(Gegenwind 311, August 2014)

In der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung
Kein Durchkommen zu den SachbearbeiterInnen des Einwohnerzentralamtes. In der Sportallee schirmte ein privater Wachschutz den Zugang zum ersten Stock hermetisch ab, die Menschen mussten teils Stunden im Foyer des Hauses warten, wurden nach Dienstschluss der Behörde nicht selten unverrichteter Dinge weggeschickt (Foto: Harning)

„Heute nicht mehr”

Wie Flüchtlinge in Hamburg auf ihre Sachbearbeiter warten - und doch nur Wachleute sehen

Für bis zu tausend Flüchtlinge, die Hamburg monatlich erreichen, ist sie der erste offizielle Kontakt mit der Verwaltung: In der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung herrscht das amtlich verordnete Chaos.

Irgendein verregneter Morgen im Mai. Als im Bus der Linie 23 die Haltestelle „Heselstücken” angezeigt wird, steht gut die Hälfte der Fahrgäste auf, drängt zum Ausstieg. Auch eine vierköpfige Familie verlässt den Bus in diesem unwirtlichen Industriegebiet unweit des Hamburger Flughafens. Ihr letztes Geld haben Dhimiter und Katerina Mushkolaj zusammengekratzt, um mit ihren Kindern in die Sportallee zu fahren und dort erneut darauf zu warten, zu einem Sachbearbeiter vorgelassen zu werden. Schon einige Tage zuvor hatten sie das versucht, hatten gut fünf Stunden im Flur des Hauses gewartet - stehend, in dichtem Gedränge. Am Ende sagte ihnen ein Dolmetscher: „Heute nicht mehr”.

Jetzt also der zweite Versuch. Um Punkt sieben stehen die Mushkolajs vor dem kahlen Treppenhaus, das in den ersten Stock des 60er-Jahre-Baus führt. Dort sitzen die Sachbearbeiter der Ausländerbehörde, dort unterhält auch das Sozialamt eine Dependence. Um acht beginnt hier der Arbeitstag, doch wer erst um acht kommt, kann sich bereits auf eine ungewisse Wartezeit einstellen, kommt vielleicht gar nicht mehr an die Reihe. Überhaupt ist es die Ungewissheit, die in der Sportallee fast mit Händen zu greifen ist: „Hinweis” steht auf einem hastig an die Wand geklebten Zettel, „Neue Öffnungszeiten” auf einem anderen. Übersetzungen gibt es in dieser Anlaufstelle für Flüchtlinge aus aller Herren Länder grundsätzlich nicht, die einzigen Ansprechpartner sind Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens WEKO, die mit Glück ein paar Brocken Englisch beherrschen. Erst vor wenigen Wochen berichtete das „Team Wallraff” über ihre miesen Arbeitsbedingungen - und über den Rassismus in ihren Reihen.

Jetzt steht die Familie also eine Stunde vor Dienstbeginn vor einem solchen Wachmann, der erhöht auf einer Treppenstufe den Durchgang abschirmt und etwas sagt, wie „Ihr seid früh gekommen, Ihr seid dann später die Ersten”. Nach und nach treffen immer mehr Flüchtlinge ein, die von dem Mann allesamt geduzt werden und ein paar spärliche Informationen erhalten. Neben Menschen, die eine Unterkunft benötigen oder einen Aufenthaltsstatus, kommen nun auch immer mehr Flüchtlinge, die ihr Geld abholen möchten. Zweimal pro Woche zahlt das Sozialamt hier die Barleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus, montags und donnerstags. Nun ist es Montag, doch die Kasse ist leer. Kurz nach acht wird das dem Wachmann von oben zugerufen, der daraufhin in die Menge brüllt: „Heute kein Geld!”. Es wird unruhig, gut die Hälfte der Wartenden ist wegen der Auszahlung gekommen, einer sogar aus dem von Hamburg betriebenen Lager Horst bei Boizenburg. „Du nicht verstehen, heute nix Geld” ruft ihm der WEKO-Mann zu. Weitere Erklärungen gibt es nicht, das Prozedere wiederholt sich alle paar Minuten, wenn weitere Flüchtlinge eintreffen.

Die Stimmung wird nun aggressiv, nicht wenige haben die Fahrt in die Sportallee mit ihrem letzten Geld bezahlt, wissen nicht einmal, wie sie es zurück in ihre Unterkunft schaffen sollen. Die Wachleute, die auf der Treppe stehen - inzwischen sind es zwei - verweisen die Menschen auf Donnerstag, manchmal auch auf „morgen” oder das „nächste Mal”. Als eine Frau nach einer Unterkunft für einen Bekannten verlangt, wird es wieder laut - „er hat TBC” ruft sie. Vor drei Wochen war der Mann wegen seiner Tuberkulose ins Krankenhaus eingeliefert worden. Heute hat man ihn dort entlassen, seine Unterkunft ist inzwischen an einen Anderen vergeben worden. „Hau ab”, ruft ihm der Wachmann zu, „Du hast TBC, geh zum Arzt”. „Da komme ich her”, antwortet der Mann, er ist verzweifelt. Weil er ein Landsmann ist, bietet sich Flamur, der 15jährige Sohn der Mushkolajs, als Übersetzer an. Der Wachmann nimmt dankend an, lässt dem Mann aber wieder nur ausrichten, dass er bitte gehen soll. Er will jetzt mit in das Zimmer seiner Bekannten ziehen, Ansteckung hin oder her. Derweil erteilt der zweite Wachmann Rechtsauskünfte: „Das ist wie ein Pass”, sagt er mit Blick auf ein amtliches Dokument, das ihm von einem der unsichtbaren Sachbearbeiter heruntergereicht wurde, „damit kannst Du Dich in Hamburg frei bewegen.” Und wenn nicht?

„Unseres Erachtens ist die Erstaufnahme kollabiert”, sagt Anne Harms mit Blick auf die Zustände in der Sportallee. Die Leiterin der kirchlichen Beratungsstelle Fluchtpunkt hat regelmäßig Klienten, die dort vorsprechen müssen oder von dort berichten. „Für vorübergehende Bearbeitungsengpässe hätten wir durchaus Verständnis, wenn die Behörde alles daran setzen würde, die Zustände möglichst schnell zu verbessern”, so Harms. Solange dies nicht erkennbar sei, zeitgleich aber finanziell wie personell gewaltiger Aufwand betrieben werde, um einzelne Personen abzuschieben, „können wir nicht akzeptieren, dass die normale Wartezeit für die Ausstellung eines Krankenscheins acht Wochen beträgt. Da stimmen die Prioritäten nicht, das ist verantwortungslos”.

Für Norbert Smekal ein unzulässiger Vergleich: „Wenn vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Abschiebung angeordnet worden ist, obliegt es nicht dem jeweiligen Bundesland, sich darüber hinwegzusetzen”, sagt der Leiter des für die Erstaufnahme zuständigen Einwohner-Zentralamtes. Im Übrigen seien hier andere Sachbearbeiter zuständig. Wegen einer „vervielfachten Zahl” eintreffender Flüchtlinge spricht aber auch Smekal von einer „sehr angespannten Situation”, bei der mittlerweile auch die Unterbringung in Zelten „leider kein tabu mehr” sei. Dieser Überlastung sei es auch geschuldet, dass Teile der Kommunikation und die Aushändigung von Dokumenten in der Sportallee durch den Ordnungsdienst erfolge - „aus verwaltungsökonomischen Gründen”, wie Smekal es nennt. Zu der Frage von Wartezeiten bei der medizinischen Versorgung hingegen habe der Senat bereits im Frühjahr Stellung bezogen und auch Verbesserungen erreicht.

Betrieben wird die Einrichtung von „fördern & wohnen”, einem öffentlichen Dienstleistungsunternehmen der Hansestadt Hamburg, das in seinem Leitbild unter anderem feststellt: „Wir begegnen unseren Klientinnen und Klienten mit Respekt und achten ihre Würde.” Respekt und Würde haben die Mushkolajs in der Sportallee zwar nicht gefunden, nach knapp drei Stunden Wartezeit auch am zweiten Tag, rief dann aber eine freundliche Dolmetscherin doch noch ihren Namen. Auf der Treppe überreichte sie ihnen die Vorladung zu einem weiteren Gespräch in Harburg, konnte Rückfragen nicht beantworten und wünschte der Familie „viel Glück”. Sie wird es brauchen.

Nachtrag

Seit Anfang Juni wird die Erstaufnahme in einem Gebäude in der Harburger Poststraße abgewickelt. Schon einige Tage nach Öffnung der Einrichtung schlug DIE LINKE Alarm, berichtete von „chaotischen Zuständen”. An einem Tag Mitte Juni sei der Ansturm so groß gewesen, dass eine Frau mit ihrem Kind von nachdrängenden Menschen zu Boden gedrückt wurde und verletzt in ein Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Olaf Harning

Dieser Artikel erschien zunächst in der Tageszeitung „Neues Deutschland”.

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