(Gegenwind 336, September 2016)

Flüchtlingsunterkunft Segeberg

Flucht & Asyl

Flüchtlingsunterkunft Segeberg

Ungewöhnlich ist diese Organisationsform: Am 11. August nahmen die Staatssekretärin Manuela Söller-Winkler und der Staatsrat Bernd Krösser eine Flüchtlingsunterkunft in Bad Segeberg in Betrieb. Sie bietet Platz für die Unterbringung von 1.500 Flüchtlingen. Da die Situation im Moment entspannt ist, sollen dort vorerst 600 Flüchtlinge untergebracht werden.

Die Unterkunft liegt in Schleswig-Holstein. Deshalb war Manuela Söller-Winkler, Staatssekretärin im Innenministerium in Kiel für die Inbetriebnahme zuständig. Die Flüchtlinge, die dort untergebracht werden, sind allerdings solche, die dem Bundesland Hamburg zugeordnet sind. Hamburg muss 2,5 Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen, die nach Deutschland kommen, und ist für deren Unterbringung zuständig. Deshalb war Bernd Krösser dabei, als Staatsrat für Inneres (bei der Behörde für Inneres und Sport) eben verantwortlich für die Unterbringung der „Hamburger” Flüchtlinge.

Die Standards der Einrichtung sind schleswig-holsteinisch. Was Bernd Krösser sofort auffiel, ist der Platz: Die Häuser haben Abstand zueinander, dazwischen liegen Rasenflächen. Man muss für die Inbetriebnahme weit laufen, wenn man Polizeistation, Essensraum, Kleiderkammer, Ärztlichen Dienst, Kindergarten, Schule, Musikzimmer, Betreuung und Beratung, Zimmer in festen Häusern, Zimmer in den nebenan aufgebauten drei Containerdörfern, sanitäre Einrichtungen sehen will. Gedacht war an eine Stunde, es wurden mehr als eineinhalb Stunden.

Es gibt auch einige Standards, die den Flüchtlingen helfen. Das ist vor allem die Verfahrensberatung, die (wie in den anderen schleswig-holsteinischen Einrichtungen) das Deutsche Rote Kreuz übernimmt. Das, so musste Bernd Krösser auf Nachfrage zugeben, gibt es in Hamburg nicht. Man wird jetzt abwarten müssen, ob es zu Nachfragen unter Hamburger Flüchtlingen führt.

So kann es sein, dass die in Segeberg untergebrachten „Hamburger” Flüchtlinge bei ihren Ausflügen nach Hamburg anderen Flüchtlingen in Hamburger Erstunterkünften davon erzählen. Das könnte einerseits dazu führen, dass in anderen Hamburger Erstaufnahmestellen auch eine Beratung gefordert wird. Es könnte auch dazu führen, dass die in Segeberg untergebrachten Flüchtlingen Freundinnen und Freude aus Hamburg zur Beratung in Segeberg mitnehmen.

In Hamburg kommen Flüchtlinge, wie inzwischen auch in Schleswig-Holstein, in der Zentralen Aufnahme an und werden dort im „Ankunftszentrum” registriert, das vor allem vom „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” betrieben wird. Dort bekommen sie den Ankunftsnachweis, werden medizinisch untersucht, weil in den großen Unterkünften vor allem ansteckende Krankheiten schnell für Probleme sorgen können. Wenn alles gut läuft, können sie dort auch relativ schnell ihren Asylantrag stellen.

Deutschles Rotes Kreuz
Das Bundesamt sortiert die Flüchtlinge in vier Gruppen:

Cluster A: Flüchtlinge aus Syrien, Flüchtlinge aus Eritrea, Flüchtlinge aus dem Irak, sofern sie einer religiösen Minderheit angehören, vor allem also Jesiden aus dem Irak: Diese drei Gruppen sollen sofort eine Anhörung bekommen, die Anerkennung soll dann schnell gehen.

Cluster B: Flüchtlinge aus Albanien, Bosnien, Kosovo, Mazedonien, Serbien: Diese fünf Gruppen sollen sofort eine Anhörung bekommen, die Ablehnung soll dann schnell gehen.

Cluster C: Flüchtlingen aus Afghanistan, Ecuador, Irak (Muslime), Iran, Russland, Somalia, Staatenlose, Ungeklärte: Diese Gruppen sollen die Anhörung erst später bekommen, beim Bundesamt erwartet man „komplexe Asylverfahren”.

Cluster D: Flüchtlinge aus allen Ländern, die im „Dublin-III-Verfahren” in ein anderes europäisches Land zurückgeschickt werden sollen. Sie werden zu den Asylgründen überhaupt nicht angehört, da das nach der Abschiebung im anderen Land passieren soll.

In Segeberg werden Flüchtlinge aus dem „Cluster C” untergebracht. Sie haben also die Eingangsuntersuchung hinter sich, aber das Asylverfahren noch vor sich. Zur Zeit benötigt das Bundesamt für derartige Asylverfahren mehrere Jahre.

