(Gegenwind 423, Dezember 2023)

Henrike Klouvi Nana

„Einen dummen Blick kriegt man öfters“

Interview mit Henrike Klouvi Nana aus Kiel

Sie gehört zu den „Klugen Köpfen“, die am 30. September in Kiel ausgezeichnet wurden (siehe Gegenwind 422, Seite 25). Auch für Herbst 2024 ist eine Preisverleihung für junge Menschen mit afrikanischer Migrationsgeschichte geplant, Kandidatinnen und Kandidaten können ab sofort vorgeschlagen werden.

Gegenwind:

Kannst Du Dich als erstes vorstellen?

Henrike Klouvi Nana:

: Gerne. Ich bin Henrike Klouvi Nana, bin 23 Jahre alt und bin in Deutschland, in Kiel geboren. Ich habe sechs weitere Geschwister. Davon sind vier älter als ich, zwei sind jünger. Ich habe mit 17 Jahren, kurz vor dem 18. Geburtstag hier in Kiel-Mettenhof mein Abitur gemacht. Ich bin dann erstmal für ein Auslandsjahr nach London gegangen, habe mich dann entschlossen, dort zu studieren. Ich habe dann auch dieses Jahr meinen Abschluss gemacht.

Gegenwind:

Wolltest Du weg von zu Hause? Oder war wichtig, was Neues kennen zu lernen?

Henrike Klouvi Nana:

Im Vordergrund stand eher das Kennenlernen. Außerdem wollte ich meine Englisch-Kenntnisse erweitern. Aber ich wollte auch die Zeit nutzen, was anderes zu sehen, zu schauen, was dort draußen noch ist.

Gegenwind:

Was wurde vor Deiner Schulzeit bei Euch zu Hause gesprochen?

Henrike Klouvi Nana:

Zu Hause sprechen meine Eltern mit mir Ewe. Aber wir antworten vorwiegend auf Deutsch. Wir verstehen Ewe komplett. Und manchmal antworten wir auch auf Ewe.

Gegenwind:

Wurde bei Euch auch Französisch gesprochen?

Henrike Klouvi Nana:

Meine Eltern sprechen beide Französisch. Wir haben ein paar französische Einflüsse gehabt, aber größtenteils Ewe zu Hause.

Gegenwind:

Du musstest Dich also nicht zwischen London und Paris entscheiden, um keine neue Sprache lernen zu müssen?

Henrike Klouvi Nana:

Nein, nicht wirklich.

Gegenwind:

Hast Du in der Schule Rassismus kennen gelernt?

Henrike Klouvi Nana:

Ich kann mich persönlich nicht an extreme Vorfälle erinnern, ich hatte keine traumatischen Erfahrungen. Aber ich hatte schon viele Erlebnisse, die leider zum Alltag zählen. Es gab viele Anspielungen auf die Hautfarbe, vor allem von Mitschülern. Manchmal hatte ich tatsächlich das Gefühl, diskriminiert zu sein.

Gegenwind:

Warst Du von Deinen älteren Geschwistern vorbereitet auf irgendwas?

Henrike Klouvi Nana:

Ja, meine älteren Geschwister haben mich gut vorbereitet. Sie haben weitergegeben, dass ich stark sein soll, dass ich auch Contra gebe, wenn mir was nicht passt oder wenn mir was gesagt wird, was nicht der Wahrheit entspricht. Dass ich dagegen vorgehe, dass ich „Stop“ sage oder „Das stimmt nicht“. Ich glaube, das war der größte Einfluss, dass sie mir gezeigt haben, dass es Diskriminierung und Rassismus gibt da draußen, aber ich mir das nicht zu Herzen nehmen soll und dass ich laut werden muss und dagegen vorgehen muss.

Gegenwind:

Wie war es in Deiner Klasse: Waren da mehrere schwarze Kinder? Oder warst Du die einzige?

