(Gegenwind 337, Oktober 2016)

Tarfah Al-Fadhli

„Ich möchte in Deutschland für die Frauenrechte arbeiten”

Interview mit Tarfah Al-Fadhli aus Bordesholm

Gegenwind:

Kannst Du Dich zunächst vorstellen?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich bin Tarfah, ich komme aus dem Jemen, zusammen mit meinem Kind. Ich bin im letzten Jahr gekommen. In meiner Heimat habe ich als Journalistin gearbeitet, und ich habe bei NGOs gearbeitet. Ich habe in der Universität in Aden zu Frauenrechten gearbeitet. Ich habe als Journalistin und als Mitarbeiterin von NGO immer mit der Durchsetzung von Menschenrechten zu tun gehabt. Das interessiert mich jetzt auch. Aber ich muss erst einmal gut Deutsch lernen, aber danach will ich wieder auf diesem Gebiet arbeiten.

Gegenwind:

Was war der Grund für Deine Flucht?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich habe nicht nur einen Grund, es gibt viele Gründe. Es gab Drohungen, aber es gab auch private Probleme.

Gegenwind:

Hattest Du auch die-se Probleme, weil Du als Journalistin gearbeitet hast?

Tarfah Al-Fadhli:

Ja, ich hatte diese Probleme, weil ich als Journalistin gearbeitet habe. Aber auch die Arbeit mit NGOs war gefährlich. Es gibt im Jemen islamische Gruppen, die NGOs und ausländische Organisationen überhaupt für gefährlich halten. Und sie finden es nicht gut, wenn eine Jemenitin für ausländische NGOs arbeitet, und insbesondere nicht ein Mitglied meiner Familie. Und meine Familie hat die Aktivitäten auch abgelehnt. Ich kann es nicht genauer erklären, aber ich hoffe, das ist so verständlich.

Gegenwind:

Wie bist Du nach Deutschland gekommen?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich konnte zum Glück ganz normal kommen, mit einem Visum. Ich war zuerst in Österreich, aber es war ein deutsches Visum, also musste ich dann nach Deutschland, weil Deutschland für das Asylverfahren zuständig ist. Durch das Dublin-Verfahren und meine Fingerabdrücke beim Visumantrag musste ich also nach Deutschland.

Gegenwind:

Wie weit ist denn Dein Asylverfahren?

Tarfah Al-Fadhli:

Es passiert gar nichts. Für Flüchtlinge aus dem Jemen dauert es lange. Ich habe vor siebzehn Monaten Asyl beantragt, aber seitdem nichts davon gehört. Ich warte auf die Anhörung.

Gegenwind:

Was möchtest Du später in Deutschland machen?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich möchte eigentlich normal leben, leben mit meinem Sohn. Ich brauche einen normalen Deutschkurs, damit ich die Sprache lernen kann. Natürlich brauche ich auch Arbeit, ich kann nicht ohne Arbeit hier leben. Ich arbeite jetzt auch, aber immer freiwillig und unbezahlt. Ich kann noch keine normale Arbeit finden, weil das Asylverfahren so unklar ist.

Gegenwind:

Wie war Deine Situation im Jemen? Konntest Du dort von Deiner Arbeit leben?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich hatte dort Arbeit, als Journalistin und bei NGOs. Der letzte NGO, für den ich gearbeitet habe, war der Dänische Flüchtlingsrat. Aber als unabhängige Journalistin habe ich für einige arabische und jemenitische Magazine geschrieben. Ich habe immer gearbeitet, ganz normal, und konnte davon leben. Es ist nicht leicht für Frauen im Jemen. Aber ich glaube, ich war als Frau stark genug. Am Ende gab es zu viele Probleme.

Gegenwind:

Jetzt herrscht im Jemen Krieg. Kannst Du zu den verschiedenen Parteien was sagen? Fangen wir an mit dem ehemaligen Präsidenten Saleh.

