(Gegenwind 345, Juni 2017)


Protest der Mieter-Initiative-FGW gegen das „Haus auf dem Rasen”, 23. Februar 2017

Menschlich Wohnen sieht anders aus

„Gegen Mieterhöhung, Baustress und ein Haus auf unseren Rasen”

Norderstedt: vom Dorf zur Stadt - 50 Jahre Bauboom

Norderstedt bestand bis 1970 aus fünf kleinen Dörfern am Endpunkt des alten Ochsenweges. Heute noch nennt sie sich stolz „Stadt im Grünen”, gehört aber mit seinen ca. 80.000 Einwohnern seit langem zum industriellen „Speckgürtel” im Umland von Hamburg. Nahe am Flughafen gelegen, hat es ab den frühen sechziger Jahren acht große Gewerbegebiete entstehen und gleichzeitig entsprechende Wohnanlagen mit Hochhäusern bauen lassen. Eine davon im Stadtteil Friedrichsgabe. Hierhin wurden zahlreiche Arbeitskräfte aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland und Italien gerufen, die z.B. von der nahe gelegenen Gabelstapler-Firma Jungheinrich AG gebraucht wurden. Nun sind die Kollegen alt geworden, wohnen aber immer noch mit ihren Kindern und Enkeln in der Wohnanlage am Friedrichsgaber Weg, Röntgengang und Syltkuhlen, wo die Wohnungsbaugesellschaft „Neue Lübecker”, die dem Genossenschaftsgedanken verpflichtet ist, diese Menschen bislang zu relativ günstigen Mieten hat wohnen lassen.

„Aufgepasst am Friedrichsgaber Weg beim Bauen, Modernisieren, Umziehen und Miete zahlen!”

Am 18. Juni 2013 lud die „Neue Lübecker” (NL) nun ihre Mieterinnen und Mieter zu einer Informationsversammlung in ein Zelt auf der Wiese am Friedrichsgaber Weg (FGW) ein. Was sie mitzuteilen hatte, stieß allerdings auf breite Empörung. Die NL stellte ihren Plan vor, die vorhandenen Wohnungen modernisieren, abreißen, neu bauen und das Gelände mit unterirdischen Garagen versehen zu lassen. Dass eine Sanierung schon lange dringend nötig war, wussten alle, die hier schon seit 50 Jahren wohnen. Aber warum wollte die NL denn die an der Straße am Friedrichsgaber Weg liegenden Häuser gleich abreißen und neu bauen? Es sollte an ihrem technischen Zustand liegen. Aber der wahre Grund schien doch eher der zu sein, dass beim Wiederaufbau gleich sechs ebenso große neue Blocks quer dazu und sogar zwischen die bisherigen Häuser auf den Rasen neben dem Spielplatz entstehen sollten. Unter den Rasen würde es dann zusätzlich noch eine Tiefgarage geben. Natürlich mit Zustimmung der Stadt Norderstedt, die wie auch die Großstadt Hamburg unter dem Druck, neuen Wohnraum schaffen zu müssen, zur Zeit 2.000 Bauprojekte in Planung hat. Allein am Friedrichsgaber Weg will die Stadt zu den 167 Wohneinheiten 140 neue hinzu bekommen. Eine unzumutbare „doppelte” Verdichtung in dieser nördlichen Ecke der Stadt, die außerdem kaum noch über eine funktionierende Infrastruktur verfügt: Es fehlen die einst vorhandenen kleinen Einkaufsgeschäfte und vor allem die Apotheke. Und die ehemalige Bahnüberführung mit Zugang zur Stadtmitte endet jetzt in einer Sackgasse und zwingt zu großen Umwegen.

