(Gegenwind 333, Juni 2016)

Wolfgang Dudda

Soziales

„Das Wort ‚Jugendhilfe’ muss tatsächlich mit dem Inhalt ‚Hilfe für Jugendliche’ gefüllt werden.”

Interview mit Wolfgang Dudda, Abgeordneter und Obmann der Piratenpartei im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Friesenhof.

Gegenwind:

Wenden sich derzeit Eltern und Jugendheimmitarbeitende mit Beschwerden auch zu weiteren Heimen, über die beiden jetzt von Ihnen kritisierten Träger hinaus an Sie?

Wolfgang Dudda:

Nein. Allerdings liegen mir massive Beschwerden gegenüber der Diakonie als Träger einer Jugendhilfeeinrichtung von einem Verein ehemaliger Heimbewohner vor. Diese liegen allerdings bereits 40 Jahre zurück, beinhalten jedoch ziemlich genau die gleichen Vorwürfe, die uns aktuell beschäftigen. Nach meiner festen Überzeugung gibt es eine tatsächliche Tradition des furchtbaren Umgangs mit Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Nicht umsonst gibt es ja auch die beiden Fonds zur sogenannten Wiedergutmachung - Heimkinder und Heimkinder mit Behinderung.

Gegenwind:

Wie massiv ist die personelle Überschneidung vom Friesenhof zur Einrichtung in Dörpling?

Wolfgang Dudda:

Es sollen bis zu zehn ehemalige Mitarbeiter des Friesenhofes zu Dörpling gewechselt sein.

Gegenwind:

Ist hierdurch auch eine konzeptionelle Nähe entstanden?

Wolfgang Dudda:

Da ich dazu keine Informationen habe, die aus erster Hand sind, kann ich dazu nur spekulieren, dass es wohl so gewesen ist. Begründet wird dies auch durch die ‚Akquise’ - das Wort wurde tatsächlich im Untersuchungsausschuss von einem ehemaligen Friesenhofmitarbeiter, der heute in Dörpling arbeitet, benutzt - bei den Jugendämtern, wo man sich für die ‚besonders schweren Fälle’ anbietet.

Gegenwind:

Würden Sie demnach Dörpling und Rimmelsberg als geschlossene Einrichtungen bezeichnen?

Wolfgang Dudda:

In Dörpling wäre diese Beschreibung unzutreffend, weil sich die Kinder und Jugendlichen grundsätzlich frei, also auch außerhalb der Einrichtung, bewegen können und das wohl auch immer so war. Über Rimmelsberg weiß ich aktuell dazu nicht genug. Freiheitsberaubende Vorgänge wie im Friesenhof sind mir dort bis heute nicht bekannt geworden. Allerdings ist Ihre Frage trotzdem sehr berechtigt, denn genau um die Verlogenheit geht es ja, dass es offiziell in Schleswig-Holstein keine einzige - auch rechtlich als solche gekennzeichnete - geschlossene Einrichtung gibt. Beim Friesenhof war man sich hinter vorgehaltener Hand einig darin, dass das im Grunde wie eine geschlossene Einrichtung zu sehen ist, ohne dass dies tatsächlich offiziell so geregelt war.

Gegenwind:

Das klingt so, als ob es in der Heimaufsicht über die Personalaufstockung hinaus keinerlei Konsequenzen nach dem Friesenhof-Skandal gab?

Wolfgang Dudda:

Die Referatsleiterin, gegen die ja noch strafrechtlich wegen diverser Vorwürfe wie Aktenunterdrückung und Aktenmanipulation ermittelt wird, wurde abgelöst. Außerdem wurde ein Jurist in das Referat versetzt, der für den Nachdruck sorgen soll, der bis dato fehlte. Selbst wenn man dort nämlich durchgreifen wollte, traute man sich dazu nicht, weil man juristisch betrachtet etwas flach auf der Brust war. Sonst hätte man den Mut gehabt, dem Beispiel Brandenburgs beim Schließen der Haasenburg früher zu folgen.

Gegenwind:

Und wie steht es um die unangekündigten Besuche in den belegten Heimen?

Wolfgang Dudda:

Es kommt mittlerweile schon zu solchen ‚Besuchen’, wie beispielsweise am Tag nach der gemeinsamen Pressekonferenz der „Linken” und der „Piraten” in Hamburg im Rimmelsberg. Wie die Staatssekretärin Anette Langner auf meine dritte Nachfrage bestätigte, musste man sich bei einem Besuch in Dörpling jedoch der Unterstützung durch die Polizei bedienen, weil man zunächst nicht eingelassen wurde. Trotzdem ist das eines der Hauptprobleme. Für die Kinder und Jugendlichen in ‚Skandaleinrichtungen’ wirken diese Besuche wie Treffen unter Freunden, denn man kennt sich jahrelang und spricht und telefoniert häufig miteinander. Das erzeugt automatisch den Eindruck von Vertrautheit. Vor diesem Hintergrund misstrauen die Kinder und Jugendlichen den Leuten der Heimaufsicht. Außerdem ist es während solcher Kontrollen ja auch für die Kinder und Jugendlichen unmöglich, ein längeres vertrauliches Gespräch mit den Leuten der Heimaufsicht zu führen, ohne hinterher sanktioniert zu werden von der Einrichtung.

Auch deshalb plädiere ich dafür, dass unangemeldete Kontrollen unerlässlich sind. Sie sollten jedoch von einer wirklich unabhängigen, neu zu schaffenden Einrichtung, die von den entsendeten Jugendämtern finanziell auszustatten ist, durchgeführt werden. Im Wege der so genannten Beleihung, die ja auch im Maßregelvollzug angewendet wird, würde dann eine gemeinnützige GmbH den Job machen mit Sozialpädagogen, Erziehern, Hauswirtschaftsleitern, Forensikern usw. Das hätte zwei Effekte: Erstens unabhängige, kompetente nach einem Standard durchgeführte Kontrollen und zweitens würden aus Kostengründen wahrscheinlich die entsendenden Jugendämter dazu übergehen, heimatnähere Unterbringungsmöglichkeiten zu bevorzugen.

Gegenwind:

Fordern Sie darüber hinaus noch weitere Konsequenzen für die Jugendhilfe?

Wolfgang Dudda:

Das Wort ‚Jugendhilfe’ muss tatsächlich mit dem Inhalt ‚Hilfe für Jugendliche’ gefüllt werden. Die betroffenen Jugendlichen kommen fast ausnahmslos aus schwierigsten familiären Verhältnissen, die maßgeblich davon bestimmt sind, bereits in vierter oder fünfter Generation Empfänger staatlicher Transferleistungen zu sein. Aus diesem Teufelskreis auszubrechen, ist für diese Jugendlichen von sich aus und auf sich allein gestellt nahezu unmöglich. Wenn der Staat jedoch an die Stelle der Eltern in solchen Fällen tritt, hat er gefälligst alles zu leisten, was getan werden muss, damit die Jugendlichen einen besseren und anderen Weg gehen können. Dazu ist mehr nötig als Wegschließen und Pseudo-Fürsorge. Das Änderungspaket für das Sozialgesetzbuch VIII, das im Juni im Bundestag behandelt werden wird, enthält dafür schon gute Ansätze, allerdings bei weitem nicht die, die insgesamt nötig sind.

Die strikte Einhaltung des Fachkräftegebotes, so wie es die Fachleute seit langem selbst fordern, mit einem Schlüssel von 4,8 bis 5,2 Fachkräften pro zehn Heimbewohner, muss auch angesichts der zu befürchtenden Steigerung von derzeit 70.000 Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen auf ca. 95.000 innerhalb in der nächsten drei Jahre eingehalten werden. Die hohe Steigerung hat Herrn Tischler vom Verband der privaten Betreiber von Jugendhilfeeinrichtungen während es ‚Rundes Tisches Heimerziehung’ im Landtag vor wenigen Wochen prognostiziert. Das Sozialprestige des Berufes und die Bezahlung müssen deutlich attraktiver werden, damit sich auch jemand findet, der den Job machen will.

Zu überlegen ist auch, ob ein Prämiensystem, das das vorzeitige Erreichen von pädagogischen, erzieherischen Zielen belohnt, eingeführt werden kann, um so einen Anreiz für gute pädagogische Arbeit anstelle der Belohnung von möglichst langen Verwahrzeiten zu schaffen. Die derzeit von den Einrichtungen regelmäßig zu erstattenden Entwicklungsberichte sind leider allzu häufig eher ein Spiegel der Belegungssituation in solchen Einrichtungen als einer für die Arbeitsqualität darin.

Wie ich mir von Fachleuten wie dem Leiter einer jugendpsychiatrischen Einrichtung, Pädagogen und Richtern habe sagen lassen, gibt es tatsächlich in meinem Bundesland den Bedarf einer wirklich geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung für fünf bis zehn Jugendliche per anno. Diese Einrichtung sei nötig und dürfe nur vom Staat selbst betrieben werden, weil die dort gelegentlich erforderlichen Grundrechtseingriffe Sach-, Fach- und Rechtskunde erfordern. Diese geringe Zahl von Jugendlichen mit einem derartigen Erziehungsbedarf zeigt aber auch, wie gering der Bedarf an strikter, strenger traditionell eingefärbter Erziehung ist. Die Dämonisierung von Jugendlichen zur vermeintlichen Rechtfertigung von sogenannten Bootcamp-Methoden durch die Heimbetreiber hat sich während unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss schon jetzt ergeben.

Gegenwind:

Gab es von Sozialministerin Kristin Alheit eine Reaktion auf Ihre Eidesstattliche Erklärung über die Aussagen eines früher im Friesenhof und seit 2014 in Dörpling tätigen Erziehers? Oder von anderen Beteiligten?

Wolfgang Dudda:

Man versucht seitens der Regierungskoalition, die von mir erhobenen Vorwürfe - eben auch die aus meiner Eidesstattlichen Versicherung - als Kalten Kaffee abzutun. Auch dass das Rechtskonstrukt der Einrichtung ‚unterwegs’ gewechselt hat, was meine Auskunftsperson in ihrer Aussage nicht mit der juristischen Präzision bedient hat, zu der ein Ministerium oder eine Landtagsfraktion fähig ist, wird diskreditierend benutzt, ohne das Inhaltliche, also das Furchtbare, zu bestreiten. Das allerdings hat hierzulande einen geschlossenen Aufschrei der schreibenden Zunft ausgelöst, der im Kommentar ‚Methoden wie im Gulag’ des Chefredakteurs der Kieler Nachrichten seine Schöpfungshöhe bei der Empörung erreichte.

Gegenwind:

Wie bewerten Sie die Kritik der Meldorfer Familienrichterin Christiane Orgis an der dem Heim-Tourismus insbesondere nach Dithmarschen? An dem Fehlen der Kontrolle durch Kontakte und Besuche seitens der Familienangehörigen, Jugendämter und Heimaufsicht?

Wolfgang Dudda:

Frau Orgis hat fachlich und inhaltlich in allen Punkten das Richtige geschrieben.

Gegenwind:

Wie geht es weiter mit dem Untersuchungsausschuss zum Friesenhof?

Wolfgang Dudda:

Der Untersuchungsausschuss ist demnächst fertig mit den Beweiserhebungen zu den Geschehnissen innerhalb des Friesenhofes und wird noch im kommenden Juni dazu übergehen, die Arbeit der Heimaufsicht zu untersuchen. Danach führen wir dann beides zusammen und bewerten das.

Gegenwind:

Wird die Chefin der Friesenhof GmbH, Barbara Janssen, jemals wieder eine Jugendhilfeeinrichtung betreiben dürfen?

Wolfgang Dudda:

Das ist schwer vorstellbar. Die GmbH der Frau Janssen befindet sich in der Insolvenz. Vorbehaltlich des Abschlussberichtes des Untersuchungsausschusses wird ihr die Zuverlässigkeit und Befähigung zum Führen einer solchen Einrichtung in nächster Zeit gewiss nicht zugesprochen werden. Auch dass es Jugendämter geben wird, die ihre Kinder zu Frau Janssen schicken, ist kaum vorstellbar.

Das Interview wurde am 13. Mai von Gaston Kirsche geführt.

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