Tarfah Al-Fadhli:

Saleh ist der wichtigste Grund für den gesamten Krieg im Jemen. Dreiundreißig Jahre alt ist seine Herrschaft, sie hat viel zu lang gedauert, und die meisten Probleme im Jemen hat er zu verantworten. Es gab Probleme mit dem Nordjemen, als wir 1990 ein Land wurden. Südjemen hatte nicht bedacht, was nach der Vereinigung passiert. Schon kurze Zeit später sagten viele im Süden, wir wollen das gemeinsame Land nicht mehr. Aber 1994 hat der Norden den Krieg gegen den Süden gewonnen. Nach dem Krieg änderte sich alles im Süden. Alle wichtigen Politiker im Südjemen mussten ihre Posten verlassen, mussten zu Hause bleiben, mussten zum Teil auch ins Exil. Alle Mitglieder des Diplomatischen Corps verloren ihre Posten, alle Airline-Piloten aus dem Süden verloren ihre Stellen und mussten zu Hause bleiben. Alles änderte sich: Die Lehrpläne, das politische System. Es gab neue Familiengesetze. Vorher konnte ein Mann nur eine Frau heiraten, jetzt vier oder fünf. Die Kinderheirat, die es vorher nicht gab, kam plötzlich wieder. Vorher musste eine Frau 17 Jahre alt sein, um heiraten zu dürfen. Das wurde jetzt abgeschafft, jetzt gab es plötzlich Ehen mit acht oder neun Jahren. Auch die Freiwilligkeit wurde abgeschafft, auch wenn das Mädchen eine Ehe nicht wollte, sie musste jetzt heiraten.

Gegenwind:

Kommen wir zum zweiten Politiker, dem aktuellen Präsidenten Hadi. Wie beurteilst Du den?

Tarfah Al-Fadhli:

Er wurde 2011 Präsident. Mit ihm ist es kompliziert. Saleh war überall, seine Armee, seine Leute in allen Behörden. Das blieb so. Hadi konnte 2011 nichts machen. Er ist zu den Emiraten und nach Saudi-Arabien gereist, hat dort um Hilfe gebeten, weil er nichts machen konnte. Auch jetzt, wo Saleh mit den Huthis zusammen arbeitet, ist es für Hadi noch komplizierter. Hadi ist offiziell Präsident, aber er kann nichts machen. Und die Situation braucht einen guten Mann, und das ist Hadi auf keinen Fall.

Gegenwind:

Was sagst Du zur Huthi-Miliz?

Tarfah Al-Fadhli:

Die sind schlecht. Ich finde, die Huthis sind das zweite Gesicht von Saleh. Ich sage: Hört endlich auf, das Leben der Menschen zu zerstören. Hört auf, Kinder im Krieg einzusetzen. Stoppt die Zerstörung des Landes.

Gegenwind:

Sind die Huthis eine Partei oder sind es Terroristen?

Tarfah Al-Fadhli:

Nein, keine Partei, es sind Terroristen. Aber sie werden vom Iran unterstützt, deshalb ist es eine starke Truppe. Ich habe jetzt von einer Journalistin gehört, Saudi-Arabien macht große Probleme, aber der Iran macht noch größere Probleme. Hadi kann die Huthis auf keinen Fall stoppen, er hat überhaupt keine Macht.

Gegenwind:

Wie beurteilst Du den südlichen Widerstand, die Bewegung für die Unabhängigkeit?

Tarfah Al-Fadhli:

Du meinst Hirak. Hirak hat schon länger gegen Saleh gekämpft, seit 2007. Zu Beginn wollte Hirak gleiche Rechte für den Süden, die Menschen in Süden sollten das gleiche Recht auf Jobs haben. Es gab viele Leute aus dem Norden, die niemals eine Universität besucht hatten, aber im Süden bei Jobs bevorzugt wurden, manchmal zwei oder drei Jobs gleichzeitig bekamen. Und Leute aus dem Süden, mit einem Uni-Abschluss, wurden nirgends eingestellt. Aber es war unser Geld, die Einnahmen aus dem Süden, von dem das bezahlt wurde. Es ging also zuerst um gleiche Rechte. Aber dann wurden Demonstrationen angegriffen, seit 2009 gab es Kämpfe. Und seitdem wollen sie nicht in diesem Staat bleiben, wollen die Unabhängigkeit.

Gegenwind:

Was denkst Du über al-Qaida?

Tarfah Al-Fadhli:

Ach, das weißt Du selber. Sie sind ein großes Problem für alle Menschen im Jemen. Wir wissen, das al-Qaida Unterstützung bekommt von Ali Mohsen al-Ahmar. Deshalb kann al-Qaida im Jemen so schwer bekämpft werden, weil die Unterstützung von einem der mächtigsten Männer in der Regierung kommt. Deshalb die großen Probleme in Mukalla und in Abyan.

Gegenwind:

Seit ein paar Monaten gibt es auch den Islamischen Staat, was hältst Du davon?

Tarfah Al-Fadhli:

Du meinst Da-esch? Daesch wird auch von Ali Mohsen unterstützt. Ali Mohsen war die rechte Hand von Saleh. Er hat das Problem im Jemen geschaffen, als Strafe für den Sturz von Saleh. Viele Leute glauben, dass Daesch im Jemen nicht der Original-IS wie im Irak oder Syrien ist. Ali Mohsen hat Daesch und al-Qaida im Jemen aufgebaut. Aber es gibt keine genauen Informationen darüber.

Gegenwind:

Was macht Saudi-Arabien?

Tarfah Al-Fadhli:

Saudi-Arabien, ich will es so sagen: Alles, was im Krieg im Jemen passiert, passiert zwischen dem Iran und Saudi-Arabien. Das ist klar. Wenn Saudi-Arabien kommt, um Hadi zu helfen, ist das nicht, weil Saudi-Arabien Hadi liebt. Sondern sie wollen den Iran bekämpfen. Der Iran versucht den Nahen Osten zu spalten, um die Region zu kontrollieren, und das will Saudi-Arabien nicht. Sie bekämpfen den Iran, indem sie die Huthi bekämpfen, denn die werden vom Iran unterstützt. Die Huthi werden vom Iran unterstützt wie die Hisbollah im Libanon und in Palästina. Saudi-Arabien bekämpft den Iran und die Huthis, und die Vereinten Nationen müssten sagen, dass dieser Krieg von Saudi-Arabien illegal ist, aber die Vereinten Nationen sagen das nicht. Meine Meinung ist einfach: Ich bin gegen den Krieg. Ich bin gegen den Krieg, egal was für Gründe es gibt. Saudi-Arabien bekämpft die Huthi, und die Huthi haben viele Zivilisten in Aden, im ganzen Süden getötet, auch in Mukalla. Auch in Sanaa, im Norden des Jemen, haben sie viele Menschen getötet. Es ist ein Problem, aber ich bin gegen den Krieg.

Gegenwind:

Was machen die USA im Jemen?

Tarfah Al-Fadhli:

Die USA unterstützen immer noch Saleh. Sie helfen niemandem, aber sie unterstützen Saleh.

Gegenwind:

Kämpfen sie nicht auch gegen al-Qaida?

Tarfah Al-Fadhli:

Ja, in Mukalla. Ja, sie greifen al-Qaida an.

Gegenwind:

Macht Russland etwas im Jemen?

Tarfah Al-Fadhli:

Jetzt nicht. Bis jetzt sind sie in Syrien beschäftigt. Aber Putin hat gesagt, er will den Krieg von Saudi-Arabien stoppen - aber das ist klar, weil die Huthi mit dem Iran verbündet sind und der Iran mit Russland. Wenn sie was machen, würden sie die Huthi unterstützen, aber bis jetzt machen sie nichts.

Gegenwind:

Was macht die EU?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich finde, sie macht nichts. Die EU hilft dem Jemen nicht. Es gibt die Verhandlungen in Kuwait, und die EU hilft nicht bei einer Lösung. Es soll jetzt wieder ein Treffen geben, ich glaube in Bahrein, aber es wird wieder nichts passieren.

Gegenwind:

Hast Du von Deutschlands Aktivität in Jemen gehört?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich habe das nur auf Deiner Veranstaltung über den Jemen gehört. Deutschland liefert Waffen nach Saudi-Arabien, und die benutzen sie im Jemen. Aber sonst weiß ich es nicht, ich habe das nur von Dir gehört. Aber Deutschland macht etwas für die Leute aus dem Jemen hier.

Gegenwind:

Wie siehst Du die Situation im Jemen insgesamt? Kann man dort leben?

Tarfah Al-Fadhli:

Es gibt immer ruhigere Tage, einige Tage sind besser, einige Orte sind besser. Im Moment ist es in Aden ruhig, die Kämpfe sind in Taiz. Aber es ist nirgends ruhig. Die Situation ist insgesamt sehr schlimm, aber am schlimmsten ist es zur Zeit in Taiz.

Gegenwind:

Gibt es im Krieg eine Partei, die Du gut findest?

Tarfah Al-Fadhli:

Nein, gut ist niemand. Speziell die Islah macht große Probleme, über die hatten wir noch nicht gesprochen.

Gegenwind:

Aber Tawakkol Karman von der Islah hat doch den Friedensnobelpreis bekommen.

Tarfah Al-Fadhli:

Aber sie ist doch auch ein großes Problem. Sie lebt nicht im Jemen, sie ist in der Türkei. Sie war 2011 aktiv, in den Demonstrationen. Aber danach verließ sie Jemen, sie ließ alle im Stich, die sie unterstützt hatten. Sie macht nichts, sie ist einfach weg.

Gegenwind:

Wie lange dauert der Krieg noch?

Tarfah Al-Fadhli:

Der dauert noch sehr lange. Saudi-Arabien hat den Krieg am 28. März 2015 begonnen, und es ist eine sehr schwere Frage, wie lange er noch dauert. Es ist ja nicht nur ein Krieg, es gibt mehrere Kriege im Jemen. Es sind die Huthi gegen Saudi-Arabien, es ist der Süden gegen den Norden, der Süden will sich abspalten. Und es gibt al-Qaida und Daesch, das ist alles sehr kompliziert. Es ist nicht einfach, das zu durchschauen, und es ist nicht leicht, alles zu stoppen. Die Vereinten Nationen können nichts tun. Ban Ki-Moon sagt nur, er macht sich Sorgen. Er macht sich Sorgen. Ich glaube, es dauert noch eine sehr lange Zeit, bis der Krieg zu Ende ist.

Gegenwind:

Was muss sich im Jemen alles ändern, damit Du wieder dort leben kannst?

Tarfah Al-Fadhli:

Frieden, Demokratie, alles. Speziell als Frau ist es nicht leicht. Ich hatte viele Probleme, nicht nur als Journalisten, nicht nur wegen der Aktivitäten, nicht nur wegen der Zusammenarbeit mit ausländischen Organisationen, nicht nur wegen des Krieges. Es gab auch persönliche Probleme, und deshalb wäre es für mich sehr schwierig, in den Jemen zurückzukehren.

Gegenwind:

Was ist Deine Zukunft?

Tarfah Al-Fadhli:

Ich möchte so viel machen. Ich möchte auch hier in Deutschland für die Frauenrechte arbeiten, das ist für mich sehr wichtig. Ich komme als Frau aus dem Jemen, wo die Frauen kaum Rechte haben, es gibt dort für uns kein normales Leben, wir sind nicht frei. Ein spezielles Problem haben die Frauen, die als Kinder verheiratet werden. Als ich verheiratet wurde, hatte ich auch große Probleme, weil ich lernen wollte, weil ich studieren wollte. Ich will für die Rechte der Frauen kämpfen, besonders für die Rechte der arabischen Frauen. Viele arabische Frauen leiden hier ja weiter, sie leiden unter ihrer Familie, unter ihren Ehemännern, unter ihren Brüdern. Ich kenne hier in der Nachbarschaft ein zwölfjähriges Mädchen, das einen Hidschab, ein Kopftuch tragen muss. Ich möchte, dass sie weiß, dass sie das in Deutschland nicht akzeptieren muss. Ich möchte, dass sie erfährt, dass sie hier Freiheit hat. Hier kann die Frau studieren, arbeiten, was sie will. Ich möchte hier aktiv sein für Frauenrechte und auch als Journalistin arbeiten, weil das meine Berufung ist. Ich habe einige Pläne für die Zukunft, aber ich muss eben erst Deutsch lernen. Die Sprache ist die Tür für mich, der Schlüssel zur Tür, für alles.

Interview: Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum