(Gegenwind 401, Februar 2022)

Fratz-Studio Flensburg

Gegen die Medienmisere im Land:

Lasst 100 Freie Radios blühen

Nichtkommerzielle Lokalradios als „Dritte Säule“ im Rundfunksystem in Schleswig-Holstein

Seit Jahren kämpfen die beiden Freien Radios in Schleswig-Holstein für ihre auskömmliche, bedarfsgerechte Finanzierung und für die Anerkennung der Nichtkommerziellen Lokalradios im Lande als Bürgermedien. Jetzt haben sie dazu ein wissenschaftliches Gutachten vorgestellt.

Das „Freie Radio Neumünster“ und das Flensburger „Freie Radio Fratz“ senden beide seit Dezember 2019 auf UKW ein nichtkommerzielles Radioprogramm, ehrenamtlich und selbstorganisiert. Freie Radios sind als Nichtkommerzielle Lokalradios (NKL) nicht mit den kommerziellen Lokalradios in Lübeck oder auf Sylt zu vergleichen, die mit Werbung und Sponsoring Geld verdienen wollen und müssen. Freie Radios sind Bürgermedien, die Geld weder verdienen dürfen oder könnten, die aber auch keine institutionelle Förderung außer der Übernahme der Sende- und Leitungskosten erhalten.

Funfact am Rande: den 5. Medienänderungsstaatsvertrag Hamburg Schleswig-Holstein (MÄStV HSH), mit dem nach dem Zusammenschluss der beiden Länder-Medienanstalten in Hamburg und Schleswig-Holstein zur Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein MA HSH endlich auch das Lokalradioverbot in Schleswig-Holstein aufgehoben wurde, wurde 2015 neben dem damaligen SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig auch vom damaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz unterzeichnet, ebenfalls SPD, heute Bundeskanzler.

Seitdem kämpfen die beiden Nichtkommerziellen Lokalradios in Neumünster und in Flensburg um eine auskömmliche Finanzierung ihres Sendebetriebes: erst mit der Küstenkoalition (SPD, Grüne und SSW), dann mit der Jamaika-Regierung (CDU; Grüne und FDP) und demnächst wieder weiter mit einer Landesregierung, die nach der Landtagswahl am 8. Mai erneut unter Führung der CDU zusammengestellt werden wird. Immerhin: Schon vor sieben Jahren äußerte sich der Medienpolitische Sprecher der damals oppositionellen CDU im Kieler Landtag, der leider viel zu früh verstorbene Axel Bernstein zu den neu erlaubten Lokalradios im Lande: Die Ausgangslage der Freien Radios, denen man ausschließlich die Sende- und Leitungskosten zugestehen wolle, ließe den erfolgreichen Betrieb dieser Sender nicht zu. Einerseits wolle man mehr lokale Berichterstattung, so Bernstein, andererseits schaffe man nicht den Rahmen dazu.

Ende 2020 veröffentlichte die Jamaika-Landesregierung sogar einen eigenen Bericht zur Situation der Medienlandschaft in Schleswig-Holstein. Dessen Fazit fasste der Grüne Lasse Petersdotter laut Plenarprotokoll der 114. Landtagssitzung am 24. März 2021 treffend zusammen: „In der lokalen Berichterstattung hat man zu essen, was auf den Tisch kommt.“ Fast flächendeckend gibt es, wenn überhaupt, nur eine Lokalzeitung vor Ort, die in einem der beiden Zeitungsverlage erscheint, die sich die Presselandschaft in Schleswig-Holstein aufgeteilt haben. Und in dessen Blättern kommen die überregionalen Berichte, der so genannte Mantel der Lokalzeitung, aus einer der beiden Zentralredaktionen in Osnabrück oder Hannover, wo die Verlagshäuser, die Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG und die Verlagsgruppe Madsack ihren Sitz haben. Beide Häuser sind sogar große Mitgesellschafter der Firma Regiocast, die drei der vier landesweit zu empfangenen Privatradios betreibt. Neben der Presselandschaft steht im echten Norden also auch das duale Rundfunksystem mit dem öffentlich-rechtlichen Norddeutschen Rundfunk NDR und faktisch nur einem einzigen regionalen Privatveranstalter nicht wirklich für Medien-, Meinungs- und Informationsvielfalt im Lande. Im Bericht wird also eine stärkere gesellschaftliche Förderung lokaler Medien als einziger Weg aus einer in Schleswig-Holstein definitiv vorzufindenden „Informationsmisere“ empfohlen.

