(Gegenwind 122, November 1998)

Totengedenken

"Deutsche Täter sind keine Opfer!"

Am Volkstrauertag wird in zahlreichen Gemeinden der BRD der "Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft" gedacht. Beispielhaft für die geschichtliche "Unschärfe" der offiziellen Feierlichkeiten steht die alljährliche Veranstaltung der Großgemeinde Henstedt-Ulzburg im Süden Schleswig-Holsteins. In einem Abwasch wird der wie auch immer zu Tode gekommenen "Opfer" beider Weltkriege gedacht. Objekt der inszenierten Trauer ist der einheimische deutsche Wehrmachtssoldat der Gemeinde.

Das vorgebliche Gedenken an die Opfer von "Krieg und Gewaltherrschaft" - sprich von Vernichtungskrieg der Wehrmacht und deutschem Faschismus - wird zu einer Huldigung der Täter umgedreht. Es waren eben "alle" Opfer der "Bestie Krieg", die "ausgebrochen" ist, von niemandem verschuldet und von niemandem gewollt. Nicht von der "Volkstrauer" erfasst werden Juden und Jüdinnen, der antifaschistische Widerstand, Lesben und Schwule sowie sogenannte Behinderte.

Nicht nur die Opfer des Faschismus bleiben ungenannt, auch die Einzigartigkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus wird revidiert, indem mit Hinweis auf die "Toten an der innerdeutschen Grenze" nebenbei der real existierende Sozialismus der DDR dem deutschen Faschismus gleichgesetzt wird. Dieses alles gleichmachende, alle politischen Dimensionen einebnende Gedenkritual endet ganz aktuell mit dem Aufruf zur Verteidigung der "Freiheit", damit deutsche Soldaten auch morgen wieder kraftvoll zuschlagen können.

Während sich die Trauerveranstaltung am Vormittag am Ehrenmal der Henstedter Kirche einen vergleichsweise zivilen Charakter gibt, wird auf der offiziellen Folgeveranstaltung am Beckersberg mit viel militärischem Tschingderassa der Tradition gehuldigt. Im Beisein der Feuerwehr, Repäsentanten der Patenkompanie der "Lettow-Vorbeck-Kaserne" aus Bad Segeberg, der örtlichen CDU und des Schützenvereines werden die oben genannten Inhalte auf einer ehemaligen NS-Kultstätte zelebriert. Die in weitem Rund angeordneten Hinkelsteine mit Inschriften wie "Es wirkt das Blut als heilge Saat, aus Gräbern wächst die Kraft zur Tat" wurden von Antifaschistlnnen 1997 in ihrer Aussage korrigiert, z.B. mit der Aufschrift "Deutsche Täter sind keine Opfer". Der eilig herbeigerufene Gemeindegärtner polierte die Steine anschließend so gründlich, dass zwar die ergänzenden Worte verschwanden, eine etwa 60jährige Odalsrune jedoch wieder zum Vorschein kam, woran die Trauergemeinde aber keinen Anstoß nahm.

Neben den offiziellen Trauerbekundungen feierten 1995 und 1996 auch Neonazis um den Henstedt-Ulzburger Kader André Schwelling von der "Patriotischen Jugend" auf der offiziellen Veranstaltung mit. CDU-Bürgermeister Volker Dornquast entfernte 1996 den im Namen des "Bund für Gesamtdeutschland" abgelegten Kranz der Nazis nur, weil dieser von den Faschisten an der für den Gemeindekranz vorgesehenen Stelle plaziert wurde. Sich inhaltlich zu distanzieren konnte Dornquast nicht gelingen, waren die Inschriften auf dem Trauerflor einander doch zu ähnlich...

Ein antifaschistisches Bündnis gegen die Verdrehung der Geschichte hatte 1997 lautstarken Protest gegen diese reaktionären Zustände angekündigt, so dass die Nazis gar nicht versuchten, ihren Kranz abzulegen. Die konservative Elite der Gemeinde ließ es sich hingegen nicht nehmen, geschützt von 200 PolizistInnen, der deutschen Wehrmachtssoldaten zu gedenken.

Gruppe AntifaschistInnen Norderstedt (GANo)



Zusammenstellung von Gegenwind-Artikeln (1998/99) zur Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944" im Kieler Landeshaus als PDF-Datei (ca. 730 KB).

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