[ prozeßbeobachtung ] |
Prozessberichte Nr. 1 / 30. August 1999 Nr. 2 / 3. September 1999 Nr. 3 / 13. September 1999 Nr. 4 / 20. September 1999 Nr. 5 / 21. September 1999 Nr. 6 / 27. September 1999 Nr. 7 / 28. September 1999 Nr. 8 / 4. Oktober 1999 Nr. 9 / 11. Oktober 1999 Nr. 10 / 12. Oktober 1999 Nr. 11 / 18. Oktober 1999 Nr. 12 / 19. Oktober 1999 Nr. 13 / 1. November 1999 |
Prozessberichte Nr. 1 / 30. August 1999 Prolog 1. Termin Am 14. Juli 1999 fand eine "kommissarische Vernehmung" von Victor Atoe vor dem Landgericht Kiel (Jugendkammer) statt. Anwesend waren alle Prozessbeteiligten: Gericht, Staatsanwaltschaft, Verteidigung und (zugelassene) Nebenklage. Victor Atoe gab an, in der Brandnacht über den Flur im 1. Stock zum Treppenhaus geflohen zu sein. Während im Flur kein Feuer war, sei er die Treppe wegen der Flammen nicht runtergekommen, umgekehrt und durch das Fenster geflohen. Dabei habe er sich schwere Beinverletzungen (komplizierte Brüche) zugezogen. Nach Beendigung dieser Vernehmung zur Sache fragte der Richter noch, ob Victor Atoe unter mehreren Namen Asylanträge gestellt habe und ob er unter mehreren Namen Sozialhilfe bezogen habe. Victor Atoe hielt sich in der Brandnacht "illegal" in Lübeck auf, da sein zugewiesener Kreis der benachbarte Landkreis Ostholstein war. Während vor Klärung des Bleiberechts der Lübecker Bürgermeister Abschiebeversuche unterband, schob Ostholstein sehr schnell ab, Victor Atoe wurde am 1. Mai 1996 noch schwer verletzt (aus dem Krankenhaus musste er wegen der schon früher drohenden Abschiebung fliehen) nach Nigeria abgeschoben. Im Mai 1999 tauchte er wieder in Lübeck auf und beantragte ein Bleiberecht als Brandüberlebender (Regelung vom Januar 1999). Die jetzt zuständige Lübecker Ausländerbehörde (Frau Rohde) beantragte sofort Abschiebehaft, der Richter unterschrieb und Victor Atoe wurde mangels Haftplatz in Schleswig-Holstein nach Brandenburg (Eisenhüttenstadt) überführt. Für die kommissarische Vernehmung wurde er aus der Haft vorgeführt, seiner erneuten Abschiebung steht damit von Seiten des Landgerichts Kiel nichts mehr im Wege. Zur Zeit befindet sich Victor Atoe im Krankenhaus, er wurde am 25. August am Bein operiert. Richterliches Drehbuch Für den Prozess in Kiel wurden zunächst 7 Verhandlungstage angesetzt: 3. September als Tag der Prozesseröffnung, dann jeweils Mo./Di.: 6. und 7., 13. und 14. sowie 20. und 21. September. Vorgeladen wurden ZeugInnen mit dem ausdrücklichen Vermerk, sie sollten zu Belastendem für den Angeklagten Safwan Eid befragt werden. So ist für den ersten Prozesstag die Aussage von Safwan Eid vorgesehen, vorgeladen wurden die Polizisten, die ihn als erste vernommen haben allerdings ausschließlich zu diesem Thema. D.h. sie werden voraussichtlich zu anderen Themen, z.B. der Vernehmung von Verdächtigen aus Grevesmühlen, von vornherein keine Aussagegenehmigung beantragen und bekommen, so dass alle Prozessbeteiligten die Zeugen nur nach Belastendem gegen Safwan Eid befragen können. Die Planung des Richters: Wenn alles Belastende auf dem Tisch liegt, kann man diskutieren, ob das "im Zweifel gegen den Angeklagten" reichen würde. Wenn nicht, ist die Vorladung von Entlastungszeugen überflüssig, und der Prozess kann sehr viel schneller über die Bühne als damals in Lübeck, wo er fast ein Jahr dauerte. Das würde allerdings bedeuten, dass Safwan Eid auch bei einem Freispruch nach "kurzem Prozess" in der Öffentlichkeit als weiterhin verdächtig dargestellt werden könnte (und würde): Wenn nur Belastendes zur Sprache kommt, dann ein Freispruch erfolgt, bleibt bei vielen Leuten hängen, dass er es wohl doch war, die Beweise nur nicht reichten bzw. die deutsche Justiz zu schlaff ist. |
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Prozessberichte Nr. 2 / 3. September 1999 Eröffnungstag 1 : 0 für die Verteidigung! Prozessbeteiligte Der Prozess wird vor der Jugendstrafkammer des Landgerichtes Kiel unter Leitung des Jugendrichters Jochen Strebos geführt. Die Anklage vertritt Staatsanwalt Andreas Martins. Die Nebenkläger Jean-Daniel Makodila-Dimbambu sowie Khalil, Assia, Hanan, Salem, Kalid und Walid El-Omari werden von Dr. Clausen vertreten, Rima, Nisrin, Nada und Salwa El Omari werden von Ulrich Haage vertreten. VerteidigerInnen von Safwan Eid sind Barbara Klawitter und Gabriele Heinecke. Gleich zu Beginn des ersten Prozesstages beantragten die Rechtsanwältin Ursula Erhardt und der Rechtsanwalt Mülayim Hüseyin, als Nebenklage-Vertreter zugelassen zu werden. Sie wiesen ein Mandat von zwei Hausbewohnern vor, die beim Brand verletzt worden waren, aber im ersten Prozess nicht als Nebenkläger auftraten und insofern auch von dem Teilausschluss von NebenklägerInnen nicht betroffen waren. Der Richter wirkte leicht unsicher, wieweit es möglich war, sie auf eine spätere Entscheidung zu vertrösten. Er ließ sie im Saal in der letzten Reihe der NebenklägerInnen Platz nehmen, sie konnten auch zweimal zu Wort kommen, obwohl sie (noch?) keine Prozessbeteiligten sind. Sie selbst beantragten eine sofortige Entscheidung, da sie als Nebenklage-VertreterInnen das Recht hätten, an allen Verhandlungstagen (auch dem ersten) teilzunehmen. Die Anklage Der Staatsanwalt trug die gleiche Anklage wie im ersten Prozess vor und erläuterte auch, dass das die Lübecker Anklage von 1996 sei, die Kieler Staatsanwaltschaft hat nichts verändert. Sogar die falsche Adresse des abgebrannten Flüchtlingsheims (Neue Hafenstraße 52 statt Hafenstraße 52) hat die Kieler Staatsanwaltschaft nicht verbessert. Safwan Eid wird vorgeworfen, am 18. Januar 1996 um 3.30 Uhr im 1. Stock des Hauses mit Hilfe einer brennbaren Flüssigkeit Feuer gelegt zu haben, und zwar zusammen mit unbekannten Mittätern. Dadurch habe das Haus um 3.43 Uhr in Flammen gestanden. Safwan Eid äußerte sich nicht zur Anklage. Zur Wiederholung Anschließend verlas das Gericht den Beschluss des BGH, das gesamte Verfahren zu wiederholen, weil im ersten Prozess die Protokolle der Abhöraktion (6 Gespräche im Besuchsraum des Untersuchungsgefängnisses) nicht verwendet worden waren. Zusätzlich verlas das Gericht die Stellungnahme der Bundesanwaltschaft, dass die Abhörprotokolle keine Erkenntnisse gebracht hätten oder bringen würden. Hieran anschließend kam es zur ersten Konfrontation: Die Verteidigung kommentierte das BGH-Urteil mit einer Erklärung, die dem BGH vorwarf, sich der von Anfang an einseitigen Sicht der Lübecker Ermittlungsbehörden und der Staatsanwaltschaft angeschlossen zu haben. So sprach das Urteil davon, Safwan Eid habe unter ungeklärten Umständen nach dem Krankenhausaufenthalt seinen Kaftan vernichtet (was nicht stimmt), in der Eid-Wohnung sei ein leerer 20-Liter-Benzin-Kanister gefunden worden (der in einem von innen verschlossenen Raum gefunden wurde), auf den Tonbändern gebe es belastende Passagen (worüber der BGH keine ordnungsgemäße Übersetzung hatte), ferner, so die Verteidigung, habe Safwan Eid in vielen Vernehmungen seine Unschuld beteuert und zu allen Fragen widerspruchsfreie Erklärungen liefern können, während andere Verdächtige zu belastenden Indizien absurde Erklärungen abgaben, ohne angeklagt zu werden. Nebenklage-Vertreter Dr. Clausen erwiderte, seine Mandanten hätten einen Anspruch auf ein Urteil nach Würdigung aller Beweise, und dazu gehörten eben auch die Abhörprotokolle. Außerdem widersprach er der Verteidigung, Safwan Eid habe auf alle Fragen ausführliche Erklärungen abgegeben, vielmehr habe er im ersten Prozess nach einiger Zeit weitere Aussagen verweigert, wie auch Familienangehörige, was aber deren gutes Recht sei. Die Tagesordnung Anschließend erläuterte Richter Strebos den beabsichtigten Ablauf des Verfahrens: Zunächst sollten nur belastende Aussagen gehört werden, weil sich das Gericht als erstes eine Übersicht verschaffen wollte, was für Indizien existierten, die die Anklage stützten. Dazu seien Zeugen, so Ermittlungsbeamte und der Hausmeister der Unterkunft, auch zunächst ausschließlich zu diesem Thema als Zeugen bestellt worden. Dann wolle das Gericht mit allen Prozessbeteiligten besprechen, ob die Anklage überhaupt hinreichend gestützt werde, nur dann seinen auch die Berücksichtigung entlastender Aussagen nötig, andernfalls könne der Prozess schon hier mit einem Freispruch enden. Das Gericht habe nicht die Aufgabe, durch die Ermittlung aller Umstände die Persönlichkeit des Angeklagten zu schützen oder gar gegen mögliche andere Täter zu ermitteln, sondern müsse nur prüfen, ob die Indizien, die die Ankalge stützten, zutreffend ermittelt seien. An dieser Stelle folgte eine lange Erklärung der Verteidigung. Sie bestritt, dass ein derartiges Vorgehen zulässig sei, denn so müssten die Zeugen ja ihr Wissen vorab daraufhin sortieren, welche Informationen belastend und vorzubringen seien, welche dagegen entlastend und vor Gericht zu verschweigen. Das wäre nicht zulässig: Zeugen müssten vollständig aussagen, und eine Bewertung, welche vorgebrachten Aussagen belastend und welche entlastend seien, sei ausschließlich Aufgabe des Gerichtes. Die Verteidigung nahm aber die Bemerkung des Richters über eine mögliche Abkürzung des Prozesses gerne auf und beantragte, als ersten Zeugen den Lübecker Staatsanwalt Dr. Michael Böckenhauer (inzwischen im Kieler Justizministerium beschäftigt) vorzuladen. Dieser würde bei wahrheitsgemäßer Aussage bestätigen, dass