Wenn sich diese Informationsmisere nun aber nicht behoben werden kann oder soll, weil hier für die einen kein Geld zu verdienen ist, oder weil der andere, dem öffentlich-rechtlichen NDR, eine flächendeckende lokale Berichterstattung schlicht und einfach untersagt ist (§ 30 Abs. 5 Nr. 3 Medienstaatsvertrag (MStV)), dann ist es höchste Zeit, endlich verstärkt das Augenmerk auf die so genannte „dritte Säule“ des Rundfunksystems zu richten: auf die nichtkommerziellen Lokalradios (NKL), die als Community- oder Bürgermedien vor Ort vorwiegend ehrenamtlich und zugangsoffen betrieben werden. Im Bundesverband Freier Radios sind bundesweit über 30 Freie Radios organisiert, auch die zwei Freien Radios in Schleswig-Holstein. Ein weiteres Freies Radio für den Raum Rendsburg-Eckernförde wartet immer noch auf eine*n beherzte*n Lizenznehmer*in.

Schon 2017 schrieben die Jamaika-Parteien noch in ihren Koalitionsvertrag: „Mit den neuen nichtkommerziellen Lokalradios in Schleswig-Holstein gibt es neue Formen von Bürgermedien, die eine Förderung erhalten, um sie in ihrer Existenz zu sichern. Diesen Bereich des Lokalradios werden wir entsprechend evaluieren.“ Zu dieser Evaluation ist es nicht gekommen. Darum haben sich die Freien Radios in Neumünster und Flensburg nun selbst gekümmert: Kurz vor dem Ende der Legislatur konnten sie jetzt ein wissenschaftliches Gutachten vorlegen, das eine dauerhafte und staatsferne Förderstruktur für nichtkommerzielle Lokalradios in Schleswig-Holstein nahelegt.

Für das Gutachten mit dem Titel „Aufgaben, Kosten und Finanzierungsbedarf der schleswig-holsteinischen, nichtkommerziellen Lokalradios (NKL) in Neumünster und Flensburg“ konnten die Wissenschaftler*innen Dr. Paula Nitschke und Professor Dr. Jeffrey Wimmer vom Institut für Medien, Wissen und Kommunikation an der Universität Augsburg gewonnen werden, die das Gutachten am 25. April auf einer Podiumsveranstaltung in der Pumpe in Kiel vorstellten. Eingeladen dazu waren die medienpolitischen Sprecher der demokratischen Parteien im Kieler Landtag: Stefan Weber (SPD), Lars Harms (SSW) und Lasse Petersdotter (Bündnis 90/Die Grünen) nahmen teil. Tim Brockmann (CDU) musste wg. Corona leider kurzfristig absagen, die FDP konnte keinen Teilnehmer benennen. Moderiert wurde die Veranstaltung von Michael Nicolai von AMARC Europe, dem Weltverband der Freien Community Radios. Die Veranstaltung wurde vom Offenen Kanal Kiel live ausgestrahlt, einen Link zur Aufzeichnung der Veranstaltung und auch zum Gutachten selbst findet sich unter diesem Artikel.

Das Gutachten zeigt auf, dass die ersten Nichtkommerziellen Lokalradios (NKL) in Schleswig-Holstein kein unzureichender Ersatz für fehlende lokale Medien sind. Sie sind gemeinnützig, werbefrei und zugangsoffen organisiert und erfüllen bereits lokalöffentliche Aufgaben bzw. sorgen für gesellschaftlich relevanten Mehrwert. Und der wird bei einigem Aufwand bislang ehrenamtlich erbracht, dabei entstehen enorme Kosten - nicht nur in Euro, sondern auch in Arbeitszeit gerechnet. Entsprechend müssten die beiden Radios also finanziell auch mit Kosten für Vollzeitstellen gefördert werden, wenn sie weiter existieren sollen. Der Bedarf dafür wurde für die Studie erstmals erhoben und liegt pro Radio bei insgesamt zirka 130.000 Euro jährlich. Der Landesregierung und der Medienregulierung wird nahegelegt, sich hier an der Finanzierung von Freien Radios in anderen Bundesländern zu orientieren und bedarfsgerecht zu fördern. Aus den Rundfunkgebühren erhalten beide Sender bislang die Kosten der UKW-Verbreitung und aus städtischen Mitteln die Raumkosten. Alles andere muss von den Radiovereinen selbst erbracht werden, sie können aber nur einen kleinen Anteil der Kosten durch Spenden und Mitgliedsbeiträge erwirtschaften.

