(Gegenwind 293, Februar 2013)


Film

„Gastarbeiterkinder” - HamburgerInnen aus Spanien

Der Film „Auf vielen Stühlen - Ein Leben in Deutschland” über das Aufwachsen und Leben in Alemania mit spanischen Eltern ist jetzt auf DVD erschienen.

Vicente Martínez, Andrea Miragaya, Rosa Fava, Encarnación Gutiérrez und José Valdueza - fünf sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Sie sind mit einem oder zwei Elternteilen aus Spanien in Deutschland aufgewachsen, leben in Hamburg. In dem Dokumentarfilm „Auf vielen Stühlen - Ein Leben in Deutschland” erzählen, wie es war, als „Gastarbeiterkind” aufzuwachsen. Ihre Eltern kamen in den 1960er Jahren in die Bundesrepublik. Viele kamen damals als MigrantInnen aus dem franquistischen Spanien, weil sie dort keine Perspektive für sich sahen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Viele waren „Rotspanier”, wie die in der Diktatur diskriminierten Anhängerinnen der in Bürgerkrieg besiegten spanischen Republik bezeichnet wurden.

1960 hatte Deutschland mit Spanien das zweite Anwerbeabkommen geschlossen. 1962 waren bereits 62.000 ArbeitsmigrantInnen aus Spanien registriert, bis zum Anwerbestopp von 1973 wurden es etwa 600.000. Beim Anwerbeabkommen ging es Deutschland nicht um Einwanderung, sondern um die befristete Rekrutierung von Arbeitskräften. Spanien ging es laut dem Direktor des spanischen Migrationsinstitutes um ein Sicherheitsventil, indem Unzufriedene, Arbeitssuchende zum Arbeiten im Ausland ermutigt wurden. Da Deutschland an Arbeitskräften interessiert war, nicht an Einwanderung, gab es für die mitkommenden Kinder keine besondere Aufmerksamkeit.

Andrea Miragaya erzählt, wie ihre Familie als Gastarbeiter selbstverständlich am Rande des Dorfes lebte, wie die anderen Arbeitsmigrantinnen - in heruntergekommenen Häusern. Bei den Dorffesten bekamen traditionell alle Kinder, die bei den Wettbewerben mitmachten einen Preis. Bei ihrem Namen stockte der Preisrichter, über Lautsprecher mokierte er sich, was dass denn für ein komischer Name sei. Von nun an waren die Gastarbeiterkinder vom Dorffest ausgeschlossen.

Encarnación Gutiérrez schildert ihre Kindheit in einer Barackensiedlung in Frankfurt. Als sie in die Schule im benachbarten Stadtteil kam, bemerkte sie und ihre Eltern bei den deutschen Eltern, die aus der Mittelschicht kamen, eine Abgrenzung, aus zwei Gründen, wie sie rückblickend meint: nicht nur, dass sie „Ausländer” waren, dazu kamen sie auch noch aus der Arbeiterklasse.

Die Hamburger Hochhaussiedlung Osdorfer Born sei fast wie eine Favela, schildert José Valdueza - Randständige aus ganz Norddeutschland seien dort gestrandet. Und MigrantInnen, wie seine Familie. Von Deutschen wurde er dort als „Kanake” beschimpft. Er schildert, wie er immer alles besser machen wollte. Im Gegensatz zu den meisten Kindern deutscher Eltern dort machte er Abitur. Um den Zugang zum Gymnasium mussten seine Eltern für ihn kämpfen. Heute ist er Arzt. Alle fünf GesprächspartnerInnen der Regisseurin Ainhoa Montoya Arteabaro haben Universitätsabschlüsse.

Im selbstorganisierten Spanischen Elternverein in Hamburg und ähnlichen Anlaufstellen wurden Briefe geschrieben, Behördengänge organisiert, um die Abschiebung der Gastarbeiterkinder auf Hilfs- oder Hauptschulen zu verhindern. Das deutsche Schulsystem ist klassistisch und germanozentriert, erklärt Vicente Martínez, mit der Festlegung der Schullaufbahn werde auch die spätere soziale Position vorbestimmt. Er arbeitet als Sozialarbeiter bei einem migrantischen Kulturverein in Hamburg.

Ein diffuses Gefühl der Peinlichkeit, irgendwie falsch zu sein schildert Rosa Fava aus Ihrer Kindheit. Später kam das Bewusstsein, dass sie durch den ganz alltäglichen Rassismus ausgegrenzt und abgewertet wurde.

Wie die fünf Befragten den Rassismus in Deutschland analysieren, sowohl den staatlichen als auch den gewöhnlichen in der Bevölkerung verdichtet die Regisseurin in den ineinander montierten Interviews zum Schluss hin. Die Regisseurin Ainhoa Montoya Arteabaro, selbst 1998 nach einem ersten Studium aus Madrid eingewandert, hat in den Interviews, die sie in den Wohnzimmern der Befragten geführt hat, eine Vertrautheit erreicht, die fesselnd offenherzige, emotionale Aussagen dokumentiert.

Die Interviews in dem weitgehend spanischsprachigen Film sind kunstvoll verwebt und mit Bildern aus der Umgebung ihrer Wohnungen und von einigen Arbeitsstätten angereichert. Eine spannende Sicht auf Deutschland aus der Perspektive ehemaliger „Gastarbeiterkinder”.

Gaston Kirsche

„Auf vielen Stühlen - Ein Leben in Deutschland / Sobre varias sillas - Una vida en Alemania”, D 2011, 83 min, Spanisch mit deutschen Untertiteln, Regie: Ainhoa Montoya Arteabaro.
Für 19,90 Euro erhältlich im Internet bei: www.videowerkstatt.de

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