(Gegenwind 425, Februar 2024)

Lilian Ezeh

„Und dann haben sie angefangen, Deutsch mit mir zu sprechen.“

Interview mit Lilian Ezeh aus Kiel

Sie gehört zu den „Klugen Köpfen“, die am 30. September in Kiel ausgezeichnet wurden (siehe Gegenwind 422, Seite 25). In diesem Jahr ist die Preisverleihung für den 14. September geplant. Kandidatinnen und Kandidaten mit afrikanischer Migrationsgeschichte können ab sofort vorgeschlagen werden.

Gegenwind:

Kannst Du Dich als erstes vorstellen?

Lilian Ezeh:

Mein Name ist Lilian Ezeh, ich komme aus Kenia. Ich bin seit 16 Jahren in Deutschland.

Gegenwind:

Warum hast Du damals Kenia verlassen?

Lilian Ezeh:

Ich bin als Jugendliche mit einem Austausch hergekommen. Ich war damals in der Ausbildung. Mein Papa brachte mir die Informationen über die Organisation, die junge Leute überall in die Welt schicken. Ob ich Interesse daran hätte, ins Ausland zu gehen. Man konnte sich selbst aussuchen, in welches Land man wollte. Man konnte nach Amerika oder nach Europa. Ich habe erst mal England gewählt, wegen der Sprache. Aber wir waren mehrere aus Kenia, die ins Ausland wollten, da hat sich jemand schon vor mir eingetragen. Dann blieben noch Deutschland und Dänemark. Ich habe dann entschieden, ich nehme Deutschland.

Gegenwind:

Kanntest Du Deutschland vorher? Wusstest Du etwas über das Land?

Lilian Ezeh:

Ich kannte die Geschichte, die man in der Schule gelernt hat. Aber ich kannte niemanden dort persönlich, gar nichts. Die Sprache kannte ich auch nicht.

Gegenwind:

Und weshalb hast Du nicht Dänemark gewählt?

Lilian Ezeh:

Ich kannte beide Länder nicht, ich kannte auch in beiden Ländern niemanden. Ich habe einfach der größere Land gewählt. Die genauen Unterschiede habe ich mir nicht angesehen, ich habe einfach Deutschland genommen. Wir wurden dann beraten, einen Deutschkurs zu machen. Das habe ich aber nicht gemacht, ich habe erst angefangen, als ich gekommen bin.

Gegenwind:

Dachtest Du, mit Englisch kommt man in Deutschland auch durch?

Lilian Ezeh:

Ja, dachte ich. Am Anfang bin ich auch damit durchgekommen. Ich habe in einer Familie gewohnt, und die konnten beide Englisch. Die erste Woche haben sie mit mir Englisch gesprochen. Und dann haben sie gesagt, hier wird überall Deutsch gesprochen, fang jetzt auch ein bisschen mehr damit an. Und dann haben sie angefangen, Deutsch mit mir zu sprechen. Aber ich bin dann auch in die Kita gekommen, wo ich freiwillig gearbeitet habe: da waren auch kleine Kinder, die sprachen auch Deutsch mit mir. Aber ich habe dann oft auf Englisch geantwortet, bis sich langsam mein Deutsch verbessert hat.

Gegenwind:

Wie alt warst Du damals?

Lilian Ezeh:

Ich war einundzwanzig. Dann war ich auf der Volkshochschule und habe dort Deutsch gelernt, hier in Kiel in der Bergstraße. Dann habe ich die A1-Prüfung bestanden.

Gegenwind:

Was war denn Dein ersten Eindruck von Kiel? Hast Du gedacht, hier kann man leben? Oder dachtest Du: Mal gucken.

Lilian Ezeh:

Mal gucken. Als ich kam, war es September. Es war abends noch hell. Bei uns ist es ab 18 Uhr schon dunkel. Ich habe mich gewundert, dass die Sonne noch da ist. Hier gibt es Sommer und Winter, bei uns ist der Unterschied nicht so groß.

Gegenwind:

Und wie sind die Kielerinnen und Kieler?

