(Gegenwind 292, Januar 2013)

Necati Abay

„In der Türkei zum Schweigen gebracht...”

Repression in der Türkei - Linker türkischer Journalist beantragt politisches Asyl in Deutschland

Der linke Journalist und langjährige Sprecher der „Solidaritätsplattform für inhaftierte JournalistInnen”, Necati Abay aus Istanbul, wurde im Oktober in der Türkei zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er befand sich gerade auf einer Vortragsreise in Europa, als das neuerliche Urteil gegen ihn gefällt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, bei seiner Rückkehr in die Türkei direkt für die nächsten 10 bis 15 Jahre im Gefängnis zu verschwinden zwang ihn, nicht nach Istanbul zurück zu kehren sondern in Deutschland politisches Asyl zu beantragen.

Im Frühjahr 2012 war Necati Abay im Rahmen einer bundesweiten Veranstaltungsreihe unter dem Titel „NICHTS SEHEN - NICHTS HÖREN - NICHTS SAGEN - Freies Denken unter Strafe - Pressefreiheit in der Türkei” in Deutschland zu Gast und berichtete auf elf Veranstaltungen ausführlich über die desolate Lage der Pressefreiheit in der Türkei und die anhaltende Repression insbesondere gegen linke und kurdische Oppositionelle. Die Vortragsreihe wurde von der Roten Hilfe Kiel, der AGIF (Almanya Göçmen Isçiler Federasyonu / Föderation der ArbeitsimmigrantInnen in Deutschland e.V.) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung SH organisiert.

Auf seiner Veranstaltung am 3. Mai 2012 im Kieler Literaturhaus schilderte Necati Abay vor über 90 ZuhörerInnen eindrucksvoll seine Geschichte und die der Verfolgung und Zensur kritischer politischer JournalistInnen in der Türkei. Abay veranschaulichte auf der erfolgreichen Rundreise vor hunderten Menschen den Kampf gegen das reaktionäre AKP-Regime und berichtete über das Ringen um die Pressefreiheit in der Türkei. Es konnten viele Kontakte geknüpft werden. Internationale Solidarität war nicht mehr bloß ein Schlagwort sondern praktisch spürbar und vermittelt.

Diese Kontakte und Solidarität halfen Necati dann auch, der Verhaftung in der Türkei zu entgehen und nun, mit dem Antrag auf Asyl in Deutschland, seine Situation zu veröffentlichen.


Auftakt der Veranstaltungsreihe in Kiel am 3. Mai 2012 anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit

„Die türkische Republik bietet mir zwei Wege an: Entweder ins Gefängnis oder ins Exil. Ich bin damit in der Türkei zum Schweigen gebracht” schreibt Necati Abay in seiner Pressemitteilung (siehe unten). Er ist einer der JournalistInnen, die immer wieder auf Missstände in der türkischen Gesellschaft hinweisen, er arbeitete u. a. für die sozialistische Wochenzeitung „Atilim” und ist Mitbegründer und Sprecher der Solidaritätsplattform für Inhaftierte JournalistInnen in der Türkei (Tutuklu Gazetecilerle Dayanisma Platformu /TGDP). Die TGDP wurde 2004 gegründet und ist ein Zusammenschluss von über 80 Gewerkschaften und Berufsverbänden von JournalistInnen und SchriftstellerInnen in der Türkei. Aufgrund seines politischen Engagements und seiner journalistischen Tätigkeiten wurde Neacti Abay mehrfach inhaftiert und mit Gerichtsprozessen überzogen. Während seiner Haft wurde er schwer gefoltert. Sein „Vergehen”: er hatte 2003 als Redakteur der Zeitung „Atilim” über Bombenanschläge berichtet. Über diese haben auch alle anderen Zeitungen der Türkei ausführlich geschrieben. Die Staatsanwälte behaupteten in ihrer Anklage jedoch, Necati Abay sei der Koordinator jener Bombenanschläge gewesen - eine unter Folter erpresste Aussage eines anderen Gefangenen diente als „Beweis”. Obwohl der angebliche Zeuge seine vermeintliche „Aussage” nach seiner Freilassung sofort widerrief und von seinen Folterungen während der Verhöre berichtete, wurde die Anklage gegen Necati Abay weiterhin aufrecht erhalten. Im Mai 2011, ganze acht Jahre später, wurde er in einem reinen Indizien-Prozess zu einer Gefängnisstrafe von 18 Jahren und 9 Monaten verurteilt.