Natürlich war zu diesem Bau- und Sanierungsprojekt bisher keiner der hier wohnenden Menschen gefragt worden. Die jetzt von der NL inszenierte Veranstaltung sollte endlich diesen Mangel beheben. Aber sie geriet wegen der großen Empörung der betroffenen BewohnerInnen gleich beim ersten Versuch aus den Fugen und wurde von der Neuen Lübecker, man mag es gar nicht glauben, aufgrund von kritischen Zwischenrufen „beleidigt” abgebrochen. Angesichts dieser Lage schlossen sich daraufhin ein Dutzend Mieterinnen und Mieter spontan zu einer „Mieter-Initiative-FGW” zusammen und einigten sich unter anderem auf folgende Forderungen: „Kein Abriss unserer Häuser - kein neues Haus auf unseren Rasen - keine Modernisierung auf unsere Kosten - keine Erhöhung unserer Mieten!” Mit dem oben zitierten Flugblatt „Aufgepasst am Friedrichsgaber Weg...” traten sie gleich im November 2013 an die breite Öffentlichkeit.

Lebenslanges Wohnrecht und nicht mehr als ein Euro Mieterhöhung

Klugerweise hat sich die Mieter-Initiative-FGW zunächst einmal „schlau gemacht” und mit vielen Vertretern aus verschiedenen politischen und sozialen Organisationen Kontakt aufgenommen. So z.B. mit Bau- und Sozialamt, mit den Fraktionen und dem Ortsverband der LINKEN, den Parteien der GRÜNEN, der SPD und der Bürgerpartei WIN, mit dem „Mieterverein Norderstedt e.V.” und mit dem Seniorenbeirat der Stadt Norderstedt. Außerdem prüfte sie mit Hilfe eines engagierten Rechtsanwalts Rechte und Gesetze der MieterInnen allgemein und im Verhältnis zur NL im Besonderen. Auch die Norderstedter Presse, das örtliche Fernsehen NOA4 und die „Norderstedter Zeitung/Hamburger Abendblatt”, nahm dank unserer regelmäßigen Informationen bald von uns Notiz. Außerdem kamen erfreulicherweise auch diverse Gespräch zwischen der Mieter-Initiative und dem Vorstand der Neuen Lübecker, vertreten durch die Herren Skroblies, Boden und Jürs, zustande. Sie mussten rechtlich einsehen, dass alle MieterInnen, die genossenschaftlich bei der NL organisiert sind, ein „lebenslanges Wohnrecht” besitzen und nicht einfach weg gekündigt werden können, um für neue Interessenten Platz zu machen, die dann natürlich einen höheren Mietpreis zahlen müssten. Die Ergebnisse dieser Beratungen zeigten erste Erfolge.

Alle Bewohner konnten auf jeden Fall ihre Wohnungen behalten oder in Absprache mit der Neuen Lübecker nach der Sanierung alternativ andere Wohnungen von dieser beziehen. Zwar läge das Mietniveau für bereits sanierte Wohnungen derzeit bei 9,01 Euro plus ca. 0,70 Euro Nebenkosten, aber dieser Mietpreis gelte nur für von außerhalb hinzu kommende neue MieterInnen. Die Plangröße der Durchschnittsmiete für die „alten” MieterInnen der gesamten Wohnanlage am Friedrichsgaber Weg sei nach der Modernisierung hingegen 6,20 Euro pro Quadratmeter plus Nebenkosten. Das bedeute grundsätzlich, wie es die NL denn auch vehement öffentlich in ihrem Geschäftsbericht und in der Presse publizierte, dass die Erhöhung der bisherigen Miete nicht mehr als 1,00 Euro betragen werde. Außerdem blieben die erworbenen Genossenschaftsanteile erhalten, neue Anteile könnten erworben werden, sie kosten jetzt aber ein Vielfaches mehr.

Wer sich der Mieter-Ini angeschlossen hatte, konnte sich entsprechend dieser Zusagen in persönlichen Gesprächen und Verhandlungen mit der Neuen Lübecker entscheiden für das Angebot einer Ersatzwohnung, für die auch keine erhöhte Miete gezahlt werden musste. Jedem stand es außerdem frei, nach der Sanierung die zwischenzeitlich genutzte Ersatzwohnung auf Wunsch zu behalten oder in die bisherige zurück zu ziehen. Die erforderlichen zweimaligen Umzugskosten trug die NL ebenfalls.

