(Gegenwind 410, November 2022)

Damit wir uns Hamburg wieder leisten können
Die Fotos sind während der Demonstration
„Hände hoch - Mietenstopp!“ am 8. Oktober entstanden.

Initiative „Hamburg enteignet!“:

Vom Verfassungsschutz ausgegrenzt

Kaum werden Unterschriften gesammelt, erklärt das Hamburger Landesamt des Inlandsgeheimdienstes die Volksinitiative zur Enteignung großer Immobilienkonzerne für verfassungsfeindlich.

Am Samstag, achten Oktober wurde auch in Hamburg im Rahmen der bundesweiten Kampagne unter dem Motto „Hände hoch - Mietenstopp!“ demonstriert. Etwa 600 Demonstrierende zogen durch den von einer erneuten Gentrifizierungswelle überrollten Stadtteil St. Georg nahe des Hamburger Hauptbahnhofes. Mitveranstalterin war neben den beiden Hamburger Mietervereinen und der Mieterinitiative Steilshoop auch die vor einem Jahr gegründete, sehr agile Initiative „Hamburg Enteignet“.

Vorbild für Hamburg Enteignet ist die erfolgreiche Initiative „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“ aus Berlin, der es bei einem Volksentscheid im September 2021 gelang, mehr als 1 Million Stimmen und eine Mehrheit von 59,1% für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin zu erringen. In der Hansestadt war der Erfolg des Volksentscheids in Berlin vor einem Jahr der Anstoß, in Anlehnung an die Berliner Initiative ebenfalls einen Volksentscheid zur Enteignung von Immobilienkonzernen anzugehen. Dass die Hamburger Demo um 13 Uhr am Berliner Tor startete und zum Rathaus führte, war da eine passende Symbolik.

„Hamburg Enteignet“ begann Mitte September mit der Sammlung der benötigten 10.000 Unterschriften. Erklärtes Ziel von „Hamburg Enteignet“ ist es, diese Zahl deutlich zu übertreffen und dann über die zweite Phase, das Volksbegehren, möglichst schnell zu einem Volksentscheid zu kommen, der parallel zur Bürgerschafts- oder Bundestagswahl 2025 stattfinden könnte. Am Rande der Demonstration wurde offensiv gesammelt.

Damit wir uns Hamburg wieder leisten können
Die Fotos sind während der Demonstration
„Hände hoch - Mietenstopp!“ am 8. Oktober entstanden.

Gefordert wird die Vergesellschaftung aller Wohnungen von privaten, profitorientierten Wohnungsunternehmen, denen mehr als 500 Wohnungen in Hamburg gehören. Dass sind zwar nicht so viele wie in Berlin - in Hamburg gibt es mehr städtischen und genossenschaftlichen Wohnraum. Aber für die vergesellschafteten 70.000 bis 100.000 Wohnungen könnten die Mieten direkt gesenkt werden und dauerhaft bezahlbar bleiben. Über den Mietenspiegel und die Entspannung des übrigen Wohnungsmarktes würden nach Angabe von Hamburg Enteignet letztlich alle Mieter*innen profitieren. „Die Mieten in Hamburg haben sich seit 1999 um 59,3 % erhöht. Allein im Jahr 2021 stieg der Mietspiegel um 7,3 %. Die Löhne sind in der gleichen Zeit kaum gestiegen“, so „Hamburg Enteignet“ in einem Statement vom September.

Aber am gleichen Tag, an dem die Unterschriftensammlung erfolgreich startete, mischte sich der Inlandsgeheimdienst dagegen ein. Das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz erklärte: „Die gewaltorientierte „Interventionistische Linke“ (IL) strebt zusammen mit anderen Gruppierungen eine Volksinitiative zur Enteignung privater Wohnungsunternehmen in Hamburg an“. Vor der IL warnte der Inlandsgeheimdienst in Hamburg bereits mehrfach: 2019 habe die IL versucht, „Fridays For Future“ durch eigene Aktivitäten zum Klimaschutz zu vereinnahmen, was der Verfassungsschutz erfolgreich verhindert habe. Die Warnungen klangen bereits so wie jetzt wieder: „Auch linksextremistische Gruppen wie die IL instrumentalisieren gesellschaftlich relevante, populäre und breit diskutierte Themen, um Bündnispartner auch unter demokratisch engagierten Gruppen zu finden. Und auch bei Hamburg enteignet ist die IL bzw. deren Mitglieder ein bestimmender Faktor.“ Hamburgs meistgelesene Lokalzeitung „Hamburger Abendblatt“ übernahm die Darstellung des Geheimdienstes und überschrieb den Artikel dazu so: „Vor Volksinitiative wird gewarnt.“ Eine demokratische Unterschriftensammlung, fast so schlimm wie der Enkeltrick?

Erfolgreiches Hamburg??? Mietenspiegel steigt um 7,3%! Die Linke
Die Fotos sind während der Demonstration
„Hände hoch - Mietenstopp!“ am 8. Oktober entstanden.
Die Trägerin des Sandwichplakates ist Heike Sudmann.

Wer bei der Initiative nachfragt, hört etwas ganz anderes: „Es ist ein Skandal, dass der Verfassungsschutz vor uns warnt. Wir nutzen mit der Volksinitiative ein demokratisches Mittel und beziehen uns mit unserer Forderung nach Enteignung großer, profitorientierter Wohnungsunternehmen auf das Grundgesetz“, erklärt Marco Hosemann, Vertrauensperson der Volksinitiative „Hamburg enteignet“ gegenüber dem Autor. Anscheinend verpufft die Warnung des Inlandsgeheimdienstes angesichts der steigenden Mieten: „Die Menschen hält die Schmutzkampagne vom Verfassungsschutz nicht davon ab, sich weiter bei uns zu engagieren und unsere Volksinitiative zu unterzeichnen“, so Marco Hosemann, selbst Mitglied der Partei „Die Linke“ und Ko-Sprecher deren Hamburger Landesarbeitsgemeinschaft „Stadtentwicklung & Wohnen“. „In der IL bin ich nicht“, erklärt er dem Autor. Und weiter: „Seit unserem Sammelstart am 15. September haben wir bereits weit mehr als 4.000 Unterschriften gesammelt.“ Die Initiative „besteht aus vielen verschiedenen Menschen“ und werde vom Elan engagierter Aktivist*innen getragen: „Natürlich sind bei uns auch Leute aktiv, die sich vorher schon in anderen Gruppen engagiert haben“, macht Marco Hosemann kein Hehl aus der Mitarbeit organisierter Linker, „es sind aber auch sehr viele junge Menschen dabei, die sich das erste Mal politisch engagieren.“ Als Heike Sudmann, Abgeordnete der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft vom Autor gefragt wird, ob sie die Volksinitiative unterstützt, ist die Antwort eindeutig: „Ja, nicht nur ich, sondern „Die Linke“ insgesamt“. Die Fachsprecherin der Linksfraktion für Wohnungspolitik erklärt dem Autor: „Das Abzocken auf dem Wohnungsmarkt muss gestoppt werden. Es wäre zu schön, wenn Mieter*innen erkennen, dass sie nicht wehrlos ausgeliefert sind.“

Die Kampagne des Geheimdienstes kritisiert Heike Sudmann scharf: „Die Verunglimpfung der Aktivist*innen durch den Verfassungsschutz ist nicht nur sachlich falsch, sie ist ein unzulässiger, undemokratischer Übergriff und muss Konsequenzen haben.“ Außerdem sei die Frage, wer eigentlich auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehe - und wer nicht: „Nicht die Enteignung von Wohnungskonzernen ist verfassungsfeindlich, sondern die unkontrollierte, rücksichtslose Profitmaximierung der Konzerne.“

Der Geheimdienst tat in seiner Warnung dagegen so, als ob es radikalen Linken eigentlich gar nicht um Vergesellschaftung gehe, sondern um Kommunismus: „Der IL geht es nur vordergründig um bezahlbaren Wohnraum, tatsächlich zielt die IL letztlich auf die Beseitigung des bestehenden Systems, um einen nicht weiter ausgeführten kommunistischen Staat aufzubauen.“ Worin hier der Gegensatz besteht, weiß wohl allein der sogenannte Verfassungsschutz. Wie soll ein Kommunismus ohne Vergesellschaftung und bezahlbaren Wohnraum funktionieren? Und warum behauptet der Inlandsgeheimdienst, Grundgesetz und Kommunismus würden sich ausschließen? Während die Antworten auf diese Fragen im Nebel des Geheimen bleiben, ist „Hamburg Enteignet“ sehr klar: „‚Eigentum verpflichtet’ und ‚Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen’ heißt es im Grundgesetz“, betont Marco Hosemann: „Das Grundgesetz macht die Enteignung möglich. Die Realität hingegen macht sie notwendig. Deshalb werden wir weiter fleißig in ganz Hamburg Unterschriften sammeln und freuen uns über alle, die uns dabei unterstützen. Damit wir uns Hamburg wieder leisten können.“

Gaston Kirsche

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