(Gegenwind 249, Juni 2009)

Dolmetscher-Treffen / Migration

Dolmetschen für Eltern und Lehrer, Ärzte und PatientInnen: Kein Beruf?

Es ist kein Geheimnis, dass ausländische Schülerinnen und Schüler weit schlechter als Einheimische abschneiden. Patientinnen und Patienten, die wenig oder kein Deutsch sprechen, verbringen bei gleichen Krankheiten oder Operationen längere Zeit im Krankhaus zu und werden öfter von Arzt zu Arzt geschickt.

Ein Problem ist die Verständigung. Eigentlich kein Problem - es gibt ja genug Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Sobald Lehrerinnen und Lehrer mit den Eltern sprechen, klappt die schulische Karriere der Kinder deutlich besser. Aber tun sie es? - Über das Ansehen des Berufs sprachen wir mit drei Dolmetscherinnen.

Gülten Culha

"Ich habe mein Leben land gedolmetscht"

Gülten Culha ist Rechtsanwältin in Neumünster. Außerdem arbeitet sie als Türkisch- und Arabisch-Dolmetscherin vor allem beim Gericht, aber auch in der Schule und dem Krankenhaus.

Gegenwind:

Wie hast du die Sprachen gelernt, die du jetzt kannst? Und wie bist du nach Deutschland gekommen?

Gülten Culha:

Ich bin in der Türkei geboren, aber meine Vorfahren kommen aus Syrien. Meine Mutter ist 1969 nach Deutschland gekommen, damals war ich erst ein paar Monate alt. Damals durften Frauen mit kleinen Kindern in Deutschland nicht arbeiten. Deshalb bin ich in die Türkei zu meiner Oma geschickt worden. Und meine Oma konnte nur Arabisch. So wurde meine Muttersprache Arabisch. Mit vier Jahren kam ich wieder nach Deutschland, ich konnte nur Arabisch. Die Nachbarskinder waren alle türkisch, und meine Eltern haben nur Türkisch mit mir gesprochen, damit ich das lerne und Anschluss bekomme. Mein Deutsch habe ich zuerst aus dem Fernsehen gelernt. Ich erinnere mich an die Augsburger Puppenkiste und die Sesamstraße. Meine ältere Schwester war damals schon in der Schule, und die hat mit mir nur Deutsch gesprochen.

Gegenwind:

Erinnerst du dich, wann du das erste Mal gedolmetscht hast?

Gülten Culha:

So genau nicht. Ich habe mein Leben lang gedolmetscht. Meistens ging es um türkisch - deutsch. Wenn irgendwelche Termine geholt werden sollten beim Arzt, hieß es nur: Gülten, ruf mal an. Ich bin dann oft zum Arzt mitgelaufen mit meiner Mutter, saß dabei, habe gedolmetscht. Das war schon so, als ich acht war. Ich war gerade in die Schule gekommen.

Gegenwind:

Wie schätzt du aus heutiger Sicht die Qualität deiner Arbeit ein?

Gülten Culha:

Jetzt bin ich ja Dolmetscherin, ich mache das beruflich. Ich weiß, dass ich damals viele Sachen nicht verstanden habe. Die Sachen, die ich nicht verstanden habe, habe ich nicht gedolmetscht. Ich wusste nicht, was der Arzt meint, es waren Fachwörter, die schon normale Menschen nicht verstehen, und ein sieben- oder achtjähriges Kind erst gar nicht. Ich habe es nicht verstanden, und nur die Sachen, die ich verstanden habe, habe ich auch gedolmetscht. Für meine Mutter war das auch nicht zufriedenstellend, weil sie nicht wusste, was sie eigentlich hat. Und sie hat mich oft gefragt: Hast du denn alles übersetzt? Ich habe immer gesagt: Natürlich habe ich alles übersetzt. Aber ich habe alles übersetzt, was ich verstanden habe. Ich glaube, für den Arzt war es auch nicht so wichtig. Die Ärzte waren zwar immer nett, aber sie waren auch daran interessiert, fertig zu werden, damit der nächste Patient reinkommen konnte.

Gegenwind:

Hast du Ärzte erlebt, die gesagt haben, das geht so nicht?

Gülten Culha:

Nein, habe ich nie erlebt. Die haben es immer versucht mit mir als Dolmetscherin.

Gegenwind:

Gibt es Ärzte die wissen, dass Kinderarbeit in Deutschland verboten ist?

Gülten Culha:

Das wissen sie bestimmt. Aber ich glaube, die haben das immer stillschweigend so hingenommen.

Gegenwind:

Du kennst ja viele türkische und arabische Familien hier. Wenn du überlegst, wie viel da gedolmetscht wird - wie viel Prozent der Arbeit machen Kindern?

Gülten Culha:

Ich denke, dass 90 Prozent der Arbeit von Kindern gemacht wird. Nur wenn es wirklich um schwierige Sachen geht, wenn ein Patient im Sterben liegt, wenn eine schwere Operation bevorsteht, dann wird ein Dolmetscher zugezogen. Aber erst werden Familienmitglieder gefragt.

Gegenwind:

Inzwischen bist du Dolmetscherin von Beruf. Wirst du trotzdem gefragt, ob du für Landsleute kostenlos dolmetscht?

Gülten Culha:

Ich habe das ein paar Mal erlebt. Einmal ist es mir auch bei meiner Mutter passiert, ein sehr komplizierter Eingriff musste durchgeführt werden, es sollten mehrere Bypässe gelegt werden nach einem Herzinfarkt. Von den Ärzten hat sich keiner darum gekümmert, dass ein Dolmetscher kommen soll. Ich war eben zufällig da. Erst ist der Narkosearzt gekommen, danach der Arzt der operiert, und die haben mich einfach als Dolmetscherin benutzt. Es hat mehrere Stunden gedauert, aber es war nicht davon die Rede, dass es sich um eine bezahlte Tätigkeit handelt - nicht mal davon, dass überhaupt eine Dolmetscherin gebraucht wird.

Gegenwind:

Kannst du dir erklären, weshalb der Beruf solch ein niedriges Ansehen hat? Bei der Arbeit in der Krankenhausküche oder beim Saubermachen gehen die Ärzte ja nicht davon aus, dass man das für Landsleute kostenlos macht.

Gülten Culha:

Ich glaube, sie halten das nicht für notwendig, da die Familienangehörige Deutsch können. Diese machen sich keine Gedanken darüber, dass das Beherrschen der deutschen Sprache nicht gleichzeitig auch Dolmetschen können bedeutet.

Gegenwind:

Du bist ja nicht nur Dolmetscherin, du bist auch Rechtsanwältin. Wenn jemand vor Gericht steht, auch wenn es ein schlechter Mensch ist, wird selbstverständlich ein Dolmetscher bestellt und bezahlt.

Gülten Culha:

Ja, das wäre auch ein formeller Fehler, keinen Dolmetscher zu rufen. Nämlich insoweit, dass der Angeklagte nach der Verhandlung behauptet er habe der Verhandlung mangels der Sprache nicht folgen können, daher sei ihm auch das Rechtliche Gehör nicht gewährt worden. Im Krankenhaus ist das eben nicht so, deshalb wird weggeguckt.

Gegenwind:

Das Krankenhaus braucht aber eine Zustimmung für die Operation.

Gülten Culha:

Da holen sie sich die Unterschrift. Da wird den Patienten dringend geraten, der Eingriff ist nötig, und dann wird die Einwilligungserklärung auch unterschrieben. Und ein paar Brocken Deutsch können die meisten, dass sie unterschreiben. Aber was genau passiert, verstehen viele eben nicht. Und wenn die Ärzte die Einwilligungserklärung haben, machen sie sich wohl keine Gedanken mehr darüber.

Gegenwind:

Wie hat es denn bei dir in der Schule geklappt? Haben deine Eltern alles verstanden, konnten sie dich unterstützen?

Gülten Culha:

Meine Eltern waren immer dafür, dass ich in die Schule gehe und alle mache, was gemacht werden sollte. Wenn ich nach Hause kam, musste ich immer zuerst meine Hausaufgaben erledigen. Natürlich musste ich auch im Haushalt mit helfen, aber erst hinterher.

Gegenwind:

Haben die Lehrer mit deinen Eltern gesprochen?

Gülten Culha:

Nicht so oft.

Gegenwind:

Sind deine Eltern zu Elternabenden gegangen?

Gülten Culha:

Meine Eltern sind hingegangen, meistens meine Mutter. Mein Vater war oft auf Montage. Ich bin mit meiner Mutter hingegangen. Die ersten vier Jahre war ich auf einer Schule mit überwiegend türkischen Kindern, da waren auch türkische Lehrer, und die konnten mit den Eltern direkt auf Türkisch sprechen. Später, ab der fünften Klasse, bin ich immer mitgegangen. Aber die Lehrer haben nie das Gespräch mit meinen Eltern gesucht, aber ich hatte auch nie Probleme in der Schule.

Gegenwind:

Fanden die Lehrer es normal, dass ein Kind zur Elternversammlung kommt? Die Kinder von den deutschen Eltern kamen sicherlich nicht mit.

Gülten Culha:

Nein, die sind nicht mitgekommen. Ich kann das aus heutiger Sicht nicht wirklich beurteilen. Ich war klein und weiß vieles nicht mehr. Aber ich erinnere mich nicht, dass es irgendwann ein Problem war, dass ich als Kind zu den Elternversammlungen mit kam.

Gegenwind:

Findest du es normal?

Gülten Culha:

Nein, heute finde ich es natürlich nicht normal. Ich habe selber ein Kind in der Schule, und natürlich gehe ich alleine oder mit meinem Mann zur Elternversammlung. Ich finde heute, da haben Kinder nichts zu suchen. Das dauert ja schon bis 22 Uhr, manchmal auch länger, und da sollen Kinder im Bett sein.

Gegenwind:

Hast Du es als Mutter schon erlebt, dass eine andere Mutter ihr Kind mit bringt?

Gülten Culha:

Nein, heute ist das nicht mehr so. Wir sind die zweite Generation, die Eltern heute können meistens deutsch. Und wenn eine Mutter nicht genug Deutsch kann, helfen wir uns gegenseitig. Da arbeite ich dann wieder kostenlos als Dolmetscherin.

Gegenwind:

Die Schule kümmert sich nicht darum?

Gülten Culha:

Nein, gar nicht. Das wird intern geregelt, kostenlos.

Gegenwind:

Was würdest du dir von einer Schule wünschen?

Gülten Culha:

Ich würde mir von einer Schule wünschen, wenn es viele ausländische Eltern gibt, dass Dolmetscher bestellt werden. Das sollten nicht andere mehr oder weniger zufällig nebenbei machen, sondern die Schule sollte dafür sorgen, dass alle Eltern die Informationen bekommen.

Gegenwind:

Du bist jetzt Rechtsanwältin geworden. Warum?

Gülten Culha:

Ich hatte immer ein starkes Gerechtigkeitsgefühl. Ich habe mich von klein auf für andere Menschen eingesetzt. Ich habe mich immer geärgert, wenn jemand ungerecht behandelt wurde, und das war die Intention. Und jetzt macht es mir Spaß.

Gegenwind:

Nutzt du deine Sprachkenntnisse im Beruf?

Gülten Culha:

Nicht so viel wie ich erwartet hatte. Als ich mich selbständig machte, dachte ich, das ist eine Nische. Es gibt hier Anwältinnen und Anwälte, die Türkisch können, aber wenige, die Arabisch können. Ich dachte, es kommen viele, aber erstaunlicherweise habe ich kaum arabische Mandanten. Es sind hauptsächlich Deutsche. Wenn türkische Mandanten kommen, dann unterhalte ich mich aber fast immer auf Türkisch. Das ist auch wichtig, weil viele auch das türkische Rechtssystem im Kopf haben. Dann kann ich auf Türkisch besser erklären, wie die Unterschiede zwischen dem türkischen und dem deutschen Rechtssystem ist. Die meisten Diskussionen gibt es bei Scheidungen: Wieso ist das so, ich habe doch keine Schuld. Dann muss ich erklären, dass es in Deutschland das Verschuldungsprinzip gar nicht gibt, das ist schwer einzusehen.

Gegenwind:

Kennst du dich auch mit den verschiedenen arabischen Rechtssystemen aus?

Gülten Culha:

Nein, damit kenne ich mich kaum aus. Aber ich habe ja gelernt, wenn ich etwas nicht weiß, kann ich nachgucken. Es dauert vielleicht ein paar Tage, aber ich könnte mich natürlich schnell einarbeiten. In Schleswig-Holstein gibt es, soweit ich weiß, keine anderen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die Arabisch können. Ich kenne einen Juristen aus dem Irak, der wollte hier in Deutschland auch studieren, aber er hat es noch nicht geschafft.

Gegenwind:

Wie geht es dir, wenn du verteidigst: Angenommen du hast einen türkischen Mandanten, dann hast du eine türkische Dolmetscherin. Kannst du als Verteidigerin ruhig zuhören, wie sie dolmetscht, oder willst du eingreifen und sie korrigieren?

Gülten Culha:

Eingreifen will ich nicht. Aber natürlich höre ich immer genau zu, was wird gedolmetscht. Wird es so rübergebracht, wie es mein Mandant gemeint hat? Gibt es Fehler? Das kann ich natürlich nie abschalten. Einmal habe ich auch eingegriffen, das war aber auch eine knifflige Sache, es kam auf den genauen Wortlaut an. Da wurde zum Nachteil meines Mandanten übersetzt, genau so, wie er es nicht haben wollte, da habe ich interveniert. Der Dolmetscher fühlte sich auf den Schlips getreten, weil er es auch schon lange macht, aber beim Richter kam es an. Er hat es nicht negativ bewertet, und ich muss auch darauf achten, wenn ich jemanden vor Gericht vertrete.

 

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