(Gegenwind 280, Januar 2012)
In Australien, Belgien, Großbritannien, Österreich, Schweden, USA und ungefähr 20 weiteren Ländern gibt es sie bereits: „Fairtrade-Towns”. Inzwischen sind es schon über 1.000, in Deutschland über 60; darunter Saarbrücken, Neuss, Dortmund, Marburg und Hamburg. Am 30. November wurde nun endlich auch in Schleswig-Holstein eine Stadt als Fairtrade-Stadt ausgezeichnet: Lübeck.
Seit Januar diesen Jahres gibt es in Lübeck den „Arbeitskreis Faire Stadt”. Er hat sich vorgenommen, den Fairen Handel in Lübeck voranzubringen. Sein erstes Etappenziel hatte er gleich zu Anfang kurz und knapp formuliert: Lübeck wird Fairtrade-Stadt - noch in diesem Jahr. Dieses ehrgeizige Ziel hat er in Rekordzeit von nur acht Monaten erreicht, weil dafür in Lübeck bereits seit vielen Jahren eine gute Grundlage gelegt war und weil in dem Arbeitskreis Menschen aus vielen unterschiedlichen Zusammenhängen sehr engagiert ihre Qualifikationen eingebracht haben. In ihm sind vertreten: der BUND, Contigo, EVG Landwege, ev..Jugend des Kirchenkreises Lübeck/Lauenburg, die Bürgerschaftsfraktion der Grünen, der SPD und Die Linke, das Johanneum, terre des hommes, die Verbraucherzentrale, die Verwaltung der Hansestadt und natürlich der Weltladen. Bereits am 15. September konnte Bürgermeister Bernd Saxe das Bewerbungsformular unterschreiben und am 30. November luden Stadtpräsidentin Schopenhauer und Bürgermeister Saxe nun die Honoratioren der Stadt und die Aktiven des Fairen Handels zu einem Empfang in den Audienzsaal des Rathauses ein. Der Anlass: Die Auszeichnung der Hansestadt Lübeck als Fairtrade-Stadt und Übergabe der Urkunde durch den Geschäftsführer von Transfair, Dieter Overath, an den Bürgermeister.
Wer aber steht hinter der Kampagne? In Deutschland wird die „Kampagne Fairtrade-Towns” von TransFair e.V. getragen. TransFair ist in Deutschland als unabhängige Siegelinitiative für die Auszeichnung fair gehandelter Produkte mit dem Fairtrade-Siegel verantwortlich.
Und was ist Fairtrade? Fairtrade ist das weltweit größte Sozialzertifizierungssystem. Bei den Verbrauchern genießt das internationale Fairtrade-Siegel Vertrauen und eine sehr hohe Akzeptanz. Es gewährleistet die Einhaltung höchster sozialer, ökonomischer und ökologischer Standards und ist für den Verbraucher eine Garantie für ein fair gehandeltes Produkt. Auf Respekt und Transparenz beruhende Handelsbeziehungen ermöglichen benachteiligten Produzentengruppen aus Entwicklungsländern eine nachhaltige Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Die grundlegenden Standards für das Fairtrade-Siegel sind: transparente, existenzsichernde Preise für die Produzentengruppen, die die Kosten einer nachhaltigen Produktion decken; eine zusätzliche Prämie, die für Gemeinschaftsprojekte verwendet wird (z.B. den Bau von Schulen und Krankenhäusern, Fortbildungen für Produzenten, Investitionen in die Infrastruktur); das Verbot illegaler Kinderarbeit; die Möglichkeit zur Vorfinanzierung der Ernte und langfristige Handelsbeziehungen ; eine nachhaltige, umwelt- und gesundheitsschonende Anbauweise ; feste Preisaufschläge für biologische Anbaumethoden.
Der Faire Handel kann inzwischen große Erfolge sowohl im Süden, als auch im Norden vorweisen. Laut Transfair gibt es rund 1000 Fairtrade-zertifizierte Produzentenorganisationen in 63 Ländern, und für über 6 Millionen Menschen wird das Leben durch Fairtrade verbesert. Als Erfolge im Norden nennt Transfair folgende Zahlen: 79 Konsumentenländer, in denen Fairtrade-zertifizierte Produkte erhältlich sind;1.200 registrierte Händler; 2.700 Lizenzpartner weltweit; 27.000 Produkte, die mit Fairtrade-zertifizierten Rohstoffen hergestellt wurden (food und non-food) und 3,4 Milliarden EURO Umsatz mit Fairtrade-Produkten in 2009.
In Deutschland gibt es ungefähr 1.000 Artikel, die von 194 Lizenznehmern in über 30.000 Supermärkten, 800 Weltläden und vielen Bioläden, Reformhäusern und Naturkostläden sowie 18.000 gastronomischen Betrieben vertrieben werden. Spitzenreiter sind Kaffee, Blumen, Bananen, Fruchtsäfte und Süßwaren. Über 53 Prozent aller Produkte haben Bio-Qualität. Der Umsatz mit Fairtrade-Produkten im Jahr 2010 betrug 340 Mio.EUR
Fünf Bedingungen musste Lübeck erfüllen: Wegbereitend war der von der Steuerungsgruppe initiierte Beschluss der Bürgerschaft vom 30.Juni 2011, in den Ausschüssen sowie im Bürgermeisterbüro Fairtrade-Kaffee sowie ein weiteres Produkt aus Fairem Handel zu verwenden. Weiter mussten entsprechend der Einwohnerzahl 31 Geschäfte und 16 gastronomische Betriebe gefunden bzw. neu geworben werden, die Produkte aus Fairem Handel anbieten bzw. ausschenken. Bis zum 15. September konnte die Gruppe bereits 84 Geschäfte und 17 Cafés und Restaurants benennen. Inzwischen sind es noch mehr. Außerdem mussten sich je zwei Schulen, Vereine und Kirchengemeinden verpflichten, einmal pro Jahr eine attraktive Aktion durchzuführen. Gefunden bzw. angeworben wurden 2 Schulen, 16 Kirchengemeinden/ kirchliche Einrichtungen, 6 Vereine. Örtliche Medien müssen über die Aktivitäten auf dem Weg zur Fairtrade-Stadt berichten. Dies taten die Lübecker Nachrichten, die Lübecker Stadtzeitung, HL-Live, Ok Lübeck, ULTIMO, Teatime und die Lübeckischen Blätter, die meisten sogar mehrfach. Dazu schuf die Steuerungsgruppe mehrere Anlässe, wie ein Pressegespräch mit der Stadtpräsidentin bei Contigo, die Unterzeichnung des Bewerbungsformulars durch den Bürgermeister und die Verkostung mit Produkten aus Fairem Handel für die Mitglieder der Bürgerschaft. Darüber hinaus haben Mitgliedsgruppen während der Fairen Woche mehrere Veranstaltungen durchgeführt.
Inzwischen hat der Arbeitskreis unter dem Motto „Fairtrade in der Hansestadt Lübeck” auch den ersten Stadtplan herausgegeben, mit dem man sich „fairlaufen” kann. In ihm sind für die Altstadtinsel die Cafes, Restaurants und Geschäfte eingezeichnet und mit Adresse aufgeführt, die sich an der Aktion beteiligen. Weiter hat der Arbeitskreis ein Logo entwerfen und Aufkleber drucken lassen, mit dem sich diese Cafes, Restaurants, Geschäfte am Schaufenster und auf ihrer Internetseite als Teilnehmer an der Kampagne kenntlich machen können.
Lübeck darf sich nun Fairtrade Stadt nennen. „Wir sind stolz und dankbar, dass wir dabei sind.” So Bürgermeister Saxe. Das sei „ein völlig neuer Start in der über 850-jährigen Geschichte unserer Stadt”. Auch Harald Bach, Referent für Entwicklungszusammenarbeit im Umweltministerium in Kiel, der die Glückwünsche seines Ministeriums überbrachte, freute sich, dass die Fairtrade-Towns Kampagne nun auch im Norden angekommen sei und betonte, das Verbraucherverhalten in den Industrieländern habe einen gewaltigen Einfluss auf die Entwicklungsländer - weshalb es das Hauptziel Kampagne sei, ein nachhaltiges Verbraucherverhalten in den Industriestaaten zu bewirken. Die fair gehandelten Weine und Säfte und die Köstlichkeiten, die die beteiligten Cafés und Restaurants später im kleinen Börsensaal anboten, haben mit Sicherheit dazu beigetragen.
Für den Arbeitskreis Faire Stadt war die gelungene Veranstaltung aber vor allem dies: ein schöner weiterer Schritt auf Lübecks Weg zu einer Stadt des Fairen Handels im umfassenden Sinne. Die Gruppe sieht nämlich noch viel Arbeit vor sich und will sie ebenso engagiert wie bisher anpacken: Die Kommune ist von beispielhafter öko/fairer öffentlicher Beschaffung noch weit entfernt, viele namhafte Cafes und Restaurants und viele Kirchengemeinden beteiligen sich noch nicht an der Kampagne, der Anteil fair gehandelter Produkte an deren Gesamtumsatz ist in Lübeck - wie in Deutschland überhaupt - immer noch minimal. Dazu Horst Hesse als Sprecher des Arbeitskreises: „Es gibt also noch viel zu tun. Für alle von uns. Denn jeder/jede kann helfen, indem er Produkte aus Fairem Handel kauft, indem sie gezielt die Cafes und Restaurants aufsucht, die Produkte aus fairem Handel anbieten, indem er gegebenenfalls im Lieblings-Cafe, -Restaurant, der Schule, der Kirchengemeinde, im Verein anregt, sich der Kampagne anzuschließen, indem die bereits beteiligten Geschäfte, Cafes, Restaurants ihr Angebot an fair gehandelten Produkten bzw. mit diesen Zutaten vergrößern. Heute ist der Faire Handel im Rathaus, also mitten in Lübeck, angekommen, lassen Sie uns das heute gemeinsam feiern und ab morgen dazu beitragen, dass er auch mitten in der Gesellschaft ankommt, also nicht nur im Audienzsaal, der guten Stube der Stadt, sondern auch in den guten Stuben der Mehrheit der Lübecker Familien.”
Der Empfang würde musikalisch würdig umrahmt von Natalija Valentin am Klavier und den Geschwistern Constantin und Felicitas Schiffner an Klavier und Geige.
Horst Hesse
Fotos sind von Reinhard Bartsch, Lübeck-TeaTime