Inzwischen sind von 2013 bis 2016 zwei Hochhäuser mit je acht Stockwerken und mehrere Flachbauten mit 3-4 Stockwerken saniert und wieder bezogen worden. Aus 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen hat die NL - dem neuen Bedarf folgend - häufig kleinere Einheiten bauen lassen. Ein Nachbar mit drei Kindern konnte deshalb bis heute keine passende 3- bis 4-Zimmer-Wohnung finden. Natürlich sind auch etwa 20% der bisherigen BewohnerInnen ganz weg gezogen. Zu den Kindern, weil sie dort besser unterkommen konnten, weil sie jetzt endlich das eigene Reihenhaus gebaut haben oder weil sie altersbedingt ins Seniorenheim ziehen mussten. Die Mieter-Ini hatte in ihrem Flugblatt und wiederholt auch in vielen persönlichen Gesprächen darauf hingewiesen, dass für alle ehemaligen MieterInnen zusätzlich zum Genossenschaftsrecht auch ein allgemeiner Mieterschutz gelte: „Kommt wegen Modernisierungsmaßnahmen oder Umbau eine Kündigung des Mietvertrages ins Haus, muss diese, wie bei einem Arbeitsvertrag im Betrieb, nicht einfach akzeptiert werden. Man kann dagegen Widerspruch einlegen und auch über den Quadratmeter-Preis neu verhandeln.” Aber dazu braucht man natürlich Ausdauer und ein „dickes Fell”. Leider hatten sich besonders ältere Leute unter dem Zeitdruck und der Angst, keine neue Unterkunft bekommen zu können, auf wesentlich höhere Neu-Mietpreise eingelassen.

Neue Sanierung - neuer Stress

Leider ist die Initiative nach Beendigung der genannten Baumaßnahmen bis Anfang 2016 keinen Monat zur Ruhe gekommen. Jetzt werden am Röntgengang das dritte Hochhaus und einige Flachhäusern saniert. Das verursacht Lärm und Staub. Dennoch sollen die BewohnerInnen dieser Häuser während des Umbaus in ihrer Wohnung bleiben, die anfallenden Belastungen erdulden und auf dabei eine Mietminderung verzichten. In einem 14-seitigen Schreiben kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres kündigte die NL 15 relevante Baumaßnahmen an und verlangte bis Ende des Jahres dafür eine schriftliche Zustimmung. Auch dem Bau neuer Wohnungen ab 2017 - gemeint sind die sechs bereits erwähnten Neubauten, inklusive des Hauses auf dem Rasen - sollten sie ebenfalls gleich pauschal akzeptieren. Die NL - die übrigens für ihr Bauprojekt ein Förderdarlehen „energieeffizientes Sanieren” in Höhe von 2,4 Mio Euro von der Kreditanstalt für Wiederaufbau erhält - errechnete, dass sie eigentlich eine zukünftige Mieterhöhung von 190,20 Euro erheben könne, diese aber kulanterweise auf 88,28 Euro senke, „wenn Sie im Gegenzug auf berechtigte Mietminderungen verzichten.” In einem Gespräch lobte die NL ihre MieterInnem, die das „gern” unterschrieben hätten. Das taten sogar die an die Wohnung gebundenen bettlägrigen und behinderten Menschen! Zwei BewohnerInnen widersprachen allerdings diesem Bescheid. Eine betroffene Familie hat daraufhin auf Grund einer „ärztlichen Bescheinigung” für die Dauer der Baumaßnahmen bis Ende 2017 eine Ersatzwohnung zur Verfügung gestellt bekommen.

Leider ist die Methode der NL insgesamt, ihre MieterInnen mürbe zu machen: Anrufe werden nicht entgegen genommen, Briefe nicht zeitnah beantwortet, E-Mails langwierig weiter geleitet und klärende Gespräche dem Hausmeister überlassen, bevor konkret etwas geschieht. Bei der NL „geht nichts ohne meinen Rechtsanwalt”. Wenn wir manchmal einer ebenfalls von Sanierung betroffene Nachbarin um die Ecke aus der Waldstraße begegnen und sie uns darüber berichtet, wie sich ihre Wohnungsbau-Firma „Adlershorst” um sie kümmert und sie stets rechtzeitig informiert, trauen wir kaum unseren Ohren. Auch das Hamburger Abendblatt berichtet von dieser offensichtlich mieter-freundlicheren Gesellschaft in Norderstedt: „Wir haben mit Mietern Übereinkünfte getroffen, dass sie in andere Objekte ziehen können... Wir haben circa 400 Mietverhältnisse in solcher Form geklärt - und immer, ohne dass wir einen Rechtsanwalt brauchten. Wir versuchen immer, vernünftige Lösungen hinzubekommen.” Es geht also auch anders!


Die von der Stadt Norderstedt und der „Neuen Lübecker” geplante Bausanierung am Friedrichsgaber Weg - Protest gegen das „Haus auf dem Rasen”

Kein Betonklotz auf den Rasen

Immer neue Betroffene verbinden sich jetzt mit der bisherigen Mieter-Initiative-FGW. Es sind die Anwohner und Anwohnerinnen aus den umliegenden privaten Eigenheimen am Röntgengang und Sauerbruchring direkt neben dem Hochhaus. Weil ihnen bei der weiteren Sanierung ab 2017 ein Haus direkt vor die Nase gesetzt werden soll - ein sogenanntes „Starterhaus”. Und dabei wird zunächst nicht die Baugenossenschaft NL sondern die Stadt Norderstedt mit ihrem Bebauungsplan B-293 zum größten Kontrahenten. Vom Oberbürgermeister Grote vorgelegt, vom Ersten Stadtrat Herrn Bosse vehement vertreten und von allen Parteien bisher uneingeschränkt abgesegnet. Worum geht es dieses Mal?

Am besten, man wirft einen Blick auf den von der Stadt Norderstedt vorgelegten Plan B-293, den wir hier abgebildet und „kommentiert” haben. Die vier am Friedrichsgaber Weg liegenden Flachhäuser (vorne rechts) mit vier Etagen sollen abgerissen und neu wieder aufgebaut werden, parallel zu ihnen (im Bild dahinter) sind fünf neue Wohnblocks auf dem ehemaligen Parkplatz geplant. Ist dies schon schwer erträglich, weil schließlich alle bisherigen Wohnungen einem neuen Fünfer-Block vor die Nase gesetzt bekommen - Abendsonne ade! -, so folgt der dickste Hammer noch: Ein weiteres sechstes Haus soll mitten in diese Wohnlandschaft auf den einzigen „freien” Rasen gestellt werden (oben links), der sich in der Mitte der Anlage befindet. Kaum 1 ha groß, haben sich hier auf diesem Platz ein halbes Jahrhundert lang die Nachbarn getroffen und ihren Hund spazieren geführt. Ihren Kindern hat der Rasen als Spielplatz gedient - mit einer von der Stadt Norderstedt gestellten großen Schaukelanlage. Eine Generation hindurch war er der Ort, wo jährlich ein von den Nachbarn und den Kollegen der Firma Jungheinrich, ihrem Betriebsrat und dem Vertauensleutekörper der IG-Metall organisiertes „Internationales Kinderfest” statt fand. Jetzt soll diese sozial enorm wichtige Grünfläche einem sogenannten „Starterhaus” mit 20 kellerlosen Wohnungen weichen.

Welche Interessen stehen dahinter?

Die Baugenossenschaft „Neue Lübecker” ließ in einem Gespräch, das sie mit der Mieter-Initiative-FGW bereits 2016 führte, durchblicken, dass sie, anstelle dieses Haus zu bauen, eigentlich auch lieber die vorderen Wohnblocks um eine entsprechende Anzahl von Stockwerken hätte erhöhen wollen. Das wäre für sie sogar kostengünstiger als ein Neubau auf der Wiese. Eine heute in allen Großstädten bereits erfolgreich praktizierte Lösung, die übrigens auch in Norderstedt bereits angewendet wird. Aber Herr Bosse, der Chef der städtischen Planung, habe hier kein „Klein Manhattan” haben wollen (man sieht: „der war noch niemals in New York”). Aber schließlich sei es ihnen doch ganz passend gewesen. Sie würden das Haus auf dem Rasen zusätzlich einfach als „Starter-Haus” nutzen, wo sie einige MieterInnen während der Sanierungszeit übergangsweise wohnen lassen könnten. Dabei hat die Neue Lübecker dieses Problem in den vergangenen zwei Jahren Bausanierung doch ganz anders gelöst. War ein Hochhaus fertig gestellt, konnten dort übergangsweise diejenigen MieterInnen unterkommen, die nun ihrerseits für einige Monate auf die Sanierung ihrer Wohnung warten mussten. Solch eine Zwischenlösung konnte aber auch in mehreren Fällen in einer Wohnung der Neuen Lübecker außerhalb von Friedrichsgabe gefunden werden, weil die Baugenossenschaft in Norderstedt und darüber hinaus an vielen weiteren Orten in der Umgebung Bauobjekte besitzt. Eine Farce, dafür jetzt plötzlich ein ganz neues Haus zu erstellen! Und noch dazu auf dem einzigen Rasenplatz. Natürlich soll dieses Ersatz-Haus dann auch nicht abgerissen sondern weiter genutzt werden. Na klar - das bringt ihnen ja schließlich für die nächsten 50 Jahre satte Miet-Einnahmen!

Freies Parken statt freier Spielplätze

Und noch ein Problem macht den MieterInnen und mehr noch den AnwohnerInnen der Eigenheime am Röntgengang zu schaffen. Für alle die-se alten und neuen Wohnungen müssen - baurechtlich verbindlich - auch noch die notwendigen Parkplätze geschaffen werden. Wo denn? Nur unter der Erde, wie die Neue Lübecker verspricht? Unbezahlt oder dann doch schließlich mit weiteren 60 Euro monatlicher Kosten bedacht? Zu den bisherigen 164 Auto-Stellplätzen müssten insgesamt weitere 143 neue geschaffen werden, nach einem Schlüssel von 1,2 bis 1,5 pro Wohneinheit. Und dabei fällt der bisher vorhandene freie Parkplatz schon weg, weil dort die fünf neuen Häuser hin kommen. Am Ende stehen neben dem „Starterhaus” auf dem Rasen dann auch noch dutzende von Autos. Oder darf es auf dem daneben liegenden jetzt schon hoffnungslos überfüllten Röntgengang sein?

Rücksichtslose Verdichtung

Die Stadt Norderstedt muss den Bebauungsplan für die hier zu errichtenden Gebäude bewilligen. Und da ziehen die in den Ausschüssen vertretenen Parteien von links bis rechts - Linke, Grüne, WIN, FDP, SPD und CDU - bisher an einem Strang. Auf der öffentlichen Veranstaltung der Stadt Norderstedt zu diesem Thema im April 2016 protestierten die betroffenen MieterInnen und AnwohnerInnen in ihren Beiträgen heftig gegen den vorgelegten Plan B-293. Natürlich brauche die Stadt neuen Wohnraum, aber eine derartig große Verdichtung „allein auf unsere Kosten” wollten sie nicht hinnehmen. Es sei völlig unverständlich, warum die Stadt nicht die Lösung vorziehe, die vorhandenen Flachhäuser um eine Etage aufzustocken. Der Verlust ihrer sozialen Kontakte durch das „Haus auf dem Rasen” und die Minderung ihrer Wohnqualität seien unzumutbar!

Als kurz danach die entsprechenden Baupläne im Rathaus der Stadt ausgelegt wurden, kamen ein Dutzend betroffene Bürgerinnen und Bürger persönlich vorbei. Ergebnislos - das Wort Rasen erhielt einfach nur den Stempel „keine Aufenthaltsqualität”. Über 138 Einwendungen wurden von der Stadt eben nur „zur Kenntnis genommen” - bis auf einen einzigen Fall, wo es um die Verschiebung einer Mülltonne ging. Hingegen erschien ein städtisch beorderter Fotografiertrupp früh morgens um 9 Uhr, wenn alle Kinder zur Schule und die BewohnerInnen bei der Arbeit sind, und machte Aufnahmen im Gelände zwischen Sauerbruchring und Röntgengang. Vermutlich sollte dies beweisen, dass der Rasenplatz überhaupt nicht „genug” von Kindern und Nachbarn genutzt würde! Ein Brief an alle Parteien, in dem die Problematik noch mal erläutert und um Kontaktnahme und Unterstützung gebeten wurde, verlief ebenfalls im Sande. Keine der verantwortlichen Parteien ließ sich zu einem Gespräch über die Sorgen ihrer Bürgerinnen und Bürger in den Miet- und Eigenheimwohnungen bewegen oder zeigten sich mal vor Ort im Gelände.

Politiker entscheiden gegen Bürger

Und so haben die gewählten Vertreter der Parteien auf der Sitzung des „Ausschusses für Stadtentwicklung und Verkehr” der Stadt Norderstedt am 16. Februar 2017, obwohl erneut vier VertreterInnen der Betroffenen am Friedrichsgaber Weg, Röntgengang und Sauerbruchring in der vorher gehenden Fragestunde ihre Argumente gegen den ungerechten Verdichtungs-Hausbau und das „Starterhaus auf dem Rasen” dargelegt hatten, allesamt die Hände für den Plan B-293 gehoben, ohne Nachfrage, ohne eine einzige Gegenstimme. Und das obwohl sie bereits im Wahlkampf für den Landtag in Schleswig-Holstein steckten.

So macht die LINKE in ihrem Programm zu Wohnen und Stadtplanung in Punkt 7 den Vorschlag „Wohnen und Stadtplanung sind Bereiche der Beteiligung und direkten Demokratie... Die LINKE fordert die Stärkung von Mieterbeiräten und Mietervereinen sowie die Bürgerbeteiligung bei der Stadtplanung. Deshalb ist eine enge Verknüpfung von Stadtentwicklung und Wohnungspolitik notwendig. Die Einwohnerinnen und Einwohner müssen bei Bauleitplanungen aktiv und verbindlich beteiligt werden und somit an der Zukunft ihrer Städte und Quartiere mitarbeiten können. Ergebnisse der Beteiligung sind von Politik und Verwaltung umzusetzen.” Haben denn Dr. Pranzas, Vertreter der Linken im „Ausschuss für Stadtplanung und Verkehr”, und Miro Berbig, Fraktionsvorsitzender der Linken, ihr eigenes Programm nicht gelesen? Dieselbe Frage an die GRÜNEN, bei denen es heißt: „Integrierte Stadtentwicklungskonzepte helfen planen: Neubau und Verdichtung führt auch zur Versiegelung von Flächen, steht in Konkurrenz zum Umweltschutz und geht oft zulasten von Stadtgrün. Um den Flächenverbrauch möglichst klein zu halten, setzen wir bei der Schaffung neuen Wohnraums nicht allein auf Neubau, sondern auch auf Modernisierung, Bestandsverdichtung, Aktivierung von Leerständen, Geschossaufstockung, Wohnungstausch und Initiativen wie ‚Wohnen für Hilfe’”. In einer Wortmeldung engagierte sich der Norderstedter GRÜNE im Ausschuss lediglich für die Bäume, die am Friedrichsgaber Weg nicht abgesägt werden sollten. Schnee von gestern! Die Menschen kamen bei ihm nicht vor. Unter „Bürgerbeteiligung” versteht die Mieter- und Anwohner-Initiative nicht, dass man andächtig den Damen und Herren der Stadt bei ihren Vorhaben lauschen darf. Eine demokratische Bürgerbeteiligung akzeptiert Gegenargumente und strebt in Gesprächen und Verhandlungen einen Ausgleich der Interessen an.

Gegen das „Haus auf dem Rasen” sind bis zum 19. April, dem offiziellen Einspruchstermin, erneut einige Dutzend Widersprüche eingegangen. Ob sie dieses Mal eine Antwort wert sind oder gar ein Umdenken bewirken? Jeder weiß, dass inzwischen auch von Städtebauern, Architekten, Klimaexperten und Soziologen ausführlich in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen vertreten wird: Wohnen muss menschlich soziales Leben ermöglichen, Mieter und Anwohner brauchen Licht, Luft und Sonne. BewohnerInnen dürfen nicht einem ungesunden Mikroklima durch zu enge Bebauung ausgesetzt werden. Grünflächen müssen bleiben! Keine rücksichtslose Verdichtung, dann lieber nach oben ausweichen und aufstocken. Die Norderstedter Politiker und die Neue Lübecker haben da wohl etwas verschlafen... die Mieterinitiative bleibt ihnen auf den Fersen!

Edda Lechner
Norderstedt

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