Lilian Ezeh:

Sehr ruhig, nicht? Überall war es ruhig, das was anders als bei uns. Bei uns ist es immer überall laut. Hier ist es abends leise, am Wochenende ist es auch leise. Bei uns feiern die Leute gerne am Wochenende, auch unter der Woche. Ich habe dann gefragt, und man sagte: Wenn Du feiern willst, musst Du abends zu anderen Leuten gehen. Die Familie, bei der ich gewohnt habe, sind dann mit mir zum „Interkulturellen Austausch“ gegangen, da habe ich andere afrikanische Leute getroffen, aus Kenia und aus anderen Ländern. Und ab und zu sind wir dann zusammen ausgegangen.

Gegenwind:

Wie lange wolltest Du ursprünglich in Deutschland bleiben?

Lilian Ezeh:

Das war für ein Jahr. Als das Austauschjahr zu Ende war, musste ich wieder zurück. Aber ich habe mich entschieden, dass ich hier studieren möchte. Denn nach einer kurzen Eingewöhnungszeit habe ich doch schnell Deutsch gelernt. Ich wurde schnell gut, ich konnte mich schnell mit den Leuten hier verständigen. Ich habe mit meinem Vater diskutiert und ihm gesagt, mein Programm hat sich geändert, ich will gerne länger hier bleiben. Mein Vater fragte, warum, und ich sagte, ich möchte gerne mein Studium hier fortsetzen. Ich konnte aber nicht direkt studieren, mein Abschluss aus Kenia wurde hier nicht als Abitur anerkannt. Im Vergleich war das wie ein Realschulabschluss. Dann musste ich erst das Studienkolleg abschließen, das habe ich gemacht, und dann durfte ich zur Fachhochschule.

Gegenwind:

Was hast Du dann studiert?

Lilian Ezeh:

Ich habe „Internationalen Tourismus Management“ studiert, das war in Heide auf der Fachhochschule Westküste. Das dauerte drei Jahre.

Gegenwind:

Wolltest Du damals schon für immer in Deutschland bleiben? Oder dachtest Du, mit dem Studium kannst Du überall arbeiten?

Lilian Ezeh:

Eigentlich dachte ich, damit kann ich überall arbeiten. Tourismus ist in Kenia sehr verbreitet, und mit dem Studium kann ich überall arbeiten, wo ich möchte. Ich konnte nach Kenia zurück, dort würde ich einen guten Job finden. Aber ich kann auch überall auf der Welt arbeiten, damals war ich flexibel, ich musste nicht unbedingt hier und nicht unbedingt in Kenia arbeiten. Ich wollte einfach irgendwo arbeiten, deshalb habe ich dieses Studium ausgewählt.

Gegenwind:

Hast Du denn in Kenia gut gelebt?

Lilian Ezeh:

Ja, das war alles in Ordnung. Es gab keinen Grund, dort wegzugehen. Wir sind da alle groß geworden, meine Eltern haben eine kleine Farm dort, und wir haben alles, was wir zum Leben brauchten. Wir haben Getreide verkauft, mein Vater hat zusätzlich in der nächsten Stadt gearbeitet, meine Mutter war immer bei uns Kindern. Mein Vater war immer da, wenn er Urlaub hatte.

Gegenwind:

Gibt es in Kenia bei vielen den Wunsch auszuwandern?

Lilian Ezeh:

Im Moment ganz viel. Es gibt viele Jugendliche, die fertig sind mit der Schule oder dem Studium, die haben Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Ganz viele finden keinen Job. Es ist sehr problematisch Arbeit zu finden.

Gegenwind:

Wirst Du dann auch gefragt, wie man es schafft, hierher zu kommen?

Lilian Ezeh:

Ja, einige wollen, und sie fragen mich. Einige kommen auch mit diesem Austausch-Programm. Es gibt noch andere Programme. Früher gaben auch viele, die als Au-Pair-Mädchen gekommen sind. Männer können auch, aber meistens kommen damit Frauen hierher für ein Jahr in einer Familie mit Kindern, und einige gehen dann zurück. Aber viele wollen bleiben, die meistens studieren dann oder machen hier eine Ausbildung. Ich kenne viele auch welche, die inzwischen arbeiten. Einige haben hier auch inzwischen eine Familie gegründet.

Gegenwind:

Warum hast Du Dich entschieden hier zu bleiben?

