigert werden sollte. Mit diesem Zugeständnis der Wehrmachtsführung an die "Bedürfnisse" der Soldaten wurde gleichzeitig die Loyalität gegenüber dem faschistischen System gefördert als auch die wehrkraftzersetzenden Geschlechtskrankheiten durch Verpflichtung zur Kondombenutzung beim Bordellbesuch eingedämmt. Parallel dazu sollte der "Gefahr der Homosexualität" , die wiederum die "Moral der Truppe" untergraben würde, begegnet werden. "Wir werden auf dem Gebiet (der Prostitution) großzügig sein bis zum Gehtnichtmehr, denn man kann nicht einerseits verhindern wollen, dass die Jugend zur Homosexualität abwandert und andererseits jeden Ausweg sperren." (Schoppmann S. 29).

Das von Hannes Heer 1995 herausgegebene Buch "Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen" hat niedergelegte Geständnisse von deutschen Wehrmachtssoldaten zum Inhalt, die heute im russischen Staatsarchiv Moskau lagern. Hans Prudhoff, 11. Panzerdivision, 110. Panzergrenardierregiment, wurde im August 1943 von den Russen gefangengenommen und schrieb: "Im Winter 1942 auf 1943 sah ich Hunderte von gefangenen russischen Soldaten erschossen am Wege liegen. Russische Sanitäterinnen lagen mit entblößter Brust, die Kleider vom Leib gerissen und mit entblößtem Unterleib erschossen am Wege. Diese Greueltaten der deutschen Kulturträger sind wohl einmalig in dieser Welt und in der Geschichte. An Grausamkeit ist dieses wohl nicht zu übertreffen. Ich will die schändlichen Worte noch hinzufügen, die die Kulturträger an diesen toten Frauenkörpern noch hinzufügten. (Du!! Hast du keinen Reiz? Nein, die sind ja schon kalt. (...)). So lästerten und spotteten diese Kulturträger über diese entblößten, toten Frauenkörper. Diese Taten sind nicht wiederzugeben." (Heer, zit. nach Notruf, S. 46).

In einer u. a. mit Prof. Dr. Jan Phillip Reemtsma geführten Diskussion zur Wehrmachtsausstellung 1997 in Bremen beschrieb Prof. Dr. Wolfgang Eichwede die Tatsache, dass es in der früheren Sowjetunion außerordentlich viele Kinder von Wehrmachtssoldaten gebe. Unter Berufung auf russische Historiker und deutsche Quellen geht er von mehr als einer Million unter Kriegsverhältnissen gezeugten Kindern aus und betont, dass es viele Zeugnisse von Vergewaltigungen gibt (vergl. Thiele, S. 96).

Auf Basis biologischer Gegebenheiten lässt sich davon ausgehen, dass statistisch gesehen etwa jeder zehnte Geschlechtsverkehr eine Schwangerschaft zur Folge hat. Folgerichtig muss von etwa 10 Millionen Vergewaltigungen deutscher Männer allein auf russischem Boden ausgegangen werden. In Norwegen, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Frankreich wurden etwa 200.000 Kinder deutscher Besatzungssoldaten geboren. In welchem Ausmaß die ursächlichen Kontakte freiwillig waren oder aus Angst, Hunger und unter Gewalt vollzogen wurden, bleibt so lange Spekulation, wie kein Interesse an Forschung besteht (vgl. Sander, S. 71). Heute, 54 Jahre nach Kriegsende, sind nur noch wenige der betroffenen Opfer in der Lage, unsere Fragen zu beantworten. Nichtsdestotrotz haben sie ein Recht auf unsere Achtung und Beachtung.

Während man empathische öffentliche Achtung der Opfer erwarten würde, der zwangsläufig auch eine Ächtung der Täter immanent wäre, stößt jedermann in Schleswig-Holstein und in diesem unserem Lande quasi entgegengesetzt proportional auf das aufschlussreiche Phänomen, dass Ehren-, Gedenk-und Weihestätten wie zum Beispiel das Laboer Ehrenmal - die meistbesuchte Wallfahrtsstätte unseres Landes - mächtig oder phallokratisch gen Himmel ragen, während es in ganz Deutschland keine Gedenkstätte, kein Mahnmal für die Opfer sexualisierter soldatischer Gewalt gibt.

Eine intensive wissenschaftliche Erforschung der Wehrmachtsverbrechen, die Vergewaltigungen betreffen, steht nach wie vor aus und auch die Ausstellung vermag dieses Kapitel deutscher Geschichte nicht ausreichend zu erhellen. So scheint es auch der zweiten und dritten Generation noch schwer zu fallen, das gesellschaftliche Ausmaß der traumatischen Erfahrungen zu ermessen. So bleibt zu hoffen, dass sich wenigstens heutige Bundeswehrsoldaten vor ihren Einsätzen im Ausland intensiv mit der Frage auseinandersetzen, warum sie auf Mädchen und Frauen treffen, die ihnen ihre Körper zu Dumpingpreisen anbieten müssen, und ob es immer noch zum Bild des Soldaten passt, dass er sich sein vermeintliches Recht als "Retter und Befreier" nimmt. Denn bislang könnte frau versucht sein, in Anlehnung an die berühmten Worte von Tucholsky zu formulieren: "Soldaten sind Vergewaltiger."

Ursula Schele



Literatur:
Brownmiller, Susan: Gegen unseren Willen: Vergewaltigung und Männerherrschaft, Frankfurt a. M. 1983.

Fischer, Erica: Am Anfang war die Wut. Monika Hauser und Medica mondiale. Ein Frauenprojekt im Krieg, Köln 1997.

Heer, Hannes (Hrsg.): "Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen" Geständnisse deutscher Kriegsgefangener über ihren Einsatz an der Ostfront, Hamburg 1995.

Herman, Prof. Judith Lewis: Die Narben der Gewalt, München 1994.

Keller, Nora Okja: Die Trostfrau, München 1997.

Müller-Hohagen, Jürgen: Geschichte in uns. Psychogramme aus dem Alltag, München 1994.

Notruf für Frauen (Hrsg.): Frauen und Krieg. Vergewaltigt-Verleugnet-Verschwiegen. Dokumentation zur Fachtagung, Kiel 1996.

Paul, Christa: Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus, Berlin 1994.

Sander, Helke; Johr, Barbara (Hrsg.): BeFreier und Befreite. Krieg, Vergewaltigungen, Kinder, München 1992.



Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).

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