Henrike Klouvi Nana:

Am Anfang, in der fünften bis zur neunten Klasse hatten wir noch einen schwarzen Jungen, den kannte ich auch aus dem Kindergarten noch. Es hat sich ergeben, dass wir in die gleiche Klasse gekommen sind. Aber dann war ich zum Ende hin die einzige Schwarze im Jahrgang, es waren noch eine Handvoll da, die ich auf dem Schulhof sah und irgendwie kannte, aber es ist schon sehr überschaubar gewesen. Ich wusste schon, dass ich in der Minderheit bin und dass ich nicht wie alle anderen aussehe.

Gegenwind:

Hast Du bei Deinen Lehrerinnen und Lehrern etwas bemerkt? Bist Du anders behandelt worden?

Henrike Klouvi Nana:

Ich habe von Lehrern einige Kommentare gehört, zum Beispiel zu den Haaren, was vielleicht nicht unbedingt passt. Es gab Ignoranz, dass sie nicht wussten, dass man bestimmte Themen nicht ansprechen soll. Ich würde sagen, Kinder rein deutscher Herkunft hatten manchmal einen Vorteil. Die Lehrer schienen manchmal eine andere Erwartungshaltung an sie gehabt zu haben. Mir kam es manchmal so vor als würden sie mich mit einem „ausreichend“ statt „sehr gut“ abspeisen wollen, obwohl ich auf Verbesserungsvorschläge gehofft hätte.

Gegenwind:

Was reichte denn Deinen Eltern, wenn Du nach Hause kamst?

Henrike Klouvi Nana:

Meine Eltern waren sehr verständnisvoll und sehr unterstützend. Ich glaube, ich bin selbst sehr ehrgeizig, gute Noten zu kriegen, irgendwas daraus zu machen. Aber wenn ich Schwächen hatte, waren sie zu Hause sehr verständnisvoll. Sie wussten wohl, dass ich mich von alleine hinsetze und dafür lerne. Und wenn etwas daneben ging, war es nicht die Norm.

Gegenwind:

War der Übergang ins Gymnasium selbstverständlich? Oder gab es Diskussionen?

Henrike Klouvi Nana:

Es war nicht selbstverständlich, aber meine Geschwister waren alle auf dem Gymnasium. Damals hat man eine Empfehlung bekommen für Realschule oder Gymnasium, Hauptschule auch. Ich weiß gar nicht mehr, welche Empfehlung das für mich war, aber ich bin dann auf das Gymnasium gegangen, auch weil ich das von meinen älteren Geschwistern schon kannte. Es war nicht immer leicht, aber ich wusste schon, wie da der Ablauf ist.

Gegenwind:

Ist es für das fünfte Kind einer Familie generell leichter?

Henrike Klouvi Nana:

Ich denke, ich habe Glück gehabt, dass ich so viele Vorgänger hatte, ältere Geschwister, die mir den Weg gezeigt haben. Ich kannte ja auch ihre Erfolge, man schaut ja zu als jüngere Schwester.

Gegenwind:

Gab es schlechte Erfahrungen im Alltag, auf der Straße, oder im Bus? Wurdest Du als Ausländerin angesprochen?

Henrike Klouvi Nana:

Das auf jeden Fall. Das ist nicht okay, aber das passiert oft. Wenn wir in einer größeren Gruppe mit afrikanisch-stämmigen Jugendlichen unterwegs waren, wurden uns bestimmte Wörter zugerufen. Wir klauen denen alle Jobs und wollen nur ihr Geld, das hörten wir auch in der Schlange vor der Kasse beim Einkaufen. Einen dummen Blick kriegt man öfters.

Gegenwind:

Kannst Du auch manchmal Kommentare mithören, wenn andere reden und denken, die versteht ja sowieso kein Deutsch?

