(Gegenwind 333, Juni 2016)

Heim der Friesenhof GmbH

Soziales

Kalter Kaffee im Kinderheim

Während der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Friesenhof GmbH noch in Kiel tagt, sind Vorwürfe erniedrigender Erziehung aus weiteren Kinderheimen in Schleswig-Holstein publik gemacht worden.

„Nachts, so erinnert er sich, wurden alle Jungen aus den Betten gescheucht, mussten in Unterhose oder Schlafanzug auf dem Hof im Kreis laufen und dann auf dem Boden über Tannenzapfen robben, bis die Delinquenten irgendwann ihre Missetat gestanden”, so gaben die Kieler Nachrichten am 10. Mai die Schilderungen von Marco wieder, der bis März 2014 zwei Jahre lang auf dem „Hof Seeland” des Kinder- und Jugendheims „Therapiezentrum Rimmelsberg” in der Nähe von Flensburg leben musste: Der Anlass war, dass einige der Jungen nachts zwei Salamipackungen aus dem Kühlschrank entnommen hatten. Die Packungen waren aber abgezählt und das Personal hatte einen Anlass für eine Kollektivbestrafung: Strafsport. Einiges erinnert an Schikanen während der Grundausbildung bei der Bundeswehr: Sei etwa der Schrank mit der Kleidung nicht korrekt aufgeräumt gewesen, wurde alles herausgezogen. Verschiedenste Erniedrigungen schilderte Marco den Kieler Nachrichten: „Im Herbst, es hatte gerade geregnet und die Betreuer - immer Männer und immer zu dritt - trugen bereits warme Jacken, mussten die Jungen nach Marcos Erinnerung mittags nur in Unterhose bekleidet durch den Schlamm robben. Da sie schmutzig nicht ins Haus zurück durften, griffen die Betreuer einen Gartenschlauch und spritzten die Jungen mit kaltem Wasser ab.” Marco, mittlerweile 18 und Auszubildender, schilderte seine Erinnerung an die Jahre im „Therapiezentrum Rimmelsberg” gegenüber der Zeitung detailliert: „Und dass ein Betreuer einen Putzeimer mit Schmutzwasser über ihn und andere Jungs auskippte, weil sie das Wasser nicht ausreichend gewechselt hatten, kann er auch nicht vergessen.”

Dieses „Therapiezentrum Rimmelsberg” und die Einrichtungen des Trägers „Heilpädagogische Kinder- und Jugendhilfe Dithmarschen” in Dörpling stehen in der öffentlichen Kritik, seit am 3. Mai Sabine Boeddinghaus, Co-Vorsitzende der Linksfraktion Hamburg, und Wolfgang Dudda, sozialpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, auf einer gemeinsamen Pressekonferenz über Beschwerden ehemaliger Heimkinder und deren Familienangehöriger berichteten. „In erster Linie stehen Rimmelsberg und Dörpling im Zentrum der Beschwerden, die uns erreichen”, so Sabine Boeddinghaus gegenüber dem Autor: „Wir haben aber auch Hinweise auf weitere Einrichtungen.” Boeddinghaus machte im Mai 2015 die Zustände in den Heimen der Friesenhof GmbH (Foto rechts) im Landkreis Dithmarschen öffentlich, die dann innerhalb weniger Wochen im Juni durch die Heimaufsicht geschlossen wurden, Dudda setzt sich beharrlich im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Friesenhof für die Aufklärung der Zustände in den Friesenhofheimen, die de facto geschlossene Einrichtungen waren, ein und für eine verschärfte Kontrolle aller Heime.

Die Heimaufsicht führt zu wenige unangemeldete Besuche in Heimen durch, kritisieren die beiden Abgeordneten, in ihren Landesparlamenten jeweils in der Opposition. Die Heimaufsicht in Schleswig-Holstein wurde zwar auf Betreiben der Staatssekretärin Anette Langner und der Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) von 4 auf 12 Mitarbeitende aufgestockt - allerdings erst nachdem es im Juni 2015 massive Kritik an der mangelnden Kontrolle der Heime aufgrund der seinerzeit bekanntgewordenen Zustände in den Heimen der Friesenhof GmbH gegeben hatte (Gegenwind 323, Seite 6). Zuvor waren angekündigte Besuche die Regel: Fenstergriffe konnten wieder angebracht, Türen aufgeschlossen, schwarze Pädagogik geleugnet werden. Zumal, wenn die Kontrolle durch die Herkunftsfamilien kaum möglich war, weil diese 150 Kilometer oder mehr entfernt wohnen, und, weil in der Regel desolat und arm, sich Besuche in den Heimen kaum leisten können - wenn sie überhaupt hineingelassen werden.

Die „milieuferne” Heimunterbringung auf dem Land fernab der Großstadt wird von den Jugendämtern Hamburgs und anderer Großstädte gerne angeordnet - allein in Schleswig-Holstein sind derzeit 840 Heranwachsende zwischen 0 und 18 Jahren aus Hamburg auf zahlreiche der insgesamt 1200 „Jugendhilfeeinrichtungen” im Bundesland verteilt, weitere 460 alleine in Niedersachsen. „Wieder zeigt sich, dass die Hamburger Jugendämter junge Menschen außerhalb der eigenen Landesgrenze unterbringen, ohne genau wissen zu wollen, wie die jeweiligen Einrichtungen arbeiten und wie es den jungen Menschen dort geht”, so Sabine Boeddinghaus: „Dabei muss endgültig Schluss gemacht werden mit der Methode ‚Schwarze Pädagogik’ in vermeintlich offenen Einrichtungen. Erniedrigungen, Isolierungen, Strafsport, Kontaktsperren und erniedrigende Verhaltenszüchtigungen haben keinen Platz in der Kinder und Jugendarbeit.”

Haltestellenschild Hedwigenkoog in Dithmarschen

Kontaktsperren und Abschottung nach außen etwa durch interne Beschulung und Ausgehverbote sind eine häufige Praxis in Kinder- und Jugendheimen und begünstigen Erniedrigungen und Bestrafungen, weil es nahezu keine Kontrolle und praktisch keine Beschwerdemöglichkeiten für die Heranwachsenden gibt. Am 20. November legte der rotgrüne Hamburger Senat in der Beantwortung einer großen Anfrage der Fraktion „Die Linke” in der Drucksache 21/2013 Anhaltspunkte dafür dar, wie verbreitet Kontaktsperren unter den von Hamburger Jugendämtern belegten etwa 500 Heimen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind: Allein 78 Einrichtungen erlauben in den ersten zwei bis acht Wochen keine Besuche bei der „Herkunftsfamilie”, 61 dieser Heime schränken auch darüber hinaus den Kontakt ein. Es könnten auch schon mal „Wochenendbeurlaubungen als Konsequenz für unerlaubtes Verhalten gestrichen” werden, so der Hamburger Senat. Auch die interne Beschulung in den Heimen ist weit verbreitet: 181 Einrichtungen, mehr als jede dritte, verwehrt den Heranwachsenden den Besuch einer öffentlichen Schule. 74 davon liegen in Niedersachsen, 78 in Schleswig-Holstein. So entfällt die einzige Möglichkeit, zu einer vom Heim unabhängigen Institution und Gleichaltrigen dort Kontakt aufzunehmen, Hilfe und Beratung zu suchen.

Oft sind es so auch Mitarbeitende aus den Heimen, welche die schwarze Pädagogik ablehnen, die sich mit Beschwerden an die Heimaufsicht oder Abgeordnete wenden. So etwa ein früher in der Friesenhof GmbH und seit 2014 in Dörpling angestellter Erzieher, der sich Wolfgang Dudda anvertraute, aber anonym bleiben will, um weiter als Erzieher arbeiten zu können. In einer Eidesstattlichen Erklärung veröffentlichte Dudda am 9. Mai die massiven Vorwürfe insbesondere gegen den pädagogischen Leiter in Dörpling, Frank Hunting, die schon an physische und psychische Folter grenzen: „Bestrafungen für Fehlverhalten jedoch wurden wie im Friesenhof vor allen Kindern vorgenommen. Als Beispiel führte die Auskunftsperson an, dass ein 17-jähriger Junge auf einem Stuhl Platz nehmen musste, der zuvor auf einen Tisch gestellt worden war. Die anderen Kinder mussten sich um den Tisch herum aufstellen. Der Junge wurde dann von dem Frank Hunting ‚zusammengeschissen’”, so Dudda: „Andere Formen der Bestrafung waren Stubenarrest, Ausgeh- und Fernsehverbote, aber auch das Herunterdrücken auf den Boden, so wie es die Auskunftsperson bereits aus dem Friesenhof kannte. Dabei wurde exakt die gleiche Technik angewendet wie im Friesenhof. Das Ziel dieser Maßnahme war es, so wie es Frank Hunting der Auskunftsperson erklärte, das jeweils betroffene Kind vor den anderen Kindern zu erniedrigen.” Wolfgang Dudda gibt die Aussage der Auskunftsperson wieder: „So ein Herunterdrücken zu Boden dauerte regelmäßig mindestens 15 Minuten an. Die Auskunftsperson gab, dass so etwas in der HPJ weniger oft als im Friesenhof vorkam. Dennoch geschah das durchschnittlich fünf bis sieben Mal pro Woche auch in der HPJ.”

Der Geschäftsführer der Heilpädagogischen Kinder- und Jugendhilfe HJP Dithmarschen, Frank Hunting, bestritt alle Vorwürfe: „Wir arbeiten eng mit der Heimaufsicht zusammen.” Der Geschäftsführer des „Therapiezentrums Rimmelsberg”, Manuel Feldhues lädt für den 19. Mai gar in die Einrichtung ein: Alles sei transparent. Besonders verunsichert wirken beide Träger von den massiven Vorwürfen nicht. Sie gehen wohl davon aus, dass die Schließung der Friesenhof-Heime im Juni 2015 eine Ausnahme war. Nicht ganz unbegründet, räumte doch im April der Hamburger Senat in der Antwort auf die Frage von Sabine Boeddinghaus nach dem Einsatz von Strafsport ein: „Nach Informationen des Bezirksamtes Eimsbüttel soll unfreiwilliges Joggen im Therapiezentrum Rimmelsberg bis Ende 2015 der Fall gewesen sein”, um anschließend mitzuteilen, dass es keinen Anlass gäbe, Hamburger Kinder nicht mehr in diese Einrichtung zu einzuweisen.

Die für die Heimaufsicht zuständige Schleswig-Holsteiner Sozialministerin Kristin Alheit bekommt uneingeschränkt Rückendeckung aus der Koalition von SPD, Grünen und SSW: Die sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagfraktion, Marret Bohn erklärte am 9. Mai: „Die Kritik der Opposition bricht wie ein Kartenhaus in sich zusammen.” Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Wolfgang Baasch hielt der Opposition ebenfalls am 9. Mai vor, einen Popanz aufgebaut zu haben und echauffierte sich: Die „Piratenfraktion serviert ‚Kalten Kaffee’!”

Gaston Kirsche

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