(Gegenwind 335, August 2016)

Einwanderung

Ein Integrationsgesetz für Schleswig-Holstein?

Bisher ist „Integration” ein Sammelsurium von Projekten

„Integration” ist in aller Munde. Nach dem „Jahr der Ankunft” vieler Flüchtlinge 2015 sollte dieses Jahr 2016 zum „Jahr der Integration” werden, so verkündeten es Bundesregierung und Landesregierung Schleswig-Holstein. Doch Änderungen gab es nicht. Das „Integrationsgesetz” auf Bundesebene will anerkannten Flüchtlingen Rechte wie die Freizügigkeit nehmen, schafft neue 80-Cent-Jobs (1-Euro-Jobs nur für Deutsche), verbessert aber nichts. Und auf Landesebene? Alle Projekte, die sich mit der „Integration” beschäftigen, müssen beantragt werden und bekommen eine Finanzierung für ein bis drei Jahre. Könnte ein „Integrationsgesetz Schleswig-Holstein” helfen?

Die Bundesländer Berlin und Nordrhein-Westfalen haben ein Integrationsgesetz, das „Integrations- und Partizipationsgesetz” in Berlin oder das „Teilhabe- und Integrationsgesetz” in Nordrhein-Westfalen. In Bayern gibt es eine Vorlage der CSU-Regierung und Entwürfe von SPD und Grünen.

Regelungen in den Bundesländern

Bayern

In Bayern ist ein/e Landtagsabgeordnete gleichzeitig Integrationsbeauftragte mit einem Büro im Arbeits- und Sozialministerium, das als Ministerium für die Integration zuständig ist. Es gibt einen Integrationsrat, in dem Verwaltung, Wohlfahrtverbände, Religionsgemeinschaften und andere gesellschaftliche Gruppen sitzen. Kommunale Integrationsräte werden zum Teil gewählt.

Brandenburg

Die Integrationsbeauftragte ist Referatsleiterin im Sozialministerium. Es gibt einen Integrationsbeirat auf Landesebene, der vom Sozialministerium geleitet wird. Ausländerbeiräte können von den Gemeinden gebildet werden.

Bremen

Die Integrationsbeauftragte ist Referatsleiterin in der Staatskanzlei. Es gibt einen 28-köpfigen „Rat für Integration”, die Mitglieder werden von „Akteursgruppen” benannt. Die Bremer Polizei hat einen eigenen Integrationsbeauftragten.

Hamburg

Die Integrationsbeauftragte ist Amtsleiterin in der Sozialbehörde. Der Integrationsbeirat besteht aus 52 Mitgliedern, von ihnen werden 24 MigrantInnen gewählt. Er ist bei der Sozialbehörde angesiedelt. Die Wahl erfolgt durch Migrationsorganisationen, die sich vorher bei der Sozialbehörde registrieren müssen.

Hessen

Der Landesausländerbeauftragte ist beim (zuständigen) Justitzministerium angesiedelt. Es gibt einen Integrationsbeirat, in dem auch die Fraktionen des Landtages vertreten sind. Auf Gemeindeebene können Ausländerbeiräte durch die dort lebenden Ausländerinnen und Ausländer gewählt werden.

Mecklenburg-Vorpommern

Der Integrationsbeauftragte ist Referatsleiter im Sozialministerium. Integrationsbeauftragte gibt es außerdem in den Städten und Landkreisen. Es gibt ein „Netzwerk der Migrantenorganisiationen”, das vom Sozialministerium gefördert wird.

Niedersachsen

In Niedersachsen ist eine Landtagsabgeordnete Integrationsbeauftragte, angebunden an die Staatskanzlei. Zuständig für die Integration ist allerdings das Sozialministerium. Es gibt einen Integrationsrat auf Landesebene, der ebenfalls über die Staatskanzlei erreichbar ist.

Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen ist das Amt des Integrationsbeauftragten nicht im Integrationsgesetz geregelt. Beauftragter ist der Staatssekretär im Sozialministerium. Der Landesintegrationsrat besteht aus Vertretern der Integrationsräten der Städte und Gemeinden. Die Integrationsräte auf Gemeindeebene sind ebenfalls nicht im Integrationsgesetz geregelt, sondern in der Gemeindeordnung.

Rheinland-Pfalz

In Rheinland-Pfalz ist die oder der Integrationsbeauftragte im Familienministerium angesiedelt, das als Ministerium auch für die Integration zuständig ist. Der Landesbeirat wird von der Ministerin geleitet. Auf kommunaler Ebene werden die Integrationsbeiräte von AusländerInnen und von (deutschen) Aussiedlern gewählt.

Saarland

Integrationsbeauftragter ist der Staatssekretär des Sozialministeriums. Der Integrationsrat des Landes ist aus der Arbeitsgemeinschaft der (örtlichen) Ausländerbeiräten entstanden. Die örtlichen Integrationsbeiräte werden von den dort lebenden AusländerInnen gewählt.

Sachsen

Ein Abgeordneter des Landtages ist der Ausländerbeauftrager. Er gibt jährlich einen Bericht ab und gehört zur Härtefallkommission. Der Ausländerbeauftragte lädt zweimal im Jahr ein „Netzwerk Integration und Migration” ein, also Vereine, Initiativen, Projektträger, Beauftragte und Beratungsstellen.

Sachsen-Anhalt

Die Integrationsbeauftragte sitzt im Sozialministerium. Es gibt einen Landesintegrationsbeirat, der vom Sozialminister geleitet wird.

Schleswig-Holstein

Der Flüchtlingsbeauftragte wird vom Landtag gewählt und gehört zur Landtagsverwaltung, ist also unabhängig von der Regierung. Es gab in den 90er Jahren einen „Runden Tisch”, zu dem das Innenministerium regelmäßig einlud, das wurde Anfang des Jahrtausends aufgegeben.

Thüringen

Der Integrationsbeauftragte sitzt im Sozialministerium. Die Landesregierung hat einen Integrationsbeirat berufen, der aus Kommunalverbänden, Gewerkschaften, Kirchen, Wirtschaftsvertretern, der Verwaltung und fünf MigrantInnen besteht.

Fazit

In fast allen Bundesländern wird die Integration als „Pflichtaufgabe” wahrgenommen. Die dafür zuständigen Beauftragten und Beiräte werden allerdings nicht mit wirklicher Macht ausgerüstet, sondern informieren und beraten. Die Angst vor Veränderung ist größer als die Angst vor den Kosten verzögerter oder gescheiterter Integration - obwohl diese Kosten nach verschiedenen Studien immens sind, vor allem die Kosten des verzögerten Zugangs zum Arbeitsmarkt.

Was könnte in einem Integrationsgesetz stehen?

Zweck

Hier könnte formuliert werden, dass die Integration alle betrifft (nicht nur die Einwanderer). Und es könnte formuliert werden, dass die Förderung der Integration Aufgaben alle staatlichen Einrichtungen und Ebenen ist.

Ziele

Hier könnte formuliert werden, wie eine integrierte Gesellschaft aussehen soll. Die Beschreibung sollte sich auf konkrete Bereiche beziehen: Zusammensetzung von Regierung und Parteien, Zusammensetzung von Behörden und Polizei, Gleichberechtigung beim Zugang zu Einrichtungen des Sozialstaates, Gleichberechtigung im öffentlichen Leben.

Begriffsbestimmung

Definiert werden sollte, wer „Migrantin” oder „Migrant” ist.

Teilhabe

Hier könnte formuliert werden, wie die Teilhabe an Entscheidungsprozessen und an entsprechenden Gremien aussieht. Das Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer ist von einer Grundgesetzänderung abhängig. Aber man könnte „Integrationsräte” dort schaffen, wo es sie noch nicht gibt, und dort mit einheitlichen Rechten ausstatten, wo „Foren” oder „Runde Tische” bereits existieren. Man sollte auch die Förderung (Schulungsveranstaltungen, Einladungen und Einführungen) für Gremien wie Elternbeirat und andere Teilhabe-Gremien klären - dass viele „für alle offen” sind, hilft denen nichts, die das nicht wissen.

