(Gegenwind 286, Juli 2012)

Desertec-Szenario
Desertec-Szenario

Nur aus Wind und Sonne?

Ist die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien bei der Stromerzeugung möglich?

Vortrag der Lübecker Gruppe der Bürgerbewegung für Kreislaufwirtschaft zeigte Perspektiven auf

Die Diskussion über die Energiepolitik wird in Deutschland mit größerem Eifer geführt als anderswo. Sie begann bereits in siebziger Jahren als Reaktion auf den Beginn der massiven Nutzung der Atomenergie. Die ständig steigende Bereitstellung von Energie galt als unverzichtbar für die Absicherung des politisch bedenkenlos vorangetriebenen Wirtschaftswachstums. Die Gefahren und andere negative Nebenwirkungen der Atomenergie oder der Nutzung fossiler Brennstoffe blieben der Bevölkerung weitgehend verborgen oder wurden einfach relativiert. Letztlich hat die Zerstörung der Atomkraftwerke im japanischen Fukushima, ausgelöst durch einen Tsunami, und die damit verbundenen erneuten massiven Proteste die amtierende Bundesregierung verlasst, einen früheren Beschluss über die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke rückgängig zu machen und den Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie zum Jahr 2022 zu beschließen. Bis 2020 soll der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung 35 % betragen, 2010 waren es ca. 17 %.

Wie gestaltet sich die Zukunft mit einer Stromerzeugung aus 100 % erneuerbaren Energien? Um diese Herausforderung ging es im Vortrag der Lübecker Gruppe der Bürgerbewegung für Kreislaufwirtschaft am 31. Mai im Veranstaltungshaus Diele, Mengstraße 41, in Lübeck. Der Physiker Dr. Gert Balzer stellte eine von Prof. Josef Lutz, TU Chemnitz, ausgearbeitete Konzeption vor. Die Resonanz auf den Vortrag zeigte, dass sich einerseits in Lübeck wie in anderen Regionen Einzelpersonen und Gruppen seit Jahren intensiv mit der Thematik auseinandersetzen, andererseits doch immer noch ein großer Aufklärungsbedarf besteht. Die Informationen von Regierungsstellen, Parteien oder Medien sind trotz zahlreicher Broschüren und Internetportale immer noch völlig unzureichend. Viele Bürger sind über Zusammenhänge, Möglichkeiten oder Nebenwirkungen der Energieerzeugung und -versorgung uninformiert und verunsichert oder bleiben wegen der verwirrenden Informationspolitik desinteressiert.


Neben Wasser, Batterien und Wasserstoff, kann auch Salz als Speichermedium genutzt werden.

Einsparkonzepte, regionale Versorgung, europäisches Verbundnetz

Eine Energiewende, die die Umwelt schont und die berechtigten Interessen von Betroffenen angemessen berücksichtigt, ist mit erheblichen Anstrengungen verbunden. Protagonisten und Verantwortliche neigen grundsätzlich immer wieder dazu, genau dies zu verkennen oder sogar zu verleugnen. Insofern ist jede Form ganzheitlicher Aufklärung, gerade von wirtschaftlich unabhängigen Akteuren, zu begrüßen.

Der Vortrag machte zunächst sehr deutlich, dass die Energieeinsparung absolute Priorität erhalten muss. Diese Vorgabe ist relativ unpopulär, da sie je nach den Ansprüchen mit mehr oder weniger starken Veränderungen der Lebensweise verbunden sein kann. Die Gebietskörperschaften, größere öffentliche Einrichtungen und die Wirtschaft müssen dazu veranlasst werden, Energiesparkonzepte zu erstellen und zügig umsetzen.

Die gegenwärtige Nettostrommenge von rund 540 Mrd. kWh (TWh) kann nach vorliegenden Erkenntnissen ohne besonderen Verzicht um über 20 % reduziert werden. Die installierte Leistung von Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbarer Energien reicht rechnerisch bereits aus, den Spitzenbedarf zu decken (2009: Tagesspitzenverbrauch rund 73 GW, Erzeugung rund 93 GW). Das Hauptproblem ist die Tatsache, dass die Einrichtungen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien den Strom nicht entsprechend dem Bedarf erzeugen und dass keine ausreichenden Speicherkapazitäten zur Verfügung stehen. Die Differenz von Erzeugung und Abnahme darf +/-5 % nicht überschreiten. Um die Sicherheit der Stromversorgung zu gewährleisten, sind, solange keine Vergleichmäßigung von Erzeugung und Abnahme regeltechnisch oder über Speicher sichergestellt werden kann, Ersatzkraftwerke erforderlich.

