(Gegenwind 350, November 2017)

United We Stand! Gemeinsam gegen Repression - Solidarität mit den G20 Gefangenen

Zu Bunt gehört auch Schwarz

Nach den Protesten gegen und den Riots während des G20-Gipfels ermittelt die Hamburger Polizei eifrig weiter.

„Die Soko Schwarzer Block macht mit ihrem Namen klar, wo die Polizei den Feind verortet und verschleiert dabei, dass die Gemengelage eher unübersichtlich ist”, erklärte Tina Fritsche am 27. September: „Sie vermittelt Aktivität, in dem sie Ermittlungen gegen einzelne Linke verkündet”, so die bei der Organisation des Alternativen G20-Mediencenters FCMC aktive Gewerkschafterin, „und trötet am Tag danach in und eins zu eins übernommen über die Medien, dass Razzien stattfinden - assoziativ gestellt in Zusammenhang mit den Ermittlungen”.

Die am 10. Juli mit großem Trara des Hamburger Polizeipräsidenten Ralf Martin Meyer eingerichtete Sonderkommission Schwarzer Block ist die größte jemals bisher beim LKA, Abteilung Staatsschutz in der Hansestadt eingerichtete. Nachdem wochenlang wenig die Rede war von der Ermittlungstätigkeit der 180 Beamte umfassenden Sonderkommission, fand am 27. September eine Razzia in vierzehn Wohnungen und zwei Telefonieläden statt, bei der ganze sieben Mobiltelefone von Apple bei angeblichen „Gelegenheitstätern” beschlagnahmt wurden. Aktuelle Smartphones, insbesondere iPhones, lassen sich nach Diebstahl aus einem Laden mithilfe der Seriennummer mühelos sperren - oder auch lokalisieren. Die Durchsuchungen erscheinen so als reine Symbolik oder Inszenierung.

Parallel berichteten Hamburger Medien, dass die Hamburger Staatsanwaltschaft gegen vier aus dem G20-Protest bekannte Aktive Ermittlungsverfahren eingeleitet hätte: Andreas Blechschmidt, Andreas Beuth, Emily Laquer und einen vierten, nicht namentlich Genannten - wegen des Verdachts des schweren Landfriedensbruchs. Dem Hamburger Abendblatt sagte die Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft Nana Frombach, dass mehrere Anzeigen wegen „schweren Landfriedensbruchs” gegen die vier eingegangen seien.

Andreas Blechschmidt und Andreas Beuth sind beide auf Pressekonferenzen und in Interviews als Sprecher des autonomen Bündnisses Welcome To Hell aufgetreten, welches die Demonstration „Für eine solidarische Welt und gegen den G20-Gipfel” am Vorabend des Gipfels organisierte, die bereits vor dem Start recht gewaltsam von massiven Polizeikräften aufgelöst wurde, weil Verstöße gegen das Vermummungsverbot vorgelegen hätten. Andreas Blechschmidt war Anmelder der Demonstration. Unmittelbar vor Demonstrationsbeginn wurde er am Rande der mehrstündigen Auftaktkundgebung am Hamburger Fischmarkt interviewt und erklärte: „Wir sind Teil einer Protestbewegung die seit über 40 Jahren ganz deutlich sagt, wir distanzieren uns nicht im Grundsatz von militanten Aktionsformen und auch nicht von bewussten Regelübertretungen.” Solche seien in der Geschichte sozialer Bewegungen, etwa der 68er- oder der Anti-AKW-Bewegung Bestandteil der Protestformen gewesen. „Wir haben ganz eindeutig gesagt, dass wir hier eine Demonstration organisieren, die gemeinsam losgeht und gemeinsam ankommt” warb Andreas Blechschmidt dafür, dass Demonstrationsrecht wahrnehmen zu dürfen. Denn an diesem Donnerstag der Gipfelprotestwoche hatte die Hamburger Polizeiführung unter dem Gesamteinsatzleiter Hartmut Dudde bereits bei fast jeder sich bietenden Gelegenheit gezeigt, dass der Schutz der Staatsgäste ‚höchste Priorität' habe. Er befahl eine „niedrige Einschreitschwelle”, um „Störungen und Blockaden sofort zu verhindern”, wie es in dem mittlerweile bekannt gewordenen Rahmenbefehl des Polizeieinsatzleiters Hartmut Dudde heißt.

„Es gab die gewalttätigen Polizeieinsätze gegen Menschen, die versucht haben, die letztlich von den Gerichten bestätigte Camps durchzusetzen”, so Blechschmidt, „Es gab dort Pfefferspray-Einsätze, Schlagstock-Einsätze, es gab die völlig unnötige Auflösung der großen G20 Corner Aktion vorletzte Nacht.” Während sich Blechschmidt in einer durch die repressive Polizeistrategie extrem angespannten Situation für das Grundrechts auf Versammlungsfreiheit einsetzte, wurde er in jedem Interview dazu aufgefordert, sich grundsätzlich von linker Militanz zu distanzieren. Dem Druck gab er nicht nach. Stattdessen unterschied er zwischen einem politischen Selbstverständnis und der konkreten Situation. Mehrfach betonte er, als Demonstrationsleiter sei er gegenüber „der Polizei aus grundsätzlichen Erwägungen verpflichtet zu kooperieren”.

