(Gegenwind 299, August 2013)

Hamburg nach der Bombardierung 1943
Hamburg nach der Bombardierung 1943

70 Jahre „Operation Gomorrha”

Verdampfte Deutsche, vergessener Mustergau

Die familiäre Erzählung der großflächigen Bombardierung Hamburgs durch die RAF überlagert in der deutschen oral history die Gräueltaten der NS-Volksgemeinschaft im Mustergau Hamburg. Neonazis spielen nur am Rand eine Rolle im hanseatischen Opferdiskurs.

In den innenstadtnahen Stadtteilen Hamburgs, besonders östlich der Alster, sind sie an vielen wiederaufgebauten Mehrgeschosshäusern zu sehen: Tontafeln, mit dem Hamburger Wappen und dem Hinweis: „Zerstört 1943, wiederaufgebaut ...”. Die Tafeln kommen von der städtischen Baubehörde und sind im Alltag präsenter als das offizielle Mahnmal, dass an die Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943 erinnert: Der Turmrumpf der Kirche St. Nikolai, der nach dem 8. Mai 1945 als Ruine restauriert wurde und zum städtischen Mahnmal „für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft” erklärt wurde. Der markante Kirchturm diente den Piloten der britischen Royal Air Force, RAF, bei ihrem Anflug auf Hamburgs Osten als Orientierungsmarke. In den Stadtteilen ringsherum blieb kein Haus stehen.

Vom 25. Juli bis 3. August 1943 flogen die britische RAF und die US Air Force mit bis zu 1000 Bombern Angriffe auf Hamburg. Die werden meist als die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges bezeichnet. Befohlen wurde das „Carpet Bombing” von Luftmarschall Arthur Harris. Harris wies darauf hin, dass die Deutschen diese Strategie in den 2. Weltkrieg eingeführt hatten, sie bereits unmittelbar nach dem Beginn des Einmarsches begonnen hätten, polnische Städte zu bombardieren. Und bereits zuvor im Spanienkrieg mit der Bombardierung der baskischen Kleinstadt Gernika am 26. April 1937 die flächendeckende Bombardierung erprobt hätten. Wo in Gernika der Durchhaltewillen der AnhängerInnen der spanischen Demokratie gegen den Putsch von General Franco gebrochen werden sollte und in Polen von den Deutschen bevorzugt Städte mit jüdischen Vierteln bombardiert wurden, ging es Luftmarschall Arthur Harris und seinem Premier Winston Churchill um eine schnellere Beendigung des Krieges, des Durchhaltewillens der deutschen Volksgemeinschaft. Außerdem war Hamburg ein Zentrum der deutschen Rüstungsproduktion und der Seekriegsführung, auch der Nachschublinien für die Wehrmacht. Nach der Operation Gomorrha, wie der Deckname für die Bombardierung Hamburgs lautete, gab es ähnliche Flächenbombardements in Kassel, Braunschweig, Magdeburg, Dresden, Pforzheim, Mainz, Würzburg und Hildesheim. Die meisten Toten gab es in Hamburg, damals mit 1, 5 Millionen EinwohnerInnen die zweitgrößte Stadt des Deutschen Reiches. Bei der Operation Gomorrha starben weit über 30.000 Menschen, etwa 125.000 wurden verletzt. Wie viele Menschen aus den Bomberbesatzungen starben, blieb unerwähnt. Bekannt ist aber, dass im II. Weltkrieg über ein Drittel der Besatzungen der RAF bei den Einsatzflügen starb.

Gedenktafel Feuersturm 1943
Gedenktafel Feuersturm 1943

Für die Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 gibt es in Hamburg einen feststehenden Namen: Feuersturm. In diese Nacht waren die eng bebauten Arbeiterwohnquartiere von Hammerbrook bis Barmbek das Ziel der Spreng- und Brandbomben. Es entstand eine mächtige Feuerwalze, die den Sauerstoff so stark anzog, dass Menschen mit ins Feuer gesogen wurden, im glühenden Asphalt einsackten, nahezu verdampften. Wolf Biermann erzählte Jahrzehnte später, wie seine Mutter ihn und sich rettete, in dem sie in einen Fleet sprang. In alteingesessenen Hamburger Familien gibt es wohl kaum jemanden, dem nicht etwas Vergleichbares erzählt wurde. Der Feuersturm oder die Hamburger Bombennächte, wie sie auch genannt werden, ist eine auf Familientreffen an die nachfolgenden Generationen weitergegebene Erzählung. Anders als bei Wolf Biermann, der über den Nationalsozialismus auch noch anderes erzählt, ist für die allermeisten HamburgerInnen der Feuersturm das wichtigste Ereignis der Nazizeit. Biermanns Vater Dagobert war ein kommunistischer Widerstandskämpfer, der im Hamburger Hafen auf der Werft, wo er arbeitete, Beweise dafür sammelte, dass dort Schiffe für die Putschisten um Franco in Spanien gebaut wurden, der sabotierte, wo er konnte. Und der im KZ Auschwitz vergast wurde, als Jude, als Kommunist. Dem gegenüber konstituiert sich die Mehrheit der autochthonen HamburgerInnen in einem Opferdiskurs als postnationalsozialistische Volksgemeinschaft - dadurch, dass sie neben dem Leid ihrer Vorfahren in ihrer aktiven Erinnerung keinen Platz für die Leiden der Opfer des Nationalsozialismus einräumen.