Lilian Ezeh:

Das Studieren hier fand ich günstiger als in Kenia. Außerdem hatte ich einen Freund kennen gelernt, und den habe ich geheiratet. Meinem Vater hat das nicht gefallen, er wollte dass ich nach dem Studium nach Hause komme. Mein Mann war auch deutsch. Mein Vater war wegen der unterschiedlichen Kultur dagegen. Mein Vater fand es nicht gut, wenn ich mit einem Deutschen verheiratet bin. Aber es war meine Entscheidung, und er hat das irgendwann akzeptiert. Aber bevor ich geheiratet habe, war ich noch zweimal in Kenia und habe meinen Vater überzeugt. Er war dann zufrieden. Meine Mutter war schon früher als ich noch jung war gestorben. Inzwischen ist mein Vater leider auch gestorben.

Gegenwind:

Wie war dann Dein weiterer Weg nach dem Studium?

Lilian Ezeh:

Der Weg war eher gut. Ich habe bei ein paar Jobs im Hotelbereich gemacht. Ich bin also eingestiegen in Richtung Tourismus. Nach ein paar Jahren bin ich in die Elternzeit gegangen. Nach Elternzeit, ist es schwierig geworden mit den Arbeitszeiten. Ich wollte gerne in dem Bereich weiter arbeiten, ich habe meinem Arbeitgeber bestimmte Arbeitszeiten angeboten, aber wir haben leider keine Einigkeit gefunden. Meine Kinder sind noch sehr klein, ich muss sie immer in die Kita bringen und wieder abholen, aber in der Zeit, in der sie betreut werden, könnte ich arbeiten.

Gegenwind:

Wird das Einwandern in Schleswig-Holstein leicht gemacht? Oder würdest Du gerne etwas ändern?

Lilian Ezeh:

Nach allem, was ich erlebt habe, würde ich sagen: Es ist zu kompliziert. Zum Beispiel haben meine Schwester und mein Bruder in meiner Heimat Kenia jetzt ihr Studium abgeschlossen, und ich habe ihnen einige Links geschickt, wie man sich um einen Job bewerben kann. Man bekommt aber die Informationen, die gebraucht werden nicht direkt. Und wenn man in Nairobi zur Botschaft geht, wird einem nicht geholfen. Die Leute müssen irgendein Programm finden, um erstmal hierher zu kommen. Sonst ist es für diejenigen, die eine Ausbildung oder einen Beruf abgeschlossen haben, gar nicht so einfach, hierher zu kommen, um diesen Beruf auszuüben. Man könnte vielleicht irgendetwas machen, dass die Leute, die einen Abschluss haben, einfacher herkommen können, um sich einen Arbeit zu suchen, wenn sie das wollen, vor allem, da in Deutschland Fachkräfte-Mangel in vielem Bereich herrscht. Und wenn man in diese Programme will, um erstmal ein Jahr herzukommen, muss man oft viel Geld bezahlen, und viele haben dieses Geld nicht. Für das Programm, mit dem ich hergekommen bin, musste ich auch viel Geld bezahlen, um überhaupt herzukommen, und das Geld hat nicht jede.

Gegenwind:

Fühltest Du Dich hier immer willkommen? Oder hast Du auch Erfahrung mit Rassismus gemacht?

Lilian Ezeh:

Persönlich habe ich keine direkte Erfahrung mit Rassismus. Ich habe viel von anderen gehört, aber persönlich habe ich keine direkten Erfahrungen.

Gegenwind:

Ist solch ein Austauschjahr und dann das Studium offen für alle?

Lilian Ezeh:

Ja. Um das zu machen, brauchst Du ja auch Voraussetzungen. Wenn Du die hast, egal woher Du kommst, kommst Du da rein. Das ist meine persönliche Erfahrung, andere berichten etwas anderes.

Gegenwind:

Du hast ja in Heide studiert - auch im Alltag, auf der Straße, gab es keine Probleme?

Lilian Ezeh:

Nein, keine.

Gegenwind:

Wann hast Du von dem Projekt „Kluge Köpfe“ erfahren?

Lilian Ezeh:

Letztes Jahr. Eine Freundin hatte den Kontakt zu Rose Sekoh gegeben, es ging eigentlich um eine Arbeitsstelle. Wir haben telefoniert, mit der Arbeit hat das nicht geklappt, aber sie hat mir vom Projekt „Kluge Köpfe“ erzählt und gesagt, ich kann mich bewerben.

Gegenwind:

Wie gefällt Dir die Idee?

Lilian Ezeh:

Ich fand es sehr gut. Wir sehen uns auch öfter, die Leute aus Kenia, die hier in Schleswig-Holstein, und ich habe das auch an die anderen geschickt. Es gibt auch andere, die hier ihre Ausbildung machen und einige sogar erfolgreich abgeschlossen haben. Und ich habe allen geschrieben, wer die Ausbildung fertig hat, kann sich bewerben.

Gegenwind:

Mit vielen Leuten aus Kenia hast Du hier in Schleswig-Holstein Kontakt?

Lilian Ezeh:

Mit ganz vielen, bestimmt Hundert.

Gegenwind:

Ich habe im Ausländerzentralregister mal geguckt, hier leben 365 Kenianer, davon 265 Frauen und 100 Männer.

Lilian Ezeh:

Ich wusste gar nicht, dass so viele Kenianer hier leben. Aber es sind mehr Frauen als Männer, weil sich meistens Frauen eher als Männer entscheiden, an solchen Programmen teilzunehmen. Und viele, die mit einem Programm herkommen, wollen hier bleiben.

Gegenwind:

Habt Ihr auch eine Organisation?

Lilian Ezeh:

Im Moment ist es nur privat und persönliche Kontakte und Treffen. Aber einige wollen jetzt einen Verein gründen, so wie den Ghana-Verein. Aber vielleicht auch für ganz Deutschland. Im Süden gibt es schon einen Verein für kenianische Leute.

Gegenwind:

Als Du zur Preisverleihung kamst, kamst Du in einen Raum, in dem fast nur Leute aus Afrika waren. Freust Du Dich, wenn mal fast nur Leute aus Afrika da sind?

Lilian Ezeh:

Ja, das ist ein gutes Gefühl. Wir machen ja auch ab und zu solche Veranstaltungen, da sind auch zum großen Teil afrikanische Leute da. Man fühlt sich gut, wenn viele Leute so ähnlich aussehen wie ich selbst. Aber inzwischen macht es für mich keinen großen Unterschied mehr, weil ich ja jetzt schon lange hier lebe.

Gegenwind:

Deine Urkunde ist ja auch von einer schwarzen Ministerin unterschrieben. Hat das für Dich eine Bedeutung?

Lilian Ezeh:

Ja, das hat mich glücklich gemacht. Ich wusste das nicht. Erst als wir da saßen und die Urkunde bekamen, habe ich gesehen, dass sie die unterschrieben hat, und ich dachte: Wow. Ich wusste nicht, dass wir alle eine Urkunde kriegen. Ich habe mir das auch vorher nicht online angesehen. Ich dachte, man kriegt ein kleines Geschenk. Ich wusste nicht, dass wir diese Urkunde kriegen mit dieser Unterschrift.

Gegenwind:

Kennst Du die Ministerin?

Lilian Ezeh:

Persönlich nicht, aber ich habe viel auf YouTube gesehen, was sie so macht und sagt.

Gegenwind:

Glaubst Du, dass dieses Projekt auch etwas verändert? Achten Eltern mehr darauf, dass ihre Kinder auch Erfolg haben?

Lilian Ezeh:

Ich glaube schon, dass die Eltern versuchen, dass ihre Kinder weiter kommen. Aber es müssten mehr davon wissen. Ich glaube, es ist noch nicht so verbreitet. Ich habe ja in unserer kenianischen Gruppe gefragt, einige hatten vorher schon was davon gehört, aber viele gar nichts. Ich habe ein Mädchen aus Kenia getroffen, die das schon mal mitgemacht hat, die hat auch in Heide studiert. Ich glaube, wir müssen mehr darüber erzählen. Ich rede über Kenia, weil ich mit anderen Ländern nicht so viel Erfahrung habe. Es gibt viele aus Kenia, die gut integriert sind, die eine Ausbildung gemacht haben, die ein Studium gemacht haben, die hier arbeiten. Das würde auch vielen helfen, die noch nicht so richtig reingekommen sind.

Gegenwind:

Kannst Du Dir vorstellen, bei dem Projekt weiter mitzumachen?

Lilian Ezeh:

Ja. Ich habe darüber schon mit Rose gesprochen.

Gegenwind:

Vielen Dank!

Interview: Reinhard Pohl

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