In der anschließenden Diskussion hielten die Vertreter von SPD, SSW und Grüne die Erhöhung der finanziellen Förderung allesamt für erforderlich. Der SSW hält die Freien Radios sogar jetzt bereits für unverzichtbar und wünscht sich mehr von ihnen im Land. Unklar blieb dabei, warum die anwesenden Parteien bis zum Regierungswechsel 2017 und die Grünen bis zum Ende der aktuellen Legislatur keinerlei Verbesserungen vorgenommen haben. Die Grünen behaupteten auf der Diskussion sogar, die NKL hatten zuvor keinen bedeutenden Förderbedarf signalisiert. Das ist schlichtweg falsch. Auf die Praxis Freier Radios in vielen Bundesländern, die Koordinationskosten essentieller Tätigkeiten des Sendebetriebs (wie z. B. Programmkoordination, Technik und Geschäftsführung) in ihrer Basisfinanzierung zu berücksichtigen, weisen sie seit Jahren hin. Alle Forderungen und Stellungnahmen gegenüber Öffentlichkeit, Politik und Regulierung schon weit vor dem Sendestart sind online weiter unter www.freie-radios-sh.org einsehbar

Bleibt also die Frage, nicht ob, sondern wie die Radios künftig angemessen öffentlich gefördert werden sollten. Die Grünen hielten in der Diskussion eine Änderung des Mediengesetzes für einen höheren Anteil an den Rundfunkgebühren für die NKL für schwer umsetzbar. Das würde den NDR, die Filmförderung und den Offenen Kanal in Schleswig-Holstein berühren, die sich bislang die Rundfunkgebühren teilen. Die Freien Radios sind hier jedoch ein neuer „Player“: 2015 war es politisch ausdrücklich erwünscht, den Offenen Kanal nicht um weitere Standorte zu erweitern, sondern endlich neue Formen nichtkommerzieller Medien in Schleswig-Holstein zuzulassen.

Mögliche Quellen der Finanzierung hielten sich die Politiker in der Diskussion offen. Favorisiert wurde aber kurzfristig eine Förderung aus dem Landeshaushalt, ausgegeben über die Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein als Aufsichtsbehörde. Dafür wäre auch keine Gesetzesänderung nötig. Doch wie unabhängig wäre so eine Förderung aus dem Landeshaushalt bei künftig wechselnden politischen Mehrheiten? Verwiesen wurde in der Diskussion auf die städtischen Förderungen. Radio Fratz wurde im vergangenen Jahr in Flensburg von den örtlichen CDU und FDP sogar angedroht, die städtische Förderung aufgrund seiner Berichterstattung wieder zu entziehen. Das konnte zwar verhindert werden, machte aber nochmal deutlich, wie wichtig eine unabhängige und breit aufgestellte Finanzierung sein sollte.

Die künftige Finanzierung der NKL muss also nicht nur endlich auskömmlich sein, sondern muss auch dauerhaft und staatsfern gesichert reguliert werden, damit sie nicht ohne weiteres wieder gestrichen werden kann. Das ist nun die Aufgabe der künftigen Koalition in Kiel. Sie daran hartnäckig zu erinnern, das sind die Freien Radios in Neumünster und Flensburg schon gewohnt. Damit die Freien Radios endlich weiter bestehen, weitere Freie Radios im Land hinzukommen, sich entwickeln und weiter unabhängig berichten können. Mit dem Ziel ein gemeinsam erarbeitetes Programm abseits von kommerziellen Maßstäben, für eine demokratische und vielfältige lokale Debattenkultur und die Vermittlung kritischer Medienkompetenz in einem selbstverwalteten lokalen Radiosender zu ermöglichen. Entscheidend dafür dürfte natürlich auch der Ausbau der lokalen Akzeptanz und das ehrenamtliche Engagement für und in den Sendern sein. Mit einer ausreichenden finanziellen Förderung dürfte dies gewiss noch besser zu bewerkstelligen sein.

Sönke Jahn
Der Autor ist im Vorstand des Trägervereins, dem Freien Radio Neumünster e. V.

Links:

www.freiesradio-nms.de

www.radio-fratz.de

Das Augsburger NKL-Gutachten als PDF-Datei: https://t1p.de/8hnva

Video: Vorstellung des Gutachtens in der Pumpe in Kiel: https://t1p.de/3mlbt

Zum Bericht der Landesregierung zur Situation der Medienlandschaft in Schleswig-Holstein: https://t1p.de/12pm

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