und vieles weitere mehr (siehe Dokumentation der Erklärung). Mit der Vernehmung von Böckenhauer könne das Verfahren somit erheblich abgekürzt werden, und das sei auch im Sinne des Angeklagten. Das Gericht vertagte sich daraufhin, um den Antrag zu beraten. Nach einer Pause widersprachen Nebenklagevertreter Haage und Staatsanwalt Martins dem Antrag, u.a. mit der Begründung, Böckenhauer als Ermittler könne viele Dinge, die Zeugen direkt erzählen könnten, nur vom Hörensagen berichten, das war auch der Tenor der Ablehnung des Antrages durch das Gericht. Hier ging die Diskussion über das Gesamtverfahren wieder los. Die Verteidigung bezweifelte, dass bei Sammlung zunächst nur der belastenden Indizien noch ein fairer Prozess möglich sei, weil die Fortsetzung mit Entlastungszeugen dann bei voreingenommenen Richtern und Schöffen die Beweislast umkehre. Hier unterstützte Nebenklagevertreter Dr. Clausen ausdrücklich die Zweifel der Verteidigung an der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens. Beide beanstandeten die Ladung mit Themenvorgabe (nur Belastendes). Das Argument des Richters, man wolle sich erstmal einen Überblick verschaffen, ob die belastenden Indizien reichten, verwarf Clausen mit dem Argument, diese Übersicht sei schon vorhanden, weil es einen Eröffnungsbeschluss für das Hauptverfahren gebe wenn zu wenig Indizien zur Unterstützung der Anklage dawären, würde ja überhaupt kein Gerichtsverfahren eröffnet (der Eröffnungsbeschluss sei bereits die Schüssigkeitsprüfung der belastenden Indizien). Die Verteidigung legte auch formell Widerspruch gegen die thematische Einschränkung (Beschränkung auf ein Beweisthema) bei der Zeugenladung ein. Erneut beantragte auch Anwältin Erhardt, dass über ihre Beteiligung am Prozess als Nebenklage-Vertreterin erst entschieden werden müsse. Das Gericht vertragte sich um 11.30 Uhr erneut, der Vorsitzende kündigte eine weitere Beratung mit gleichzeitiger Mittagspause an. Eine Stunde später erschien das Gericht wieder und informierte, man habe sich in der Mittagspause nochmal mit der Verteidigung, Staatswanwaltschaft und Nebenklage zusammengesetzt und entschieden, die Tagesordnung umzuwerfen. Alle geladenen Zeugen (bis auf einen) werden nicht gehört, d.h. die beanstandeten Ladungen praktisch zurückgezogen. Man wolle jetzt mit den Abhörprotokollen anfangen. Da der vom Landgericht beauftragte Übersetzer (der als Gutachter geladen wird) aber im Urlaub sei, ginge das erst am 20. September. Bis dahin kann man nicht Pause machen, das geht immer nur 10 Tage, deshalb ist man zum Ergebnis gekommen: Die Verhandlungstage 6./7. September fallen aus, am 13. September trifft man sich um 10.00 Uhr und hört den Zeugen Schick (Diakonie Lübeck, Leiter der Unterkunft Hafenstraße) zum Zusammenleben im Haus, der Verhandlungstag 14. fällt wieder aus, am 20. September sind dann die Abhörprotokolle dran. |
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Prozessberichte Nr. 3 / 13. September 1999 Kein Streit im Haus Am 2. Prozesstag wurde ein Zeuge vernommen, Roman Schick (36), Theologe und Erzieher. Er ist Angestellter der Diakonie Lübeck und war zum Zeitpunkt des Brandes "Heimleiter" in der Hafenstraße 51. Ungefähr eine Stunde lang erklärte er anhand von Folien mit Grundrisszeichnungen die baulichen Gegebenheiten und die Belegung der einzelnen Räume. Anschließend sagte er zum Zusammenleben im Haus aus. Zum Vorbau sagte er, es habe nach einem Vorkommnis im Sommer 95 (s.u.) eine neue Klingelanlage mit einer Klingel pro Stockwerk gegeben, diese habe sich über nacht (ca. 23-7 Uhr) automatisch ausgeschaltet. Die Haustür sei nachts normalerweise verschlossen gewesen. Das Fenster im Vorbau habe er nie offen gesehen, nach einer Beschädigung am Riegel wäre es im Herbst 95 mit einer Holzleiste verschlossen worden. Der Briefkasten (Klappe in der Tür, verschließbarer Kasten innen) sei zum Zeitpunkt des Brandes heil gewesen. Zum Thema Konflikte im Haus berichtete er von häufigen, allerdings normalen Streitigkeiten unter den Kindern, von gelegentlichen Auseinandersetzungen um Küchennutzung/Küchensäuberung sowie um unterschiedliche Tagesabläufe: Die einen, Berufstätigen, gehen früh schlafen (z.B. Fam. Eid, 1. Stock), bei den anderen ist noch spät Besuch da und Musik an (z.B. Fam. Makodila, 2. Stock). Speziell zu Safwan Eid sagte er, der wäre nach seiner Erinnerung nicht an Auseinandersetzungen beteiligt gewesen. Der Richter fragte ausdrücklich nach Rauschgift und nach Prostitution im Haus, beides kam laut Schick nicht vor. Erörtert wurde noch das mehrfache Abreißen bzw. Ankokeln eines Zettels an der Bürotür, auf dem der Bereitschaftsdienst (nachts) vermerkt war. Schick sah das als vermutliche Revanche aus einer Gruppe größerer Kinder im Haus, die er mehrfach zur Ordnung rufen musste. Ansonsten wurde Ende Juni 1995 mal nachts eine Teer-ähnliche Flüssigkeit an die Bürotür sowie auf den Flurfußboden gekippt, nie aufgeklärt. Das Münztelefon wäre mehrfach beschädigt gewesen, sonst gab’s nichts. Der Rauchmelder, eine weitere Frage, wäre intakt gewesen und z.B. Sylvester 95/96 mal angeschlagen, nachdem Knaller gezündet worden waren. Safwan Eid wäre ein besonnener, ruhiger junger Erwachsener, bei Diskussionen mit HausbewohnerInnen wäre Schick immer froh gewesen, wenn Safwan dabei gewesen wäre. Das Verhältnis zur Familie habe sich im Sommer 95, nach Ablehnung einer Umzugserlaubnis, sehr verschlechtert, Ende 1995 wäre es wieder besser geworden. Die Nebenklage (Haage) fragte intensiv nach Autos der Familie Eid sowie nach Benzinkanistern, Schick konnte dort überhaupt nicht weiterhelfen. Die Verteidigung (Heinecke) wollte wissen, wann und wie die Polizei bei den Vernehmungen am 18.1.96 und 19.1.96 (21.05-23.30 Uhr) den "Familienvater" im ersten Stock eingeführt habe. Da hat die Polizei mehrfach nachgefragt, Schick habe immer gesagt, dass dort außer Marwan Eid kein Familienvater wohnt. Als ab dem 20.1.96 dieser Familienvater als Haftgrund gegen Safwan Eid in der Presse genannt wurde, habe Schick sich nicht zu Wort gemeldet, weil er ja wusste, dass die Polizei bescheid wusste. Dolmetscher befangen? Am 20. September soll ab 10.00 Uhr die Übersetzung der abgehörten Gespräche in U-Haft behandelt werden. Dazu will das Gericht die unwichtigen Passagen im "Selbstleseverfahren" rauslassen, die wesentlichen sollen von dem ursprünglichen Dolmetscher Yachoua und dem neuen Sprachwissenschaftler gemeinsam übersetzt und bei Differenzen diskutiert werden. Die Verteidigung lehnt Yachoua als befangen ab, weil er im Frühjahr 1996 bei seiner erste Übersetzung stark interpretiert hat, Zweifel verschwieg, Äußerungen wertete, angeblich zitternde Stimme wertete etc. pp. Außerdem habe er von sich aus die Stimmen auf dem Band identifiziert, obwohl das nicht zu seinen Aufgaben gehörte. Über den Antrag will das Gericht bis Montag entscheiden. Wenn es dem Antrag stattgibt, verlangt die Nebenklage einen neuen zweiten Übersetzer, während der Verteidigung einer reicht und ein zweiter nur gebracht wird, wenn es Zweifel an der Übersetzung gibt. |
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Prozessberichte Nr. 4 / 20. September 1999 Die Demontage eines Sprach-Sachverständigen Der Prozesstag begann mit der Verkündung des Beschlusses: Noch am 13. September, nach Ende des letzten Verhandlungstages, wies das Gericht den Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den Übersetzer Aziz Yachoua zurück. Das Auseinanderhalten verschiedener Stimmen gehöre ebenso wie die Erläuterung bestimmter Redewendungen und ihrer Bedeutung zu der Aufgabe eines Sprach-Sachverständigen. Auch die Gegenvorstellung der Verteidigung vom 14. September wurde zurückgewiesen. Ungefähr eine Stunde dauerte dann die Befragung der Verteidigung, die die Qualifikation von Aziz Yachoua (45 Jahre, Wiesbaden) erforschten. Danach war das Arabisch-Studium des unterdurchschnittlichen Abiturienten eine Notlösung, da ein Medizinstudium nicht möglich, der Militärdienst aber nur durch Studienaufnahme zu vermeiden war. Die Kenntnisse libanesischer Dialekte konnten nicht zufriedenstellend erklärt werden: Das sei im Studium vorgekommen, werde aber, so die Verteidigung, von der Uni in Damaskus nicht angeboten. Mehrere Aufenthalte im Libanon in den Ferien mussten so herhalten. Seit Jahren arbeitet er freiberuflich, allerdings mit einer klaren Ausrichtung: Zu 70 Prozent, so gab er an, arbeite er für die Polizei, LKA und BKA. Mit Verspätung begann dann das Abspielen der Bänder aus den abgehörten Gesprächen im Besucherraum des Untersuchungsgefängnisses, wobei mehr als die erste von insgesamt 60 Protokollseiten am ersten Tag nicht geschafft wurde. Während der Sachverständige Ahmed Wannous (46) aus Berlin, der seine Qualifikation durch eine entsprechende Magisterprüfung nachwies und als Lehrbeauftragter arabische Dialekte sowie die Geschichte des Arabischen unterrichtet, die fraglichen Passagen zwei- oder dreimal anhörte und dann übersetzte, ging Aziz Yachoua auf Nummer Sicher und hörte sich einzelne Passagen bis zu einem Dutzend Mal an, bevor er sie ins Deutsche übertrug. Eine erste Überraschung gab es, als es an die Übersetzung des ersten Gesprächs mit einem Bruder ging. Hier sprach man über das mögliche Strafmaß bei einer Verurteilung und über den Zeugen (gemeint war Leonhardt), der sich erst gemeldet habe, nachdem eine Belohnung von 50.000 Mark ausgesetzt worden war. Der Bruder beruhigte, alle Hausbewohner hätten ihre Zeugenaussagen was nun? "verglichen", hieß es in der ersten Übersetzung von Yachoua bei der Polizei. "Dargelegt", meinten die beiden Übersetzer jetzt vor Gericht. Und der Kernsatz "Ich habe alle zum Schweigen gebracht" kam auf dem Band überhaupt nicht vor. Allerdings war es so, dass die Polizei drei Mikrophone im Einsatz hatte. Von den drei Bändern war das jeweils dritte von vornherein als unbrauchbar eingestuft worden. Zu dem fehlenden Satz wurde deshalb das zweite Band zum Vergleich herangezogen. Auf dem Band zwei war die fragliche Bemerkung, im März 1996 mit "Ich habe sie zum Schweigen gebracht", zu hören. Der Sprachwissenschaftler Wannous bestritt dies, die fragliche Vokabel könnte überdies auch bedeuten: "Ich habe sie beruhigt" oder "Ich haben sie zufrieden gestellt" oder "Ich habe geschwiegen". Das wurde so protokolliert, Yachoua bestätigte auch, dass die Bedeutung "Ich habe sie beruhigt" möglich wäre. Das wurde so protokolliert. Um Zeit zu sparen, gingen beide Übersetzer dazu über, ihre schriftlichen Unterlagen hinzuzuziehen. Dabei erwähnte Yachoua eher beiläufig, sein Satz "Wenn ich gestehen würde, was wäre dann?", der Eid zugeschrieben wurde, durch einen Konvertierungsfehler beim BKA entstanden wäre: "Wenn ich gestorben wäre...", habe seine Originalübersetzung gelautet. Auch das wurde protokolliert. Das hatte der Übersetzer allerdings bei seinen späteren Vernehmungen nie erwähnt, er will es einem Polizeibeamten mal gesagt haben... Die Verteidigung nahm ihn am Schluss nochmal für fast eine Stunde ins Kreuzverhör, wollte genau wissen, seit wann er weiß, dass seine Übersetzung falsch ausgedruckt worden ist (von Anfang an, d.h. 8./9. März 1996), wie der Fehler entstanden ist (fehlerhafte Konvertierung einer Textdatei beim BKA) und wem er das wann gesagt hat (nicht so richtig). Da er aber genau zu diesem Satz vernommen worden war und laut Vernehmungsprotokoll hier keinen Fehler erwähnt oder gar richtiggestellt hatte, blieb für die Verteidigung erneut, seine Befangenheit anzunehmen. |
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Prozessberichte Nr. 5 / 21. September 1999 Umstrittener BKA-Übersetzer weiter dabei Zunächst stellte die Verteidigung aufgrund der Ereignisse vom dritten Verhandlungstag (siehe vorigen Prozessbericht) erneut einen Antrag auf Ausschluss des Übersetzers Azez Yachoua. Er sei wegen seiner "krassen und sinnenentstellenden Fehler" eine "Belastung für das Verfahren". Schon bei der geringen Übersetzungsleistung vom vorigen Prozesstag (63 Zeilen) sei bei Yachoua eine große Zahl von Übersetzungsfehlern zu verzeichnen gewesen. So habe der Sachverständige zum Beispiel an einer Stelle übersetzt: "Ich habe alle zum Schweigen gebracht", obwohl er auf Nachfrage einräumte, der Satz könne ebenso gut "Ich habe alle beruhigt" heißen. Yachoua habe "wie selbstverständlich die belastende Version gewählt" (so die Verteidigung), ohne auf andere Möglichkeiten hinzuweisen. Der gravierendste Punkt aus Sicht der Verteidigung war jedoch der am vorigen Prozesstag enthüllte Fehler in der schriftlichen Übersetzung, die der Sachverständige 1996 für die Staatsanwaltschaft Lübeck angefertigt hatte. Hier heißt es an einer Stelle "Wenn ich gestanden hätte, was wäre dann passiert?". Richtig hätte es jedoch heißen müssen, wie Yachoua jetzt im Gerichtssaal einräumte: "Wenn ich gestorben wäre...?" Der Dolmetscher habe sich 1996 nicht nachdrücklich bemüht, diesen Fehler zu korrigieren, so die Verteidigung. Staatsanwalt und Nebenklagevertreter hielten an dem umstrittenen Übersetzer, der nach eigenen Angaben zu 70 Prozent für Polizeibehörden wie das BKA tätig ist, fest. Dieser habe von sich aus auf Fehler hingewiesen, so Staatsanwalt Martins. Zudem sei der Fehler in der schriftlichen Übersetzung ohne Folgen für den Angeklagten gewesen, die Staatsanwaltschaft habe die entsprechende Passage in ihrem seinerzeitigen Beweisantrag gar nicht erwähnt. Nebenklagevertreter Clausen meinte, die Fehler Yachouas seien "nicht als solche zu werten", sie lägen in objektiven Schwierigkeiten wie der schlechten Qualität der Abhörcassetten begründet. Die Verteidigerinnen versuchten dann noch herauszufinden, wie es 1996 beim BKA zu dem angeblichen Konvertierungsfehler der Textdatei mit Yachouas Übersetzung gekommen war und wer genau die falschen Worte eingefügt hatte. Doch weder der Sachverständige konnte hier zur Aufklärung beitragen noch die beteiligte BKA-Beamtin Wagner. Diese war vom Vorsitzenden Richter per Fax dazu befragt worden und hatte lediglich kurz zurückgefaxt, sie erinnere sich, dass es damals ein Problem gegeben hätte, Genaueres könne sie jedoch nicht mehr sagen. Das Gericht lehnte den Antrag der Verteidigung ab. Es gebe "bis zu diesem Zeitpunkt" keinen Grund, auf den Sachverständigen Yachoua zu verzichten. Über eine mögliche Befangenheit des Dolmetschers entschied das Gericht ausdrücklich nicht, da kein neuerlicher Befangenheitsantrag gestellt worden sei. So fuhren dann die beiden Sachverständigen Wannous und Yachoua mit den Übersetzungen fort. Die Prozedur lief wieder sehr zäh und langwierig ab und war durch die schlechte Tonqualität der Cassetten geprägt. Inhaltlich waren die angeblich "belastenden" Stellen wenig ergiebig. So zum Beispiel wurde eine bereits 1996 von der Staatsanwaltschaft veröffentlichte Passage jetzt so übersetzt: " (...) dass das Gebäude gebrannt hat. Ich habe ihnen gesagt, dass Mohameds Ohren verbrannt sind." Zuvor hatte es Unklarheiten darüber gegeben, ob von "Ohren" oder "Gebäude" die Rede sei (im Arabischen ähnlich klingende Worte), jetzt taucht offensichtlich beides hintereinander auf. Auf diesem Niveau zogen sich die Übersetzungen, Wiederholungen der Übersetzungen und Diskussionen hin. An einer Stelle kamen noch einmal massive Zweifel an der Unvoreingenommenheit des BKA-Übersetzers auf. Während Wannous an einer Stelle hörte: "Dein Vater lässt dir sagen [Lücke] ... - Ich sage überhaupt nichts mehr.", übersetzte Yachoua: "Dein Vater sagt, du sollst aufpassen. - Ich werde nichts mehr sagen." Diese Passage wurde annähernd zwanzigmal vorgespielt, um zu ermitteln, ob das arabische Wort für "aufpassen" dort zu hören ist. Keiner der Prozessbeteiligten konnte ein solches Wort vernehmen, selbst die Berufsrichter gaben zu Protokoll, ein solches oder ähnliches Wort nicht heraushören zu können. Dann wurde derselbe Satz noch einmal auf einem anderen Band (es gab drei parallele Aufnahmen von unterschiedlichen Mikrofonen) angehört. Jetzt übersetzten beide Sachverständigen übereinstimmend: "Dein Vater lässt dir sagen, er lässt dich grüßen. Du sollst deine Zunge hüten." Das Wort "aufpassen" taucht definitiv nicht auf. Eine weiterere Textstelle am Nachmittag des vierten Prozesstages passt ins Bild: "Ich habe den Koran gelesen. Ich habe meine Fehler erkannt, ich weiß, was ich im/am Gebäude gemacht habe", hieß es seit 1996 in der Yachoua-Übersetzung. Jetzt: "... ich weiß, was ich im Herzen des Gebäudes gemacht habe." Wannous dazu: Auf dem Band ist kein Satz zu verstehen, er würde seinen Lehrstuhl riskieren, wenn er aus den Geräuschen und drei Silben einen Sinn konstuierte. Band 2 wird herangezogen, hier ist ein wenig mehr zu verstehen: "Ich habe alle meine Fehler erkannt, ich weiß, was mein Gott so mit mir macht." Egal? Sachverständige Yachoua gestand ein, er habe eben gewisse Erwartungen über das, was gesagt werde. Auf Nachfrage wollte er dies aber doch nicht so gemeint haben. Dann wurden auf Antrag der Verteidigung mehrere Gesprächspassagen, in denen Safwan Eid seinen Verwandten gegenüber seine Unschuld darlegt, (einvernehmlich) übersetzt. Solche Sätze finden sich zuhauf in den Gesprächen, doch an die Öffentlichkeit waren bisher nur die wenigen Sätze gelangt, die angeblich den Beschuldigten belasteten. Bei allen bisher im Gerichtssaal übersetzten Gesprächsausschnitten kann von einer solchen belastenden Aussagen jedoch nicht die Rede sein, unabhängig davon, auf welchen der beiden Übersetzer man sich bezieht. Den Abschluss bildete die Verlesung eines Faxes von Dr. Böckenhauer: Er könne sich nicht erinnern, dass Yahoua beim Termin im März 1996 einen Konvertierungsfehler beanstandet habe. |