Henrike Klouvi Nana:

Ja, aber vor allem merke ich das, wenn Leute auf mich zukommen und in einer gewissen Art und Weise mit mir reden - langsam, sehr gezogen, mit der Absicht, dass auch ich es verstehen kann. Ich denke dann, warum gehen sie direkt davon aus, dass ich kein Deutsch verstehe. Ich sage dann: „Hey, ich bin hier geboren, ich spreche genauso Deutsch wie Ihre Tochter auch, wie Ihr Sohn auch. Sie müssen nicht so langsam sprechen.“ Und dann gibt es natürlich den Kommentar: „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Das ist natürlich kein Wunder, ich bin ja hier geboren.

Gegenwind:

Wann hast Du zum ersten Mal von dem Projekt „Kluge Köpfe“ gehört?

Henrike Klouvi Nana:

Das war tatsächlich erst, als meine Schwester und mein Bruder dabei waren (vgl. Gegenwind 403, Seite 28).

Gegenwind:

Hast Du die Preisverleihung damals miterlebt?

Henrike Klouvi Nana:

Ja. Ich war dabei.

Gegenwind:

Wie war der Bewerbungsprozess?

Henrike Klouvi Nana:

Ich habe ganz normal meine Bewerbung eingereicht, das Interview gemacht und dann hat es geklappt.

Gegenwind:

Wie ist das für Dich: Als Du reinkamst, hast Du ja gesehen, die große Mehrheit des Publikums zur Preisverleihung war schwarz. Fällt Dir das gleich auf?

Henrike Klouvi Nana:

Ja, tatsächlich ist das nicht oft der Fall. Man fühlt sich gleich gut. Ich weiß, ich bin jetzt nicht die einzige, ich steche nicht heraus, und es sind viele da, die meinen Weg verstehen. Das war auch ein bisschen der Unterschied zwischen hier und London, man fühlt sich da wohl, wo Leute sind, die genauso aussehen wie Du. Und die gehen ihren Weg.

Gegenwind:

Wie ist der praktische Unterschied? In London ist es selbstverständlicher, dass es schwarze Rechtsanwältinnen gibt, Schwarze in der Regierung sind. Und hier wird Aminata Touré Ministerin, und sofort kommt sie bundesweit in Talkshows, weil sie die erste Schwarze ist.

Henrike Klouvi Nana:

Das zeigt einfach, was für einen langen Weg wir noch vor uns haben hier in Deutschland. Wir brauchen noch mehr Diversität, in den verschiedensten Bereichen, vor allen auf der Führungsebene. Als ich in der Schule war, kann ich nicht viele Leute, die als Schwarze in Führungspositionen waren. Bei den anderen Interviews habe ich gerade die Überschrift gesehen: „Ich habe noch nie eine schwarze Lehrerin gesehen.“ (siehe Gegenwind 409, Seite 12) Ja, kannte ich tatsächlich auch nicht, ich kenne bis heute keine, meine Schwester ist jetzt auf dem Weg dorthin, aber ich habe noch keine hier vor Ort gesehen. Und das ist natürlich in London anders. Man hat dort immer einen Anreiz. Man öffnet sich automatisch für Sachen, die andere Schwarze machen. Du weißt dann, diesen Weg kann ich auch gehen. Die macht dies, die macht das, das kann ich auch. Wenn Du das gar nicht erst siehst, ist es schwierig, in die Richtung zu schauen.

Gegenwind:

Hast Du den Eindruck, es hat hier Auswirkungen auf Schwarze Kielerinnen oder Schwarze Schleswig-Holsteinerinnen, wenn sie sehen, dass es eine Schwarze Ministerin gibt?

Henrike Klouvi Nana:

Ich denke, das hat große Auswirkungen. Natürlich wird sie dort ihre Erfahrungen einbringen und auch bewusster versuchen, etwas zu verändern. Aber ich glaube auch, als Repräsentationsperson hilft das. Jüngere schauen hoch und sehen, das ist jemand, die hier regiert und sie so aussieht wie ich. Ich kann das also auch.

Gegenwind:

Kennst Du andere Sozialministerinnen in Schleswig-Holstein?

Henrike Klouvi Nana:

Ich kenne tatsächlich keinen Namen von jemand anderem.

Gegenwind:

Wie ging es denn weiter im Studium? Du bist ja von London aus noch nach Vancouver und nach Madrid gegangen.

Henrike Klouvi Nana:

Ja, ich hatte „International Business“ studiert in London, und Teil meines Studiums war dann, ein Jahr ins Ausland zu gehen. Ich war in Vancouver und in Madrid, jeweils ein Semester. Ich wollte das auch, denn wenn man die Welt sieht, lernt man auch viel. Ich habe so viele unterschiedliche Menschen gesehen. Nur weil ich zu einer Minderheit gehöre, heißt dass ja nicht, dass ich auch über alle anderen Bescheid weiß. Man muss sich immer weiterbilden.

Gegenwind:

Hat man Dich in Madrid eher als Britin gesehen?

Henrike Klouvi Nana:

Ja, ich glaube teilweise schon, auch weil ich den Akzent habe. Ich wurde als Britin oder als Deutsche gesehen.

Gegenwind:

Wie gut ist Dein Spanisch?

Henrike Klouvi Nana:

Sehr bedürftig. Ich war auf einer internationalen Schule, wo Englisch gesprochen wurde. Dementsprechend sprachen auch die Freunde, die ich hatte, Englisch. Und sonst ist es ein bisschen Spanisch mit viel Gestik und viel Googlen. Und Madrid ist im Gegensatz zu anderen Städten in Spanien internationaler, da spricht man mehr Englisch.

Gegenwind:

Warst Du vor dem Studium in Kiel in Vereinen aktiv?

Henrike Klouvi Nana:

Ja, ich war teilweise aktiv. Meine Eltern waren in der UTE (Togoische Union des gegenseitigen Beistands), da haben wir Kinder oft als Gruppe getanzt oder haben dort was gemacht. Es ging darum, das Gemeinschaftsleben zu stärken. In der Zeit habe ich mich auch in der Kirche engagiert, als Jugendbetreuerin.

Gegenwind:

Was machst Du jetzt in der START-Stiftung?

Henrike Klouvi Nana:

In der START-Stiftung bin ich jetzt als Alumna. Ich bin tatsächlich kein aktives Mitglied mehr da als Stipendiatin, das war ich früher. Ich bin jetzt auf Veranstaltungen, die organisiert werden. Das ist eine Stiftung, die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund unterstützt, mit Mitgliedern, die sich ehrenamtlich engagieren. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten werden durch die START-Stiftung gefördert, es gibt Seminare und Workshops, es gibt auch kulturelle Angebote, auch eine finanzielle Förderung, zu Beginn bekommt man einen Laptop. Das ist wichtig für die, deren Eltern weniger haben.

Gegenwind:

Hast Du da auch eine Vorbild-Funktion? Wollen andere jetzt auch in Madrid oder London studieren?

Henrike Klouvi Nana:

In der START-Stiftung haben wir ein sehr breites Spektrum von Leuten mit sehr vielen Talenten und Fähigkeiten, da ist jeder für jeden Vorbild. Aber alle bekommen Unterstützung auf ihrem Weg.

Gegenwind:

Was kann „Kluge Köpfe“ denn innerhalb der afrikanischen Einwanderer erreichen?

Henrike Klouvi Nana:

Ich glaube, es ist eine sehr gute Initiativen, weil das Menschen zusammenführt, die gleiche Ziele habe oder die gleiche Leidenschaft für die Bildung. Denn Bildung öffnet uns viele Wege. Und das Netzwerk ist wichtig in dieser Gesellschaft. Wir als Preisträgerinnen sind vielleicht in der Summe ein Vorbild für alle, die kommen, egal wo sie Unterstützung brauchen. Viele wissen noch nicht, in welchen Beruf sie gehen möchten, und solch ein Netzwerk kann es für alle leichter machen. In solch einem Netzwerk kann man eine Leiter bilden. Viele sind irgendwo hin gekommen, und die nächste Generation sieht dann, dass man weiter kommen kann.

Gegenwind:

Vielen Dank!

Interview: Reinhard Pohl

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