Integrationsbeirat

Hier könnte ein „Integrationsbeirat” auf Landesebene eingerichtet werden. Für bestimmte Ministerien gäbe es eine Teilnahme- und Informationspflicht, der Beirat selbst sollte Stellungnahmen für die Verwaltung und das Parlament formulieren sowie eigenständig Öffentlichkeitsarbeit machen. Zu klären wäre, wie bestimmte Gruppen (AsylbewerberInnen, AussiedlerInnen, ausländische StudentInnen und so weiter) repräsentiert sein sollen. Der Integrationsbeirat sollte auch die entsprechenden Foren und Runden Tische auf Kreis- oder Gemeindeebene repräsentieren.

Interkulturelle Öffnung

Die interkulturelle Weiterbildung von Verwaltungen, Schulen und Polizei sollten nicht nur im Alltagsbetrieb sichergestellt sein. Auch die Verankerung dieser Fragen in der Ausbildung sollte hier beschrieben werden. Außerdem sollte festgelegt werden, dass die interkulturelle Kompetenz Einfluss auf Einstellung und Beförderung hat. Diskutiert werden sollte, ob es eine Förderung oder eine Quote für die Beschäftigung von Menschen mit Migrationshintergrund oder mindestens ihre Berücksichtigung bei der Auswahl von Auszubildenden geben soll.

Integrationsbeauftragte

Hier sollte man einheitlich die Beauftragten regeln, möglichst auf Landes- und auf Kreisebene. Im Land und den meisten Kreisen gibt es die schon, geregelt werden sollten die Aufgaben, die Rechte und die notwendige Ausstattung. Neu eingerichtet werden muss das Amt in den seltensten Fällen. Auf Gemeindeebene sollte die Wahrnehmung der Aufgabe geregelt werden. Die Beauftragten sollten unabhängig von der Verwaltung sein.

Integrationszentren

Hier sollte man regeln, dass das Land die finanzielle Förderung übernimmt, wenn Kreise „Integrationszentren” schaffen. Hier sollten Beratungsstellen freier Träger, Beratungsstellen von Jobcenter und Arbeitsagentur, Ausländerbehörde, Dolmetsch-Vermittlung, Integrationskursanbieter, Gruppenräume und Veranstaltungsräume (mit entsprechender Technik) unter einem Dach versammelt werden. Die Einsparungen durch solche Zentren kämen dann direkt den Trägern zugute. Den Kreisen sollt die Einrichtung solcher Integrationszentren freigestellt bleiben.

Einwanderer & BesucherInnen

Hier sollte man die Rechte von Einwanderern und BesucherInnen regeln. Das betrifft das Recht auf Beratung und auf Zugang zu Einrichtungen. Ausdrücklich muss geregelt werden, dass ein gleichberechtigter Zugang die Bezahlung von DolmetscherInnen (nach dem Tarif des Landesverwaltungsgesetzes) voraussetzt. Es sollte klargestellt werden, dass nicht nach Herkunftsland oder anderem unterschieden wird. Einige Rechte sind von der EU bereits vorgegeben. Auch die Rechte von „Menschen ohne Papiere” sollten klar definiert werden, insbesondere der Zugang zu Bildung und Gesundheit.

Diskriminierung

Hier sollte man festlegen, dass das Land Schleswig-Holstein ungleiche Behandlung von verschiedenen Gruppen von Einwanderern, z.B. das Ausspielen von Flüchtlingen aus Syrien gegen Einwanderer aus Bulgarien, ausgleichen sollte und wird: Vorhandene Angebote sollen so erweitert werden, dass alle davon profitieren können.

Religionen

Hier sollte man festlegen, wie die Förderung von Religionen aussehen soll, wie die Anerkennung von Feiertagen (z.B. die Möglichkeit, schulfrei oder arbeitsfrei zu erhalten) aussehen sollen. Hier sollte man auch darauf eingehen, wie das Bestattungsrecht geändert werden muss.

Integrationspauschale

Bisher werden Gemeinden bei der Aufnahme von Flüchtlingen unterstützt. Hier sollte es eine Pauschale geben, die auch für andere Einwanderer gezahlt wird. Es sollte ein Betrag pro Quartal sein, um Umzüge besser zu berücksichtigen. Es ist aber unlogisch, dass für ein „zugeteilten” Arzt aus Syrien eine Integrationspauschale gezahlt wird, auch wenn der nach zwei Wochen mit anerkanntem Asylantrag umzieht, für eine Familie aus Bulgarien aber nicht.

Ziele und Berichtspflicht

Im Gesetz sollten Ziele definiert sein, über die in bestimmten Abständen ein Bericht abzugeben ist. Die Ziele sollten sich auf den Bezug öffentlicher Leistungen, auf Arbeitsplätze und Bildungsabschlüsse sowie auf die Repräsentation in den öffentlichen Verwaltungen (Anteil an MitarbeiterInnen mit Migrationshintergrund) beziehen.

Braucht Schleswig-Holstein das Gesetz?

Ein solches Gesetz ist wichtig. Bisher gibt es einen Flickenteppich von wenigen gesetzlichen Bestimmungen, einigen Verordnungen und Erlasse und ganz, ganz viele Absichtserklärungen.

So beruht der Flüchtlingsbeauftragte des Landes auf einem Gesetz, der Integrationsbeauftragte auf einem Beschluss. Die Integrationspauschale ist in einem Erlass geregelt, die Willkommenskurse in den Landesunterkünften sind ebenso wie der Neubau der Erstaufnahmeeinrichtungen nur im „Flüchtlingspakt” schriftlich versprochen.

Es gibt noch einen weiteren Anlass, gerade jetzt über solch einen Entwurf zu diskutieren:

In Schleswig-Holstein finden im Mai 2017 Landtagswahlen statt. Insofern sollten alle Engagierten und Interessierten die Zeit bis zum Ende der Herbstferien nutzen, sich auf ein Konzept für die Einführung eines solchen Gesetzes zu einigen.

Schleswig-Holstein braucht eine solche Diskussion, und die kann am konkretesten anhand der einzelnen Punkte geführt werden, die ein solches Gesetz regelt. Dazu ist der Landtagswahlkampf gut geeignet, da die Einwanderung und Integration, auch Flucht und Asyl sowieso eines der Themen sein werden.

Eine Diskussion über ein „Integrationsministerium” wäre auch sinnvoll. Hier besteht aber die deutliche Gefahr, dass einer Partei Ambitionen auf die Besetzung eines neu geschaffenen Ministeramtes unterstellt werden, sobald die Forderung nach dem Ministerium im Wahlkampf erhoben werden. Das Thema „Integrationsministerium” sollte also nur innerhalb der Diskussion über die Umsetzung der Ziele des Integrationsgesetzes angesprochen werden. Eine gute Ausstattung der Stelle eines Integrationsbeauftragten, die als Weiterentwicklung des bisherigen Flüchtlingsbeauftragen beim Landtag entstehen sollte, wäre erst mal wichtiger. Er oder sie sollte in der Lage sein, auch Umfragen und Studien zu bestimmten Fragen erarbeiten und veröffentlichen zu können, also Datenerhebung und Datenaufbereitung wuppen können. Das ist bisher der „kleinsten Behörde des Landes” nicht möglich.

Reinhard Pohl

siehe auch: Catharina Hübner und Dr. Ehrhart Körting: Rechtsgutachten zu einem Partizipations- und Integrationsgesetz für Baden-Württemberg, 2013, 156 Seiten, zu beziehen über das dortige Integrationsministerium

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