(Gegenwind 296, Mai 2013)


Pressekonferenz der Ramazan-Avci-Initiative am 14.3.2012. Diese fand in einem Café neben dem früheren Geschäft statt, in dem Süleyman Tasköprü von Nazis des NSU ermordet wurde. Gülistan Ayaz-Avci hält ein Foto ihres ermordeten Mannes.
Foto: Ramazan-Avci-Initiative

Lokales: Hamburg

Hamburg hat endlich einen Ramazan-Avci-Platz

27 Jahre nach dessen Ermordung benannte die Stadt den Vorplatz des S-Bahnhofs Landwehr nach dem jungen Arbeiter Ramazan Avci, der dort von Neonazis erschlagen wurde.

Seit die NSU-Mordserie durch einen Zufall aufgeflogen ist, wird über rassistischen Terror gesprochen. Im Fokus ist dabei die Zeit seit der deutschen Einheit. In der alten BRD gab es aber bereits vorher rassistische Morde. Vor 27 Jahren wurde der Einwanderer Ramazan Avci am 21. 12. 1985 abends von 30 Naziskins gejagt und auf offener Straße totgeschlagen bis die Schädeldecke brach. Ein Mord in aller Öffentlichkeit.

Der 26-Jährige starb, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Elf Tage später wurde sein Sohn geboren, den seine Witwe Gülistan nach ihm benannte.

Anlässlich seines 25. Todestags gründete sich Anfang Dezember 2010 eine Gedenkinitiative. Sie forderte die Umbenennung des tristen, namenlosen Bahnhofsvorplatzes, in dessen unmittelbarer Nähe sich der Angriff ereignete, in Ramazan-Avci-Platz. Der Angriff auf Avci ist ein Symbol für die rassistische Gewalt auf deutschen Straßen. Bereits am 24. Juli 1985 war in Hamburg-Langenhorn der 29-jährige Maurer Mehmet Kaymakc? von drei Rechtsradikalen angegriffen und ermordet worden. Sie schlugen ihn nachmittags, als er auf dem Heimweg von der Arbeit war, zusammen und zertrümmerten mit einer Gehwegplatte aus Beton seinen Schädel.

Viele Skinheads sahen sich bei ihrem Terror gegen Einwanderer als Vollstrecker eines Volkswillens. Naziskinaktivitäten auf offener Straße wurden polizeilich und gesellschaftlich weitgehend geduldet. So konnten auf dem belebten Hansaplatz im Hamburger Zentrum Anfang Dezember 1985 zwei Skinheads ein von ihnen als türkisch kategorisiertes junges Mädchen quälen, schlagen und immer wieder zu Boden werfen, ohne dass jemand eingriff oder die Polizei holte.

In Hamburg war die Verbindung zwischen den losen, trinkfreudigen Naziskingruppen und neonazistischen Kaderorganisationen besonders auffällig und erfolgreich, wurde aber von Polizei und Politik ignoriert. Hamburgs damaliger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, SPD, bedauerte den „tragischen Tod” Ramazan Avcis, ohne den Naziterror zu erwähnen.


Pressekonferenz der Ramazan-Avci-Initiative am 14.3.2012. Diese fand in einem Café neben dem früheren Geschäft statt, in dem Süleyman Tasköprü von Nazis des NSU ermordet wurde. Gülistan Ayaz-Avci hält ein Foto ihres ermordeten Mannes.
Foto: Ramazan-Avci-Initiative

Nach dem Tod von Avci waren aber viele MigrantInnen, besonders aus der Türkei eingewanderte, empört. Zwei Wochen später fand in Hamburg die bis dahin größte antirassistische Demonstration der BRD statt mit 15.000 Teilnehmenden. Aus dem Demonstrationsbündnis ging 1986 die Türkische Gemeinde Hamburgs, später die der BRD hervor.

Am 21. Dezember 2010, dem 25. Jahrestag des Angriffs auf Ramazan Avci, veranstaltete die „Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci” erstmals eine Gedenkkundgebung. Gegründet wurde die Initiative von mittlerweile erwachsenen MigrantInnen, die sich als Jugendliche in der antirassistischen Selbstverteidigung nach Avcis Tod politisiert hatten. Dank der Ramazan-Avci-Initiative, die mit der Familie Avci eng zusammenarbeitet, bekamen die Angehörigen Gehör - siehe das nebenstehende Interview mit Ünal Zeran. Zwei Jahre später und nach vielen beharrlichen Impulsen der Initiative wurde am 19. Dezember 2012 auf Beschluss der Hamburger SPD-Landesregierung und des zuständigen, ebenfalls SPD-regierten Bezirks, Hamburg-Nord, eine Gedenktafel für Ramazan Avci enthüllt und der Platz am S-Bahnhof Landwehr offiziell umbenannt. Im Text der Gedenktafel, der in Absprache mit der Initiative formuliert wurde, ist die „rechtsradikale Tat” benannt, in der englischen Übersetzung als „racist attack”. Bei der Einweihung erklärte Hamburgs zweite Bürgermeisterin Dorothee Stapelfeldt: „Der neue Platz gemahnt uns alle, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit anzugehen und für ein offenes und tolerantes Hamburg einzustehen”. Der türkische Konsul Devrim Öztürk erklärte, der Tod Ramazan Avcis sei der Anfang einer Serie rechtsextremistischer Angriffe auf türkische Migranten gewesen. Die Witwe Gülistan Ayaz-Avci schilderte in bewegenden Worten, sie werde nie vergessen, wie Ramazan Avci zum letzten Mal das Haus verlassen habe. Um sein Auto zu verkaufen. Und von dem Geld ein Kinderbett für ihr Baby zu kaufen. Auf dem Rückweg wurde er erschlagen. Trotz mehrerer Notoperationen konnte er nicht wieder ins Leben geholt werden. Zusammen mit ihrem erwachsenen Sohn Ramazan legte Gülistan Ayaz-Avci Blumen auf die Gedenktafel für Ramazan Avci.

Gaston Kirsche


Einweihung des Ramazan-Avci-Platzes am 19.12.2012.
Foto: Ramazan-Avci-Initiative

„Ja, wir sind nicht am Ende”

Interview mit Ünal Zeran von der Ramazan-Avci-Initiative

Wie kommt es, dass Ihr erfolgreich wart?

Ich habe die Initiative vor 2 Jahren initiiert und für mich galt die Losung mit Beharrlichkeit und Phantasie werden wir unser Ziel erreichen. Dass es so schnell ging, hat sicher auch damit zu tun, dass das zufällige Auffliegen des NSU-Netzwerkes, der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, die Politik in einigen Feldern dazu zwingt aktiv zu werden. Wir haben auch nicht linksradikale, nichtssagende symbolische Parolen vor uns hergetragen, wie „Nie wieder Deutschland”. Wir fanden es radikal genug, wenn die Forderungen erfüllt werden. Unsere Statements haben stets den Rassismus in den Institutionen, in der Gesellschaft und innerhalb der Linken benannt. Wir haben konkrete Forderungen gehabt und uns sehr sachlich an die Arbeit gemacht. Wir sind nicht provoktiv aufgetreten, um der Sache nicht zu schaden. So wurden wir von den Gesprächspartnern in der Politik und Verwaltung auch wahrgenommen.

Außerdem hat die Presse, insbesondere die türkische, uns stets gut begleitet und über jede Aktivität berichtet. Dadurch kamen wir immer wieder in die Öffentlichkeit.

Vielleicht ist es am entscheidendsten, dass wir von Anfang gemeinsam mit der Familie Avci um die Realisierung der Ziele gekümmert haben. Die Familie nehmen wir als aktive Mitglieder der Initiative wahr. Sie treten mit uns gemeinsam auf und kommen zu Wort. Ich glaube, der Witwe, dem Sohn und dem Bruder eines Ermordeten ins Gesicht zu sagen, eure Ziele sind nicht erfüllbar, traut sich kaum ein Politiker. Das Erinnern haben wir damit nicht den Institutionen überlassen, sondern uns aus der Perspektive der Opfer agiert. Das ist ein entscheidender Faktor und hat eine ungeheure Wirkung sowohl für die Opfer auch als in der Außendarstellung. Wir haben erlebt, wie viel Stärke die Familie in den zwei Jahren gewonnen hat.

Das ist für mich persönlich das Wichtigste neben dem symbolischen Charakter der Platzumbenennung. Ich gehe davon aus, dass Gülistan Avcis Schlussworte in der kommenden Woche sicher die bedeutendsten und beeeindruckendsten Worte der Veranstaltung sein werden.

An Ramazan Avci wird jetzt gedacht, aber über die Fehler der damaligen Politik und Polizei wird nicht geredet, oder?

Die Polizei hat damals quasi gegen sich selbst ermittelt. Es gab Sympathisanten innerhalb des Polizeiapparats und die Skins wurden als unpolitische Jungs verharmlost. Im Falle von Ramazan Avci war der federführend ermittelnde Polizist der Vater eines Skins, der mit den Angeklagten verkehrte. Der Kommissar hat die Mörder privat empfangen und Aussagen abgestimmt. Einige Beweismittel waren im Verfahren nicht mehr auffindbar. Der Polizist wurde später zum Staatsschutz versetzt.

Die angeklagten fünf Neonazis wollten sich als Ausländerfreunde darstellen und leugneten jegliche politische Motive. Es waren stadtbekannte Neonazis aus Hamburg-Bergedorf, die auf Türkenjagd gingen. Nicht nur fünf, sondern etwa 30 Nazis waren an der Ermordung beteiligt. Trotz eindeutiger Identifizierung von weiteren Angreifern, mussten nur fünf auf die Anklagebank.

Sie wurden wegen Totschlags verurteilt, nicht wegen Mordes. Ramazan Avci wurde dikreditiert als rechter Türke und auch ihm wurden kriminelle Machenschaften nachgesagt. Damit versuchte man eine Entsolidarisierung zu erreichen.

Die Lösungsstrategie der Politik bestand damals darin, dieJugendlichen, die sich gegen die Nazis wehrten mit Streetworkern und Strafverfahren zu überziehen, ihnen mit der Abschiebung zu drohen, damit sie abgeschreckt werden und sie mit den Angriffen auf Nazis aufhörten. Außerdem hat der damalige Bürgermeister Dohnanyi versucht mit dem Kommunalwahlrecht angebliche Lösungen für den Rassismus in der deutschen Gesellschaft anzubieten - das sogenannte, bis heute nur für EU-Staatsbürgerinnen durchgesetzte Ausländerwahlrecht.

Es ist nicht erst seit dem NSU-Komplex bekannt, dass Verharmlosung, Vernichtung und Vertuschung systemimanant in der Struktur von Geheimdiensten und Polizei angelegt sind. Und die milden Urteile der Justiz haben die Nazis gestärkt.


Einweihung des Ramazan-Avci-Platzes am 19.12.2012.
Foto: Ramazan-Avci-Initiative

Wie erklärst Du Dir die paradoxe Situation, dass es jetzt ein Gedenken an Ramazan Avci gibt, es aber keinerlei Schuleingeständnis der Hamburger Polizei und Innenbehörde für die Verdächtigung der Familie des Hamburger NSU-Opfers gibt?

Das ist wirklich ein Phänomen, über das ich nur staune. Es irritiert und verwundert mich sehr, dass Hamburg völlig unbefleckt in diesem NSU-Netzwerk sein soll. Hier gibt es keinen Untersuchungsausschuss. Es werden vielleicht deshalb unangenehme Fragen nicht gestellt.

Ich habe auch den Eindruck, dass die Journalisten und Oppositionellen gar nicht hinterfragen, was in dieser Stadt vor sich gegangen ist. Dabei gibt es hier so viele offene Fragen: Welche LKA-Beamten haben wann welche Entscheidungen getroffen. Wieso hat die Familie Tasköprü so viel an Diffarmierung erfahren müssen? Welcher Staatsanwalt hat ermittelt und in welche Richtung? Was wusste die Innenbehörde? Was ist mit dem Hamburger Verfassunsgschutz? Gab es V-Leute hier? Wie kommen Thüringer Neonazis ausgerechnet dazu in Hamburg einen Mord zu begehen? Wer sind die Helfer? Wer sind die Helfershelfer? Welche personellen und strukturellen Konsequenzen zieht Hamburg aus der Mordserie? Mit kurzer selbstreinigender Eile hat Hamburgs Innensenator erklärt, dass Hamburg mit der Sache nichts zu tun hat. Seither herrscht Stille. Alle scheinen das Schweigekartell mit zu tragen. Das muss die Familie Tasköprü weiter schwer treffen.

Gibt es in der Türkei mehr Aufmerksamkeit in den Medien als hierzulande, kommt vielleicht daher die Bereitschaft der Hamburger SPD, Ramazan Avcis jetzt zu gedenken?

Ramazan Avci eignet sich für die Politiker gut, da er in der Türkei und unter Migrantinnen aus der Türkei eine bekannte Person ist. Bei seiner Ermordung wurde erstmals ein breites mediales Interesse gezeigt. Erstmals fand eine breite Kundgebung statt. Nicht zu vergessen ist, dass die Türkische Gemeinde Hamburg und dessen bundesweiter Dachverband ihre Gründungsgeschichte auf die Ermordung Avcis zurückführen. Und na klar, kein Politiker handelt uneigennützig. Wir sehen wie schwierig es ist in Hamburg einen Kemal-Altun-Platz durchzusetzen. Wir haben es aber strikt abgelehnt, das unser Vorstoss als Argument gegen einen Kemal-Altun-Platz verwendet wird. Allerdings gehört es zur Fairness zu betonen, das es einen interfraktionellen Antrag und breite Zustimmung im Bezirk Nord für die Platzumbenennung und die Gedenktafel gegeben hat.

Auch ist es sehr lobenswert das die Bushaltestelle vom Hamburger-Verkehrs-Verbund HVV nach ihm benannt wird.

Wollt Ihr mit Eurer Initiative weiterarbeiten?

Ja, wir sind nicht am Ende. Der Platz muss künstlerisch und gärtnerisch umgestaltet werden. Der Bezirk wartet auf Vorschläge. Wir haben mitbekommen, dass in Kassel der Vater eines vom NSU Ermordeten gleiche Forderungen durchgesetzt hat. Auf der Möllner Demo haben wir auch eine Bahide-Arslan-Straße gefordert und uns mit der Familie Arslan solidarisiert. Wir bleiben da dran.

Wir glauben, dass unsere Initiative Schule machen sollte an Orten, wo Menschen dem Rassismus zum Opfer gefallen sind. Damit der Rassismus in der Öffentlichkeit gezeigt wird. Damit der Tod nicht vergessen wird und er für die Angehörigen nicht nur als sinnlos erscheint.

Und geht es auch darum, die damalige Situation für MigrantInnen öffentlich zugänglich zu machen?

Das ist eine Mammutaufgabe. Unsere Kapazitäten sind begrenzt. Wir schaffen es weder personell noch finanziell. Langfristig haben wir auch darüber nachgedacht, ob es nicht ein Museum oder eine Gedenkstätte für die Opfer des Rassismus nach 1945 in Deutschland geben müsste, damit zentral die Informationen gesammelt und dokumentiert werden könnten. Aber wir arbeiten alle neben unseren Berufen an diesen Sachen. Vielleicht ist es ja ein Anstoss für viele Andere, aktiv zu werden.

Interview: Gaston Kirsche

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