Hamburg bringt Flüchtlinge, anders als Schleswig-Holstein, für sechs Monate in der Erstaufnahme unter. Zu dieser Unterbringung gehört auch die Unterkunft in Segeberg. Das unterscheidet sich von Schleswig-Holstein, das Flüchtlinge in der Regel nur sechs Wochen in der Erstaufnahme lässt und danach auf Kreise verteilt. Hamburg hat aber keine Kreise, sondern nur die Bezirke - es gibt hier keine Weiterverteilung, sondern eine sogenannte „Folgeunterbringung”.

Motive

Schleswig-Holstein hat ein Problem: 2015 reichten die Unterkünfte nicht für die Aufnahme. Anfang des Jahres gab es eine Landesunterkunft in Neumünster mit 400 Plätzen, es kamen aber 55.000 Flüchtlinge hier an.

Die Landesregierung baute teils sehr hektisch, teils über Nacht rund ein Dutzend weiterer Unterkünfte auf. Und die vorhandenen Unterkünfte wurden gnadenlos überbelegt, mit Matratzen auf den Fluren und in den Gemeinschaftsräumen. Es sollten, so der Plan, bis Ende des Jahres 25.000 Plätze zur Verfügung stehen. Das hat nicht ganz geklappt, aber Ende des Jahres reichten die Plätze aus. Nach der (internen) Statistik des Kieler Innenministeriums gab es am 4. Januar 2016 sechzehn Unterkünfte mit 15.072 Plätzen, in denen 7.998 Flüchtlinge untergebracht waren - eine Auslastung von 53 Prozent.

2016 sind die meisten Aufnahmestellen, die Landesunterkünfte entweder geschlossen worden oder sie werden bis zum Jahresende geschlossen. Übrig bleiben die „qualifizierten Erstaufnahmeeinrichtungen” in Rendsburg, Neumünster, Boostedt und Glückstadt, wo es auch Außenstellen des Bundesamtes gibt. Die Einrichtungen in Lütjenburg und Seeth bleiben leer, aber bleiben erhalten - falls wieder mehr Flüchtlinge kommen, können insgesamt 15.000 Menschen in sechs Unterkünften untergebracht werden.

Übrig blieb die Einrichtung in Bad Segeberg. Sie besteht aus den ehemaligen Kasernengebäuden der „Lettow-Vorbeck-Kaserne” und mehreren Containerdörfern, in den letzten Monaten aufgebaut nach Plänen von 2015 mit Platz für 1.500 Flüchtlinge, aber zur Zeit eigentlich überflüssig.

Flüchtlingsunterkunft Segeberg

Hamburg hat auch ein Problem: Zu wenig Unterkünfte, aber auch zu wenig Platz, zu wenig freie Grundstücke, um Unterkünfte zu bauen. Die Unterbringung in leerstehenden Lagerhallen oder Baumärkten ist zwar möglich, aber eine Quelle nicht nur für Aggressionen und daraus folgenden Polizeieinsätzen, sondern auch für ansteckende Krankheiten, ständigen Beschwerden und selbstorganisierter, illegaler Umzüge von Flüchtlingen.

Die jetzige Kooperation soll beiden Ländern helfen: Schleswig-Holstein wird die fertige Unterkunft los, Hamburg bezahlt für die Unterbringung der „eigenen” Flüchtlinge. Und Hamburg hat 600 Plätze, die einen etwas besseren Standard haben als der Durchschnitt, sie sind nur weit von Hamburgs Innenstadt weg. Allerdings sind die Verkehrsverbindungen von Bad Segeberg aus nicht so schlecht.

Die zuständige Hamburg Behörde, die Zentrale Ausländerbehörde, ist mit einem Büro direkt in der Unterkunft vertreten, so dass alle „Behördengänge” zu Fuß möglich sind. Hausherr ist das Landesamt für Ausländerangelegenheiten Schleswig-Holstein, das allerdings ausländerrechtlich nicht für die dort untergebrachten Flüchtlinge zuständig ist.

Und der Name?

Der Name ist etwas problematisch. Die Kaserne hieß „Lettow-Vorbeck-Kaserne”, das jetzt auf dem Gelände existierende und noch im Aufbau befindliche Gewerbegebiet heißt in Anlehnung daran „Levo-Park”.

Lettow-Vorbeck, General der Schutztruppe in Deutsch-Ostafrika, war ein Massenmörder. Denkmäler von ihm und über ihn wurden während der nationalsozialistischen Diktatur aufgestellt und stehen zum Teil immer noch, zum Teil wurden sie abgeräumt. Die Umbenennung der Kaserne in Segeberg wurde von vielen Jahren von der Bundeswehr in einem Brief an den örtlichen Weltladen abgelehnt: Die Kaserne würde sowieso demnächst geschlossen, dann würde der Namen verschwinden, eine Umbenennung wäre nicht mehr erforderlich.

Jetzt existiert der Name in der Koseform „Levo” weiter, auch wenn die dort untergebrachten Flüchtlinge nicht direkt davon beeinträchtigt werden. Eine kritische Anmerkung seitens des Innenministeriums oder der Innenbehörde wäre dennoch angemessen gewesen.

Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum