(Gegenwind 328, Januar 2016)

Hartz IV Regelsatz 2016 - das ist in 404 € enthalten

Soziales

Jedes siebte Kind in Schleswig-Holstein auf Hartz IV angewiesen

Jedes siebte Kind in Schleswig-Holstein ist inzwischen auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. Wie aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervorgeht, leben im „echten Norden” 55.323 Personen unter 15 Jahren von staatlichen Hilfsleistungen - das sind 1274 mehr als 2014. Laut BA ist die Zahl der von Armut bedrohten Kinder 2015 bundesweit um 33.712 oder 2,2 Prozent auf 1,54 Millionen gestiegen. In Deutschland leben etwa 10,6 Millionen Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Somit sind also etwa 14 Prozent auf Leistungen nach dem zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) angewiesen. Dabei sind die regionalen Unterschiede allerdings erheblich: Sind in Bayern nur 6,5 Prozent der Kinder auf staatliche Hilfe angewiesen, sind es in Bremen und Berlin 31,5 Prozent - dort lebt also jedes dritte Kind von Hartz IV - Leistungen.

Eigene Grundsicherung für Kinder?

Seit Januar 2016 beträgt der Hartz IV-Regelsatz 404 Euro für Alleinstehende und Alleinerziehende. Zwei volljährige Partner der Bedarfsgemeinschaft erhalten jeweils 364 €, sonstige erwerbsfähige volljährige Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft 324 €, Jugendliche (15-18. Lebensjahr) 306 €, Kinder (7.-14. Lebensjahr) 270 € und Kinder bis zum 6. Lebensjahr 237 €.

Betrachtet man das Diagramm, so stellt sich die Frage, wie die Familien es wohl bewerkstelligen sollen, mit dem Hartz IV-Satz für das Kindeswohl zu sorgen.

Der Kinderschutzbund Schleswig-Holstein hat deshalb nach Veröffentlichung der aktuellen Zahlen die Forderung nach einer eigenen Grundsicherung für Kinder erneuert, „die auch die tatsächlichen Bedürfnisse der Kinder abdeckt, um an Bildung, Sport und Kultur teilhaben zu können”, so Landesvorsitzende Irene Johns. „Wenn wir das Problem nicht endlich intensiv angehen, hat das später nicht nur für Kinder als Erwachsene gravierende Folgen, sondern auch für die Gesellschaft insgesamt.” Wolfgang Baasch, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, schließt sich der Forderung nach der Kindergrundsicherung an. „Diese würde dazu führen, dass alle Kinder vom Staat mit demselben Betrag gefördert werden. Das erhöht die Chancengerechtigkeit.”

Gedacht ist an die Einführung einer Pauschale in Höhe von monatlich 500 Euro je Kind. Diese Geldsumme besteht aus zwei Teilen - aus 320 Euro zur Existenzsicherung sowie 180 Euro für Betreuung und Ausbildung. Ein Anspruch auf diese Kindergrundsicherung sollen alle Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 27 Jahren haben. Das Kindergeld, BAföG oder eben Hartz IV für Kinder würden durch die Grundsicherung für Kinder ersetzt werden. Die Kindergrundsicherung sollen alle Kinder erhalten, allerdings soll sie unter die Einkommenssteuer fallen. So würden Reiche weniger erhalten, nämlich maximal 240 Euro. An Kosten müsste der Staat 100 Millionen Euro pro Jahr aufbringen, wovon jedoch 90 Prozent aus dem Wegfall der bisherigen Familienleistungen finanziert werden könnten. Ein „Bündnis Kindergrundsicherung”, bestehend u.a. aus Kinderschutzbund, AWO, Pro Familia und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sieht das gegenwärtige Sozialsystem und Fördersystem für Kinder als ungerecht an und ist der Ansicht, es sei ungeeignet die Kinderarmut in Deutschland zu beseitigen. Unterstützt wird die Forderung des Bündnisses von den Grünen und der Linkspartei.

Wie die Bundesregierung in Sachen Grundsicherung für Kinder tickt, wurde im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für „Rechtsvereinfachungen Hartz IV” deutlich. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hätte gerne auch noch Alleinerziehende ins Visier genommen und ihnen jeden Tag, den das Kind oder die Kinder beim Ex-Partner verbringen, vom Hartz IV Regelsatz abgezogen. Damit hätten sich Alleinerziehende ausrechnen müssen, wie viele Besuche ihrer Kinder bei Vater oder Mutter monatlich für sie finanzierbar gewesen wären. Ein beispiellos zynischer Vorschlag, der ausgerechnet die Kinder benachteiligt hätte. Erst nach außerparlamentarischen Protesten sah sich die Ministerin zu einer Korrektur veranlasst und musste diese „Rechtsvereinfachung” fallen lassen.

Hartz4 essen Seele auf!

Über eine Million Betroffene erhalten seit über 9 Jahren Hartz IV

Kinderarmut ist Ausdruck der Armut ihrer Eltern. Trotz medial immer wieder beschworener „Jobwunder” und trotz Einführung eines Mindestlohns leiden viele Menschen unter langjähriger Arbeitslosigkeit bzw. müssen mit Niedriglöhnen auskommen mit der Folge, dass viele Familien dauerhaft im Hartz-IV-System gefangen bleiben. In der Bundesrepublik müssen über zweieinhalb Millionen Menschen dauerhaft von Hartz-Leistungen leben.

Die Zahl der Betroffenen, die schon seit länger als vier Jahre von Hartz IV leben, betrug Ende 2015 genau 2.572.134, wie das „Neue Deutschland” (11.7.16) unter Verweis auf Daten der Bundesagentur für Arbeit berichtete. Besonders betroffen sind die älteren Arbeitslosen. Demnach liegt der Anteil der Dauer-Empfänger bei den Hartz-IV-Beziehern über 55 Jahren bei 66,3 Prozent. Etwa ein Viertel aller erwachsenen Hartz-IV-Empfänger sind sogar mehr als neun Jahren durchgängig auf die Sozialleistung angewiesen. Das waren im Juni 2015 insgesamt 1,14 Millionen Frauen und Männer. Zu den erwerbsfähigen Hartz-IV-Beziehern zählen aber nicht nur Arbeitslose, sondern auch Aufstocker, die die Sozialleistung ergänzend zu ihrem Arbeitseinkommen erhalten. Und auch diese Zahl steigt. Im vergangenen Jahr war bereits jeder zehnte Arbeitslosengeld-Empfänger als Aufstocker parallel auch auf Leistungen der staatlichen Grundsicherung angewiesen.

„Rechtsvereinfachungen” für Hartz IV-Bezieher

Am 24. Juni hat der Bundestag „Rechtsvereinfachungen” in Sachen Hartz IV verabschiedet. Bisher mussten Hartz IV-Leistungen alle sechs Monate neu beantragt werden - zukünftig sollen sie für zwölf Monate bewilligt werden. Weiterhin soll es eine angebliche Vereinfachung von Einkommensanrechnungen und um eine weniger komplizierte Berechnung von Unterkunfts- und Heizkosten geben.

Doch die grundsätzliche Kritik von Opposition und Sozialverbänden an diesem Gesetz bleibt: Danach geht bei den neuen Bestimmungen weniger um „Vereinfachungen” für die Betroffenen als um eine weitere Entrechtung von Hartz-IV-Empfängern. Zur Hartz IV-Realität gehört seit Anfang an ein umfangreiches „Sanktionsregime”, d.h. dass die MitarbeiterInnen der Jobcenter vielfältige Möglichkeiten haben, Anspruchsberechtigten die monatlichen Leistungen zu kürzen. Und gerade hier setzen die nun verabschiedeten „Rechtsvereinfachungen” zu einem großen Teil an: Die Palette der Sanktionen durch die Job-Center wird ausgeweitet.

Ein Beispiel sind die Ein-Euro-Jobs. Bekanntermaßen dürfen diese von den Betroffenen nicht abgelehnt werden - es besteht der Zwang, selbst total sinnlose oder absolut unpassende Arbeiten annehmen zu müssen, da sonst die Sanktionierung, also Kürzung des Hartz IV Regelsatzes, droht. In fünf Jahren durfte der Jobcenter-Mitarbeiter einem sogenannten „Kunden” für 24 Monate einen Ein-Euro-Jobs zuweisen. Geplant ist nun die Ausweitung des Zeitraums auf 36 Monate. Mit dieser Regelung wird nicht nur der Mindestlohn unterlaufen, sondern es wird weiterhin - und noch verstärkt - verhindert, dass „richtige” Arbeitsplätze entstehen.