Grundsätzlich ist eine regionale Eigenversorgung anzustreben. Die nationale Versorgung über erneuerbare Energien stützt sich vor allem auf Windenergie, auf Photovoltaik, zu einem deutlich geringeren Teil auf Biomasse. Die Möglichkeiten sind aber begrenzt, zudem fehlen neben Übertragungsleitungen auch Speicherkapazitäten. Da Verbraucher, Industriebetriebe und Städte, nicht allein regional versorgt werden können, muss gleichzeitig ein großräumiger europäischer Verbund über ein Gleichstromnetz geschaffen werden. In diesen Verbund sollten wegen des großen Sonnenenergiepotenzials interessierte Regionen aus Nordafrika einbezogen werden. Über das interessanteste Potenzial in Form von Wasserkraft und Pumpspeicherwerken verfügt Norwegen.

Die Übertragung von großen Strommengen von Gleichstrom über lange Strecken ist bereits erprobt, allerdings als Verbund bisher nicht über Deutschland hinaus geplant. Die deutschen Verantwortlichen haben es versäumt, sich mit den europäischen Nachbarn abzustimmen. Gleichstromleitungen können übrigens auch unterirdisch verlegt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, vorhandene Wechselstromtrassen zu nutzen.

Die vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien (der Strombedarf beträgt im Mittel deutschlandweit und weltweit weniger als 20 % des gesamten Energiebedarfs) muss auch mit einer Verkehrs-, einer Agrarwende und mit einer teilweisen Umstellung der Ernährung verbunden sein, wie mehrere Diskussionsteilnehmer der Veranstaltung in Lübeck unterstrichen. Zudem kommt es darauf an, vorhandene regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken und neue aufzubauen. Stadt- und Gemeindewerke können kooperieren, Privatisierungen sind rückgängig zu machen.

Den Kosten eines europäischen Verbundnetzes mit den entsprechenden Stromerzeugungseinrichtungen und den Speicherkapazitäten sind die Kosten der Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschäden, den Risikokosten der Stromerzeugung durch Atom- und Kohlekraftwerke , sowie den Entsorgungskosten gegenüber zu stellen.

Politikwende

Um eine neue Umwelt- und Energiepolitik durchzusetzen, müssen die vorhandenen Möglichkeiten des Bürgerengagements genutzt und erweitert werden. Die Umweltakteure müssen sich regional, national und international organisieren und auf diesen Ebenen agieren. Die größte Hürde für eine Politikwende ist die Konzentration von Macht und Kapital, die durch Wahlentscheidungen, Volksentscheide und andere Formen des politischen Engagements zu überwinden ist. Es ist nicht hinzunehmen, dass Konzerne und private Investoren Fördermittel erhalten und Gewinne machen, eine Minderheit den negativen, auch finanziellen Folgen einer verfehlten Energiepolitik ausgesetzt ist und alle Kosten pauschal auf die Stromverbraucher, mit Ausnahme von Großverbrauchern, übertragen werden.

Im Herbst soll in Lübeck eine weitere Veranstaltung zum Themenbereich Energiewende/Kreislaufwirtschaft stattfinden.

Klaus Peters

Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ist besonders für lange Übertragungswege mit wenigen Abzweigungen wirtschaftlich einzusetzen. Sie wird seit vielen Jahren weltweit genutzt. China hat die ehrgeizigsten HGÜ-Ziele. Die bisherigen Trassen sind bis zu 2000 km lang und übertragen bis zu 6000 MW. In Nordeuropa ist die längste Unterwasser-HGÜ-Trasse zwischen Norwegen und den Niederlanden (450 km/700 MW) verlegt worden. Weitere, in der Ostsee verlegte Trassen bestehen zwischen Schweden, Dänemark und Deutschland. Hinzukommen soll eine Verbindung zwischen Norwegen und Deutschland.

Weitere Informationen z.B. über:
www.total-recycling.org
www.desertec.org
www.umweltratschlag.de
www.energieverbraucher.de (Energiestammtisch Regionalgruppe Lübeck)
www.germanwatch.org
www.wikipedia.de

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