Die offizielle Gedenkpolitik nennt selbstredend immer auch die NS-Opfer mit. Beim genaueren Hinschauen zeigt sich aber auch hier eine klare Hierarchisierung des Erinnerns: Wo an jedem zerbombten, wiederaufgebauten Haus eine entsprechende Tontafel hängt, so finden sich entsprechend präsente Tafeln, die an die 1299 Zwangsarbeiterlager in Hamburg erinnern, nicht. Auch nicht an den 928 Betrieben, die Zwangsarbeitende beschäftigen. Bezeichnend: Das Grab für 30 sowjetische Zwangsarbeiterinnen, die bei einem späteren Bombardement starben, liegt weitab vom großen Massengrab für die Todesopfer der Operation Gomorrha. Die Frauen arbeiteten bei Valvo und durften wie alle ZwangsarbeiterInnen und Häftlinge aus den 20 Nebenstellen des KZ Neuengamme in Hamburg nicht in die Schutzräume. So starben sie 1944, geduckt in einen Graben. Während an dem beeindruckend großflächigen Bombenopfer-Sammelgrab auf dem städtischen Friedhof Ohlsdorf jedes Jahr offizielle Kranzniederlegungen stattfinden, 1952 im Mittelpunkt des Sammelgrabs ein Mahnmal erreichtet wurde - ein monumentaler quadratischer Sandsteinblock - so gedenkt der Valvo-Frauen ausschließlich die VVN, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.

Dabei gehörten zu den Toten der Bombardierungen zahlreiche ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene - Ende Juni 1943 waren in Hamburg gut 66.000 ausländische Zwangsarbeitende registriert.

Im Chaos der Luftangriffe versuchten viele von ihnen zu fliehen. So in der Nacht zum 30. Juli auch 72 von 100 sowjetischen ZwangsarbeiterInnen aus dem Krankenhaus St. Georg. Die Reaktion der Krankenhausleitung ist dokumentiert. Sie alarmierte umgehend die Gestapo, die auf der Stelle acht der nicht geflohenen Sowjets vor den Augen der Mitpatienten per Genickschuss ermordete. Erst seit September 1989 erinnert ein kleiner Gedenkstein auf dem Krankenhausgelände daran.

Zu den gefährlichsten Räumungsarbeiten in den Trümmern, dort, wo viele nicht explodierte Bomben lagen, wurden Zwangsarbeitende und KZ-Häftlinge gezwungen. Wer sich weigerte, ohne Schutzanzüge und Maske verwesende Leichen zu bergen, wurde sofort erschossen. Graf Georg Henning von Bassewitz-Behr, Hamburgs SS-und Polizeiführer, verschärfte umgehend nach den Bombenangriffen den Kurs gegenüber den Zwangsarbeitenden und erließ eine entsprechende Direktive. Himmler schickte darauf ein Telegramm nach Hamburg, in dem er das „scharfe Durchgreifen” lobte.

Im offiziellen wie im privaten Gedenken wird hiervon geschwiegen, obwohl es nicht an markanten Ereignissen mangelt. Am 16. August 1943 schrieb Generalmajor Liessem, als höherer SS- und Polizeiführer für Norddeutschland zuständig, in einem Bericht: „Ausländer haben sich zum größten Teil schlecht benommen. Sie sahen bereits den kommenden Sieg. Ein Werk wurde von Ausländern besetzt und musste durch Marine-Soldaten mit Gewalt erobert werden.” Aber wer nicht von der gewalttätigen Ausbeutung der NS-Opfer in Hamburg sprechen will, sich nicht in dem eigenen selbstrefentiellen Opferdiskurs stören lassen will, schweigt lieber davon, dass die Bombardierung Hamburgs, eben für die Zwangsarbeitenden und KZ-Häftlinge auch ein Zeichen des nahenden Sieges über die Deutschen und ihre Wehrmacht war.

Der Hamburger Gomorrhardiskurs verliert in seinem indifferenten Gedenken an „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft”, in seiner Diffusität jede Schärfe gegenüber dem Nationalsozialismus. In einer absurden Form am Dammtorbahnhof zu sehen: Dort wurde 1934 von den Nazis ein Kriegerdenkmal errichtet - ein riesiger Steinblock mit marschierenden Soldaten und der Inschrift: Deutschland muss sterben, auch wenn wir sterben müssen. Der Hamburger Senat hat auf die Forderungen linker Gruppen nach einem Abriss dem Kriegsklotz zur Hochzeit der westdeutschen Friedensbewegung ein paar kleine Skulpturen des Bildhauers Alfred Hrdlicka gegenübergestellt, die den Feuersturm zeigen, die Opfer - und, aber das wird kaum beachtet, Hrdlicka schuf auch eine Skulptur für Häftlinge des KZ Neuengamme, die durch britisches Bombardement starben. Die Britische Besatzungsmacht wollte den Kriegsklotz sprengen - der erste Nachkriegssenat verhinderte dies. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf eines antifaschistischen Bündnisses für ein Deserteursdenkmal, welches den Kriegsklotz ersetzen soll. Es braucht keine prophetischen Gaben, um darauf zu kommen, dass der Hamburger Senat wieder bestenfalls eine die durch die neue Initiative geweckte kritische Öffentlichkerit sättigen sollende Gedenkbeilage neben dem Kriegsklotz drapieren wird. Es ist angerichtet!

Der Hamburger Senat hat für 2013 ein „Gedenkjahr” ausgerufen: „Es ist wichtig, das kollektive Gedächtnis Hamburgs und die Erinnerung an das menschenverachtende Unrecht des Nationalsozialismus und die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wachzuhalten”, so Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt, SPD, anlässlich der Vorstellung der Website www.hamburg.de/gedenkjahr-2013. Und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit, ebenfalls SPD, pflichtete ihr bei: „Unsere Website soll dazu beitragen, dass die vielen engagierten und aufrüttelnden Erinnerungsprojekte in unserer Stadt zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer finden.” Bezeichnenderweise stand kurz nach dem Start im Februar kaum etwas zum Nationalsozialismus auf der Site, aber dafür schon ein Hinweis für den 4. August, aus Anlass der Operation Gomorrha: „Gedenkveranstaltung und Ausstellungseröffnung im Mahnmal St. Nikolai”. Die dortige Ausstellung zum Gomorrha-Gedenken wird dann noch größer als bisher wiedereröffnet. Mittlerweile stehen auf der Gedenkseite die Veranstaltungen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und des Ohlsdorfer Friedensfestes, mit dem ein Bündnis von VVN über ver.di bis hin zur Kriegsgräberfürsorge vom 20. Juli bis zum 4. August mit Veranstaltungen am Sammelgrab der Bombenopfer Präsenz zeigt - auch damit Neonazis dort nicht ihre geschichtsfälschenden Kundgebungen abhalten können wie in früheren Jahren.

Nicht nur Neonazis biegen sich gerne die Geschichte zu einem deutschen Opferdiskurs zurecht. Auch beim offiziellen, städtischen Gomorrha-Gedenken früherer Jahrestage wurde das Ausmaß der Zerstörung durch die Bombardierung wesentlich eindrücklicher beschrieben und bebildert als alle Naziverbrechen. Und der Eindruck erweckt, die Operation Gomorrha wäre die Stunde Null für Hamburg gewesen. So als ob es danach mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft vorbei gewesen wäre und alle nur noch auf das Ende gewartet hätten.

Aber wenige Wochen nach dem Hamburger Feuersturm hatte die Rüstungsproduktion in Hamburg mit „deutschem Durchhaltewillen” schon wieder 80 Prozent des Leistungsniveaus vor Gomorrha erreicht. Noch fast zwei Jahre leisteten die HamburgerInnen ihren Beitrag zum Krieg. Sie gaben erst auf, als am 3. Mai 1945 die ersten britischen Panzer über die Elbbrücken rollten. Unbeirrt von den Bombardierungen auch weiterer Städte. Ralph Giordano, der die Operation Gomorrha in Hamburg-Barmbek überlebte, betonte: „Am Morgen nach der Nacht, in der Dresden unterging, also am 14. Februar 1945, fuhr der letzte Transport Hamburger Juden nach Theresienstadt ab”.

Gaston Kirsche
(gruppe bricolage)

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