Mit dem neuen Gesetz werden „Sanktionierungen” weiter verschärft. So sieht das Gesetz eine härtere Bestrafung 15- bis 24jähriger vor - ihnen soll schon beim ersten „Regelverstoß” die Leistung gestrichen werden. Seit langem beklagen Hartz-IV-Kritiker die verschärften Repressalien gerade gegen junge Menschen.

Und auch eine neue, weitere Sanktionierung ist durch das Gesetz eingeführt worden: Jobcenter können nämlich zukünftig Geld und sogar Sachleistungen vom Leistungsempfänger zurückfordern. Definiert im neuen Gesetz ist dies mit dem Begriff „sozialwidriges” Verhalten. Darunter fällt zum Beispiel, wenn jemand „vorsätzlich” gespartes Geld ausgibt, kurz bevor er ALG II bezieht. Menschen, die eine Arbeitsstelle „ohne wichtigen Grund” ablehnen oder aufgeben, müssen demnach Geld, Beiträge zur Sozialversicherung und sogar Sachleistungen zurückerstatten. Die Schwammigkeit der Wortwahl „sozialwidrig” oder „ohne wichtigen Grund” lässt bereits ahnen, welche weitreichenden Handlungsspielräume für die Jobcenter durch das neue Gesetz geschaffen werden.

Absolut skandalös (und doch wohl gesetzwidrig?) ist der neu geschaffene Passus, dass fehlerhafte Hartz IV Bescheide nicht mehr rückwirkend vom Jobcenter korrigiert werden müssen. Alle Überprüfungsanträge, die nach der Widerspruchsfrist nach vier Wochen gestellt werden, laufen demnach ins Leere. Zahlungen werden den Menschen vorenthalten, obwohl ihnen die Leistungen nachweislich zustehen. Jobcenter erhalten mit dem neuen Gesetz Narrenfreiheit und werden immer weiter zur „grundrechtsfreien Zone”.

SPD und die Grünen haben im Bundesrat mit der CDU/CSU mehrheitlich dem sogenannten Rechtsvereinfachungsgesetz bei Hartz IV zugestimmt. Dabei hatte sich die SPD zum Teil kritisch gegenüber dem Gesetzesentwurf im Bundestag geäußert und die Grünen haben das Gesetz im Bundestag sogar abgelehnt.

Die Würde des Menschen ist sanktionsfrei

Inge Hannemann, bundesweit bekannte Hartz-IV-Kritikerin und jahrelang selber als Arbeitsvermittlerin in einem Job-Center beschäftigt, plädiert für mehr Gegenwehr der Betroffenen. Mit der neuen Hilfeplattform sanktionsfrei.de will sie das ändern. „Wir finden Sanktionen unangemessen und menschenunwürdig. Ein Existenzminimum muss ein Existenzminimum bleiben.” Im Schnitt ist jede vierte leistungsberechtigte Person einmal pro Jahr von Sanktionierungen betroffen. Dass die Sanktionen dabei häufig gegen Gesetze verstoßen, belegt die hohe Erfolgsquote der Widersprüche: Über 40% Prozent aller Klagen sind erfolgreich.

Doch nur fünf Prozent der Betroffenen fordern ihre Rechte ein.

Auch in Kiel gibt es eine webside, die Betroffenen hilft: sozialberatung-kiel.de. „Eine häufig überfordert wirkende Sozialverwaltung produziert in einem Ausmaß fehlerhafte Entscheidungen, die eine kritische Prüfung dringend erforderlich macht. Nicht immer aber ist die Rechtswidrigkeit der Entscheidungen für den Rechtsunkundigen zu erkennen. Diese Seite will über die typischsten und häufigsten Fehler der Sozialleistungsträger informieren. Diese Website will Hilfe zur Selbsthilfe im „klassischen” Sinne der Bewegung der Arbeitsloseninitiativen leisten. Wo dies nicht reicht, ist Unterstützung und gegebenenfalls rechtlicher Beistand erforderlich. Diese Seite nennt Ansprechpartner”, heiß es dort.

Günther Stamer

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum