(Gegenwind 293, Februar 2013)


Bei der Abstimmung wurden „Bio-Deutsche” von „Eingebürgerten” getrennt.

Parteien

CDU Kiel taumelt

Noch nie verlief die Aufstellung von Direktkandidatinnen und Direktkandidaten für die Kommunalwahl bei der Kieler CDU so aufregend. Dabei ist eigentlich alle Aufregung überflüssig: Es gibt 25 Wahlkreise mit 25 CDU-KandidatInnen, für die 49 Mandate im Rat eine Liste mit über 30 Namen - wobei die ersten 25 Plätze mit den DirektkandidatInnen besetzt sind. Dennoch verlief der Kreisparteitag am 19. Januar so turbulent, dass er abgebrochen werden und am 16. Februar wiederholt werden musste. Und jetzt ist ein dritter Parteitag nötig, um die Liste aufzustellen.

Aber der Reihe nach: Im letzten Jahr sind rund 40 Einwanderer in Kiel-Mettenhof der CDU beigetreten. Mettenhof ist ein Hochhaus-Stadtteil aus den 60er Jahren, in dem außer Deutsch auch viel Russisch, Albanisch, Kurdisch und Arabisch gesprochen wird. Hier hat die CDU schon länger auch Mitglieder, die selbst oder deren Eltern eingewandert sind. Aber: Die Neu-Mitglieder unterstützten auch bei den anstehenden Wahlen genau diese Einwanderer. So fanden sich auf den Plätzen der Direktkandidaten plötzlich Namen wie Nue, Wieslawa oder Cetin, während der Kandidat Dirk es nicht schaffte und Eberhard sich nur ein einer Kampfabstimmung knapp durchsetzen konnte.

Doch die Nominierungen durch die Ortsverbände sind (rechtlich) nicht verbindlich, die Entscheidung trifft die „Wahlversammlung” im Rahmen des Kreisverbandes. Und dort beobachtete die Ratfrau Kristina Herbst am 19. Januar, dass die Kandidatin für Platz 18 Wieslawa zwei oder drei Stimmzettel ausfüllte, als es um den Platz 8 (Kandidat Cetin) ging. Am Eingang hatte die Geschäftsstelle den delegierten Blöcke mit Stimmzetteln ausgehändigt, aber einige waren wohl früher gegangen und hatten die Stimmzettel-Blöcke einfach auf ihrem Tisch liegen gelassen. Die Ratsfrau sammelte fünf herrnlose Blöcke ein, stürmte nach vorne und hielt sie hoch. Das Präsidium leitete noch die Wahl für Platz 9 ein, brach dann aber die Versammlung ab.

Der Kreisvorstand beauftragte das Mitglied Stephan Redlin, im wirklichen Leben Staatsanwalt, mit einer privaten Untersuchung. Der hörte alle Beschuldigten und Zeugen an, meist schriftlich, und nahm sich alle Stimmzettel vor. Denn die sind für die Wahlgänge zwar nummeriert, die Namen von Kandidatinnen oder Kandidaten werden vom Präsidium verlesen und müssen dann von den einzelnen Delegierten aufgeschrieben und angekreuzt werden. Und siehe da: In den fraglichen Wahlgängen wurden jeweils dreimal zwei oder drei vom Schriftbild her identische Stimmzettel gefunden. Diese nannten teilweise jeweils die gleiche Kandidatin oder den gleichen Kandidaten, manchmal war auch auf zwei gleich aussehenden Stimmzetteln einmal die eine, auf der zweiten Stimme dann der andere Kandidat angekreuzt. Vier identische Stimmzettel, bei denen nicht nur Schriftbild, sondern auch Rechtschreibfehler identisch waren, waren die höchste festgestellte Häufung. Da alle siegreichen KandidantInnen mit über 100 Stimmen Vorsprung (bei 170 bis 180 Anwesenden) gewonnen hatten, waren diese Manipulationen marginal, aber dennoch störend.


Stein des Anstoßes: herrenlose Stimmblöcke

Die Kandidatin Wieslawa war von den drei Verdächtigen die einzige, die durch zeugen bei mehrfachem Ausfüllen beobachten worden war. Anderen wurde vorgeworfen, während des Wahlgangs mit Nachbarn gesprochen zu haben - Beeinflussung, sagten die (deutschen) Zeugen. Die Gespräche fanden aber auf Albanisch statt: Die beschuldigten gaben zu Protokoll, Neumitgliedern den Ablauf eines Wahlgangs erklärt zu haben und sagten aus, die deutschen zeugen könnten den Inhalt albanischer Gespräche überhaupt nicht bezeugen, was der Ermittler Redlin genauso sah.

Am 16. Februar stand die Partei so vor der Situation, dass die Direktkandidaten 1 bis 25 gewählt waren, die Liste bis Platz 7 ohne Beanstandung. Eine Neuwahl stand nicht auf der Tagesordnung und konnte demzufolge nicht stattfinden. Deshalb schlug das Präsidium vor, die Direktkandidaten in einer (rechtlich unverbindlichen) Abstimmung zu bestätigen. Geschäftsordnungsantrag: Platz 2 bis 8 und 13 bis 25 im Block, Platz 9 bis 12 einzeln (Platz 1 war von der Debatte nicht betroffen, weil im Tumult schon bestätigt). Der Beigeschmack: Die Blockabstimmung betraf alle KandidatInnen mit „deutschen” Namen, einzeln sollte über alle „ausländischen” Namen abgestimmt werden. Andererseits: Stephan Redlin hatte überzeugend dargestellt, dass es bei der letzten Versammlung mindestens drei unerlaubte Mehrfach-Abstimmer gegeben hatten, und die betrafen genau diese Plätze.

Letztlich wurden fast alle bestätigt: Die „deutschen” Namen mit 155 zu 12 Stimmen, die „ausländischen” Namen mit 100 zu 67 Stimmen. Nur Wieslawa Muszinski fiel mit 35 zu 130 Stimmen durch. Da es sich aber um eine rechtlich überhaupt nicht vorgesehene „Bestätigung” handelte, bleibt sie vorerst auf der Kandidatenliste. Falls sie nicht selbst zurücktritt, muss der Kreisvorstand im März wieder eine Wahlversammlung einberufen, ihre Abwahl beantragen und einen neuen Kandidaten präsentieren. Für die Liste wurde bereits auf Platz 18 ein anderer Kandidat gewählt.

Rassismus?

Zunächst einmal handelt es sich um die „normalen” Probleme einer Partei in der Stadt, die bisher zum Thema „Integration” wenig beigetragen hat und im Umgang mit einer Beitrittswelle ungeschickt agiert. Denn die meisten Parteien verfügen über Ortsverbände mit einem aktiven Kern, der spielend von jedem lokalen Verein „übernommen” werden kann. Damit hat jede Partei Erfahrung.

Die neue Erfahrung ist, dass die Namen der Mitglieder schwerer auszusprechen sind und sie mehr als eine Sprache können. Aber daran wird sich auch die CDU gewöhnen müssen.

Reinhard Pohl

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