In der Berufungsverhandlung im Oktober 2012 wurde sein Strafmaß nun auf „lediglich” 10-15 Jahre heruntergeschraubt. Necati Abay soll für seine kritischen Meinungsäußerungen zum Schweigen gebracht werden, in türkischen Gefängnissen ist Folter und Mord an Oppositionellen an der Tagesordnung. Er hätte bei einem Haftantritt das Schlimmste zu befürchten. Während der Verhandlung war Necati Abay in Westeuropa, im Falle eines Freispruchs wollte er zu seiner Familie, seinen FreundInnen und KollegInnen in die Türkei zurückkehren. Mit dem bestätigten Urteil steht für ihn nun fest: „Mein 9jähriger Kampf nach Gerechtigkeit ist somit mit einem Leben im Exil beendet”.

In Kiel wurde schon zu verschiedenen Anlässen Geld für Necati gesammelt und weitere Spendensammlungen und Aktivitäten sind geplant, denn die internationale Solidarität ist ein wichtiger Faktor im Kampf gegen staatliche Repression und für gesellschaftliche Emanzipation weltweit. Die Rote Hilfe Kiel ist schon seit längerem in freundschaftlichem Kontakt mit Necati Abay und wird ihn auch weiterhin mit allen Kräften unterstützen!

Rote Hilfe
Ortsgruppe Kiel

Spendenkonto: Rote Hilfe Kiel, KTO 88422107, BLZ 20010020, Postbank Hamburg, Stichwort: Necati

www.rote-hilfe.de

Dokumentation

In der Türkei wurde ich zum Schweigen gebracht! Nun bin ich ein Journalist im Exil.

Ich werde mich bemühen, die Solidaritätsplattform mit den Inhaftierten Journalisten (TGDP), die im Februar 2004 gegründet war und deren Sprecher ich war, nun im Exil weiter zu vertreten und meine journalistische Tätigkeit und meinen Kampf für die Presse- und Meinungsfreiheit unter den Exil-Bedingungen fortzusetzen.

Vielleicht sind Sie einer von den Tausenden Zeugen meines Kampfes, den ich für die Presse- und Meinungsfreiheit, Aktions- und Organisationsfreiheit in der Türkei geführt habe.

Als ein „hartnäckiger” Meinungsäußerer bin ich dreimal im Gefängnis gewesen. Während des faschistischen Staatstreichs vom 12. September 1980 bin ich im Gefängnis Metris geblieben. Zu Zeiten des Postmodernen Putsches im Jahr 1997 im Gefängnis Gebze und im Jahr 2003 habe ich wegen des noch anlaufenden Komplottverfahrens im Gefängnis Tekirdag gesessen.

Nun hat die AKP-Regierung mich gezwungen, in Deutschland Asyl zu beantragen.

Ich war wegen einer Veranstaltungsreihe zum Thema „Pressefreiheit in der Türkei” in Europa und hatte gerade die Veranstaltungen in Deutschland, der Schweiz und Frankreich hinter mir, als das Berufungsgericht der Türkei am 15. Oktober 2012 seine Entscheidung über mein Verfahren bekannt gegeben hat. Ich habe daraufhin die Veranstaltungen in Belgien und Niederland abgesagt und auch von der Rückreise in die Türkei abgesehen. Ich musste daraufhin in Deutschland Asyl beantragen.

Die türkische Republik bietet mir zwei Wege an: Entweder ins Gefängnis oder ins Exil. Ich bin damit in der Türkei zum Schweigen gebracht.