Emily Laquer agierte ähnlich und verweigerte sich der Aufforderung zur grundsätzlichen Distanzierung: „Unser gemeinsamer Ausdruck ist bunt, und auch Schwarz - also die Autonomen - ist ein Teil von Bunt.” Emily Laquer ist ein exponiertes Mitglied der bündnisorientierten Interventionistischen Linken und war Sprecherin der breit getragenen Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20” am Samstag der Gipfelwoche. Als Zeit online sie zum Bekenntnis zur Gewaltfreiheit aufforderte, erwiderte sie etwa: „Wir planen Massenblockaden und eine Großdemonstration, deshalb muss ich die Aktionen anderer nicht kommentieren.” Nach dem Gipfel von der taz befragt, erklärte Laquer: „Nein, wir distanzieren uns nicht. Aber wir kritisieren Aktionen, die sich nicht gegen den Gipfel, sondern gegen die Menschen dieser Stadt gerichtet haben.”

Dass empörte Staatsbürger nicht zwischen einem politischen Statement und einem konkreten Aufruf zur Gewalt aus einer Menschenmenge heraus, was das juristische Kriterium für Landfriedensbruch ist, unterscheiden können, und es so zu zahlreichen Anzeigen gegen Blechschmidt und Laquer wegen Landfriedensbruch, gar schwerem, kam, ist nicht verwunderlich. Zumal von Politikern, Staatsanwaltschaften, Journalisten in der Empörung über den klinken Protest gegen den G20-Gipfel nur selten zwischen konkreten Tatwortwürfen und radikaler linker Gesinnung differenziert wurde. Auch die Hamburger Dependance des Inlandsgeheimdienstes tat sich hierbei hervor: Unter dem Titel „Der Verfassungsschutz informiert: G20: Linksextremistische Versammlungen, Gruppierungen und Akteure” wurde am 1. Juli nicht nur vor drei politischen Gruppierungen des Protestspektrums gewarnt: Sowohl für die autonome „Rote Flora und Umfeld” als auch für den antiimperialistischen „Roten Aufbau Hamburg” wie auch für die vom Verfassungsschutz als postautonom bezeichnete „Interventionistische Linke” wurde jeweils eine Person namentlich genannt und so „an den Pranger gestellt”, wie Tina Fritsche sich empörte: Andreas Blechschmidt von der Roten Flora, Halil S. alias Deniz Ergün vom Roten Aufbau und Emily Laquer von der Interventionistischen Linken. Politische Aktivitäten, ihre „Gewaltbereitschaft” und Statements zu Militanz wurden aufgelistet.

Die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes und des Staatsschutzes der Polizei scheint in Hamburg eng zu sein. So erklärte die Polizeisprecherin Heike Uhde nach einer Razzia im antiimperialistischen Zentrum „B5” am 8. Juli, Anlass sei ein „Hinweis des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg” gewesen, „dass sich in den Vereinsräumen der Hamburger Antiimperialisten gefährliche Gegenstände befinden, mit denen Brandsätze hergestellt werden sollen”.

Nicht verwunderlich wäre es auch, wenn die von der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen wegen Schweren Landfriedensbruch noch nicht genannte vierte Person vom Roten Aufbau käme.

Gegen Interviewäußerungen von Exponenten des Roten Aufbau war der Staatsschutz aber schon vorher im Einsatz: Am 29. Juni hatte es Hausdurchsuchungen gegeben. Die Wohnungstüren zweier Aktiver wurden von Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag eingetreten - sie sollen der taz im Dezember ein Interview gegeben haben, in dem eine Brandattacke auf die Messehallen, den Tagungsort des G20-Gipfels als „legitime Form des Widerstands” bezeichnet wurde. Woher die Polizei zu wissen glaubt, die Pseudonyme der Interviewten - „Ernst Henning” und „Timo Schmidt” - gehören zu den beiden Verdächtigten, ist dabei ein Rätsel. Entweder wurden die Redaktionsräume der taz observiert, oder die linken Aktivisten überwacht. Fakt ist: Neben den Prozessen gegen verhaftete Protestteilnehmer gibt es auch Ermittlungen gegen Aktive wegen Meinungsäußerungen. Die Soko Schwarzer Block hat in jedem Fall noch viel vor. Kriminaldirektor Jan Hieber, Leiter der Soko kündigte in Richtung der Protestierer an: „Wir werden viele von euch kriegen. Ganz sicher.” Dass dies keine leere Drohung ist, liegt vor allem an der Digitalisierung der Aufnahmetechnik: „Wir haben Bildmaterial in einem Umfang, wie es ihn noch nie in der deutschen Kriminalgeschichte gab”, so Hieber laut Hamburger Abendblatt. Mehrere Hundert der etwa 5.000 rund um den Gipfel straffällig Gewordenen seien schon erkannt, erklärte Hieber, der von den neuen technischen Möglichkeiten begeistert zu sein scheint, ohne allzu viel datenschutzrechtliche Bedenken zu haben: „Wir wollen ein Programm zur Gesichtserkennung einsetzen.” Allein in öffentlichen Verkehrsmitteln seien hundert Festplatten gesichert worden - es gibt eine Unmenge von Daten.

„Insgesamt hat die Sonderkommission schon über 2000 Ermittlungsverfahren in Bearbeitung”, so Polizeipräsident Ralf Martin Meyer: „Wir gehen perspektivisch davon aus, dass wir bei über 3000 Ermittlungsverfahren landen werden, wenn wir das ganze Material ausgewertet haben.” Und Kriminaldirektor Jan Hieber ergänzte: „Ich glaube, dass diese Videobeweise so erdrückend sind, dass wir eine erstaunliche Geständnisbereitschaft haben, wie ich sie noch nicht erlebt habe.” Erstmal reine Spekulation - sicher ist dagegen: Die digitale Aufrüstung der Polizei schreitet ebenso voran wie der Verfolgungswille gegen radikale Linke zunimmt.

Gaston Kirsche

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