(Gegenwind 293, Februar 2013)


Wirtschaft

Seegras

Ein Dämmstoff direkt aus der Natur

Seegras (zostera marina) wird jährlich zu zigtausend Tonnen an die Küsten der Ostsee geschwemmt. Auch für viele Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg Vorpommern müssen im Jahr mehrere tausend Tonnen Seegras von ihren Stränden beseitigen.

Wenn man es liegen lassen würde, würde sich die Landschaft wahrscheinlich verändern, denn es verrottet sehr langsam und würde dadurch den Verlauf der Küstenlinie beeinflussen. Außerdem ist die Küste ja eine wichtige Tourismusregion, und darüber sind sich (fast) alle einig: Seegras in großen Massen am Strand stört. Also wird es mit großem Aufwand regelmäßig abgebaggert, weggefahren und zum Teil auf Äckern ausgestreut oder in Biogasanlagen vergärt. In manchen Regionen gilt es wegen der schweren Verrottbarkeit als Sondermüll.

In Dänemark wurde die hier als problematisch eingestufte Eigenschaft als Tugend erkannt, und das frische Seegras vom Strand wurde zur Landschaftsgestaltung genutzt: Auf der Insel Mön gibt es einen mehr als hundert Jahre alten Wall aus einem Seegras-Sand-Gemisch, er diente einst als Grundstücksgrenze und wird wahrscheinlich noch ein paar Jahrhunderte halten.

Also warum nicht dem Tourismus nützliche Landschaftsgestaltung mit Seegras direkt vor Ort betreiben? Ein kleiner Denkanstoß für die Ostseekommunen...

Hierfür könnte man sozusagen das „Zweite-Wahl-Seegras” nehmen, denn für das „erste-Wahl-Seegras” gibt es noch einen viel edleren Verwendungszweck: Gebäudedämmung.


Naturprodukt mit langer Geschichte

Die Idee ist nicht neu, Seegras wurde seit Jahrhunderten, vielleicht auch eher seit Jahrtausenden vom Menschen zu Dämm- und Polsterzwecken genutzt. In Deutschland ist die Geschichte der Seegrasmatratzenproduktion erst vor ca. 50 Jahren zu Ende gegangen, als die Welt von Erdölprodukten überschwemmt wurde. In Dänemark erreichte die Seegrasproduktion zu Hochzeiten (1913) eine Jahresproduktion von 8 Mio. Tonnen (dreimal mehr als die gesamte Heuernte desselben Jahres).

Die nördlichste dänische Ostseeinsel Læsø ist für die urigen (zwischen 200 und 300 Jahre alten) Seegrasdächer bekannt. Sie sind dicker und schwerer als Reetdächer - und langlebiger. Sie sehen aus wie Torf und sind bewachsen von bunten Wiesenblumen.

Ab Anfang 1900 wurden in den USA und Europa, (z.B. auch in Wismar) Dämmmatten aus Packpapier mit eingestepptem Seegras hergestellt.

Ökologisches Dämmmaterial

Seegras hat Eigenschaften, die nicht nur Altertumsforscher, sondern auch Altbausanierer und Bauherren neuer Häuser begeistern können:

Da es aus dem Wasser stammt, kann es mit Wasser gut umgehen. Das heißt, wenn es nass wird, sieht es fast wieder lebendig aus. Wasser schadet ihm nicht, es sei denn, es ist dauerhaft Feuchtigkeit ohne Verdunstungsmöglichkeit ausgesetzt. Irgendwann fängt auch Seegras an zu schimmeln, aber dafür braucht es schon wirklich harte Bedingungen. Also: Wird als Dämmung eingebautes Seegras feucht, und hat es die Möglichkeit, die Feuchtigkeit durch eine diffusionsoffene Schicht mit Hinterlüftung wieder abzugeben, gibt es überhaupt kein Problem.

Ein weiterer Pluspunkt ist der natürliche Salzgehalt der Pflanze, also Salz, das in den Pflanzenzellen eingelagert ist. Andere Dämmstoffe wie zum Beispiel die aus Zellulose werden mit Borsalz behandelt: gegen Feuer, Schimmel und Schädlinge. Das braucht Seegras nicht, das hat es schon.

Wenn man versucht, Seegras zum Brennen zu bringen, gibt es ein kurzes Aufglimmen und schnelles Erlöschen. Das liegt am Salz.

Was getrocknetes Seegras besonders attraktiv für Altbausanierer macht: Es passt sich allen Formen, Ecken und Nischen an, es lässt sich überall lückenlos (selber!) mit der Hand einbringen, es muss sich keiner Norm anpassen.

Es lässt sich gut mit Lehmbau kombinieren und die sogenannten Bautechnischen Werte von Seegras sind ähnlich denen anderer Naturdämmstoffe.

Seegras, das ist eine Welt von Gerüchen, Geräuschen, Empfindungen und ein bisschen Sehnsucht...

„Und dann kommt unser zweites großes Naturgeschenk, das Seegras. Genauso wie der Lehm ist es ein Material, das man nur aufzuheben braucht. Für uns ist es voller Bedeutung und Erinnerung. Als Kinder lagen wir ins sonnige Seegras gekuschelt, die Füße im Wasser und den Blick aufs Meer gerichtet. Seegras, das ist eine Welt von Gerüchen, Geräuschen, Empfindungen und ein bisschen Sehnsucht. Nun schützt es uns, wenn draußen der Frost knackt...”

aus dem Buch von Keppler und Lemke: „Mit Lehm gebaut”

Wiederbelebung einer alten Kulturtechnik

Seegras als Dämmstoff erfährt gerade eine Renaissance. Ein kleiner Seegrashandel im Kreis Stormarn hat letztes Jahr begonnen, dänisches Seegras in Deutschland zu vertreiben. Es ist von besonders guter Qualität, da die zwei Landwirte, die es ernten und wie Heu trocknen und zu Ballen pressen, die Erfahrung mehrerer Generationen einfließen lassen, schon ihre Urgroßväter haben Seegras geerntet und verkauft.

Wichtig bei der Nutzung von Seegras ist, den Schwerpunkt auf das Gewinnen von hochwertigem, natürlichen Dämmmaterial zu setzen, die gründliche Strandreinigung sollte die zweite Priorität sein. Das Konzept, das mit Baggern zusammengeschobene Material mit großen Maschinen wieder zu reinigen, geht nicht auf, diese Erfahrung musste vor knapp 10 Jahren eine Firma aus dem Klützer Winkel (östlich von Lübeck) machen. Es gilt also auch die - besonders nachhaltige - alte Kultur des Seegrassammelns wieder zu beleben.

Die Vision am Horizont ist, dass Landwirte an unserer Ostseeküste sich davon inspirieren lassen, ein wenig Experimentierfreude zeigen und die Herstellung von „Seeheu” als risikofreien Nebenerwerb (keine Investitionen sind erforderlich) ausprobieren...

Jörn Hartje

Gerne beraten wir interessierte Landwirte und Bauherren...

Baltischer Seegrashandel
Jörn Hartje und Swantje Streich
Trenthorst 17a
23847 Westerau
04539/181686
joern@seegrashandel.de
www.seegrashandel.de

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