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Prozessberichte Nr. 6 / 27. September 1999 "Nachweislich gelogen"? Zunächst ging es wieder einmal um den Übersetzungsfehler des Sachverständigen Yachoua ("gestanden hätte" statt "gestorben wäre"), den dieser angeblich bei einer polizeilichen Vernehmung am 8. März 1996 korrigiert haben will. Der Richter hatte die beteiligten Polizisten um Stellungnahme gebeten, ob Yachoua tatsächlich einen Hinweis auf den Fehler gegeben hatte. Laut der Stellungnahmen, die der Richter verlas, konnte sich keiner der beteiligten Beamten an einen Übersetzungsfehler bzw. dessen Korrektur erinnern. Einer der Polizisten, der nahezu durchgehend bei der damaligen Zeugenvernehmung anwesend gewesen war, ergänzte, falls Yachoua eine solche Bemerkung gemacht hätte, wäre sofort ein Protokoll darüber erstellt worden. Die Verteidigung beantragte, diesen Beamten als Zeugen zu laden. Daraufhin stellten dann die Verteidigerinnen einen zweiten Ablehnungsantrag gegen Yachoua wegen Besorgnis der Befangenheit. In der Begründung nahmen sie ausführlich auf den Übersetzungsfehler und seine angebliche Korrektur Bezug und warfen dem Dolmetscher vor, er habe in dieser Frage "nachweislich gelogen". Es sei nicht richtig, dass er seine schrifliche Übersetzung zum ersten Mal wieder am 8.3.1996 in die Hand bekommen habe, da er laut Polizeiprotokoll bereits am 7.2.1996 dazu vernommen worden sei. Zudem sei es laut Angaben der seinerzeit beteiligten Beamten nicht richtig, dass der Übersetzer seinen Fehler am 8.3.1996 gegenüber der Polizei berichtigt habe. Außerdem habe der Sachverständige Yachoua mehrfach "belastende" Übersetzungsversionen gewählt und erst auf Nachfrage eingeräumt, dass der betreffende Satz auch ganz unverfänglich übersetzt werden könnte. Der Sachverständige habe eine "besondere Sachkunde" darin an den Tag gelegt, einen erwünschten Sinn durch Ergänzungen zu gehörten Satzfetzen zu konstruieren. Das Gericht räumte den anderen Prozessbeteiligten eine Frist bis Mittwoch ein, sich zu diesem Antrag zu äußern; es wird dann vermutlich im Laufe der Woche darüber entscheiden. Dann wurden die Übersetzungen fortgesetzt. Am Anfang ging es noch einmal um einen umstrittenen Satz, der ursprünglich von Yachoua schrifltich mit "Ich weiß, was ich im/mit dem Gebäude gemacht habe" übersetzt worden war. Aus dieser Passage hatte das BKA-Techniker ein Störgeräusch eliminiert, und nun wurde sie nochmals mehrfach vorgespielt. Wannous übersetzte: "Ich weiß, [...unverständlich] Gebäude.", Yachoua: "Ich weiß, was [...unverständlich] Gebäude." Yachoua fügte noch hinzu, wenn man die zu verstehenden Silben ergänze, könnte der Halbsatz lauten: "was ich gemacht habe"; dies wirft ein bezeichnendes Licht auf seine Übersetzungsmethode. Neben einigen höchst belanglos erscheinenden Passagen,. deren Übersetzung dennoch sehr viel Zeit in Anspruch nahm, gab es zwei interessantere Übersetzungen. Sehr lange ging es um eine Passage, die der Sachverständige Wannous so übersetzte: "Es ist eine Geschichte. Der Koran ist auch nichts anderes als eine Geschichte. Ich sitze hier im Gefängnis und denke seit zwei Tagen darüber nach, bei Gott, dem Großen, wie die Welt, das Leben so ist, warum es so ist, und ich bitte immer wieder meinen Gott um Verzeihung." Hier bestätigten beide Dolmetscher übereinstimmend, dass letzteres eine übliche religiöse Redewendung von Moslems sei. Jedesmal, wenn ein Moslem den Koran lese, zitiere er diesen Satz, so erläuterte Wannous. Des weiteren wurde dann ausführlich ein Satz behandelt, der in Yachouas ursprünglicher schriflticher Übersetzung geheißen hatte: "Ich habe dir gesagt, ich zehn Leben umgebracht [...]". Dies wurde jetzt nach vielfachem Vorspielen von beiden Dolmetschern übereinstimmend so übersetzt: "Wenn ich dir sagen würde, ich habe zehn von den Leuten umgebracht und das Haus in Brand gesteckt, würdest du zwei Tage warten, bis du es mitteilst? - Nein." Dies bezieht sich eindeutig auf den Belastungszeugen Leonhardt, der nämlich genau das getan hatte: Nachdem er das angebliche Geständnis Safwan Eids vernommen haben wollte, wartete er erst zwei Tage und ging dann zur Polizei. Der Richter drängte darauf, die Übersetzungen künftig mehr zu straffen und die zu übersetzenden Passagen sorgfältiger auszuwählen. Bisher sei nicht so viel Belastendes herausgekommen, so meinte er in einer vorsichtigen ersten Bewertung. Die Verteidigerinnen erklärten sich damit einverstanden, dass die etwa zwanzig Passagen mit Unschuldsbeteuerungen nicht in der Hauptverhandlung vorgespielt und übersetzt würden, wenn sich beide Dolmetscher anhand ihrer schriftlcihen Übersetzungen darauf einigen könnten, dass diese Sätze so gefallen seien. Im Gegenzug wurde aber auch die Nebenklage vom Richter dazu aufgefordert, ihre Übersetzungswünsche zu reduzieren. |
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Prozessberichte Nr. 7 / 28. September 1999 Es ist nur noch langweilig Mehrere Appelle, doch die Textstellen, die im Hauptverfahren übersetzt werden sollen, sparsamer auszuwählen, hatten letztlich Erfolg - bei der Verteidigung weit mehr als bei Staatsanwaltschaft und Nebenklage. So begann der Prozesstag mit dem Abfragen der "Hausaufgaben": Die beiden Dolmetscher hatten eine Liste von Textstellen, die "Unschuldsbeteuerungen" enthielten, in den schriftlichen Versionen ihrer Übersetzungen in der Nacht von Montag auf Dienstag miteinander verglichen und gingen kurz (!) auf die Unterschiede ein. Ergebnis: Die Differenzen sind marginal, im Sinn sind beide Übersetzungen gleich. Die nächste Textstelle war von der Nebenklage benannt worden, der Nebenklage-Anwalt Clausen verzichtete darauf. Hier widersprach Nebenklageanwalt Haage: Er wollte die Textstelle übersetzt haben. Nach ungefähr 20 Minuten Hin- und Herspulen war es dann soweit: Safwan Eid unterhielt sich anscheinend mit seinem Bruder über die Ereignisse der Brandnacht, berichtete, er habe zunächst einen Fehlalarm oder ein kleines Feuer vermutet und dass es ein Fehler gewesen sei, die Tür offen zu lassen. Feuer und Rauch wären schnell nach oben gekommen, auf dem Dach wurde über warten, klettern oder springen diskutiert. Die Erläuterung von Safwan Eid gegenüber einem Bruder, in der Besucherzelle nicht über Benzin zu sprechen, klärte sich einfach: Kurz zuvor war auf dem Band ein Polizeidolmetscher mit einer Belehrung zu hören, beim Besuch dürften keine Informationen über den Brand zur Sprache kommen, so die Haftbestimmungen. Es blieb belanglos: In einem weiteren Gespräch ging es darum, ob Frau El-Omari schon abgereist sei (zur Beerdigung ihres Sohnes), ob Jean-Daniel (Makodila) einen Tag früher geflogen sei, ob es schon eine neue Wohnung für die El-Omaris gebe, ob die eine Tochter der Familie schon aus dem Krankenhaus entlassen sei und so weiter - nur dass eben einzelne Halbsätze 20- oder 30mal vorgespielt wurden. Herr Rechtsanwalt Haage hing dann an einem Satz: Nachdem es um die Entlassung aus dem Krankenhaus der Omari-Tochter und der neuen Wohnung für die Familie ging, sagt Safwan Eid auf dem Band "Gott möge mir verzeihen". Das reiht sich ein in eine Serie solcher religiöser Floskeln. Hier wollte Haage aber gerne wissen, ob es auch "Gott möge es mir verzeihen" heißen könnte, als das beide Dolmetscher verneinten, ob man das Wort nicht ergänzen müsste und ob sich dann das "es" (was nach Aussagen beider Dolmetscher nicht auf dem Band zu hören war) nicht auf den Brand beziehen könnte. Dass er uns damit eine halbe Stunde unseres Lebens gestohlen hat, so lange diskutierte er nämlich drüber, ist nicht so schlimm - wichtiger ist die Erkenntnis, dass ihm andere Themen wohl im Moment nicht bleiben. Der Richter gab mehrfach zwischendurch zum besten, es sähe jetzt nicht die Relevanz der übersetzten Textstellen, oder auch: da wäre ja noch nichts bei rausgekommen. Jetzt soll es noch um zwei Textstellen gehen, die die Staatsanwaltschaft übersetzt haben will, eine Textstelle will Herr Haage noch hören. Termine: montags immer um 10.00 Uhr, dienstags immer um 9.00 Uhr. |
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Prozessberichte Nr. 8 / 4. Oktober 1999 Übersetzung der Abhörbänder beendet: Belastendes hat keiner gehört... Am siebten Verhandlungstag wurde die Übersetzung von Passagen der Cassetten, auf denen Gespräche Safwan Eids aus der Untersuchungshaft im Februar 1996 aufgezeichnet worden waren, beendet. Eindeutiges Fazit: Entgegen der ursprünglichen Behauptungen der Lübecker Staatsanwaltschaft förderten die Übersetzungen lediglich Entlastendes für den Angeklagten zutage. Vermeintlich belastende Stellen, die angeblich Geständnisse des Angeklagten enthalten würden, hörten sich in den Übersetzungen in der Hauptverhandlung ganz anders an, waren überhaupt nicht mehr klar zu identifizieren oder waren schlicht nicht mehr existent (vgl. auch vorige Prozessberichte). Am heutigen Verhandlungstag ging es unter anderem um eine solche Passage. In einem Gespräch Safwan Eids mit seinem Bruder Bilal, habe dieser zu dem Beschuldigten gesagt: "Stell dich als Unschuldiger dar."; so zumindest lautete die ursprüngliche Übersetzung des BKA-Dolmetschers Azez Yachoua. Daraus hatte seinerzeit die Lübecker Staatsanwaltschaft gefolgert, wer es nötig habe, sich als Unschuldiger darzustellen, der sei in Wirklichkeit gar nicht unschuldig. Dieser Satz wurde nun in der Hauptverhandlung nach mehrmaligem Abhören von Yachoua übersetzt mit: "Er sagt, dass der Junge unschuldig ist." Der zweite Sachverständige Wannous erkannte hier die Worte "ein unschuldiger Junge" oder "der Junge ist unschuldig", ein weiterer Satzzusammenhang war für ihn nicht zu wahrzunehmen. Auch der Sachverständige Wannous konnte jetzt einen Satz aus seiner schriftlichen Übersetzung, der möglicherweise belastend interpretiert werden könnte, nicht mehr bestätigen. Safwan Eid soll, bezogen auf eine vorherige Vernehmung, gesagt haben: "Und nur mein Gott weiß, dass ich nicht sagen will, was war." Dies hatte Wannous allerdings auch nur auf einem der beiden parallel angefertigten Mitschnitte so gehört. Im Gerichtssaal übersetzte Wannous jetzt: "(...) er (oder: ich) würde nicht sagen, wie es dazu gekommen war." Die Worte davor seien nicht zu identifizieren. Auch der Übersetzer Yachoua konnte hier keine Worte wahrnehmen. Auf Nachfrage des Richters verneinten auch beide, an der betreffenden Stelle das Wort "Allah" ("Gott") hören zu können. Als besonderen Service für das Publikum fasste der Richter nochmals alle abgehörten Gespräche Safwan Eids mit seinen Brüdern und seinem Vater zusammen, so dass auch denjenigen, die im Gegensatz zu den Prozessbeteiligten nicht die kompletten Akten vor sich haben, der Kontext klarer wurde, in dem die einzelnen im Gerichtssaal übersetzten Passagen stehen. Hier wurde deutlich, dass die von der Staatsanwaltschaft vormals als "belastend" eingestuften Sätze nur winzige Ausschnitte aus den Gesprächen darstellten, in denen es sich ansonsten immer wieder um die Unschuld Safwans, seine wahrscheinlich bald bevorstehende Freilassung, den Mangel an belastenden Indizien gegen ihn sowie um die Zweifelhaftigkeit der Belastungsaussage des Rettungssanitäters Leonhardt ging. Die Übersetzungen der Tonbänder wurden heute abgeschlossen, die beiden Sachverständigen wurden vereidigt und entlassen. Gegen den Sachverständigen Yachoua hatte bereits vorige Woche die Verteidigung einen Befangenheitsantrag wegen seiner Fehler und tendenziösen Übersetzungen gestellt (siehe Prozessbericht 6). Die Entscheidung über diesen Antrag hat das Gericht im Einvernehmen mit der Verteidigung zurückgestellt. Zunächst sollte die Übersetzung beendet sein, anschließend will das Gericht eine Zwischenbewertung über die Beweiskraft der übersetzten Abhörprotokolle abgeben. (Diese Zwischenbewertung ist für den achten Prozesstag zu erwarten.) Dieses Vorgehen zeigt, dass die RichterInnen den Befangenheitsantrag wohl für begründet halten (sonst hätten sie ihn einfach abgelehnt), sich aber derzeit die Diskussion um einen eventuellen anderen zweiten Dolmetscher, der die Gesprächspassagen erneut übersetzen müsste, ersparen wollten. Die Verteidigung erklärte, die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass der Prozess nicht hätte stattfinden dürfen und müssen, wenn sich die Lübecker Staatsanwaltschaft um eine korrekte Übersetzung der Abhörbänder bemüht hätte. Schon damals habe es gravierende Widersprüche in unterschiedlichen Übersetzungen der Bänder gegeben. Die Staatsanwaltschaft habe jedoch einige tendenziöse und fehlerhafte Interpretationen Yachouas gezielt herausgesucht, "um ein Geständnis zu konstruieren, wo kein Geständnis war". Staatsanwalt Böckenhauer habe dadurch "das nötige Mindestmaß an Objektivität verlassen". Grund dafür sei die akute Beweisnot der Staatsanwaltschaft gewesen: Sie hätte weder ein Tatmotiv noch Beweise noch die genaue Tatzeit noch den genauen Tatort präsentieren können. Der Staatsanwalt entgegnete, nicht nur die Staatsanwaltschaft Lübeck habe das Verfahren gegen den Angeklagten betrieben, es habe ja auch noch eine Strafkammer gegeben, die die Hauptverhandlung gegen ihn eröffnet habe. Im übrigen solle man sich bezüglich der Abhörbänder auf das beschränken, was hier im Gerichtssaal übersetzt worden sei. Am nächsten Verhandlungstag (Montag, 11. Oktober, ab 10.00 Uhr) soll damit begonnen werden, die polizeilichen Vernehmungen Safwan Eids zu rekonstruieren, indem die beteiligten Vernehmungsbeamten als Zeugen befragt werden. Am Dienstag, 5. Oktober, findet wegen interner Beratungen des Gerichts keine Verhandlung statt. |
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Prozessberichte Nr. 9 / 11. Oktober 1999 Freispruch immer wahrscheinlicher — weitere Zweifel an Lübecker Ermittlungsbehörden Im Mittelpunkt des achten Verhandlungstags stand eine Zwischenbewertung der Kammer, die der Vorsitzende Richter zu Beginn verlas. Fazit: Es gebe "nicht den allergeringsten Anhaltspunkt" für eine konkrete Tatbeteiligung Safwan Eids. Das Gericht stützte seine Bewertung auf das Urteil des Landgerichts Lübeck (das durch den Revisionsbeschluss des Bundesgerichtshofs aufgehoben worden war) sowie auf die bisherige Beweisaufnahme im Kieler Verfahren, die fast ausschließlich in der Übersetzung der Mitschnitte von Gesprächen Safwan Eids in der Untersuchungshaft bestand. Selbst wenn die Aussage des Rettungssanitäters Leonhardt im Lübecker Verfahren als wahr unterstellt werde, lasse sie nicht den Schluss auf eine Tatbeteiligung Safwan Eids zu. Selbst wenn Safwan Eid dem Sanitäter gegenüber tatsächlich die umstrittenen Worte "Wir warn’s" geäußert habe, heiße dies nicht, dass er in irgendeiner Form selbst beteiligt gewesen sei, da nach dem Sprachgebrauch das Wort "wir" lediglich die allgemeine Identifikation mit einer Gruppe bedeute. Auch weitere angeblich belastende Indizien, die im Lübecker Urteil zur Sprache kommen, würden keinen Hinweis auf eine Schuld des Angeklagten liefern. Als eher entlastend wertete das Gericht die Tonbandprotokolle aus der Untersuchungshaft. Sie hätten keine den Angeklagten belastende Passage ergeben. Dabei wertete das Gericht diejenigen Sätze, die lediglich der umstrittene BKA-Übersetzer Yachoua gehört haben will, nicht aber der zweite Sachverständige, als nicht erwiesen. Selbst wenn man Yachouas Version als richtig unterstellte, würde sich daraus kein weiterer Tatverdacht ergeben. Lediglich zwei Passagen könnten als belastend im weiteren Sinne gewertet werden, aber auch aus diesen Sätzen könnten keine sicheren Schlüsse gezogen werden, da die Interpretation sehr spekulativ sei. Im übrigen sind dies beides Sätze, die nur Yachoua im "belastenden" Sinne übersetzt hatte, sie gelten also sowieso nicht als erwiesen. Die Gesamtbewertung aller Gespräche spricht laut Gericht eher dafür, dass der Angeklagte "keine eigene Kenntnis" über die Tat hatte. Eine längere Gesprächspassage, in der Safwan seinem Bruder Bilal die Situation des Brandes schildert, bewertete das Gericht als äußerst glaubhaften Erlebnisbericht, der mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf selbst Erlebtem beruhe und nicht konstruiert sei. Bei dieser Sachlage bleibe für die Kieler Hauptverhandlung nur noch, zu untersuchen, ob es weitere Indizien gibt, die nicht in das Lübecker Urteil eingeflossen sind und die auf eine konkrete Tatbeteiligung Safwan Eids hindeuteten. Aus Sicht des Gerichts bleibt jetzt nur noch, dies anhand von Aussagen einiger Vernehmungsbeamte und eines Spurensicherungsbeamten der Lübecker Kripo zu untersuchen; wenn sich daraus keine neuen Verdachtsmomente ergäben, müsse Safwan Eid nach derzeitigem Stand der Dinge umgehend freigesprochen werden. Nebenklagevertreter Clausen, der durch seine Revision überhaupt erst den zweiten Prozess herbeigeführt hatte, teilte erwartungsgemäß die Einschätzung des Gerichts nicht. Für ihn sind die Aussagen des Rettungssanitäters weiterhin als "Geständnis" zu werten, Safwan Eid habe darin Täterwissen mitgeteilt. Clausen konstruierte wie schon im ersten Verfahren einen Tathergang durch Safwan Eid, der einen "Racheakt" gegenüber einem anderen Hausbewohner hätte verüben wollen. In einer kurzen Entgegnung meinte die Verteidigung, Clausens Konstrukt beruhe auf Phantasie und nicht auf Tatsachen. Insbesondere lasse er die zahlreichen Widersprüche in der Aussage Leonhardts außer acht und wolle einen offensichtlich Unschuldigen verurteilt sehen. Auf die wiederholte Frage des Richters an die Nebenklagevertreter, auf welche konkrete Tathandlung Safwan Eids die Aussage Leonhardts oder andere "belastende" Indizien schließen ließen, blieben diese jegliche Antwort schuldig. Als Zeugen hörte das Gericht anschließend drei Vernehmungsbeamte, die die ersten Vernehmungen mit Safwan Eid durchgeführt hatten und deren Aussagen im Lübecker Urteil nicht erwähnt worden waren. Dies brachte zwar nichts Neues, schon gar nicht etwas Belastendes. Die Ausführungen der Polizisten über den Ablauf der Verhöre rückten erneut die Ermittlungstätigkeit der Lübecker Staatsanwaltschaft und Polizei ins Zwielicht. So wurden dem Zeugen Leonhardt bei seiner ersten Aussage in einer sogenannten "Wahllichtbildvorlage" Fotos von sechs männlichen, nicht-schwarzhäutigen Bewohnern des Flüchtlingsheimes zur Identifizierung vorgelegt; fünf der sechs Personen waren Mitglieder der Familie Eid; wie diese merkwürdige Auswahl zustande kam, dazu konnte der daran beteiligte Beamte keine Auskunft geben. Für die Verteidigung stellte sich weiterhin die Frage, warum ein so wichtiger Zeuge wie Leonhardt von nur einem Kripobeamten vernommen wurde, der dann auch die Glaubwürdigkeit der Aussagen Leonhardts nicht hinterfragt hatte. Die Verteidigung äußerte an dieser Stelle erneut den Verdacht, dass es sich bei der ganzen Anklage gegen ihren Mandanten von Beginn an um ein Konstrukt gehandelt habe. Sehr dubios erschien auch die Vernehmung Safwan Eids durch einen BKA-Beamten, angeblich bewandert in "arabischer Mentalität", der Safwan Eid unter anderem auf den Koran schwören ließ und auch ansonsten sehr zweifelhafte Methoden anwandte. Der heute als Zeuge gehörte Kripobeamte gab an, dieser Vernehmung nicht habe folgen zu können, obwohl er damals die ganze Zeit über anwesend war. Der weitaus überwiegende Teil dieser Vernehmung ist nicht dokumentiert worden — weil die Vernehmungsmethoden unzulässig gewesen seien, wie die Verteidigung mutmaßte. Am Dienstag, 12.10., wird der Prozess um 9 Uhr fortgesetzt. Auf der Zeugenliste stehen noch weitere Lübecker Kripobeamten. Des weiteren kündigte das Gericht an, noch den LKA-Brandsachverständigen Herdejürgen hören zu wollen, allerdings nur zu der Frage, ob es seit dem Lübecker Prozess neue Erkenntnisse über den möglichen Brandverlauf gebe. Weiteren Beweisbedarf sieht das Gericht derzeit nicht, und es liegen auch keine weiteren Beweisanträge vor. |
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Prozessberichte Nr. 10 / 12. Oktober 1999 Gibt es nicht irgendwas? So ganz sachte ist das Gericht jetzt doch wieder in die ursprüngliche Spur gerutscht, salopp gesagt: Erstmal nur gucken, ob’s genug Belastendes gegen den Angeklagten gibt. Nachdem die Tonbänder der Abhörmaßnahme in Untersuchungshaft nichts gebracht haben, versuchte der Richter jetzt durch gezielte Zeugenauswahl herauszufinden, ob es noch irgendetwas gibt, was den Angeklagten belastet. Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass der Richter nicht glaubt, damit Erfolg zu haben, sondern dass er diese Vorgehensweise nur will, um die Verhandlungsdauer drastisch abzukürzen. Am heutigen Dienstag, 12. Oktober, sagten drei Lübecker Kripobeamte aus. Der erste ist Vernehmungsbeamter, der zweite verantwortlich für die Spurensicherung, der dritte "Aktenverwalter", er sollte und konnte eine Übersicht über alle Erkenntnisse geben. Der erste Zeuge war Manuel Dzatkowski, 40jähriger Vernehmungsbeamter der Lübecker Kripo. Er sagte vor allem zur Vernehmung von Safwan Eid am 29. Februar 1996 aus, also nach fünf Wochen Untersuchungshaft, als Safwan Eid mit den Bändern der Abhörmaßnahme konfrontiert wurde. Safwan habe sich als unschuldig bezeichnet und die Polizei aufgefordert, nach den wirklichen Brandstiftern zu suchen. Als ihm vorgehalten wurde, er habe laut erster Übersetzung seinem Bruder beim Besuch gesagt, er habe seine Fehler erkannt, er wisse, was er im Haus gemacht habe, sei er ungehalten und nervös geworden und habe die Vernehmung abgebrochen. Am 8. März 1996 seien ihm 12 Passagen (die, die in den vergangenen Wochen in der Verhandlung neu übersetzt wurden) vorgespielt worden, und seine Erläuterungen, was er dort gesagt habe, seien stark von den Übersetzungen des BKA-Dolmetschers Yachoua abgewichen. Safwan Eid habe die schwer verständlichen Passagen mehrfach, bis zu 17mal, angehört. Zur oben erwähnten Passage habe er übersetzt: Ich habe alle meine Fehler erkannt, ich weiß, was ich im Leben gemacht habe; das habe sich – laut Eid – auf das Gespräch vorher über seine Koran-Lektüre im Gefängnis bezogen. An anderer Stelle habe er gesagt, nicht von einem verbrannten Gebäude (Yachoua), sondern von verbrannten Ohren sei die Rede gewesen. Die Übersetzung von Yachoua, in der von "Sklaven" im Haus die Rede war, habe Eid mit "Neger" übersetzt und bestritten, dass das arabische Wort abfällig gemeint sei. Interessant wurde als, als der Kripobeamte auf die Stelle "Und wenn ich jetzt gestehen würde..." zu sprechen kam: Safwan Eid habe damals in Gegenwart von Yachoua diese Passage mit "Und wenn ich jetzt gestorben wäre..." übersetzt. Yachoua habe das nicht kommentiert. Am 9. März gab es eine Vernehmung von Yachoua zu seiner Übersetzung, auch da habe der BKA-Dolmetscher nichts an seiner Übersetzung zu korrigieren gehabt. Bei der nächsten Vernehmung (15. März) ging es um die Aussage des Sanitäters, Safwan Eid habe gesagt, seine Worte wären "Die warn’s" gewesen, er habe dem Sanitäter kurz mitgeteilt, was sein Vater ihm von Geräuschen an der Gartenpforte und einem Knall wie von einem Molotow-Cocktail erzählt. Das Gleiche habe er, Eid, übrigens einem Kripobeamten vor dem Haus erzählt, da stand ein Türke dabei, nach dem Sanitäter habe er es auch dem Busfahrer erzählt. In diesem Zusammenhang habe Eid vom Feuer im ersten Stock gesprochen. Bei der nächsten Vernehmung, am 20. März, sei dann aber geklärt worden, dass Safwan Eid den "ersten Stock" wie im Arabischen für das Erdgeschoss verwendete. Als nächster Zeuge war Andreas Bergeest (42) von der Spurensicherung dran. Er beschrieb, dass 10 Proben Brandschutt aus dem Eingangsbereich sowie Reste von Tür und Briefkasten ergebnislos auf Brandbeschleuniger untersucht wurden, ebenso ergebnislos blieb die Untersuchung im 1. Stock. Dort sei allerdings ein "Durchbrand" festgestellt worden und danach angenommen worden, hier sei der Brandherd gewesen. Die Verteidigerin Gabriele Heinecke fragte dann, ob bei diesen ersten Untersuchungen am 18./19. Januar 1996 direkt über diesem "Brandherd" eine Klorolle hing — die habe er gesehen, sie sei aber nicht unbeschädigt gewesen, sondern "angekokelt". Ob er auch einen Durchbrand im Erdgeschoss festgestellt habe? Ja, im Eingangsbereich, das wüsste er aber nicht mehr so genau, es wäre wohl direkt hinter der Eingangstür gewesen. Von der Nebenklage kam die Frage nach den Benzinkanistern: Ein leerer 20-Liter-Kanister sei in der Abstellkammer gefunden worden, er habe ursprünglich bleifreies Benzin enthalten, der Reservekanister des Autos sei voll im Auto gefunden worden. Anhand der Pläne vom Haus wurde dann über das Gefälle im Flur des 1. Stocks gesprochen. Dazu gab es einen Plan der Kripo-Spurensicherung, der ein Gefälle von 13 cm von der Flurecke bei der Treppe zum "Brandherd" auswies und nochmal 5 cm bis zur ersten Treppenstufe. Für den Spurensicherungsbeamten, der beim Lübecker Prozess diesen Plan nicht erläutern musste, überraschend: Das Gefälle vom Brandherd bis zur Treppe war auf dem Kripoplan zwar richtig beziffert, der Pfeil, der die Differenz als Gefälle oder als Steigung anzeigt, war deutlich falschrum eingetragen. Das die Lübecker Kripo hier seit dreieinhalb Jahren einen falschen Plan verwaltet, schien ihm etwas peinlich zu sein. Ergänzend sahen sich dann alle Prozessbeteiligten, eng um den Richtertisch versammelt, die Fotos des Hauses an, die die Spurensicherung gefertigt hatte. Dort fand sich dann auch ein Foto vom Durchbrand im Erdgeschoss, so dass jetzt auch der Beamte der Spurensicherung nochmal feststellen konnte, dass es unmittelbar hinter dem Briefschlitz der Eingangstür intensiv gebrannt hatte. Dort sind aber, dabei bleibt es, bei der Untersuchung des Brandschutts keine Spuren von Brandbeschleuniger festgestellt worden. Zum Schluss ging es um die Kleidung, die die HausbewohnerInnen in der Brandnacht getragen hatten: Hier hat die Kripo nach einem Anruf aus dem Krankenhaus drei Tage nach dem Brand noch einen Müllbeutel mit der weggeworfenen Kleidung aus dem Zimmer erhalten, in dem u.a. zwei Brüder Eid untergebracht waren. Im Beutel waren aber mehrere Slips, T-Shirts und ein BH, die nicht zugeordnet werden konnten — was auch nicht nötig war, denn auch die Untersuchung dieser Kleidung erbrachte keine Spuren von Brandbeschleunigern oder Ähnlichem. Der dritte Zeuge war Torsten Stebner (38), zuständig für die Aktenverwaltung. Er war im Januar/Februar 1996 zuständig dafür, dann vier Monate nicht, dann wieder — kannte also nicht alle Akten. Er hatte zwar alle mal gelesen, meinte aber, nur die, die er selbst geschrieben und abgeheftet hatte, hätte er auch präsent, bot aber an, sonst kurz nachzusehen. Wie geriet Safwan Eid ins Visier der Polizei? Es habe mittags am 19. Januar einen Anruf des Sanitäters Hamann gegeben, damals seien die Grevesmühlener allerdings schon mangels Tatverdachts auf freien Fuß gesetzt worden, der habe Informationen angekündigt. Es stellte sich heraus, dass nicht er selbst Infos hatte, sondern sein Kollege Leonhardt. Den habe die Polizei dann angerufen und vorgeladen, so sei das Ganze in Gang gekommen. Wen habe die Polizei unter "Wir" ("wir warn’s") verstanden? Der Anfangsverdacht wären die drei Brüder Eid gewesen, weil die im Bus zusammensaßen. Man habe dann aber auch die Kleidung aller Hausbwohner sichergestellt und auf Spuren von Brandbeschleunigern untersucht, alles ohne Ergebnis. Was war mit der Kleidung von Safwan Eid? Hier schilderte der Zeuge ausführlich, wie sie zwei Tage nach dem Brand von Krankenhaus angerufen worden wären, der Hausmeister habe selbst den Müllbeutel aus der Presse gezogen. Dazu habe der Zeuge Stebner in den letzten Tage nochmal sechs Angestellte der Klinik vernommen, die damals Dienst hatten, die Aussagen hatte er frisch mitgebracht, sie wurden an Ort und Stelle für alle Beteiligten kopiert und eine Lesepause eingeschoben. Die Tatsache, dass es nicht ungewöhnlich war, nach einem Großbrand die Unterwäsche und Nachthemden geretteter BewohnerInnen wegzuschmeißen, dass auch keine Spuren an der Kleidung gefunden wurden, relativierte der Zeuge mit der Bemerkung, Brandbeschleuniger wären ja auch flüchtig, und die Kleidung wäre erst drei Tage später sichergestellt worden. Verteidigerin Heinecke: Sie lagen aber im Müllkontainer vor dem Klinikgebäude, und am 18./19./20. Januar 1996 sei Frost gewesen, außerdem wären sie in einem Plastik-Müllsack eingewickelt — da sei gar nichts flüchtig. Der Zeuge: Aber ein paar Stunden hätte der Beutel im Mülleimer auf dem Zimmer gelegen, da sei geheizt worden, und der Beutel wäre nicht verschweißt gewesen... ZuschauerInnen fingen an zu murren, der Richter mahnte zur Ruhe. Der Richter fragte anschließend klar und deutlich, ob es außer der Leonhardt-Aussage und den Abhörbändern etwas Belastendes in der Akte gegen Safwan Eid gäbe, was der Zeuge sehr widerwillig und umständlich verneinte: Sie hätten keinen Familienvater gefunden, keinen Streit festgestellt, Safwan Eid wäre bei Entdeckung des Feuers nicht bekleidet gewesen, als Einziger wäre Herr Soussou gegen 3.10 Uhr auf Klo gewesen (Zimmer und Klo im 1. Stock), er habe nichts und niemanden gesehen... Ob es sonst irgendwas gegen Safwan Eid gäbe, was im ersten Prozess nicht zur Sprache gekommen sei? Ja, es gäbe zwei neue ZeugInnen:
Die bis dahin lockere Redseligkeit des selbstbewussten Kripobeamten brach dann schlagartig zusammen, als die Verteidigerin Heinecke ihre Befragung begann: Ob er gestern abend mit den Zeugen von gestern gesprochen habe, und was. Langes Zögern, dann: Ja, er habe mit ihnen gesprochen, könne sich aber nicht mehr erinnern, was. Wie, die Akten von dreieinhalb Jahren im Kopf, aber das Gespräch von gestern über den Prozess von heute einfach weg? Wort für Wort musste ihm aus der Nase gezogen werden, es wurde aber deutlich, dass er die Aussagen seiner Kollegen von gestern kannte, die Sitzordnung im Gericht kannte, ihm war insbesondere gesagt worden, dass er als Zeuge direkt bei der Verteidigung säße und die beiden alles protokollieren würden. Wie die Fotomappe zur Identifizierung des verdächtigen Hausbewohners für den Sanitäter Leonhardt zusammengestellt worden sei, wieso dort bis auf ein Foto nur Mitglieder der Eid-Familie drin waren. Wenn das Kriterium "Weiße Hautfarbe — Bus zum Privall-Krankenhaus — ca. 20 Jahre alt" stimme, wie dann Marwan Eid (60 Jahre, anderes Krankenhaus) da reinpasse. Das, so Stebner, wäre ein Vergleichsfoto, nur so könne eine Identifizierung sicher gemacht werden. Wieviele Fotos von 60jährigen denn in eine Mappe kämen, wenn ein 20jähriger gesucht werde? Hier meinte der Richter wieder, die Frage wäre zu unfreundlich... Dann bohrten beide Verteidigerinnen nach dem Ermittlungseifer gegen Safwan Eid im Vergleich zum Ermittlungseifer gegen die Grevesmühlener, dabei wurden sie mehrfach vom Richter unterbrochen, der den Tatverdacht gegen die Grevesmühlener nicht in seinem Gerichtssaal verhandelt haben will. Beim Zeugen blieb letztlich eine große Verlegenheit zurück, bei kritischen Fragen nach bestimmten Ermittlungsschritten war er schließlich nicht mehr ein leitender Kripobeamter gewesen, sondern hatte ja nur die Akten seiner Kollegen abgeheftet. Zum Schluss gab es noch ein kurzes Geplänkel: Die Nebenklage fragte nach den nächsten Terminen, ob es immer Montag/Dienstag weiterginge. Der Richter nickte, die Verteidigung ergänzte, Ende Oktober wäre man ja sowieso fertig. Nebenklagevertreter Haage ganz erstaunt: Wie sie darauf denn käme? Der Richter, unter Nicken des Staatsanwaltes: Das sähe er auch so, einen Zeugen habe er noch, vielleicht noch einen zweiten, der aussagen könne, mit wem Safwan Eid zwischen seiner Rettung vom Dach und dem Besteigen des Busses gesprochen habe. Und dann wüsste er, der Richter, nicht, was man noch machen sollte. Die Verteidigung fragte die Nebenklage nach Beweisanträge, die meinte, das müsse man erst überlegen, wenn das Gericht die eigene Beweisaufnahme abgeschlossen habe. Der Befangenheitsantrag gegen Yachoua wurde im Einvernehmen zwischen Gericht und Verteidigung bis Montag zurückgestellt, außerdem die Nebenklage daran erinnert, von ihr stände immer noch die Stellungnahme zum Antrag aus. Kurze Diskussion über die Strafprozessordnung: Die Verteidigung wies dem Richter nach, dass das Gericht auch ohne diese Stellungnahme entscheiden könne, stimmte aber zu, das sei jetzt weder nötig noch eilig. Wir sehen uns also Montag, 18. Oktober, 10.00 Uhr wieder. |
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Prozessberichte Nr. 11 / 18. Oktober 1999 Freispruch nächste Woche? Zwei Zeugen sagten am 10. Prozesstag aus, ohne dass dies wesentlich Neues gebracht hätte. Zum Auftakt wurde der Kripobeamte Metterhausen gehört, der mit als erster am Ort des Brandes eingetroffen war. Von ihm wollte der Richter insbesondere wissen, wann er auf Safwan Eid getroffen sei und was er mit ihm gesprochen habe. Metterhausen berichtete, ziemlich kurz nach seinem Eintreffen habe er im Sanitätsbereich das erste Mal mit Safwan Eid gesprochen, der habe ihm erzählt, was er von seinem Vater gehört hatte: dass jemand eine Bombe geworfen habe. Weil der Kripobeamte den Vater Marwan Eid nicht befragen konnte, da er noch in ärztlicher Behandlung war, wandte er sich später nochmal an Safwan, als dieser im Bus saß, der die Leichtverletzten ins Krankenhaus transportieren sollte. Dort bekräftigte Safwan das Gesagte. An Metterhausens Aussage wurde auch deutlich, dass eine geraume Zeit vergangen war, bis Safwan Eid mit dem Rettungssanitäter Leonhardt zusammentraf, und er in dieser Zeit mit zahlreichen Leuten sprach. Dies widerspricht dem bisher von der Nebenklage vertretenen Konstrukt, Safwan habe gegenüber dem Sanitäter unmittelbar nach der Rettung Täterwissen mitgeteilt, das er nur aufgrund seiner Tatbeteiligung hätte haben können. So schwenkte Nebenklagevertreter Clausen denn auch in einem neuen Beweisantrag um: Jetzt wollte er mit der Aussage des Rettungssanitäters Leonhardt