Das 12. Staatssicherheitsgericht Istanbuls verurteilte mich am 4. Mai 2011 mit der Behauptung „führender Kader einer Organisation zu sein” zu 18 Jahren und 9 Monaten Haftstrafe. Sowohl meine Anwältin Gülüzar Tuncer als auch ich haben gehofft, dass das Berufungsgericht dieses Urteil abweisen und mich freisprechen wird, da, wie auch in der Urteilsbegründung dargelegt, das Gericht mich mit der Begründung „kein Beweis, aber eine Vermutung” verurteilt hatte. Wenn kein Beweis vorhanden ist, dann kann auch keiner gefunden werden. Die Entscheidung des Gerichts war keine rechtliche sondern eine politische. Trotz alledem hat die 9. Kammer des Berufungsgerichts am 15. Oktober 2012 entschieden (Urteilsbegründung wurde noch nicht veröffentlicht), angeblich das Strafmaß von 18 Jahren und 9 Monaten Haftstrafe zu hoch befunden und das Urteil zu meinen Gunsten abgeändert, gleichzeitig jedoch entscheiden, dass ich wegen angeblicher „Mitgliedschaft einer Organisation” zu 10 bis 15 Jahren Haftstrafe verurteilt werde und somit die Rechtlosigkeit bestätigt und gegen mich entschieden.

Für mich bedeutet dieses zusammenfassend: Soll Necati Abay mit 18 Jahren und 9 Monaten oder zu 10 bis 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden?

Mein 9jähriger Kampf nach Gerechtigkeit ist somit mit einem Leben im Exil beendet.

Es gibt einige Gründe, warum ich eine schwere Haftstrafe bekommen soll.

Vor 9 Jahren, als ich als Editor und Schriftsteller für die Zeitung Atilim arbeitete, hatte die Polizei ein Komplott gegen mich konstituiert. In meiner Person wird damit die Zeitung Atilim erneut bestraft. Nach meiner Verhaftung und späteren Freilassung durch das Gericht habe ich mit einer Gruppe von oppositionellen JournalistInnen im Februar 2004 die Solidaritätsplattform mit den Inhaftierten Journalisten (TGDP) gegründet. Seit Gründung dieser Plattform bin ich deren Sprecher. Die Solidaritätsplattform mit den Inhaftierten Journalisten hat bei der Veröffentlichung der Fakten zur Situation der JournalistInnen, dies waren u.a. die Tatsache, dass die Türkei bezüglich der Anzahl der Inhaftierten JournalistInnen auf Platz eins weltweit steht sowie die großen Probleme im Bereich der Presse- und Meinungsfreiheit, eine besondere Rolle gespielt. Die harsche Kritik von Ministerpräsident Erdogan gegen die TGDP am 7. März 2012 (ohne den Namen zu nennen), war ein Zeichen, mich dafür zu bestrafen oder mich zu zwingen, ins Exil zu gehen.

Ich bin auch einer von denen, der gegen den vor kurzem zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Polizeipräsidenten Istanbuls gewordenen Polizeikommissar Sedat Selim Ay, der als Folterer bekannt ist, vor Gericht gezogen ist und gegen ihn eine Verurteilung erreichen konnte. Ich bin einer von denen, die wegen Folter gegen die Türkische Republik bei dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EUGH) geklagt haben. Der EUGH hatte am 6. April 2010 die Türkei verurteilt. Die Klagen gegen den Folterer und das Erreichen einer Verurteilung sind Gründe dafür, warum der türkische Staat mich ins Gefängnis stecken möchte oder zum Exil zwingt.

Ich bin seit der Veranstaltung am 19. Oktober 2012 Mitglied der Organisation Reporter Ohne Grenzen.

Hochachtungsvoll...

Necati Abay
Vertreter der Solidaritätsplattform mit den Inhaftierten Journalisten (TGDP) im Exil (25.11.2012)

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