belegen, dass Safwan vor den vermeintlichen Worten "Wir warn’s" mit zwei im Bus vor ihm Sitzenden, vermutlich seinen Brüdern, getuschelt habe. Dadurch sei laut Clausen klar, dass sich das "Wir" auf die Brüder Eid beziehen müsse. Clausen hatte vorige Woche mit Leonhardt telefoniert, und da war diesem auf einmal die Szene mit dem Getuschel eingefallen, die er bei seinen bisherigen Vernehmungen nicht erwähnt hatte. Bei einem vorausgegangenen Telefonat mit dem Vorsitzenden Richter Strebos hatte Leonhardt sofort ungefragt beteuert, er könne sich nicht mehr so gut an die damalige Situation erinnern. Der Richter widersprach der Begründung für den Beweisantrag Clausens. Wenn es tatsächlich so gewesen sei, dass Safwan erstmals nach einem Gespräch mit anderen sein angebliches "Täterwissen" geäußert habe, dann spreche das eher gegen eine Tatbeteiligung des Angeklagten. Der Staatsanwalt lehnte den Beweisantrag ab, da die zu beweisende Tatsache unerheblich sei. Er erinnerte an die Bewertung, die das Gericht eine Woche zuvor unter anderem zur Bedeutung der Aussage Leonhardts abgegeben hatte und die er sich ausdrücklich zu eigen machte. Auch die Verteidigung sprach sich erwartungsgemäß gegen den Beweisantrag aus. Zwar teilte das Gericht die Ansicht, die Aussage sei für das Urteil wohl bedeutungslos, entschied aber letztlich, Leonhardt doch für den morgigen Dienstag (ab 9 Uhr) als Zeugen zu laden; seine bisherigen Aussagen müssten sonst sowieso per Verlesung in den Prozess eingeführt werden. Richter Strebos kündigte an, die Zeugenvernehmung des Sanitäters werde möglicherweise sehr schnell vonstatten gehen. Man wolle ihn erst fragen, was er berichten könne. Anschließend will das Gericht beraten, ob Leonhardts Äußerungen irgend etwas an der bisherigen Bewertung der Kammer (diese Aussage sei irrelevant) änderten. Wenn dies nicht der Fall sei, brauche die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht mehr überprüft zu werden. Am Nachmittag wurde dann drei Stunden lang der Brandsachverständige des LKA, Holger Herdejürgen, gehört. Er trug wie bereits im ersten Verfahren die These vor, der Brand sei an einer Stelle im Flur des ersten Obergeschosses ausgebrochen. Anhand von Fotos wurde diese Stelle, an der sich ein Durchbrand in das darüberliegende Stockwerk und andere starke Brandschäden befunden hätten, nochmals begutachtet. Auch diesmal blieb ungeklärt, wie denn der Brand sich vom ersten Stock ins Erdgeschoss ausgebreitet haben soll. Der Brandgutachter hatte im Vergleich zum ersten Verfahren nichts Neues beizutragen. Und es war auch die wesentliche Intention des Gerichts, zu erfragen, ob es in der Zwischenzeit irgenwelche neuen Erkenntnisse über den Brandausbruch und -verlauf gebe. Dies ist offensichtlich nicht der Fall, womit auch dieser Aspekt im Kieler Verfahren zu den Akten gelegt werden kann. Neues gibt es hingegen in der Angelegenheit des Befangenheitsantrags der Verteidigung gegen den Übersetzer Yachoua vom 27. September. Hier erklärte sich die Verteidigung damit einverstanden, solange den Antrag zurückzustellen, solange das Gericht nicht Yachouas Übersetzungen zum Nachteil Safwan Eids verwendet. Nicht ganz ernst genommen wurde offensichtlich ein "Beweisantrag" des Nebenklagevertreters "Rechtsanwalt" Haage: Er wollte alle damaligen InsassInnen des Busses, in dem Safwan angeblich getuschelt haben soll, als Zeugen dazu befragen lassen, wer wann wo im Bus gesessen und mit wem gesprochen habe, mit wem Safwan Eid getuschelt habe und wer die andere Person gewesen sei, die laut Aussage eines anderen Zeugen im Bus sitzend "Wir warn’s" gemurmelt habe. Staatsanwalt Martins meinte zu diesem Begehren, Haages Antrag sei "strukturierungsbedürftig". Er sei unzulässig, da er weder genaue Beweismittel noch Beweisinhalte benenne. Davon abgesehen seien die genannten Aspekte für die Entscheidungsfindung unerheblich. Der Staatsanwalt kündigte dann noch an, er habe sich durchaus darauf vorbereitet, am morgigen Dienstag sein Schlussplädoyer zu halten. |
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Prozessberichte Nr. 12 / 19. Oktober 1999 Heute nichts los Faktisch war das heute gar kein "richtiger" Verhandlungstag. Der angekündigte Zeuge Leonhardt kam nicht. Er hatte den Richter gestern um 20.00 Uhr angerufen, weil sein Vater in Eisenhüttenstadt verstorben ist. Die Zeugenvernehmung wurde auf den 1. November vertagt, due Urteilsverkündung könnte dann am 3. November sein. Sonst war noch abzuarbeiten: Nebenklagevertreter Haage hatte einen Antrag gestellt, zu prüfen, ob Eid Mobilfunk-Telefonate nach dem Brand geführt hat. Den hat die Kammer abgelehnt, weil erstens die Provider Daten nicht länger als 3 Monate aufheben und zweitens nicht zu erwarten sei, dass sich daraus Belastendes ergibt. Die Kammer hält den Antrag zudem für unzulässig, da im Antrag keine konkrete Beweistatsache bzw. kein Beweisgegenstand auftaucht. Zur schriftlichen Aussage von Schlecht (Medizinstudent, am Brandtag vor Abfahrt des Busses im Einsatz) sagte der Vorsitzende Strebos, der könne nicht eindeutig sagen, welche Person "wir warns" gesagt hat, so dass auch mit den beantragten Vernehmungen darüber, wer wo im Bus gesessen habe, keine eindeutige Identifizierung möglich wäre. Dann wurden nochmal Gutachten verlesen. Zunächst vom 20.1.96 aus dem Rechtsmedizinischen Institut zu den Verletzungen Safwans. Welche Veränderungen der Lederhaut und Oberhautablösungen es gab, war so schnell nicht mitzuschneiden. Aber er hatte keine Brandverletzungen an den Händen, an Schnurrbart oder Augenbrauen. Am Ohr Verbrennenungen zweiten Grades; die Brandverletzungen sind mit der Darstellung Eids zu seinem Verhalten vereinbar. Es gibt keine Hinweise auf Teilnahme Eids an Brandlegung (aber auch nicht völlig auszuschließen). Dann wurde die Todesursachen der 10 Brandopfer nochmal dargestellt, wobei nur der Tote im Vorraum weiterhin Rätsel aufgibt. Dazu gab es mehrere Gutachten; er hatte eine Schädelfraktur und es gibt keine sicheren Hinweise auf Kohlenmonoxidvergiftung. Vermutlich hat er beim Brand nicht mehr gelebt. Der Draht rühre vermutlich vom Bauschutt her, eine Fesselung sei nicht ersichtlich. Auch die Verteidigung hatte damals ein Gutachten in Auftrag gegeben bei Prof. Bonte in Düsseldorf, der feststellte, dass rechtsmedizinisch nicht eindeutig zu klären war, ob der Tote an Brandfolgen gestorben wäre. Es gibt auch den akuten Verbrennungstod, z.B. nach größerer Stichflamme (aber darüber ist ja bereits im ersten Prozess in Lübeck viel spekuliert worden). Zum Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den Dolmetscher wies der Vorsitzende Strebos darauf hin, dass die Rückstellung der Verteidigung an die Bedingung geknüpft ist, dass keine tatsächlich belastenden Feststellungen daraus in die Urteilsfindung eingehen. Dazu meint er, dass "belastend" sehr unterschiedlich ausgelegt werden könne. Diese Einschränkung könne dazu führen, dass die Kammer den Antrag insgesamt prüfen muss. Die Verteidigung verzichtete auf eine Entscheidung, hält den Antrag jetzt nur noch hilfsweise für den Fall einer Verurteilung aufrecht. Die Termine nächste Woche fallen aus, es geht am 1. November weiter. Haltet Euch vorsichtshalber den 1. bis 3. November frei. |
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Prozessberichte Nr. 13 / 1. November 1999 Die Schlussplädoyers Der vorletzte Verhandlungstag begann mit der Vernehmung des einzigen "Belastungszeugen" der Anklage, des Rettungssanitäters Jens Leonhardt. Um es vorweg zu nehmen: Seine Aussage brachte im Vergleich zu seinen früheren Äußerungen nichts Neues. Diese Aussagen hatte die Kammer jedoch schon am 11. Oktober als für die Urteilsfindung unerheblich bewertet. Bemerkenswert an Leonhardts heutiger Aussage war, dass er den Beweisantrag des Nebenklagevertreters Clausen nicht bestätigen konnte, in dem behauptet worden war, Leonhardt hätte etwas Neues gegenüber dem Sachstand des Lübecker Prozesses beizutragen. Bei diesem angeblich neu erinnerten Umstand geht es um die Frage, wann Safwan Eid wie oft mit wem im Bus, mit dem die Leichtverletzten nach dem Brand ins Krankenhaus transportiert worden waren, "getuschelt" habe. Dazu hatte Leonhardt dem Nebenklagevertreter Clausen in einem Telefongespräch am 14. Oktober angeblich Neues mitgeteilt, das dieser sogleich in einen Beweisantrag umgemünzt hatte. Just diese Tatsache konnte Leonhardt heute im Zeugenstand nicht bestätigen. Überhaupt konnte er sich nicht mehr genau daran erinnern, was er in dem Telefonat vor zwei Wochen gesagt hatte. Leonhardt behauptete weiterhin, in dem erwähnten Bus von Safwan Eid die Worte "Wir warn’s" gehört zu haben. Schon was das nachfolgende vermeintliche "Gest& |